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  • „One Poem, and one Robert“

    Time was away and she was here
    And life no longer what it was,
    The bell was silent in the air
    And all the room one glow because
    Time was away and she was here.

    Ich habe von jemandem gehört, der diese Gedicht von Louis MacNeice zu der Hochzeit eines Freundes las – mit seinen einfachen Bildern, ihrer leise nachhallenden Wucht, hat es auch etwas, das bei Beerdigungen vorgetragen werden könnte. Elementar. Das ging mir heute morgen durch den Kopf, als ich es las, und eine Woche nach der Wiesenbestattung der sterblichen Überreste einer meiner besten Freundinnen.

    Würde ich in Louth leben, wäre ich sicher befreundet mit Alfie und Robert, so herzlich und nachhallend waren unsere drei Begegnungen in London. Wie Hansjörg und Gudrun, so sind auch Robert und Alfie ein so unzertrennliches Paar gewesen, und sind es noch, jetzt, wo Robert Wyatt seinen 80. Geburtstag feierte. Olaf (Ost) sandte mir dazu einen feinen Text, HIER nachzulesen. „Wir sind nicht allein.“ ich verspüre gerade unbändige Lust, Robert Wyatts „Cuckooland“ aufzulegen! Eine andere Art von Seelentrost hält „Tocotronic“ bereit, auf ihrem neuen Album „Golden Years“. Alte Bekannte, und lauter offene Türen in dunklen Zeiten! (m.e.)

  • Die besten Alben der Siebziger Jahre in den Ohren von Norbert Ennen

    „Der Clou solcher Listen ist, das dass sie Landkarten gelebten Lebens ausbreiten, und jedes einzelne Album eine Geschichte erzählt, und manchmal zwei. In solchen Listen tauchen diese privaten Stories nicht auf, dabei sind diese so existenziell wie die Schallplatten selbst. Üblicherweise nennt man das auch den „Soundtrack unseres Lebens.“ (M.E.)

    Norberts erste Liste

    Television – Marquee Moon / Wire – Pink Flag / Wire – Chairs Missing / Wire – 154 / Talking Heads – Fear Of Music / John Cale – Paris 1919 / Devo – Are We Not Men / Specials – Specials /Sex Pistols – Never Mind The Bolocks / Slits – Cut / Pere Ubu – The Modern Dance / Kraftwerk – Die Mensch Maschine / Kraftwerk – Autobahn / Suicide – Suicide / Joy Division – Unknon Pleasures / David Bowie – Station To Station / David Bowie – Low / David Bowie – Heroes / Brian Eno – Another Green World / Brian Eno – Before And After Science / Steve Wonder – Innervisions

    Norbert (Jahrgang 1960) hat mir (Jahrgang 1955) eine Doppelliste gesendet mit seinen Lieblingsalben jenes wilden Jahrzehnts. Die erste Liste umfasst die 20 Alben, die er damals, in der Zeit, von der hier die Rede ist, über alles liebte, die zweite Liste enthält jene 20 Alben, die er erst im nachhinein entdeckte, und die ihren Status für die einsame Insel erst mit Verzögerung erlangten. „Ich war ja noch kein Oberchecker wie du“, bemerkt er in Anspielung an unsren Altersunterschied von fünf Jahren, und tatsächlich fallen fünf Jahre „musiksozialisationstechnisch“ ins Gewicht (Leute, die auf Elvis standen, waren für ich schon „Die Alten“, genauso wie Frank Sinatra-Fans): ich würde nur eine einzige Liste präsentieren, denn ich war damals schon so verrückt nach Musik, dass mir wenig entging, und im perfekten Alter für Prägungen des musikalischen Geschmacks. Natürlich studierte ich seine Liste mit grossem Interesse, und konnte rasch Gemeinsamkeiten und Unterschiede ausfindig machen.

    Norberts zweite Liste

    Can – Ege Bamyasi / Curtis Mayfleld – Curtis / Neu – Neu / Judee Sill – Judee Sill / Annette Peacock – I’m The One / Gil Scott Heron – Pieces Of  A Man / Joni Mitchell – Blue / Funkadelic – Maggot Brain / Dadawah – Peace And Love / Linda Perhacs – Parrallelograms / Cluster – Zuckerzeit / Miles Davis – On The Corner / Upsetters – 14 Backboard Jungle Dub / Nick Drake – Pink Moon / Steve Reich – Music For 18 Musicians / Stooges – Fun House / Alice Coltrane – Journey To Satchinanda / Neil Young – On The Beach / Pharoah Sanders – Deaf Dumb Blind / Herbie Hancock – Sextant

    Kein Jahrzehnt hat mich so beeinflusst wie die Siebziger Jahre, und jede meiner Listen würde wohl überquellen, ichn mache hier nur den Go-Between für Norbert. Vielleicht eins noch: eine Differenz zwischen uns auf den ersten Blick: in seinen zwei Zwanziger-Listen gab es nur eine ECM-Platte, Steve Reichs „Music For 18 Musicans“ von Steve Reich. Würde ich eine Liste posten (und es wäre eine TOP 40-Liste ohne Ranking), wären etliche ECM-Alben dabei, aber nicht diese zugegeben tolle Scheibe von Steve Reich. Es war ein Jahrzehnt des Überflusses an Magie, und in der Parade absoluter persönlicher Favoriten wären diese ECM-Alben wohl dabei – ich nenne nur die Titel: Sart, Ruta and Daitya, Bremen / Lausanne, The Köln Concert, Solstice, Open To Love, Yellow Fields, The Following Morning, What Comes After (oder doch Odyssey), Diary, Whenever I Seem To Be Far Away, Danca des Cabecas, Nan Madol, The Survivors Suite, Return To Forever, und Witchi-Tai-To. Those were the years, my friend.

  • „Freigewehtes on air“

    Nur zwei Alben veröffentlichte der Pianist und Synthesizerspieler Rainer Brüninghaus als Bandleader, „Freigeweht“ (1981) und „Continuum“ (1984), und sie haben über all die Jahrzehnte hinweg nichts an Ausstrahlung verloren: „Freigeweht“ liegt nun in der ECM-Vinylserie „Luminessence“ mit tadelloser Pressung und Gatefoldcover vor, ergänzt von einem klugen Essay, der dieses kleine Meisterstück im Rückblick einordnet und verschiedene Facetten erhellt, etwa Spuren von Minimalismus in diesem sogenannten „kammermusikalischen Jazz“.

    Aber was heisst schon „Kammermusik“ bei so vielen sperrangelweit geöffneten Aussichten!? Vielen wird es so ergehen, dass sie sich diese lyrisch-aufregende Musik wieder und wieder anhören, weniger, um sich wohligen Erinnerungen zu überlassen, oder analytisch den Geistern eines anderen Zeit nachzuspüren (das wären allenfalls Begleiterscheinungen): alle Beteiligten sind schlichtweg „on fire“, von dem Komponisten selbst, der das Understatement jedem virtuosen Fingerzeig vorzieht, über den Meistertrompeter und die Schlagzeuglegende, bis hin zur „wild card“ des Oboisten und Englisch-Horn-Spielers!

    Für eine jüngere Generation von Hörern mag dieses Album eine Eintrittskarte sein, andere aussergewöhnliche Alben des ECM-Katalogs kennenzulernen, in denen Brpninghaus als Sideman seine diskret-vielschichtige Magie verströmt, etwa auf Eberhard Webers „The Colours Of Chloe“, „Yellow Fields“ und „The Following Morning“, oder Jan Garbareks „I Took Up The Runes“. „Freigeweht“ reiht sich da, ohne grosses Aufheben, nahtlos ein: einsame Klasse in bester Gesellschaft! (michael engelbrecht) P.S. Das Foto aus meiner „elektrischen Höhle“ zeigt „Freigehweht“ an zweiter Stelle von links.


    Niklas Wandts Klanghorizonte sind nun nicht mehr nachzuhören. Das rege Echo rund um „Freigeweht“ spuegelt sich in rund zehn Kommentaren von Ingo, Niklas, Henry, Jan, und mir … (deshalb habe icn diesen Blogeintrag auf den 8. Februar transportiert.)


    „Das minimal gehaltene Cover ziert eine Reihe von drei Fotos einer Papiertüte im Wind, eingefrorene zufällige Bewegungen, ausgeleuchtet in dramatischem Kontrast – das grelle Orange der Tüte gegen das strahlende Blau des Horizonts. Die Luftigkeit, die Transparenz kennzeichnet auch den Sound auf dieser Platte, eingespielt in einer recht ungewöhnlichen Quartettbesetzung. der kanadisch-britische Kenny Wheeler an Trompete und Flügelhorn und der Norweger Brynjar Hoff an Oboe und Englischhorn.“ (Niklas, in einem anderen Beitrag zu „Freigeweht“ . Siehe auch „Archive“)

  • Auch der Horizont hat seine Grenzen

    „Even without the knowledge of Jeck’s passing, the music would sound elegiac.  The artist’s work with turntables – the slowing down, the vinyl crackle, the flutter and pop – speak simultaneously of demise and continuance.  The record ends, but through its grooves, the composer lives on.“


    In memory of Philip Jeck

    Ein paar Auszüge aus der lesenswerten Beprechung von Philip Jecks „rpm“ in „A Closer Listen“, eines der Alben, die noch vom Ausklang des letzten Jahres stammen, aber wahrscheinlich, und mit guten Gründen, in meinen „Märzhorizonten“ Platz finden. Interessant, dass die elegischen Sphären, die In-Sich-Gekehrtheit des Doppelalbums keinen Widerspruch bilden zu der immensen Zahl der beteiligten Musiker. Das gilt gleichermassen für das so leise wir raumgreifende Werk von Lawrence English, mit einem Titel, der wie für die „Klanghorizonte“ erfunden scheint: „Even The Horizon Knows Its Bounds“.

    Stranger things

    Passagen aus meinen „virtuellen“ Interviews mit Alabaster DePlume, Tommy Perman und Jon Balke werden ebenso Platz finden in dieser Radiostunde am 27. März um 21.05 Uhr. Mit dem norwegischen Pianisten ist es schon fast eine Tradition, ihn zu jedem seiner neuen Arbeiten zu befragen. Angefangen hatte es mit dem exzellenten Werk „Diverted Travels“ seines Magnetic North Orchestra.


    Und nun dann „Skrifum“, Jon Balkes viertes Solopianoalbum – einmal mehr reichert er den reinen Klaviersound an, in diesem Fall ist ein „Spektrafon“ im Spiel, das auf eigenartige Weise Sounds aus dem Innenleben des Flügels „herausholt“, wie immer das funktioniert – aber genau dafür sind ja Interviews da. Mir ist dieser „Transfer“ noch ein Rätsel, was nichts daran ändert, dass „Skritum“ am Ende des Jahres zu meinen neuen „desert island albums“ zählen wird. Beim Hören von „Skrifum“ kam mir einmal auch Paul Bleys „Open, to love“ in den Sinn (das in Kürze in der „luminessence“-Reihe von ECM als Schallplatte neu aufgelegt wird):

    „…. interesting to listen to „Scrifum“ with its discreetly electronic textures, along with Paul Bley‘s „Open, to love“, who once told me he was thinking –  in moments of creating that album – of the „decay lines“ (he maybe used another expression) of those early synthesizers and even trying to follow their vibes.“ M.

    oh, that album is one of my all time favourites:-) J.

    A propos Jon Balke

    Das Interview zu „Warp“

    Das Interview zu „Discourses“

    Das Interview zu „Siwan“ & „Say And Play“

    „Als ich mit dem Wagen in El Golfo angekommen war – zuende gehört hatte ich die Musik von „Siwan“ an den berüchtigten Vulkanklippen der Westküste Lanzarotes, deren Name mir gerade entfallen ist – nahm ich Platz im Fischrestaurant meines Vertrauens. Und dann passierte einer dieser sonderbaren Zufälle, wenn man die richtige Musik zur richtigen Zeit am richtigen Ort hört: ich las die beiliegenden Texte der Cd und musste schmunzeln, als ich folgende Zeilen las:

    “A serene evening
    We spent it drinking wine.
    The sun, going down,
    Lays its cheek against the earth, to rest

    Nun, ich war allein, aber ein Glas Wein stand auf meinem Tisch, und die Sonne bereitete sich gerade auf ihren first-class-„westcoast“-Untergang vor. Ich blieb, bis es kühl wurde, stieg ins Auto und liess „Siwan“ ein weiteres Mal laufen.“ (Blogtagebuch Manafonistas, Mai 2011)

    The pops and crackle still remain

    Zurück auf Anfang, zu Philip Jecks „rpm“: „One of the most heartrending facets of the release is that “Pilots,” in which Jeck incorporates recordings of pilot whales sent by Jana Winderen, was completed in March of 2022.  Philip Jeck passed away on March 25 of that year.  One can imagine the composer lying in bed, buoyed by the sounds so ancient and wondrous and everlasting, the deep mystery conveyed by the giant ocean creatures, whose indecipherable stories and songs seem to bear such deep emotional weight.“

    Auftakt und Finale

    Eigentlich ist das „sequencing“ der Klanghorizonte so gut wie abgeschlossen: Spielraum gibt es vor allem beim ersten und letzten Song der Stunde: aber wenn da noch ein Lied auftaucht, das ein perfekteres Finale bildet als der „slow soul burner“, das Titelstück von Eddie Chacons „Lay Low“, sollte es mich wundern.

  • Fly me to the moon, let me play among the stars.

    Bei den diesjährigen GRAMMYs fand ein Clip mit einem hinreißenden Auftritt von Cynthia Erivo meine Aufmerksamkeit. Die sehr emotionale Performance dieser exklusiven Sängerin war eine Hommage an Quincy Jones, der im vergangenen Jahr verstorben ist. Erivo wurde von dem 77 jährigen Herbie Hancock am Klavier begleitet. What a joy to listen to such a great voice and musican . Das Original “ Fly me to the moon“ wurde von Bart Howard verfasst. Frank Sinatra sang eine Swing Version, die Quincy Jones arrangiert hatte. Es war in der Zeit, als Apollo zum Mond geschickt wurde. Cynthia Erivo sang sie als Erinnerung an Quincy Jones. Just great.

    Die big glammour Show hat ja doch zwischendrin hõrenswert Verstecktes von höchster Qualität. Man muss es nur entdecken. Wer den großartigen Clip noch nicht gesehen hat, findet ihn ziemlich weit hinten auf HTTPS://live.grammy.com

  • Blumenkohl

    Der letzte Monat war ein ganzes Jahr.

    Diese Wahrnehmung scheinen so viele Menschen zu teilen, dass ich mich frage, ob sie nicht wirklich wahr ist. Und bei mir haben sich die ersten 31 Tage des Jahres nicht ausgedehnt, weil die Zeit so oft still stand (zum Beispiel beim Hören zerbrechlicher Klangbilder oder präpariertem Klavier); die Ereignisse haben sich gegenseitig überholt und ausgebremst.

    Zum Glück kann Essen ja die Laune deutlich heben; im Januar haben wir dreimal einen „Blumenkohlauflauf mit Käse und Senf“ gegessen, der diesen Effekt hatte. Wohlfühlessen. Das Originalrezept findet sich so ähnlich in dem sehr empfehlenswerten Kochbuch Simple.

    Einen Blumenkohl in Röschen (4cm) zerteilen, 5 Minuten (kochen oder) dämpfen, abkühlen lassen. In einer Pfanne oder einem breiten Topf eine gewürfelte Zwiebel in einem großen Stück Butter anschwitzen (10 Min), Kreuzkümmelsamen (1 TL), Senf (1 TL) und Chilipulver nach Geschmack hinzufügen. Das ganze kurz schmoren, 200 g Sahne dazu gießen, 100g geriebenen Käse (Cheddar oder Gouda) und Salz einrühren, die Sauce etwas eindicken lassen, den Blumenkohl hinzufügen und 1 Minute köcheln.

    Den Auflauf mit etwas Käse, Semmelbrösel, Petersilie bestreuen und für ca. 20 Minuten in 180°C heißen Backofen stellen. Nach 15 Minuten kann man den Grill anmachen, damit er knuspriger wird. Dazu schmeckt bestimmt eine Bratwurst ziemlich gut, das habe ich aber noch nicht ausprobiert; bei uns gab es Salat und/oder Reis.

    Beim Kochen habe ich in letzter Zeit recht viele Podcasts gehört, oft aus dem Ressort „Nachrichten und Politik“ der Zeit oder eine Aufzeichnung von „Studio 9 – Der Tag mit…„. Irgendwie will ich den Überblick behalten und die zahlreichen Fragen zur Tagespolitik, die mir in der Schule gestellt werden, halbwegs beantworten können.

  • Die Sache mit der Stunde Null (eine Frage)

    Oft wurde der Minimalismus als Stunde Null der Amerikanischen Klassik gesehen. Ein Neuanfang in den USA, von Reich, Glass, Riley und Co. Ein Strukturprinzip: Repetition. Oft wird auch die Krautrockära in der BRD als eine Art Stunde Null gesehen: die Abkehr von anglo-amerikanischen Idolen der Rockmusik, und Beginn eines neuen Weges, bei Kraftwerk, Can, Neu, Cluster et al. Ein Strukturprinzip: Repetition. Haben all die „Krautrocker“ die amerikanischen Minimalisten als Inspiration gewählt?

    Ab und zu hatte ich über die Jahre die Vorstellung, dass Holger Czukay, Jaki Liebezeit, Ralf Hütter, Michael Rother, Florian Schneider, die Zwei von Cluster und andere, zuhause, wieder und wieder, Klassiker des Amerikanischen Minimalismus gehört haben (Drumming, In C, Rainbow In Curved Air) und davon träumten, solche Repetitionen herzunehmen und damit Eigensinniges anzustellen.

    Jüngst kam ich auf die Idee, in den Klanghorizonten am Anfang, in der Mitte und am Ende, drei tolle Werke des „Minimalismus“ ausschnittweise zu spielen, die sehr repetitiv sind, mit Delay und Tonbandgeräten arbeiten, und, eine gemeinsames Merkmal der drei Platten, allesamt mit einer Reizüberflutung agieren: das eigene Bewusstsein wird dermassen mit akustischen Ereignissen „überladen“, dass eine andere Art von Hören erforderlich ist, um sich dem „hingeben“ zu können: die Rede ist von Steve Reichs „It‘s Gonna Rain“, Terry Rileys „Shri Camel“, und – einem Album, das ich mal einen lang vergrabenen Schatz der Krautrockära nenne – Günter Schickerts „Samtvogel“.

  • Lynch

    Wenige Filme habe ich so häufig gesehen, zumal im Kinosaal, wie einige von David Lynch. Die Todesnachricht las ich, als ich in Banff vom Mittagessen in einem koreanischen Restaurant, wo ich alleine gesessen hatte, in meinen Mietwagen zurück ging, mich reinsetzte und überlegte, was ich als nächstes tun würde. Ich öffnete Facebook, wo ich manchmal am ehesten mitbekomme, wenn was in der Welt passiert ist, und das erste, was erschien, war die Verkündigung von Lynchs Tod über sein Künstlerprofil in meinem „Feed“ (keine Ahnung, wie das heutzutage eigentlich auf deutsch heißt). Mir war nicht mehr bewusst, dass ich „David Lynch“ aus Facebook abonniert hatte, und so erschien mir die Nachricht auf den ersten Blick recht unwirklich, so im tiefen Winter in Kanada, in einem Auto, zumal die Verkündung so sachlich und mit einem recht untypischen Bild (Lynch an der Gitarre) verfasst war. 

    Die Nachricht war zu dem Zeitpunkt etwa drei Stunden alt, und das Weiterscrollen in meinem Facebook-Bekanntenkreis zeigte, dass nahezu jeder diesen Todesfall bereits kommentiert hatte. In den folgenden Tagen bestätigte sich wieder, wie viele, teils extrem unterschiedliche Menschen in meinem weiteren Umfeld eine persönliche Beziehung zu Lynch und seinem Werk hatten. Vermutlich hatte ich seit David Bowies Tod nicht von so vielen Seiten so viele persönlich betroffne Kommentare zu einem verstorbenen Künstler gelesen und gehört. 

    Auch für mich war Lynch sicherlich mit entscheidend für meine Berufs- und Studiumswahl. Und offenbar gilt das auch für unzählige meiner Regiekolleg/innen. Kaum eine/r, der/die das nicht nach dessen Tod noch einmal kundgetan hat. Auch etliche Musiker-Freunde erwähnten das. Mit der Sängerin Mattiel aus Atlanta bspw. habe ich mal eine Weile über Lynch gesprochen; sie hat zwar nicht Film studiert, aber sie hat ihre Musikvideos immer komplett selbst gemacht und mir mal erzählt, dass sie dafür – „learning by doing“ – viel von Lynch gelernt habe.

    Gewissermaßen habe ich Lynchs Werk auch vor meinem eigentlichen Studium schon recht intensiv studiert (u.a. unter Zuhilfenahme des dem Interviewbuchs „Lynch on Lynch“ und anderen Büchern). „Lost Highway“ kam am Ende der Woche meiner Abiturprüfungen raus (und Geburtstag hatte ich in der Woche auch noch) – und hat auch mich enorm geprägt. „Mulholland Drive“ kam schon vor meinem Studium in die Kinos, und ich erinnere mich immer sehr intensiv daran, wie ich nach dem Film, es war eine Spätvorstellung (22 Uhr 45; ich habe letzte Woche die Eintrittskarte in meiner Soundtrack-CD wieder gefunden), nachts um zwei aus dem Kino kam und durch Berlin nach Hause radelte; es war vollkommen überraschend Schnee gefallen, alles war weiß, die Stadt komplett still (Wochentag + Wintereinbruch), und der Himmel war irritierend hell, in surrealen Rottönen. Das war eine bizarre Erfahrung, nach diesem Film, der vieles auf den Kopf stellte. Bis heute ist es wohl der Film, den ich am häufigsten im Kino gesehen habe.

    Nicht selten muss auch ich (wie viele Kolleg/innen), in vielen verschiedenen Zusammenhängen, in meinem beruflichen und künstlerischen Tun an Lynch denken. Auch wenn man selbst natürlich nie etwas Vergleichbares macht.

    Einmal hatten wir an der Filmakademie die seltene und seltsame Chance, dass Lynch für eine Veranstaltung mit den Studierenden kommen wollte. Es wurde dafür ein großer Kinosaal, das Arsenal, bereitgestellt, und alle, die irgendwie davon gehört hatten, kamen vorbei, man erwartete die Chance, von Lynch ein kleines Scheibchen Goldstaub-Inspiration mitzunehmen. Der Saal war über Gebühr voller Studenten, auch bis an die Potsdamer Filmhochschule hatte sich das herumgesprochen. Lynch saß auf der Bühne, neben ihm vier oder fünf seltsame rundliche Herren in Anzügen. Und dann wurde kundgetan, Lynch werde nicht über seine Arbeit sprechen (als Gast an einer Filmhochschule!), sondern über Transzendentale Meditation (TM) – und dazu Fragen gerne beantworten. Das geschah dann auch, und auf alle Anwesenden wirkte das Ganze wie eine Theatershow aus einem Lynch-Film – und der Stargast wirkte auf uns, als sei er einer Gehirnwäsche unterzogen worden. Es war reichlich bizarr. Der damalige Leiter unserer Ausbildungsstätte, Hartmut Bitomsky, entschuldigte sich später, dass er da vorab nicht genauer nachgefragt hatte, was zu erwarten war; die einmalige Gelegenheit, Lynch zu Gast zu haben, sei auch ihm zu verlockend und einmalig genug erschienen. Damals war noch nicht gemeinhin bekannt, dass Lynch ein Anhänger der TM war, die er in höchsten Tönen lobte, und die Herren neben ihm nickten und lächelten immer nur wortlos, während sie da auf der Bühne saßen. Es wirkte so, wie man sich Scientology vorstellte. Lynch sprach sogar vom Weltfrieden via Meditation. Einer der damals anwesenden Studenten, David Sieveking, hat in der Folge den Dokumentarfilm „David wants to fly“ gemacht, über seine Entzauberung von Lynch als so wichtigem Autorenfilmer für ihn und für uns alle. 

    Diese Episode ist lange vergessen, und Lynch hat sich mit den 18 Stunden „Twin Peaks 3“ später auch mehr als rehabilitiert. Zahlreiche Berliner Kinos haben in den letzten Wochen ihr Programm umgestellt, und man konnte das Lynch-Kinogesamtwerk (inklusive des sehr schönen Dokumentarfilms „The Art Life“) überall in Berlin sehen. Wir schauten „Mulholland Drive“, „Lost Highway“ und vorgestern, am Samstag, schließlich „Eraserhead“ – alle drei sah ich nun erstmals in digitalen Vorführkopien. Und zum Glück war die Vorstellung jeweils sehr laut. „Mulholland Drive“ wurde leider komplett asynchron abgespielt, der Ton eine knappe halbe Sekunde verzögert, was mir Kopfschmerzen bescherte. Ich konnte nicht auf die Münder der sprechenden Figuren schauen. Nach dem Film fragte ich nach, ob sich denn niemand beschwert habe, und der Kinomitarbeiter war rasant in seiner Antwort: „Das ist vom Verleih so gewollt.“ Nach ein paar Minuten Diskussion mit dem Herrn meinte ich abschließend: „Naja, interessant zu wissen, dass ich der einzige war, den das gestört hat, dann ist es halt so.“ — und er gab schließlich zu, dass sich doch schon während des Films einige über den asynchronen Ton beschwert hatten.

    Zu „Lost Highway“ nahmen wir ein ganzes Rudel kunstinteressierter Berliner Freunde mit, die den Film allesamt erstaunlicher Weise noch nie gesehen hatten. Die Wiedersichtung dieser drei Filme (plus einer TV-Doku in der Arte-Mediathek) bewies wieder einmal, wie sensationell gut Lynch als Filmemacher, als Filmkünstler war. Dass er mit so wenigen Filmen die Sprache des Kinos so enorm gut beherrschte, beeindruckte mich bei „Lost Highway“ wieder einmal. „Kein Wort zu viel“ meinte eine der mitgekommenen Freundinnen, sie habe sich prächtig amüsiert, wie bei René Pollesch in der Volksbühne. Diese Filme sind – noch immer – einfach phänomenal gut. Und dabei doch so enorm vielschichtig. Die Meisterschaft und Einzigartigkeit der Regiearbeit treibt mir fast die Tränen in die Augen.

    Sonntag Abend in der Volksbühne: Zola Jesus, eine Sängerin aus Wisconsin, von der ich einige Alben habe. Sonst baut sie ihre sehr exaltierte, fast opernhafte Musik mit umfangreicher Instrumentierung, Klangwelten und Elektronik aus. Diesmal solo am Flügel, nahezu ohne elektronische Effekte. Ich war skeptisch, aber es funktionierte erstaunlich gut, war intensiv, auch wenn in der ersten Hälfte sicher 50 bis 80 Zuschauer den Saal zwischen den ersten Stücken verließen. Offenbar hatten sie keine Solo-Show erwartet. Oder fanden den Gesang zu exaltiert. Zum Schluss sang sie, als Verbeugung vor David Lynch, den sie einmal getroffen hatte, „In Heaven (Lady in the Radiator Song)“ aus „Eraserhead“, den ich 24 Stunden zuvor im Kinosaal in der digital restaurierten, klanglich beeindruckend wiedergegebenen Vorführung gesehen hatte. 

  • Dec 6 until Mar 25 – my favourites and a lesson in escapism

    (Erste Viereljahresliste) Okay, das ist der Job des Musikjournalisten, die Zukunft ein wenig anzugraben. Und nun also die Alben, die mich voll gepackt haben, ohne Ranking, ohne Umschweife, ohne „Listenlook“. Icn hoffe, ich habe etwas verpasst, sonst wäre diese Sammlung ja nahezu perfekt. Alabaster DePlumes Meditationen über das Paradoxon der Klinge sind schon auf den ersten fünf Plätzen meiner nächsten Nilkolausliste gebucht. Burner! Diese skandinavische „Super Group“ namens Unionen bescherte WeJazz Records am Nikolaustag 2024 einen Blick in jene Zukunft des Jazz, in der es noch Unberechenbares und Wundersames gibt. Lange keine Platte mehr im Dämmerlicht dreimal hintereinander gehört. Jon BalkesSkrifum“ ist das erste Fünf-Sterne-Album des Jahre von ECM. Richard Dawsons „End Of The Middle“ ist ein umwerfend raues Meisterstück über den Alltag unserer Tage im All, aber es fordert Hörgewohnheiten heraus und verlangt gutes Englisch. Anouar Brahems „Last Days Of Sky“ ist in Besetzung und Ausführung eine Klasse für sich, mit all den dunklen Himmeln, die das mitschwingen. Wer Dave Holland dort Bass spielen hört, möge seine uralte Schallplatte „Conference Of The Birds“ rauskramen und mit ein kleines Dankeschön schicken. (Aber nicht dieses Meisterstück vom Dave Hollands Quartet escheint als übernächste „Ausgrabung“ in der Luminessence-Reihe, sondern Bennie Maupins Sternstunde „The Jewel In The Lotus“. Im Mai.) Und zum Schluss dieser Plattenschau ein wenig Eskapismus. Wie, was? Ja, die Platte mit dem verboten bunten Cover da oben habe ich mir heute aus Berlin bestellt, nie gehört, aber neugierig – schliesslich besitze ich den janpanisch-balearischen Klangtraum namens „Pacific“ auf Vinyl, von eben diesem Herrn Haruomi und einigen seiner Gefährten aus fernen Zeiten.