Lynch
Wenige Filme habe ich so häufig gesehen, zumal im Kinosaal, wie einige von David Lynch. Die Todesnachricht las ich, als ich in Banff vom Mittagessen in einem koreanischen Restaurant, wo ich alleine gesessen hatte, in meinen Mietwagen zurück ging, mich reinsetzte und überlegte, was ich als nächstes tun würde. Ich öffnete Facebook, wo ich manchmal am ehesten mitbekomme, wenn was in der Welt passiert ist, und das erste, was erschien, war die Verkündigung von Lynchs Tod über sein Künstlerprofil in meinem „Feed“ (keine Ahnung, wie das heutzutage eigentlich auf deutsch heißt). Mir war nicht mehr bewusst, dass ich „David Lynch“ aus Facebook abonniert hatte, und so erschien mir die Nachricht auf den ersten Blick recht unwirklich, so im tiefen Winter in Kanada, in einem Auto, zumal die Verkündung so sachlich und mit einem recht untypischen Bild (Lynch an der Gitarre) verfasst war.
Die Nachricht war zu dem Zeitpunkt etwa drei Stunden alt, und das Weiterscrollen in meinem Facebook-Bekanntenkreis zeigte, dass nahezu jeder diesen Todesfall bereits kommentiert hatte. In den folgenden Tagen bestätigte sich wieder, wie viele, teils extrem unterschiedliche Menschen in meinem weiteren Umfeld eine persönliche Beziehung zu Lynch und seinem Werk hatten. Vermutlich hatte ich seit David Bowies Tod nicht von so vielen Seiten so viele persönlich betroffne Kommentare zu einem verstorbenen Künstler gelesen und gehört.
Auch für mich war Lynch sicherlich mit entscheidend für meine Berufs- und Studiumswahl. Und offenbar gilt das auch für unzählige meiner Regiekolleg/innen. Kaum eine/r, der/die das nicht nach dessen Tod noch einmal kundgetan hat. Auch etliche Musiker-Freunde erwähnten das. Mit der Sängerin Mattiel aus Atlanta bspw. habe ich mal eine Weile über Lynch gesprochen; sie hat zwar nicht Film studiert, aber sie hat ihre Musikvideos immer komplett selbst gemacht und mir mal erzählt, dass sie dafür – „learning by doing“ – viel von Lynch gelernt habe.
Gewissermaßen habe ich Lynchs Werk auch vor meinem eigentlichen Studium schon recht intensiv studiert (u.a. unter Zuhilfenahme des dem Interviewbuchs „Lynch on Lynch“ und anderen Büchern). „Lost Highway“ kam am Ende der Woche meiner Abiturprüfungen raus (und Geburtstag hatte ich in der Woche auch noch) – und hat auch mich enorm geprägt. „Mulholland Drive“ kam schon vor meinem Studium in die Kinos, und ich erinnere mich immer sehr intensiv daran, wie ich nach dem Film, es war eine Spätvorstellung (22 Uhr 45; ich habe letzte Woche die Eintrittskarte in meiner Soundtrack-CD wieder gefunden), nachts um zwei aus dem Kino kam und durch Berlin nach Hause radelte; es war vollkommen überraschend Schnee gefallen, alles war weiß, die Stadt komplett still (Wochentag + Wintereinbruch), und der Himmel war irritierend hell, in surrealen Rottönen. Das war eine bizarre Erfahrung, nach diesem Film, der vieles auf den Kopf stellte. Bis heute ist es wohl der Film, den ich am häufigsten im Kino gesehen habe.
Nicht selten muss auch ich (wie viele Kolleg/innen), in vielen verschiedenen Zusammenhängen, in meinem beruflichen und künstlerischen Tun an Lynch denken. Auch wenn man selbst natürlich nie etwas Vergleichbares macht.
Einmal hatten wir an der Filmakademie die seltene und seltsame Chance, dass Lynch für eine Veranstaltung mit den Studierenden kommen wollte. Es wurde dafür ein großer Kinosaal, das Arsenal, bereitgestellt, und alle, die irgendwie davon gehört hatten, kamen vorbei, man erwartete die Chance, von Lynch ein kleines Scheibchen Goldstaub-Inspiration mitzunehmen. Der Saal war über Gebühr voller Studenten, auch bis an die Potsdamer Filmhochschule hatte sich das herumgesprochen. Lynch saß auf der Bühne, neben ihm vier oder fünf seltsame rundliche Herren in Anzügen. Und dann wurde kundgetan, Lynch werde nicht über seine Arbeit sprechen (als Gast an einer Filmhochschule!), sondern über Transzendentale Meditation (TM) – und dazu Fragen gerne beantworten. Das geschah dann auch, und auf alle Anwesenden wirkte das Ganze wie eine Theatershow aus einem Lynch-Film – und der Stargast wirkte auf uns, als sei er einer Gehirnwäsche unterzogen worden. Es war reichlich bizarr. Der damalige Leiter unserer Ausbildungsstätte, Hartmut Bitomsky, entschuldigte sich später, dass er da vorab nicht genauer nachgefragt hatte, was zu erwarten war; die einmalige Gelegenheit, Lynch zu Gast zu haben, sei auch ihm zu verlockend und einmalig genug erschienen. Damals war noch nicht gemeinhin bekannt, dass Lynch ein Anhänger der TM war, die er in höchsten Tönen lobte, und die Herren neben ihm nickten und lächelten immer nur wortlos, während sie da auf der Bühne saßen. Es wirkte so, wie man sich Scientology vorstellte. Lynch sprach sogar vom Weltfrieden via Meditation. Einer der damals anwesenden Studenten, David Sieveking, hat in der Folge den Dokumentarfilm „David wants to fly“ gemacht, über seine Entzauberung von Lynch als so wichtigem Autorenfilmer für ihn und für uns alle.
Diese Episode ist lange vergessen, und Lynch hat sich mit den 18 Stunden „Twin Peaks 3“ später auch mehr als rehabilitiert. Zahlreiche Berliner Kinos haben in den letzten Wochen ihr Programm umgestellt, und man konnte das Lynch-Kinogesamtwerk (inklusive des sehr schönen Dokumentarfilms „The Art Life“) überall in Berlin sehen. Wir schauten „Mulholland Drive“, „Lost Highway“ und vorgestern, am Samstag, schließlich „Eraserhead“ – alle drei sah ich nun erstmals in digitalen Vorführkopien. Und zum Glück war die Vorstellung jeweils sehr laut. „Mulholland Drive“ wurde leider komplett asynchron abgespielt, der Ton eine knappe halbe Sekunde verzögert, was mir Kopfschmerzen bescherte. Ich konnte nicht auf die Münder der sprechenden Figuren schauen. Nach dem Film fragte ich nach, ob sich denn niemand beschwert habe, und der Kinomitarbeiter war rasant in seiner Antwort: „Das ist vom Verleih so gewollt.“ Nach ein paar Minuten Diskussion mit dem Herrn meinte ich abschließend: „Naja, interessant zu wissen, dass ich der einzige war, den das gestört hat, dann ist es halt so.“ — und er gab schließlich zu, dass sich doch schon während des Films einige über den asynchronen Ton beschwert hatten.
Zu „Lost Highway“ nahmen wir ein ganzes Rudel kunstinteressierter Berliner Freunde mit, die den Film allesamt erstaunlicher Weise noch nie gesehen hatten. Die Wiedersichtung dieser drei Filme (plus einer TV-Doku in der Arte-Mediathek) bewies wieder einmal, wie sensationell gut Lynch als Filmemacher, als Filmkünstler war. Dass er mit so wenigen Filmen die Sprache des Kinos so enorm gut beherrschte, beeindruckte mich bei „Lost Highway“ wieder einmal. „Kein Wort zu viel“ meinte eine der mitgekommenen Freundinnen, sie habe sich prächtig amüsiert, wie bei René Pollesch in der Volksbühne. Diese Filme sind – noch immer – einfach phänomenal gut. Und dabei doch so enorm vielschichtig. Die Meisterschaft und Einzigartigkeit der Regiearbeit treibt mir fast die Tränen in die Augen.
Sonntag Abend in der Volksbühne: Zola Jesus, eine Sängerin aus Wisconsin, von der ich einige Alben habe. Sonst baut sie ihre sehr exaltierte, fast opernhafte Musik mit umfangreicher Instrumentierung, Klangwelten und Elektronik aus. Diesmal solo am Flügel, nahezu ohne elektronische Effekte. Ich war skeptisch, aber es funktionierte erstaunlich gut, war intensiv, auch wenn in der ersten Hälfte sicher 50 bis 80 Zuschauer den Saal zwischen den ersten Stücken verließen. Offenbar hatten sie keine Solo-Show erwartet. Oder fanden den Gesang zu exaltiert. Zum Schluss sang sie, als Verbeugung vor David Lynch, den sie einmal getroffen hatte, „In Heaven (Lady in the Radiator Song)“ aus „Eraserhead“, den ich 24 Stunden zuvor im Kinosaal in der digital restaurierten, klanglich beeindruckend wiedergegebenen Vorführung gesehen hatte.
3 Kommentare
flowworker
Was für eine lesenswerte Reise durch Lynchs Welten.
Meine wichtigesten Lynchiana:
1) Riesenfan von Twin Peaks auf RTL 1989/90
2) Bewunderer seines Films Dee Elefantenmensch
3) Absoluter Fan seiner zwei Filme Blue Velvet und Mulholland Drive
4) grosse Bewunderer von Die Rückkehr von Twin Peaks
„Geständnisse“:
5) nie gesehen: Eraserhead
6) nie reingekommen oder mehr als 1/4 gesehen: Inland Empire
7) nicht sonderlich gemocht: Lost Highway
Lynchs Flop, den mir keiner schönreden kann:
8) DUNE
Hochinteressant die Doku über Lynchs Irrwege „David wants to fly“ (unvergessen der Berliner Auftritt, in dem Film wurde auch so ein TM Guru als „König Von Berlin“ präsentert… das Publikum im Saal liess sich nicht foppen von dem PR Quatsch…
Immer wieder in den Klanghorizonten gespielt: Soundtrack von Twin Peaks
Siehe auch: Monthly Revelations: BINGE über LYNCH und die Rückkehr von Twin Peaks
Cheers, Michael!
Olaf Westfeld
Ich habe mein erstes Referat an der Uni über „Blue Velvet“ gehalten. Ein Film, den ich mal mit 16,17 mit zwei Freunden aus der Videothek auslieh – ohne in irgendeiner Form darauf vorbereitet zu sein, was wir da sehen.
Lost Highway bei meinem Auslandsjahr in den USA in New York in einem Kino gesehen. Ziemlich bekifft. Als dann auf einmal Rammstein lief, war das ein krasser Irritationsmoment – ich habe ein paar Sekunden gebraucht um zu schnallen, dass da gerade deutsch ‚gesungen‘ wurde.
Überhaupt die Tonspur in den Lynch Filmen… sehr besonders.
Und die Schlangenlederjacke in Wild At Heart.
Mulholland Drive habe ich auch in Berlin gesehen, in diesem Sony Kino am Potsdamer Platz, 2x in einer Woche.
Ingo J. Biermann
@Michael
„Blue Velvet“ ist natürlich auch ein unbestrittener Klassiker, einer der wichtigsten und einflussreichsten Filme der Achtziger. Dass ich ihn nicht erwähnt habe, liegt allein daran, dass ich ihn aktuell nicht in meinem Kino-Wiedersehensprogramm dabei hatte. „Dune“ hatte ich tatsächlich lange Zeit nie gesehen, weil ich schon ahnte, dass er mir nicht zusagen würde – sowohl thematisch als auch weil mir schon bekannt war, dass Lynch selbst den als misslungen betrachtete, er da einen Film fertig stellen musste, in dem er sich als Künstler nicht wiederfand. In der aktuellen (2024) Arte-Mediathek-Doku wird das auch ganz schön zusammengefasst – und wie Lynch in kompletter künstlerischer Freiheit in der Folge sein Meisterstück „Blue Velvet“ (und dann die anderen Filme) machte. Ich sah „Dune“ dann erst vor ein paar Jahren, als er mal hier im Kin0 gezeigt wurde; da wusste ich, ich werd den zu Ende schauen, und ich hatte Recht: Zu Hause auf Video hätte ich das nie und nimmer bis zum Ende durchgestanden; das waren sehr lange zweieinhalb Stunden. MIt dieser Erfahrung hat sicher auch zu tun, dass ich es mit den neue(n) „Dune“-Umsetzungen, die ja nochmal deutlich länger gehen, erst gar nicht versucht habe.
„Inland Empire“ fand ich auch grausig. Ich kenne Leute, die den hervorragend finden; und ich kann es bis zu einem gewissen Grad verstehen, fand damals im Kino aber, dass das Ganze wirkt, als habe jemand sich bemüht, einen „David-Lynch-FIlm“ zu machen, aber kaum interessante Ideen (vor allem auf die dreistündige Länge gesehen) gehabt und im Wesentlichen Lynch-Zitate zusammengebastelt.
@Olaf
Da waren wir offensichtlich im gleichen Kino. Ich hab in dem Kino (CineStar, bis zu seiner Schließung war das mein Hauptkino, wo ich jede Woche mindestens ein Mal war) den Film damals auch zwei Mal innerhalb der ersten Wochen gesehen. Die beiden Eintrittskarten habe ich vor ein paar Tagen in meinem „Mulholland Drive“-Soundtrack gefunden.