Die Sache mit der Stunde Null (eine Frage)

Oft wurde der Minimalismus als Stunde Null der Amerikanischen Klassik gesehen. Ein Neuanfang in den USA, von Reich, Glass, Riley und Co. Ein Strukturprinzip: Repetition. Oft wird auch die Krautrockära in der BRD als eine Art Stunde Null gesehen: die Abkehr von anglo-amerikanischen Idolen der Rockmusik, und Beginn eines neuen Weges, bei Kraftwerk, Can, Neu, Cluster et al. Ein Strukturprinzip: Repetition. Haben all die „Krautrocker“ die amerikanischen Minimalisten als Inspiration gewählt?

Ab und zu hatte ich über die Jahre die Vorstellung, dass Holger Czukay, Jaki Liebezeit, Ralf Hütter, Michael Rother, Florian Schneider, die Zwei von Cluster und andere, zuhause, wieder und wieder, Klassiker des Amerikanischen Minimalismus gehört haben (Drumming, In C, Rainbow In Curved Air) und davon träumten, solche Repetitionen herzunehmen und damit Eigensinniges anzustellen.

Jüngst kam ich auf die Idee, in den Klanghorizonten am Anfang, in der Mitte und am Ende, drei tolle Werke des „Minimalismus“ ausschnittweise zu spielen, die sehr repetitiv sind, mit Delay und Tonbandgeräten arbeiten, und, eine gemeinsames Merkmal der drei Platten, allesamt mit einer Reizüberflutung agieren: das eigene Bewusstsein wird dermassen mit akustischen Ereignissen „überladen“, dass eine andere Art von Hören erforderlich ist, um sich dem „hingeben“ zu können: die Rede ist von Steve Reichs „It‘s Gonna Rain“, Terry Rileys „Shri Camel“, und – einem Album, das ich mal einen lang vergrabenen Schatz der Krautrockära nenne – Günter Schickerts „Samtvogel“.

7 Kommentare

  • flowworker

    Wer will kann also, im Text verlinkt, das ganze Stück von Reich, einen Liveauftritt von Riley mit Shri Camel, oder Schickerts Wald hören, aus seinem Album Samtvogel.

    Es ist bekannt, das Eno umgehauen wurde von Reichs asynchrone Tonbandschleifen seines Frühwerks Its Gonna Rain, und das Kompositionsprinzip auf die völlig anders klingende und wirkend Music For Airports übertrug. Man muss sich in Its Gonna Rain fallen lassen, dann macht man eine schöne Trancereise… Mich haute es um, als ich einmal daheim, 1968 oder so, versehentlich Sonntatgs eines Klassiksender eingeschaltet hatte, Steve Reichs DRUMMING zu hören… restlose Faszination!

    An SAMTVOGEL hab ich einen kleinen Narren gefressen, und die Neuausgabe von Bureau B sicher schon fünfmal von vorne bis hinten gehört…

  • Jan Reetze

    Ob Minimal Music der Anfang der amerikanischen Klassik ist, weiß ich nicht. Amerikanische Komponisten waren auch schon vorher ziemlich radikal; man denke mal an Charles Ives. Aber ich finde es auch nicht wichtig, wann genau der Start war.

    Dass einen Stücke wie „Drumming“, „Come Out“ oder „A Rainbow in Curved Air“ in eine andere Bewusstseinsebene katapultieren können, ist richtig. Das dürften einige der damaligen Krautrocker auch mitbekommen haben; etwa Irmin Schmidt, der in New York an langen Sessions mit Steve Reich teilgenommen hat.

    Ich habe aber den Eindruck, etlcihe der frühen Krautrocker haben die Verbindung zur „Minimal Music“ amerikanischer Herkunft im Nachhinein entdeckt und erst dann für sich in Anspruch genommen, um ihren meist dünnen Ideen ein theoretisches Mäntelchen umzuhängen. Die meisten hätten weder die Disziplin noch das handwerkliche Können gehabt, den Spuren von Glass oder Reich ernsthaft zu folgen. Die Musik insbesondere der beiden letzteren ist sauschwer zu spielen, die haben auch elektronische Hilfsmittel wie Echogeräte, Sequencer etc. explizit abgelehnt. Auch kompositorisch sind deren Werke meist nicht so simpel wie sie bei oberflächlichem Hören meist klingen. Das hätte in Deutschland nur eine Handvoll von Musikern gekonnt.

    Insofern glaube ich, es sind tatsächlich nur wenige Bands/Musiker, die man tatsächlich mit der Minimal Music in Verbindung bringen kann. Eberhard Schoener oder Peter Michael Hamel fallen mir ein (aber beide haben selbst einen klassischen Background), Tangerine Dream in Teilen vielleicht, auch Manuel Göttsching (dessen „Inventions for Electric Guitar“ kann man wohl zum Genre zählen). Klaus Schulze ist sicher meditativ durch endlose Wiederholungen, hat aber wenig mit Minimal Music zu tun, weil er deren Kennzeichen — Phasenverschiebungen, langsame Veränderung von Sequenzen etc. — gar nicht anwendet. Bei Cluster fällt mir das „Zuckerzeit“-Album ein, auf dem sie erstmals minimalistische Bandmanipulationstechniken anwenden. Neu! hat meiner Ansicht nach mit Minimal Music gar nichts zu tun gehabt.

    Aber faszinierend ist es immer. Ein Stück wie „It’s Gonna Rain“ kann man aber nicht in Ausschnitten spielen. Der Witz dieser Stücke ist immer, dass man sie vollständig hört.

  • Michael

    Ja, da leuchtet mit viel ein in deiner Antwort. Anregung und Inspirarion für
    einige, sicherlich.

    Klar it’s gonna rain Jane hatte ich einst nachts komplett gespielt anno 1992 als ich Herrn Reich traf und Ausschnitte davon, das wäre kein rundes Erlebnis …

    Danke. Aber eines war so. Manche mochten sowas von jenseits des Atöantiks gehört haben und dann ihre eigenen Fantasien entwickelt

    Samtvogel ohne Kenntnis von Terry Riley schwer vorstellbar …

    Ganz anderes; Trauerarbeit mit den Mitteln von Soul und anderem „Minimalismus“: Eddie Chacon: Lay Low … Beeindruckend in meinen Ohren ….

    Und ich las damals von Stunde Null im Bezug auf die Zeit nach WW 2 … Tom Waizs hatte da ja seinen Harry Partch 😉

  • Jan Reetze

    Danke für den Hinweis auf Dein Reich-Interview.

    Die Idee, mit tape delays, Bandschleifen etc. zu arbeiten, ist in diesem Zusammenhang natürlich ein spezieller Seitenzweig. Den hat weitgehend Terry Riley für seine Live-Konzerte entwickelt, anders als die „Klassiker“ Reich und Glass, die solche Hilfsmittel bewusst abgelehnt haben.

    Auch Soft Machine, wie ich irgendwann in der Hamburger Musikhalle selbst erleben durfte, arbeitete sehr gekonnt auch live mit Bandschleifen und -Echos. (Deren Keyboarder Mike Ratledge übrigens ist heute im Alter von 81 von uns gegangen. Das erste Soft-Machine-Album wird immer eine meiner desert island records bleiben.)

  • flowworker

    Mike Ratledge, und damals Winfrid Trenkler im Radio, als ich noch ein Kind war, der vom Whesp in the Brain Sound seiner keyboards sprach…. mein Soft Machine Album für die Insel war immer Third.

  • Michael Engelbrecht

    Fripp und Eno waren von den tape delays, Bandschleifen etc. natürlich auch beeinflusst, als sie No Pussyfooting machten, ein Album, das ich wegen seiner Stimmungen und Sounds unheimlich gerne höre, immer wieder mal. Manfred Sack lies damals , 1973, in der ZEIT kein gutes Haar dran, verdrogter minimal music Abklatsch, dank dieses Verrisses lernte ich Enos Musik erst Ende 1975 lieben:) … Manfred Sack war übrigens ECM Fan bis auf Keith Jarrretts Solopfade…

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