• July Listening II

    In Leipzig habe ich Music / Sangam von Don Cherry & Latif Khan gefunden, die ich schon etwas länger gesucht hatte (und die mit €30,- mit Abstand die teuerste Platte war, die ich mir im Juli gekauft habe). Keine Ahnung, warum diese sehr zugängliche Mischung von Jazz (auf der ersten Seite etwas mehr) und indischer Musik (dominiert Seite 2) eher unbekannt ist, das Album ist wunderschön und muss sich vor den Aufnahmen mit Codona nicht verstecken.

    In Dresden hat mich Rome Remains Rome von Holger Czukay gefunden; die Platte stand für recht kleines Geld im wunderschönen „Sweetwater Records“. Ich hatte vorher noch nie ein ganzes Album von ihm gehört, kannte nur einzelne Stücke (und natürlich einiges von Can), und freue mich sehr über diese Musik. Holger Czukay war bei den Aufnahmen offensichtlich frisch aus der Zukunft in den 80er Jahren gelandet und verarbeitete auf den Stücken die Musik, die er in dem nächsten Jahrzehnt gehört hatte, zum Beispiel von The Orb. Zudem weht ein betörender Summer Vibe durch dieses Album. Smokers Delight.

  • July Listening

    In diesem Jahr war der Sommerurlaub kurz und hat uns 9 Tage mit dem Deutschlandticket durch drei Städte geführt: Leipzig, Dresden und Regensburg sind alle mehr als eine Reise Wert, nicht nur wegen zahlreicher sehr gut sortierter Schallplattenläden, aber die machen sie nicht unattraktiver. Von dem bizarren Moment, als in der Krypta des Völkerschlachtdenkmals die Klänge von Jan Garbarek mit dem Hilliard Ensenble durch das Gewölbe schwebten, habe ich schon irgendwo in einem Kommentar berichtet. Unheimlich. Dann hatte ich noch die Gelegenheit, in der Frauenkirche ein Orgelkonzert zu erleben. Auf dem jährlichen Jazz Weekend in Regensburg, dass sich auch einmal zu einem Treffen eignen würde, habe ich in toller Atmosphäre nicht nur das Viertelfinale Spanien – Deutschland (was für ein Fußballspiel!), sondern auch einige wirklich gute Formationen gehört (ICI Ensemble, Arktus Ascending, Gerwin Eisenhauer – um nur einige zu nennen). Aber ich schweife ab.

    Regensburg war das letzte Ziel der Reise und da war mein Budget für Schallplatten aufgebraucht. Whispers Records in Leipzig und vor allem der sehr sympathische Sweetwater Record Store in Dresden hatten einige 2nd Hand Schallplatten für mich aufbewahrt. Zwei habe ich schon intensiver gehört.

    Cloud About Mercury von David Torn (Ingo hat dieses tolle Interview über das Album (und mehr) geführt), 1987 veröffentlicht und kein echtes Jazz Album in meinen Ohren, eher ein Avantgardrock Abenteuer. Als ich die erste Seite umdrehte, war ich etwas enttäuscht. Die Klänge waren mir zu stark bearbeitet, das Gitarrengegniedel zu selbstverliebt, die Rhythmen zu zickig – Mucke für Mucker, dachte ich, bis auf das erste Stück hatte ich den Eindruck, dass das nichts für mich sei. Nach mehrmaligen Hören finde ich die Klänge immer noch sehr in ihrer Zeit verhaftet, kann ihnen aber mehr abgewinnen. Die zweite Seite war allerdings schon beim ersten Hören großartig, bei Network Of Sparks bleibt die Welt kurz stehen.

    Ganz und gar nicht in den 1980er Jahren verhaftet ist Axum von James Newton, seiner einzigen Veröffentlichung für ECM. Das Album besteht ausschließlich aus Flötenklängen, oft Solo, oft begleitet Newton sein eigenes Spiel (Overdubs), zum Teil hört man seine kehlige Stimme während er Flöte spielt. Die Aufnahmen aus dem August 1981 docken nur scheinbar an gerade viel gehörte und besprochene Alben an (Shabaka, André 3000), Axum ist ein ganz anderes Gebräu: wieder kein echtes Jazz Album, zum Teil sehr archaisch wirkende Klänge (Mälak ‚Uqabe, Axum), zum Teil Stücke, die sich für meine Ohren nach Impressionismus anhören (The Neser). Überflüssig bei ECM Alben die Aufnahmequalität zu erwähnen, aber die vielen Klangschattierungen und -färbungen des Flötenspiels verleihen dieser Arbeit ihre Tiefe.

  • Back To The Nineties

    In den frühen Neunzigern waren Sonic Youth die vielleicht wichtigste Band für mich. Auch auf Anregung von Ingos Beitrag zu den 80ern habe ich das erste Mal seit bestimmt 20 Jahren mal wieder etwas intensiver deren Musik gehört und war sehr angetan. Da passt es ganz gut, dass Thurston Moore gerade ein Solo Album ankündigt, beim ersten Track ist Laetitia Sadier dabei, noch so eine Lieblingskünstlerin aus jenem Jahrzehnt: „Sans Limites“.

  • Karte und Gebiet

    Die Musik war traurig, aber nicht schwer. Alles in ihr war in Bewegung. Wenn ich wirklich hinhörte, wie ich es jetzt tat, war es, als fände sie den Weg zu dem hinein, was sich sonst nicht in mir regte, und was ich normalerweise nicht fühlte. Der Gedanke lag nahe, dass die Musik ein Art Karte über das Innere zeichnete, allen Anstiegen und Mulden, Höhen und Tälern, Ebenen und Wäldern folgte, die es dort gab, so dass man sich ihrer bewusst wurde, aber nun, als ich dort saß und in die stille, blasse Nacht hinaussah, schoss mir durch den Kopf, dass es vielleicht umgekehrt war, dass es vorher nichts gegeben hatte, wozu die Musik den Weg fand, sondern dass sie es war, die es erschuf.

    (Aus: Karl Ove Knausgård. Die Wölfe aus dem Wald der Ewigkeit.)

  • Album of the Year

    Ich frage mich immer noch ob ich nicht spontan am kommenden Sonntag nach Berlin fahren sollte, um auf das Beth Gibbons Konzert zu gehen. Der Auftritt mit Rustin‘ Man im Audimax der UDK vor 21 Jahren ist eine meiner schönsten Konzert Erinnerungen. Und über die Qualität des neuen Albums hat Michael schon so viel treffendes geschrieben, dass mir dazu nichts mehr einfällt. Die Band scheint die Magie der Musik auch live einzufangen – allerdings ist Magie in diesem Großraumklotz (Verti Music Hall) nur schwer vorstellbar.

  • Der Anfang Vom Ende

    Irgendwann im letzten Spätsommer waren C und H endlich zu Besuch in unserem Garten. Es war ein lauer Nachmittag, wir plauderten gemütlich bei Limo, Kaffee, Kuchen über dies und das. C war in meinen ersten Berufsjahren ein wichtiger Bezugspunkt, sehr erfahren, intellektuell, mit einer Künstlerseele. Und durch und durch mit Initiativkraft gesegnet, ständig hatte er Projekte am Laufen, inszenierte mindestens ein Theaterstück mit Schülern pro Jahr, gründete eine Beratungsstelle, schrieb Konzepte oder Artikel. Nachdem er 2015 in den Ruhestand ging, war es still zwischen uns geworden: wir telefonierten dann und wann mal, liefen uns hier und dort zufällig über den Weg. Ich hatte ein leicht schlechtes Gewissen, mich so wenig zu melden, um so glücklicher war ich dann, als das Treffen endlich klappte – und auch noch sehr nett, nicht beklemmend, langweilig oder ähnliches war.

    Ganz der Unternehmer bat er mich kurze Zeit später, ob ich nicht in seinem kleinen Lesezirkel ein Buch vorstellen könne. Ich zierte mich ein wenig, so etwas ist nicht wirklich mein Fall, sagte dann aber zu. Vor zwei Monaten erreichten mich dann eine Mail von H, dass es ihm sehr schlecht ginge. Er verbrachte lange Zeit auf der Intensivstation, wo er natürlich noch eine Strichfassung des nächsten Theaterprojekts mit seiner Seniorengruppe erstellte, im Herbst sollten „Die 12 Geschworenen“ auf die Bühne kommen. H schrieb weiter Mails, der Tonfall wurde immer tapferer, doch Anfang des Monats kam dann die Nachricht, dass er gestorben ist.

    Und morgen werde ich nun in besagtem Lesezirkel ein Buch vorstellen „Der Anfang vom Ende“ von Mark Aldanow. Warum dieser Titel? C schrieb mir, als ich mich nicht entscheiden konnte, dass es am einfachsten sei ein Buch über ein Thema zu nehmen, womit man sich ohnehin gerade beschäftigt. Der Roman lag oben auf meinem Stabel mit Literatur aus und über Russland, der sich angehäuft hatte, weil ich eine Unterrichtsreihe zur Geschichte der Sowjetunion vorbereitet habe. 

    Der Roman ist lesenswert: in den 30er Jahren reist eine Gruppe sowjetischer Diplomaten nach Paris, mit unterschiedlichen Aufträgen. Dabei ist ein alter bolschewistischer Kämpfer, desillusioniert und des Lebens überdrüssig, ein erfolgreicher Diplomat, dazu noch ein General. Die letzteren haben unter den Bolschewiki Karriere gemacht, waren aber ursprünglich in anderen politischen Lagern verortet, der eine bei den Menschewiki, der andere hatte schon unter dem Zaren gedient. Es entspannen sich unterschiedliche Konstellationen, in dem gut 600 Seiten dicken Buch spielen auch noch andere Charaktere größere Rollen: der kulturpessimistische französische Schriftsteller, dessen Sekretär, der einen Mord begehen wird, die junge und sehr hübsche Sekretärin des Diplomaten, die den drei Russen den Kopf verdreht. Es gibt viel Handlung, Spuren werden gelegt, die ins Leere laufen. Das Buch ist humorvoll, aber auch durchzogen von Paranoia. Und erzählt vom Epochenbruch, vom Untergang eines alten Europas, von der Ungewissheit, was kommen wird, von einem Tanz auf dem Vulkan am Vorabend des zweiten Weltkriegs.

    Zurück zu C und seiner Leidenschaft, dem Theater. In den letzten Monaten war ich auch damit beschäftigt, mit meiner Klasse ein Stück auszusuchen, um es Ende Oktober aufzuführen. Die Wahl der Schüler*innen fiel ausgerechnet auf „Die 12 Geschworenen“. 

  • Curated Reality

    Mit Erstaunen lese ich, dass The The ein neues Album ankündigen, das erste seit 2000, und damit auch auf Tour gehen werden. Die beiden Termine in Deutschland werde ich leider verpassen. Anfang der 90er war die Formation um Matt Johnson eine der wichtigsten Bands für mich, Soul Mining, Infected, Mind Bomb und Dusk habe ich rauf und runter gehört, die Texte kannte ich auswendig. Der neue Song mit dem schönen Titel Cognitive Dissident gefällt mir – nichts weltbewegendes, ein solides Stück Musik. Das Album erscheint im September.

  • ECM Vinyl Wantlist

    Bennie Maupin The Jewel In The Lotus

    Rabih Abou-Khalil Nafas

    Terje Rypdal Whenever I Seem To Be Far Away

    Jon Hassell Power Spot

    Jon Hassell Last Night The Moon Came Dropping Its Clothes In The Street

    Egberto Gismonti Danca Dos Escravos

    Jack DeJohnette Special Edition

    Keith Jarrett Changeless

    Leo Smith Divine Love

    John Surman Private City

    Charles Lloyd Quartet Fish Out Of Water

    David Torn Cloud About Memory

    Für den unwahrscheinlichen Fall, dass jemand eines dieser Alben loswerden will, gerne einen Kommentar hinterlassen.

  • The Way To The Horizon

    One element that me and Klaus Dinger shared is taking to the road, to the air, to the waves, and going all the way to the horizon. We didn’t care about red lights or stopping, it was about endless movement. After Klaus and I left Kraftwerk, it was clear that we would have this one idea in our songs—this fast, forward movement. At the end, what mattered was what happened in the studio. 

    Aus einem Interview mit Michael Rother, zu finden auf dem sehr lesenswertem Tone Glow Newsletter.