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40 – Harald Budd, Brian Eno – Ambient 2: The Plateaux Of Mirror
Obwohl ich schon immer viel instrumentale Musik gehört habe, war die Auswahl in dieser Serie bislang text- und stimmlastig. Es wurde gesungen oder gerappt. Da ich die Texte recht schnell schreibe, ist die Auswahl spontan: an einem anderen Tag hätte ich vielleicht etwas anderes ausgewählt. Es gibt sicher einige Alternative Versions, other possible music.
Seitdem ich so 35 bin, höre ich viel Musik beim Korrigieren von Arbeiten und Vorbereiten meines Unterrichts. Da bietet sich instrumentale Musik an. Das hat vielleicht auch eine Eigendynamik angenommen. Nicht nur deswegen folgt ab jetzt nur noch Instrumentalmusik (sorry, Beth).
Ich beginne ab 2010 damit, versuchsweise Klassik und Neo-Klassik zu hören: Streichquartette, Nils Frahm, Lubomyr Melnyk. Das ist alles schön, aber nicht ganz was ich suche.
Und irgendwann frage ich mich, ob nicht Brian Eno die Ambient Musik erfunden hat, um die Stimmung in einem Raum zu verändern, ohne sich all zu sehr aufzudrängen. Ich lade mir also erst „Ambient 1“ und recht schnell auch noch „Plateaux of Mirror“ runter (in der Zeit höre ich hauptsächlich Downloads über eine Soundbar von Teufel). Speziell das zweite Album hat einen unglaubliche Wirkung, ich bin hochaufmerksam am Hören und tief versunken in der Arbeit – ein merkwürdiger Effekt.
43 – Masayoshi Fujita – Apologues
Apologues hat einen besonderen Stellenwert und bekommt deswegen hier auch eine gesonderte Erwähnung: es war mit Abstand das meist gehörte Album in meiner iTunes Bibliothek, deren Top Ten zu 80% aus den Stücken dieses Albums bestand. Ich glaube, ich habe es um die 120mal gehört.
Ein Zwischenschritt also, bestimmt würde ich beim längeren Nachforschen noch mehr Alben finden, die einen besonderen Stellenwert haben. Urlaubsmusik, so etwas.
2016 absolviere ich eine Prüfung zum Heilpraktiker für Psychotherapie. Ich bin mir nicht sicher, wie viele Mitlesende diesen Schein kennen. Es ist eine relativ anspruchsvolle Prüfung, in der mündlich wie schriftlich das medizinische Wissen zu Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie abgefragt wird; die Durchfallquote liegt bei über 50%.
Ich bereite mich in einem einjährigen Kurs vor (an einem Abend in der Woche), nach einem halben Jahr treffe ich mich regelmäßig mit einer Lerngruppe. Nebenher arbeite ich und stemme den Alltag mit den beiden Kindern (meine Frau arbeitet in der Zeit extrem viel). Unmittelbar vor den beiden Prüfungen bin ich außerdem privat und/oder beruflich sehr eingebunden – die Termine liegen suboptimal.
Irgendwann gewöhne ich mir an, beim Lernen immer die fluffig verträumte Musik von Masayoshi Fujita laufen zu lassen, in der Hoffnung, dass es irgendetwas bringt. Auf den Zugfahrten nach Celle bzw. Lüneburg zu den beiden Prüfungen läuft „Apologues“ auf dem iPod. Die schriftliche Prüfung bestehe ich sehr knapp (bei einem Fehler mehr wäre ich durchgefallen) und irgendwie mogel ich mich durch die die mündliche Prüfung, auch wenn mindestens eine der drei Prüfenden mich durchfallen lassen will. Diese 60 Minuten waren so lang wie ein Tag. Vielleicht hat die Musik meine neuronalen Netze wirklich so aktiviert, dass sie zum Bestehen einen kleinen Beitrag leisten konnte.
Redding Road, Dogwood Coffee Shop & a sunset in 1963
„jetzt tauchen die sichtbaren Teile / der Geschichte auf, eine Folge von flimmernden Resten, / die zum Wiedererkennen aufbewahrt / und hervorgeholt sind.“ Es gibt schon einiges zu entdecken, wenn man das Cover der neuen Pan American-LP, von beiden Seiten, auf sich wirken lässt. Obwohl es Americana Ambient ist, konnte ich, weil beides von den Rändern unserer Welt erzählt, an meinem Geburtstag dazu einen alten Gedichtband von Jürgen Becker hernehmen, um zwischen Worten und Klängen zu pendeln. Eine Zeitlinie zwischen 1970, 1980, und 2024. In den Sounds, in den Zeilen versank ich, abwechselnd in die Musik, die Wortbilder, zuweilen gleichzeitig in beides.
„Reverberations of Non-Stop Traffic on Redding Road“ heisst die Arbeit von Pan American & Kramer. Ob die beiliegenden Fotos uns Redding Road am Abend zeigen? Das Gesumm von „distant traffic“ scheint Eingang in eines der Stücke dieses allerfeinst gearbeiteten Albums gefunden zu haben. Here‘s one track: „The Miner’s Pale Child’“. The calming guitar drones and swelling tones paint a serene picture. Kramer calls this piece „a wordless love letter to WS Merwin, the great American poet of nature and peace – the great champion of the weightlessness of words.“ (Gestern schickte uns Steve Tibbetts einen Gruss, und ich habe gleich den Dogwood Coffee Shop gegoogelt, in dem er hockte. In St. Paul, MS. Vielleicht ist Redding Road gar nicht so weit entfernt.)
And so it happened I was dreaming about two imaginary albums within the last days: the next Brian Eno song album (his response from some days ago, on flowworker, made it sound a bit less imaginary). And then there’s the idea of an album by Marc Johnson and Steve Tibbetts, chants of sorts (a little more imaginary, but in autumn 2024 a matter of serious discussion, hopefully). A propos „imaginary“, „time lines“, & „memories“ Eine Deepl Überdetzung von Brians Lied „All I Remember“, kaum korrigiert, liest sich so: „Alles, woran ich mich erinnere, wenn ich mich sammle, ist / Ein einsames Feuerwerk, das über einem unergründlichen Meer aufblitzt / Ich versuche, mich an all die Schätze zu erinnern, die ich in jenen Tagen fand / Aber die Verbindung ist schwach / Und der Moment ist im Dunst verloren / Neue Gefühle zu spüren / Ketty Lester, Dee Clark, Bobby Vee / Über den Deich hinaus in die Dunkelheit / Wo der Fluss zum Meer wird / Flackern in Fenstern mit 40-Watt-Birnen und TV / Das Schwirren von Mücken auf einer Wiese, Sonnenuntergang 1963.“
Auch das wiederum handelt von den Rändern unserer Wahrnehmungswelten, wie einst, expressis verbis, ein Lyrikband des Altmeisters. Das Gedicht, dessen erste Zeilen ganz oben zu lesen sind, endet so: „Die Reihenfolge ist wieder ganz anders; / anfangen kann man mitten im Sommer, / unter Lautsprechern zwischen Bäumen.“ Wie geschehen einst auf einem Workshop mit Moebius und Harmonia, Musik von den üblichen Verdächtigen, nahe Forst im Weserbergland. Das ist eine andere Geschichte.
Nicht unter dreissig Seiten, so eine Nacherzählung. Und dann müsste alles fiktionalisiert werden, die Namen zumindest, und in kleinen Episoden, sollte es gut gemacht sein, ein Nachhall geschaffen werden. Tatsächlich ist die Weser kein gemächlicher Fluss, und es bedurfte schon kundiger Hilfe, die guten windgeschützten Orte für das Baden und die Boxen zu finden. Nirgends tauchen in Forst museale Zonen auf, von den Relikten aus alter Zeit ganz zu schweigen. Keine berühmten Sonnenschirme, nicht mal die Bäume vom Cover von „Sowiesoso“. Wir wären ja auch verrückt gewesen, Bäume zu suchen. Auch von dem berühmten Bordell im Wald, ein Edelkurtisanenbetrieb alter Schule, mit Stil, Klasse und exotischen Schönheiten, war Dorfältesten nicht mal ein „Es war einmal“ zu entlocken. Das halbe Dutzend der Einheimischen hatte die 80 satt überschritten, und war mehr im Vergessen als Erinnern angekommen. In einem anderen Dorf gab es eine gesicherte Feuerstelle, die keinen offenen Brand zuliess, und wir karrten die Scheite zusammen, stöpselten die Boxen ein, holten den Strom aus einem still gelegten Wirtshaus, und liessen uns von den beiden Harmonia-Platten umrauschen. Der Wein ging rum, das Haschisch, und alle schliefen im Umkreis von zwei Kilometern. Zuvor aber hielten uns das Feuer und die Dämmerung und die Musik gefangen, und jeder erzählte eine andere Story.