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A(n) (not so) imaginary radio hour for Steve T.
Unionen: Unionen (WeJazz) *
Steve Tibbetts: Life Of
Underworld: Strawberry Hotel
Arild Andersen: Landloper (ECM)
Laura Cannell: The Rituals of Hildegard Reimagined
Hayden Thorpe: Ness
Rachel Musson: Lludw A Llwch, Daear A NefDanish String Quartet: Keel Road (ECM)
Tindersticks: Soft Tissue
Steve Tibbetts: Life Of
Downes / Frisell / Cyrille: Breaking The Shell (Red Hook)* Unionen is: Per „Texas“ Johansson; tenor saxophone, clarinet, contrabass clarinet, cor anglais & flute / Ståle Størlokken; grand piano, fender rhodes & synths / Petter Eldh; double bass, electric bass & mpc / Gard Nilssen; drums & percussion
Visiting the Midwest
Auf meiner Fahrt von Chicago durch Wisconsin ins linke Minneapolis beobachtete ich an mir selbst, wie ich immer ins gedankliche Kopfschütteln über „die leichtgläubigen, gern für dumm verkauften Amis“ kam, wenn am Straßenrand „Trump / Vance 2024 — Take America back“-Schilder standen. Dann aber auch immer wieder innerlich aufatmete, als ich sah, dass es auch Schilder mit „Harris Walz — Ein neuer Anfang“ (oder so ähnlich) gibt. Steve, den ich in St Paul besuchte und der in Wisconsin aufgewachsen ist, meinte gleichwohl, dass der Staat zum größten Teil Trump Country sei, allenfalls Madison und zum Teil Milwaukee seien blauer eingestellt. Ebenso sähe es eben in Minnesota aus, bekanntlich aktuelle Arbeitsstätte von Tim Walz. Und man sieht es sofort in den Cafés und auf den Straßen, dass die Menschen hier alle recht offen wirken und sehr für Kamala Harris sind. Schilder vor jedem Haus.
Ich bin wie immer mit einem Mietwagen unterwegs; diesmal zum ersten Mal mit einem „EV“, einem electric vehicle, und zwar einem der Gefährte aus dem Hause von Trump-Fan Elon Musk. Ein zwiespältiges Vergnügen also, doch bin ich durchaus erstaunt, wie weiterverbreitet EVs hier schon sind; es gibt überall Ladestationen — die beiden Midwesterner (inkl. Steve), die ich länger gesprochen habe und die auch nicht mehr die jüngsten sind, haben zu meiner Überraschung schon eine eigene Ladestation am Eigentumshaus, und die Leute, die diese Autos fahren (ich sehe sie an den Ladestationen), sind die unterschiedlichsten Personen, sicherlich keine, die in die „grüne“ Klischeekiste passen. Nur der Typ bei der Autovermietung wollte mich partout dazu überreden, doch besser einen Benziner zu nehmen.
Ich selbst bin mit einem Roter-Nagellack-Gefährt unterwegs, und habe nach einiger Herausforderung (absolut niemand bei Hertz hat mich instruiert, wie das alles geht und worauf man achten muss) mittlerweile ein ganz gutes Gefühl für dieses Auto bekommen. Man muss nur wissen, dass es niemals weiter als 256 Meilen reicht, was im Mittleren Westen vielleicht eine kleine Challenge sein kann. Mal sehen. Ich hoffe, ich werde nicht irgendwo liegen bleiben.
Zufällig komme ich in meinem Motelzimmer in Minneapolis just in dem Moment an, als gerade die „Vice Presidential Debate“ beginnt. Ich hatte keine Ahnung, dass das an diesem Abend stattfindet, und ich habe auch nur aus einer spontanen Laune heraus den Fernseher eingeschaltet, als ich das Zimmer betrat, denn manchmal finde ich das ganz angenehm, bei einem Aufenthalt in einer fremden Stadt, in einem fremden Land ein Grundgefühl für die Welt, in der ich mich gerade bewege, mit Hilfe des lokalen Fernsehens zu bekommen, selbst wenn das dann nur atmosphärisch den Raum füllt, während ich andere Dinge tue.
Der Debatte hätte ich nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt, wäre ich nicht zufällig live draufgestoßen, und hier, zur passenden Abendzeit dabei zu sein, hilft natürlich, da ich sicher nicht nachts um drei oder vier Uhr vor der Live-Übertragung sitzen würde. Der Schlagabtausch war dann unerwartet fesselnd, und mir scheint, dass J.D. Vance da weitaus mehr Gewinne eingefahren hat als Tim Walz, da er wirklich unglaublich redegewandt rüberkam, sich ausgesprochen bürgernah präsentieren konnte und sich wirklich bei jedem Thema aus dem FF (Effeff?) so äußern konnte, als habe er, im Gegensatz zu Trump, durchweg fundiertes Wissen und eine sehr klare Haltung (selbst ein Hauch von Selbstkritik gelang ihm unangreifbarer als Tim Walz), blieb dabei aber jederzeit politisch „slick“, er wusste den Trump-Fans und Trump-Zugeneigten hervorragend in die Karten zu spielen und blieb enorm vehement, selbst wenn ich einiges, was er sagte, echt überzogen fand und inhaltlich sicher nicht teile. Er wirkte souveräner und zupackender als Walz, ließ sich nie die Butter vom Brot nehmen und sprach seinen Kontrahenten wiederholt direkt — und mit Vornamen! — an, im Gegensatz zu Walz, der oft eher in der Defensive wirkte, auch weil er eben nicht so auf Angriff ging wie Vance. Die Berichterstattung hier, etwas bei Politico, deckt sich mit diesen Eindrücken. Vance dürfte ein paar Fans gewonnen haben, auch wenn er die Wahrheit als recht biegsames Gut verwendet, und dürfte Wähler, die wegen Trumps Eskapaden noch zögerlich sind, rübergezogen haben; Walz vermutlich kaum. Vance ließ keine Gelegenheit aus, um über Trumps viele tolle Errungenschaften als Präsident und Harris’ entsetzliche Arbeit während der letzten drei Jahre zu sprechen, was vor den Bildschirmgeräten sicherlich auf fruchtbaren Boden fiel – und von Tim Walz fast gar nicht erwidert wurde.
Die US-amerikanische Wählerschaft ist nach wie vor 50:50 geteilt, was mann wohl auch nur vor dem Hintergrund unserer eigenen Geschichte (von der NSdAP bis zur AfD) nachvollziehen kann. Die Menschheit wird halt leider nicht klüger und lässt sich nur zu gerne von einem con artist jeden Quatsch verkaufen. Auf dem Weg hierher habe ich diesen NPR-Podcast mit Terry Gross gehört – „How Trump Created The Illusion Of Success“.
Pulitzer Prize-winning reporters Susanne Craig and Russ Buettner spent years investigating the former president’s finances and various businesses. They dispel Trump’s myth of being a self-made billionaire, and trace the missteps he made, squandering his father’s fortune. Their book is Lucky Loser.
Sehr zu empfehlen, aber natürlich auch frustrierend zu hören.
70 today, and many happy returns, Mr. Tibbetts!
Hier mein alter Text für die ZEIT, und keineswegs aus der Zeit gefallen, über A MAN ABOUT A HORSE. Seltsamerweise habe ich Steve nie nach der Bedeutung des Albumtitels gefragt. Ich habe etliche Steve Tibbetts-Lieblingsplatten, und einst zu dem wunderbaren Album „Big Map Idea“ die liner notes geschrieben. Ein Werk, das mich nie aus seinem Bann lassen wird, ist sein bislang letztes, „Life Of“ – HIER ein kleines Interview dazu. In nicht zu ferner Zukunft wird ein weiteres Album folgen, wenn ich meiner gut unterrichteten Quelle glauben darf. (m.e.)Man nenne dies nicht Fusion Music und auch nicht Crossover. Die Musik des 1954 in Madison, Wisconsin, geborenen Steve Tibbetts erzählt Reisegeschichten über elektrische Wildnis und akustische Kulturlandschaften. Mit sechs Jahren hatte Steve begonnen, die Ukulele zu erforschen, und griff zur akustischen Gitarre, sobald seine Hände sie fassen konnten. Später spielte er in Rockbands und richtete sich im Laufe der Zeit in St. Paul, Minnesota, ein eigenes Studio ein, das bald zum zweiten Instrument wurde – Klangmanipulationen gehörten zum Handwerk eines Musikers, der Tag und Nacht Tomorrow Never Knows von den Beatles und Ege Bamyasi von Can hörte.
Der Globetrotter aus Passion hielt Abstand zu jedem drohenden Mainstream, vermied die mechanische Griffbrettartistik mancher Kollegen und kämpfte gegen den üblichen Etikettenschwindel: „Folkmusik vom Mars“ nannte ein Journalist Tibbetts‘ Klanggebräu. Seine erste große Reise führte nur nach Oslo: Unter der Klangregie Manfred Eichers entstand die karge, leicht pulsierende Gelassenheitskunst von Northern Song. Seitdem mischte der Gitarrist die Höhen- und Breitengrade seiner Musik nach den Gesetzen des freien Falls von Mikadostäbchen und produzierte brillante Werke, mit Titeln wie Safe Journey (1984), Big Map Idea (1990) oder The Fall Of Us All (1994) – eine konstante Verletzung des Orientierungssinnes. Manchmal sind da Geräuschspuren der Fernstraßen um Minneapolis zu hören, der Rocky Mountains oder eines Mönchschors aus Tibet.
Und so finden sich auch Fetzen eines fremden Alltags auf seiner neuesten Arbeit, A Man About A Horse, wenn beim Sampeln Natur- und Tierlaute zusammen mit den bronzenen Sounds von Gongs gespeichert werden (ECM 1814). Fasziniert ist Tibbetts von der Kebyar-Schule der Gamelan-Musik, ihren explosiven Attacken, kühnen Synkopen und verwickelten Läufen aus Blockakkorden. Bali, Indonesien und Nepal wurden bald zum ständigen Reiseziel. Er hört zu, wenn ein Einheimischer von den Geistern der Bäume spricht, und lässt sich vom endlosen Klingklang indonesischer Puppenspiele in den Schlaf wiegen. Kehrt Steve Tibbetts von seinen Reisen zurück, arbeitet er mit frei schwebenden Erinnerungen, nicht mit akustischen Abziehbildern.
Asien wird hier zu einer Welt, von der ein später Jimi Hendrix geträumt haben könnte. Komplexe Texturen, die, allem Gitarrenfeuer, aller Perkussionsdichte und Basswucht zum Trotz, eine seltsam beglückende Klarheit verströmen – als könnte man der Musik beim Luftholen zuhören!
Notes from Rune Grammofon HQ
Another ECM guitarrero from the old days, an archetypal Nordic one, reappearing on a Rune Grammofon album in a live setting with his old compadre Stale Størlokken, and Elephant 9. Click HERE: and you’re becoming witness of two trips on memory lane, a story told by Steve Tibbetts, and a regular Würzburg summer night ritual from the mid-seventies, with M.E. …
CD in 6-panel digipac or double vinyl edition in stunning gatefold sleeve!
Liner notes by David Fricke
Elephant9 established their reputation as a live powerhouse well before their album debut in 2008 and have since released six more studio albums as well as the two double live albums in 2019, Psychedelic Backfire Iand II, the latter with guest guitarist Reine Fiske, whose favourite guitarist happened to be Terje Rypdal. With both albums out of print, Catching Fire is a most welcome addition to their discography. Recorded at a remarkable concert from 2017 in Oslo, Rypdal would turn 70 later in the year.
Catching Fire share common ground with classic live albums from the likes of Mahavishnu Orchestra, ELP and King Crimson, especially when it comes to energy levels and a sense of untamed intensity. That said, there are also stretches of calm at play here, especially in the 22-minute opener where Rypdal introduces himself with some trademark, glacier melodic lines. Rypdal is on fire throughout, adding lead action, fierce rhythm work and abstract acrobatics from his toolbox.
Terje Rypdal´s main body of work is with ECM, first as a member of Jan Garbarek Quartet (Afric Pepperbird, 1970) and with his first solo album Terje Rypdal (1971), all in all counting some 30 releases up to Conspiracy(2020). Ståle and Terje share a common musical understanding, stemming from Ståle being the guitarist´s “right hand” both in the studio and on stage for close to 30 years. Torstein and Nikolai is the most solid of rhythm sections, a well-oiled engine; finesse and power combined. (Rune Grammofon HQ)
Erik Honoré‘s dark ride (1)
The Bone Setter
Erik Honoré: live sampling, samples, synthesizer
Sidsel Endresen: voice
Jan Bang: live sampling
Kirke Karja: piano samples
Eivind Aarset: guitar and electronics
Text from ”Early Care Of Gunshot Wounds” (US Surgeon General’s Office), read by Mary Ann Spiegel„In einer Station der Métro. Die Erscheinung dieser Gesichter in der Menge. Blüten auf einem nassen schwarzen Stamm.“ So ungefähr lässt sich der berühmte Dreizeiler von Ezra Pound ins Deutsche übersetzen, der mir nach den Lyrikinterpretation meines Lehrers Dr. Egon Werlich, unlängst neu begegnete, in der Verarbeitung von Erik Honoré, auf seinem dritten Soloalbum „Triage“. Folgendes erzählte er mir dazu (aber ich werde noch eine Geschichte anzufügen haben, die, so hoffe ich, deutlich machen wird, wieso „Triage“ zu meinen fünf Alben des Jahres 2024 zählen wird, neben denen von Beth Gibbons, Shabaka, Fred Hersch, und vielleicht Eric Chenaux) …
Prague
Erik Honoré: samples, live sampling, synthesizer
Nils Petter Molvær: trumpet
Bjørn Charles Dreyer: guitar
Mats Eilertsen: double bass samples
Ingar Zach: percussion samples
Honoré/Molvær recorded live in Prague by Johnny Skalleberg„Ich betrachte „Triage“ als dritten Teil einer losen Trilogie, die mit den Alben „Heliographs“ und „Unrest“ begann. Dieses dritte Album befasst sich mit Themen, die ich schon zuvor erforscht habe. Für mich ist diese Arbeit eine Reise durch dunkle Zeiten, durch Erfahrungen, Atmosphären und Stimmungen in turbulenten Jahren von politischem, sozialem, und persönlichem Aufruhr. Ich denke, das Album ist ein Versuch, verschiedene Themen miteinander zu verweben, bestimmte Muster zu erkennen, und das Drängende vom Weniger Drängenden zu trennen.
Hope Is The Thing With Feathers
Erik Honoré: samples, live sampling, synthesizer, synth bass
David Toop: flutes, flute samples
Jan Bang: live sampling
Eivind Aarset: guitar and electronics
Mats Eilertsen: double bass
Anders Engen: drums
Sidsel Endresen: voice samples
Basic tracks recorded live at Punkt 2017 by Sven Persson
Text by Emily Dickinson, read by Maryan KarwanDas genau ist ja auch die Bedeutung des Wortes „Triage“, dass man hochproblematischen Dingen gegenüber weniger wichtigen den Vorrang geben muss, vor allem im Angesicht von Chaos. Und dieser thematische Fokus auf Dringlichkeit und Entscheidungsfindung unter schwierigen Umständen… ich denke, das bildet das Rückgrat des Albums, neben der Art und Weise, wie ich die Texte ausgewählt habe.
Ich habe Literatur als Ausgangspunkt für die Kompositionen von „Triage“ gewählt. Einige dieser Texte sind als Spoken-Word-Passagen auf dem Album geblieben, während andere verschwunden sind, nachdem sie als Inspiration und Auslöser für die Musik gedient hatten. Ezra Pounds Gedicht „In A Station Of The Metro“ ist faszinierend, genauso wie sein Werk und sein turbulentes Leben sind, auch wenn seine Politik später eine schreckliche Wendung zum italienischen Faschismus genommen hat.
In A Station Of The Metro
Erik Honoré: live sampling, synthesizer, field recordings
Sidsel Endresen: voice
Arve Henriksen: trumpet
Jan Bang: live sampling
Kirke Karja: piano samples
Text by Ezra Pound, read by Tim NelsonDas Gedicht „In a station of the metro“ ist ein dreizeiliges Meisterwerk, das mir ein perfekter Ausgangspunkt für ein Stück zu sein schien, das eine Vielzahl von scheinbar unverbundenen musikalischen Elementen integriert. Pounds Gedicht fängt die flüchtigen, ephemeren Momente menschlicher Verbundenheit in der belebten städtischen Umgebung einer Pariser Metrostation ein.
Auch wenn das Stück keine tatsächlichen Samples aus einer Metrostation enthält, hoffe ich, dass es dennoch die Atmosphäre eines solchen Ortes vermittelt. Die Klanglandschaft ist so aufgebaut, dass sie das mannigfaltige Gefühl der Metro widerspiegelt, diese Mischung aus Chaos und Ordnung, Bewegung und Stille – und das wird nicht zuletzt durch den Einsatz von Sidsel Endresens Stimme und Arve Henriksens Trompete erreicht.
Beide, Sidsel und Arve, wurden ursprünglich in ganz anderen Zusammenhängen gesampelt, aber diese Fundstücke wurden nun als zentrale Elemente der Komposition verwendet. So entsteht eine eigne Atmosphäre durch die Verflechtung ganz verschiedener Ebenen, was vielleicht die Art und Weise widerspiegelt, in der Ezra Pounds Gedicht das Alltägliche und das Tiefgründige einander gegenüberstellt.
(Fortsetzung folgt / To be continued in a silent hour, in Matala, incl. the English translation)
Deeper, deeper! (A short short story and talking with Stuart Baker in 2006)
In the woods. The outskirts of the Northern Bavarian Wood. New house with a fireplace. When Joanne asked me, „what is this roots stuff all about“, I looked for the Joker, cause, what, except smartass stuff, could i say? So I chose silence, not the sacred one, the one with staring out of the window: rain, leaves, trees, a gutter, and getting a hard on. The Joker (her name a well-kept secret, her hair golden brown) blew me away, (as did Joanne), she lit a candle: „makes you think“, she said, laughing, and put THINKING on. This was a very long time ago, and two cigarettes before and after kisses leaving wounds. Fuck softer, I kindly asked Joanne, and she delivered, with an edge, of course. The Joker meanwhile blew some dust from shelves, put on a second single, the beginning like an echo of the rain from the window, half-opened. DEEPER & DEEPER, the joker said and sighed, kissing softer, harder, her, me. Forever. So the wind won‘t blow it all away.Das waren noch Zeiten, als, gerade mal zwanzig Minuten von meiner Haustür entfernt, Soul Jazz Records einen kleinen Ableger hatte in Dortmund. Alle paar Wochen ging ich da vorbei, und kam mit neuem Stoff aus dem Hauptquartier des Labels von Stuart Baker nach Hause: die Roots Reggae-Fundgrube von Sir Coxsone Dodd schien unerschöpflich, aber es gesellten sich auch brilliante Kompilationen aus Brasilien, der New Yorker-Noise-Szene und anderen historischen Quellen hinzu. Let’s keep rolling: wilder Jazz aus den 60er Jahren, herrlich ungezähmt, aber auch kubanische Ritualtrommeln und harsche Elektronik aus New Wave-Zeiten. Vielleicht macht dieses kleine Interview (das im Sommer 2006 als „Corsogespräch“ über den Äther ging) Lust auf den einen und anderen Griff ins Archiv. Hier der neueste Streich: mal kein Themenalbum, einfach nur eine heisse Playlist!
Woran arbeiten sie gerade in ihrem Büro in Soho?
„Wir arbeiten an einem Buch mit dem Titel „New York Noise“ – ein Buch über die New Yorker Musik- und Kunstszene der 80er Jahre, mit Bildern von vielen Protagonisten und mit Texten, etwa von David Byrne oder Cindy Sherman. Und da nähert sich die Deadline, heute muss der komplette Text in die Post gehen! Zudem beende ich gerade die Begleitexte für unsere zweite „Tropicalia-Compilation“, die brasilianische Musik in den Siebzigern!
In früheren Jahren zogen sie ja länger durch die USA, im mit der Musik im Blickfeld. Wieso waren sie so scharf auf Raritäten, unabhängig von ihrem komerziellen Wert?
„Ich war eigentlich besonders an schwarzer amerikanischer Tanzmusik interessiert. Ich weiss gar nicht so genau, woher diese Faszination rührte. Auf jeden Fall war es ein guter Weg, die USA zu erfahren, und nebenher eine Art musikalische Erziehung zu erhalten.“
Sie sagten einmal: man kann dieselbe Faszination für eine Jazzplatte aus den 50er Jahren empfinden wie für ein modernes Tanzalbum. Man muss es nur in der richtigen Weise präsentieren. Können Sie diesen Gedanken etwas ausführen?
„Es ist meine eigene Erfahrung, dass ich die Musik einer anderen Kultur und einer anderen Zeit genauso genießen kann, wie Musik aus dem heutigen England. Hermann Hesse kann für einen 16-jährigen englischen Jugendlichen genauso spannend sein wie ein brandneuer Roman. Es geht halt um die Weise, wie man eine Umgebung präsentiert, die sich außerhalb deiner eigenen, gewohnten Kultur befindet. Und das ist die Freude daran, eine Plattenfirma wie Soul Jazz Records zu haben.“
Soul Jazz Records ist berühmt geworden für all die immer noch sprudelnden Veröffentlichungen aus dem legendären Archiv des Studio One von Sir Coxsone Dodd. Können Sie etwas erzählen von ihrer Beziehung zu Coxsone, und zu ihren Kämpfen gegen die „englische Reggaepolizei“?
„(lacht) Ja, das ist wahr. Unsere Beziehung begann vor etwa 10 Jahren – wir sagten ihm, dass wir gerne mit ihm zusammenarbeiten würden, und sandten Coxsone eine Sammlung unserer Arbeiten. Er mochte es, daß wir kein reines Reggae-Label waren, sondern alle möglichen Genres von Musik im Programm führten. Nicht zuletzt Jazz und Soul – diese Musik liebte er sehr! Er gab erst mal sein Ja fürein Projekt. Ich traf ihn in New York, und das führte mit der Zeit zu einer Freundschaft – und zu Reisen nach Jamaika. Er gab uns auch grünes Licht für einen Film! Von da an haben sich die Dinge stetig weiterentwickelt. Und was die etwas sarkastische Bemerkung von der „Reggae Polizei“ betrifft – nun, die Wege, die Soul Jazz Records ging , waren in den frühen Jahren ziemlich gewöhnungsbedürftig für viele Leute. Uns ging es ja darum, Verbindungen aufzuzeigen zwischen Reggae, Soul- und Funkmusik! Und was jetzt ziemlich offensichtlich erscheint, löste vor gut zehn Jahren noch ziemlich viel Befremden aus. Und viele Leute, die mit ihrer Liebe zum Reggae aufgewachsen waren, hatten da eigene Empfindsamkeiten entwickelt. Und die richteten sich gegen unsere Vorgehensweisen. Da gab es einige Reibereien, und das war auch ein Generationenproblem!“ ‚
„Die Reggaemusik hat ja oft ein sehr verklärtes Sonnenschein-Image. Aber die Wahrheit war eine andere: Berühmte Sänger wurden ermordet; Armut machte sich breit, Wohlstand war kaum zu erlangen, wenn man keinen „dicken Vertrag“ von großen Labels aus England bekam. Wieso, denken Sie, strahlen diese alten Reggaeklänge heute noch für viel eine eigen Magie aus? Es ging ja um eine Musik, die oft mit alten defekten Maschinen erzeugt wurde….“
„Ich denke nicht, dass Reggae einfach nur eine Emotion verkörpert. Es hängt von der jeweiligen Zeit ab: „Ska“ war sehr turbulent und aufregend, spiegelt die Unabhängigkeit und die eigenen Wurzeln; in den 70ern wurde der Reggae nicht melancholischer, aber teilweise dunkler. Wieder spiegelte die Musik die Zeit, aber, wie bei aller Musik, die ich mag, kam hier stets etwas Rohe und Raues zum Vorschein, etwas Ungeschliffenes. Diese Reggae ist sehr roh, und das kommt bei den alten Aufnahmen sehr klar zum Ausdruck.“
Postscriptum: for beginners, this: The Soul Jazz label easily proves how smart they are with excellent Studio One Groups, an almost overwhelming set of killer cuts from bands and singing groups affiliated with Cocsone‘s „University of Reggae.“ His label saw the Jamaican sound go from ska to rocksteady to roots reggae. One disc isn’t enough to tell the whole story, but this collection functions as a enchanting mixtape – a wonderful mix of tracks you might know, tracks you should know, and a couple of wonderful rarities that should have never fallen through the cracks. The sweet harmonies, spiritual roots music, and soul-influenced ballads are all intoxicating. Whether you’re being introduced or getting reacquainted, the vinyl / cd simply named Studio One Groups puts a spell on you overflowing with kindness.Kris Kristofferson 🙋🥁
Meine letzte Begegnung mit Kris Kristofferson war auf den Färöern. Ich besuchte das Nordic House in Torshavn. Dorthin war ich wegen der nordischen Architektur gefahren. Dort entdeckte ich einen wunderschönen Holzpavillon, den Kris jedes Jahr für kleine Konzerte benutzte. Ich hatte ihn um einen Tag verpasst. Ich fragte, und suchte ihn überall. Es hieß, er sei schon abgeflogen. Heute schickte mir ein Freund einen Nachruf, wo ich erfuhr, dass Kristofferson auch Hubschrauberpilot war. Das erklärt natürlich seine Nicht-Auffindbarkeit.
Meinen Bericht über die Färöer Inseln findet Ihr HIER!
A perfect sequence
Das wäre, im Zentrum der Klanghorizonte vom März 2025, eine runde Sache. Man könnte diese englische Klangreise ringsherum leicht erweitern, mit Van Morrisons „Common One“, Mark Hollis‘ „Mark Hollis“, John Surmans „Road To St. Ives“, aber das wären die üblichen Verdächtigen, und würde gegen die Spielregel verstossen, nur neue Arbeiten vorzustellen. Und, zum Ende dieses Jahres hin, kommen noch ganz erstaunliche Alben auf uns zu, von Jakob Bro, Thomas Strønen, Arild Andersen, alle von dem „Label mit den drei Buchstaben“. Damit wäre auch die Brücke nach Skandinavien geschlagen, und in diesem Zusammenhang des Anglo-Amerikanischen, sei ein weiteres Mal auf die fantastische Platte „Keel Road“ des Danish String Quartet hingewiesen. I‘m addicted to this one. Wir wollen es aber mit dem Wilden und Aufregenden und dem „most beautiful sound next to silence“ nicht übertreiben.
Laura Cannell: The Rituals of Hildegard Reimagined
Hayden Thorpe: Ness
Rachel Musson: Lludw A Llwch, Daear A Nef„In der Pause kaufte ich mir Rachel Mussons neue CD mit dem Titel Ashes and Dust, Earth and Sky auf Englisch und Lludw a Llwch, Daear a Nef auf Walisisch. Um ehrlich zu sein, habe ich sie nicht nur gekauft, weil mir ihr Spiel in der ersten Hälfte gefallen hat, oder wegen des walisischen Elements, sondern weil mir das Aussehen und die Haptik der Verpackung gefielen. Manchmal kann das Design der Hülle wirklich etwas über den Inhalt aussagen.
Das Album wurde während des Lockdowns durch Recherchen zur Geschichte ihrer Familie in Pembrokeshire/Sir Benfro inspiriert und im Jahr 2021 aufgenommen und abgemischt. Es kombiniert Feldaufnahmen in West Wales mit ihren Saxophonen, Flöte, Piccolo, Windspiel, Klangschale und Tro (eine kambodschanische Spike-Fiedel).
Vogelgezwitscher, Wind, Kirchenglocken – das ist das Material, in das Musson ihre eigenen Beiträge einwebt und so einen 40-minütigen, undefinierbaren Wandteppich formt. Vögel sind das erste, was man hört, sie zwitschern und krächzen, und bald wird ein Lied von ihrer Flöte nachgeahmt, was mich an etwas erinnert, das Eric Dolphy, ein anderer Flötist, vor langer Zeit sagte: „Zu Hause spielte ich, und die Vögel pfiffen immer mit mir. Ich unterbrach meine Arbeit und spielte mit den Vögeln.“ Eine Piccoloflöte gesellt sich dazu, während eine Klangschale und das Prasseln von Saxophonklängen die Mischung vervollständigen, bevor eine kurze Passage mit zurückhaltendem freien Tenor das Stück beendet.
Die Musik schafft und bewahrt ihren eigenen Raum, mit häufigen individuellen Höhepunkten. Das zweite und das fünfte der sechs Stücke, „Bethink and Lay to Heart“ und „Windblown“, enthalten schöne Saxophonchöre, die aus der Umgebung auftauchen und zu ihr sprechen, während das Finale, der 10-minütige Titeltrack, mit einem Paar Piccoloflöten beginnt, die sich wie Amseln unterhalten, und den veränderten Klang von Glocken und anderen verzerrten Samples einleitet, die auftauchen und verweilen, bis sie sich in die Stille zurückziehen, nachdem sie ihren leisen, aber nachhaltigen Eindruck hinterlassen haben.“ (Richard Williams, The Blue Moment)
„Ness“
Es gibt solche Räume der Natur, zuhauf, in denen sich die dunkle Historie und die Pracht der natürlichen Welt überlagern, verdrängen. Um einen solchen Raum in Suffolk / Norfolk / East Anglia geht es in der „prose poetry“ von Robert Macfarlane. Keine 100 Seiten lang ist dieses Büchlein, und noch hat sich kein Verlag herzulande an die deutsche Übersetzung getraut. Umso bewundernswerter, dass sich der Musiker und Komponist Hayden Thorpe dieser Arbeit genähert hat, in der sich alte und neue Zeiten spiegeln, Todesgefahr, Bombenbau, kalter Krieg. Die Zeiten haben sich nicht geändert, dort aber ist mittlerweile alles, soweit möglich, „renaturiert“. Einmal mehr, nach W. G. Sebalds „Die Ringe des Saturn“, eine fesselnde Wanderung durch Küstengebiete im Südosten Englands: Geschichtsstunde, Meditation, Songrreigen in einem. Was drohen da alles für Fallen (frömmelnde Erhabenheit, ein Himmel voller Geigen, und mehr) – nur scheint mir Hayden Thorpe in keine einzige getappt zu sein. „Ness“ (LP, CD, DL) ist ein Klassealbum.(P.S. „Meine“ Ausgabe der Klanghorizonte im März (Deutschlandfunk, 25.3., 21.05 Uhr) wird – neue „Spielregel“ – nur Alben vorstellen, die zwischen dem August 2024 und April 2025 rauskommen. Also keine „reissues“ (ausser, evtl., einem alten, zeitlosen Stück Musik, das ich im Rahmen von Joe Boyds neuem Buch „And The Rhythm Will Remain“ spiele (aus Kapitel 4, „Latcho Drom“)) – und wenn der Veröffentlichungsrahmen schon so weit gespannt ist, komme ich im März gerne auf solche „in between“-Alben zurück wie Laura Cannells „medieval trips“ oder Haydens „Hauntology“. Die leider nur wenig „airplay“ bekommen. Egal wie weit entfernt die Quellen: alles wird in einen „ocean of sound“ münden, und einer Portion „storytelling“.)