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Wetterscheide
Mein grosser Held veröffentlichte 1986 einen Song namens „A Quiet Life“, und, bereits ein begnadeter Aussenseiter, als er seinen modeverrückten Bruder auf der Carbanby Street begleitete, sagen wir 1966, blieb er sich auch später treu in seinem Blick auf Elementares. Wir frühstücken gerade, und die beiden Mädels richten schon mal den Blick nach Malaga Ende April. Da ist natürlich Sonnenschein garantiert, so wie Regen in Wuppertal, bei mir ist die Lage nicht so klar. Habe alle meine Wetterprognosen für Lanzarote in den ersten sieben Tagen im März parallel geschaltet – ernüchternd. Dagegen ist das Wetter auf Sylt und Langeoog verlässlich kühl und wechselhaft. Und plötzlich landen wir bei Urlaubsgeschichten, die in den grossen Sommerferien im Norden der alten BRD immer auch Dünenschleichwege waren, Verliebtheiten, Kissenschlachten, Fahrradausflüge zur Meierei im Ostland, Wattwanderungen mit Würmern, Halmatage im Hotel, und morgendliche Spaziergänge zu den neuen Kinoplakaten mit Abstechern zum Kiosk. Und so deutet auch jetzt alles auf die Scholle „Finkenwerder Art“ statt auf Mojo rojo und Mojo verde. Einmal mit 14 und meinen Eltern in Westerland, Bilderbuchsommerwetter, Tag für Tag, auch Milchreis mit Zimt, der Wellengang aber recht zimperlich, und mir war seltsam langweilig, ein Urlaub ohne Schwärmerei, Lieblingsbücher, neue Freunde – der einzig magische Moment war im ersten Anflug ein mächtiger Schreck: der Kauf einer „Bravo“, mit entlarvenden Fotos, wie sich zwei meiner „heroes who never die“ auf der Bühne prügelten, sturztrunken. Der Kioskbesitzer hatte ein Transistorradio, und als ich den Artikel im Stehen verschlang, ertönte aus dem kleinen Lautsprecher und dem Schatten seiner Bude die vertraute, absteigende Basslinie von „Sunny Afternoon“, und die Welt war für ein paar Minuten unverwundbar.
„Here, there, and everywhere“ – some notes on „Luminal“, „Lateral“ etc.
Two albums.
Luminal is eleven songs, with vocals.
Lateral is one longer instrumental piece, around an hour long. (F.A.)
Four albums, from left to right: Keith Jarrett & Jack DeJohnette: Ruta and Daitya. A milestone of archaic grooves, with Jarrett playing electric keys for the last time in his life. I wish the two would have followed these paths untrodden. Luminal, an instant classic. Paul Bley: Open, to love. A stone cold classic. Lateral, another instant classic. Don‘t call it just another Eno ambient work, it is beyond compare and has a perfect second title: Big Empty Country. Imagine the wide open spaces of a Taylor Sheridan Neo-Western series, with an decent sense of longing, romance, loss of words, and no figures in the landscape. No kitsch, no Hollywood score, no violins from the sky. Just waves and waves and special colours. And then these acoustic guitar lines, ascetic as they are, like a Nashville Nirvana. Like the essence of a Hank Willams tune, suspended in air. Be careful, i am obviously writing nonsense, so I might be right. And the album closing the line of lifers: Ruta and Daitya again – decades later ECM decided to replace the cover. I always loved Maya Weber‘s painting, its dream space. I was 17 when I fell in love with the album. (M.E.)
The content of these albums takes the burden of responsibility away from the listener. Meaning, the responsibility of trying to figure out who is playing what, or how it was recorded, all that information that tends to separate you from just listening. It’s all beautiful and dreamy. Inspired and inspiring. Useful/utilitarian. I hear synth sounds, but already that is saying too much. You can disappear into it, talk over it, play it over and over, or just listen to a bit of it and get back to the rest later. The notes that stand out as melodies sound purposeful in a way that makes me think that it’s not necessarily meant for meditation. Although I was driving while listening to Lateral, and maybe that could be described as meditative. It seems right for any type of location. I really think it can work anywhere, out of any kind of speakers.
I thought of a sketch idea while I was listening, where the people making this music were very unlike Beatie and Brian. Like, the opposite. But then I realized that those characters would also fit perfectly well in creating these albums. The music overrides whatever concept you might have of what the composers are like. By the way, who were you picturing in your head as the opposite?
Right now, I’m recalling the songs in my head pretty clearly. The sound of it all. I guess technically, that also makes it catchy. I hope it’s okay for me to use that word.
I’m going to put it on again right now. I’ll just start in the middle somewhere.
Fred Armisen
Well, Fred, as true as this may be in some ways at least, your statement comes down to: „Let the music speak for itself“. Not the favourite message for a music journalist. I was a bit working in the opposite direction when writing my questions on paper. And I think it is no real burden to go deeper into the music with some additionl food for thought and sensation. Maybe, in the end, my floating, ever so deep research will end up in my special series of „imaginary interviews“. Nevermind. Easily you will return (every once in a while) to the sounds and the words and the in-between.Michael Engelbrecht
Heroes never die
In dem Sonderheft vom RollingStone erschien im Januar eine Liste der besten Gitarristen. Weil meine Gitarrenheroes schlecht dabei wegkamen, erklärte ich mich nicht beleidigt wie damals Prince, der nicht berücksichtigt war. Ob es eine Bestsellerliste ist oder ob es eine Bestenflussreichste Liste ist, zeigte sich später bei Prince, der etwas später ganz vorne lag. Jedenfalls sind für mich Jimi Hendrix, Duane Allman, Keith Richards, Pete Townsend, Mark Knopfler und Joni Mitchell hervorragende Gitarristen.
Wenn mir ein Gitarrist verklickern wollte, dass er- Barbie mässig – mich erobern wolle, dass er nur für mich singt und spielt fände ich das charmant, würde ihm aber dafür nicht mein Hab und Gut überlassen. Das nennt man scammen. Hier auf der Insel lebt eine Frau die auf einen Scammer reingefallen ist. Sie hat ihm ihre Finca überschrieben und weg war der Schurke.
Martina Hefter hat über dieses Thema ein Buch geschrieben Hey guten Morgen wie geht es dir?lautet der Titel. Es ist – um genreübergreifend zu bestsellern – mit dem deutschen Buchpreis 2024 ausgezeichnet worden. Ich mag Bücher,die aktuelle Themen aufgreifen,hier wird also der Umgang mit LoveScammern thematisiert. Das Spiel mit der Wahrheit gegen die Lüge liest sich so gut wie ein spannendes Fußballspiel.
Es käme nicht ganz zuvorderst auf meiner Bestsellerliste, da steht schon eine Weile ein Buch,das meine philosophischen Heroes beschreibt : Paul Feyerabend,Susan Sontag,Adorno. Die Geister der Gegenwart. So heißt auch das Buch von Wolfram Eilenberger.
Morvern Callar: Die Musik treibt sie immer weiter
Im Jahr 1995 erschien der erste Roman des schottischen Autors Alan Warner im Londoner Verlag Jonathan Cape. Der Name der Hauptperson ist auch der Titel: „Morvern Callar“. Die deutsche Übersetzung folgte drei Jahre später unter einem vagen und mutlosen Titel, in den man aber doch das ein oder andere hineininterpretieren kann, wenn man das Buch gelesen hat: „Hin und Weg“. Die Ausgangssituation: Eine junge Frau liegt an Weihnachten auf dem Wohnzimmerboden, die billige Beleuchtung eines Weihnachtsbaumes blinkt unablässig, neben ihr liegt ihr Freund, der sich mit einem Küchenmesser und einem Hackebeil umgebracht hat. Seinen Computer hat er nicht heruntergefahren. Auf dem Bildschirm steht „Read me“. Der Abschiedsbrief wirkt geradezu gut gelaunt oder auch zynisch und nicht wirklich überzeugend. Eine entscheidende Rolle im Buch spielt das druckreife Romanmanuskript, das sich ebenfalls auf dem Computer findet und von dem sich der Freund (der im Buch namenlos bleibt) wünscht, dass es veröffentlicht wird, wofür er eine Liste an Verlagen zusammengestellt hat.
Schauplätze des Romans sind außer der Wohnung der Supermarkt, in dem Morvern Callar seit ihrer Jugend arbeitet (Fruit and Veg Section), Clubs und Kneipen, der Ort am Hafen und seine hügelige, idyllische Umgebung, das kleine Haus einer Großmutter, eine Hotelanlage mit Pool, das spanische Hinterland usw. Dass „Morvern Callar“ in Großbritannien zu einem Kultbuch avancierte, liegt neben der bemerkenswerten Geschichte vor allem an zahlreichen Musiktiteln und einigen Mixtape-Beschriftungen von Geheimtipp-Format: neuer Ambientsound, Acid Jazz, darkside Hardcore, elektronische Sounds, die in unbekannte Zonen des eigenen Unbewussten vordringen, mystisch, magisch, meditativ, und dazu eine ganze Menge Rave. Das Buch wurde in der Blütezeit der Mixtapes geschrieben. Morvern Callar ist, genau wie ihr verstorbener Freund, musikenthusiastisch: sie steht auf Rave und kennt so gut wie alles, was in Clubs aufgelegt wird; aber auch mit seiner Musik ist sie vertraut. Unterwegs ist sie fast immer mit ihrem Walkman verbunden. Mit Leichtigkeit stellt sie sich Mixtapes zu passenden Unternehmungen zusammen.
Hier ihre optimale Kassette zum Sonnenbaden:
A-SEITE:
Czukay Wobble Liebezeit: Full Circle.
Zawinul: The Harvest.
PM Dawn: So on & So on.
Can: Pauper’s Daughter & I.
Scritti Politti: A Little Knowledge.
Neville Brothers: With God On Our Side.
Robert Calvert: Ejection.
Hardware: 500 Years.B-SEITE:
Keziah Jones: Free Your Soul.
Daniel Lanois: Still Water.
Spirit: Topango Windows.
John McCormack: Come my Beloved.
James Chance: Roving Eye.
Hunters & Collectors: Dog.
Leisure Process: A Way You’ll Never Be.
Und hier noch ein paar weitere Musiktitel aus dem Buch:FSOL: Room 208. [Das Doppelalbum „Lifeforms“ von The Future Sound of London verzaubert mich zum wiederholten Male von der ersten bis zur letzten Sekunde vollkommen! Ich bin noch weit davon entfernt, das Buch musikalisch „ausgewertet“ zu haben. – M.W.]
Kraftwerk: Orbital / Computer Love.
Weather Report: Cucumber Slumber (von der Mysterious-Traveller CD)
Brian Eno: Here Come The Warm Jets.
The Can/Ege Bamyasi: Okraschoten: Vitamin C.
The Can: Future Days.
Holger Czukay: Persian Love.
Magazine: Secondhand Daylight.
Miles Davis: Get Up With It, He loved Him MadlyDie Musik bedeutet Flucht vor dem tristen Alltag und Lebendigsein zugleich. In Rave-Katakomben erlebt Morvern Callar einen trancehaften Ambientsound, der erst, wie es heißt, in eine träumerische, pulsierende Endlosschleife übergeht und dann in eine ausgedehnte Reise in die Finsternis. Einmal spult Morvern Callar eine Videokassette von Michelangelo Antonionis „The Passenger“ (auf Deutsch „Beruf: Reporter“) zurück. (Vor langer Zeit habe ich auf manafonistas über den Film geschrieben, hier der Link.) In dem Film bricht ein Journalist aus den Bahnen seines ihm langweilig gewordenen Lebens aus und lässt sich auf eine ungewisse neue Existenz ein. Er tauscht seine Identität mit der eines andern. Dies ist auch ein Motiv in „Morvern Callar“. Ein unbeschwertes Leben, befreit von den Mühen der Lohnarbeit, ist eins der zentralen Themen. Die Strukturen in dem kleinen schottischen Ort am Hafen sind festgefahren, eng und historisch gewaltdurchdrungen. Sie lassen wenig Raum für eine individuelle Entfaltung. Die Hauptfigur erzählt kühl und distanziert, als beobachtete sie sich nur selbst. In einem Gespräch erklärt sie, jemand habe ihr gesagt, sie sei autistisch. Die Beziehung zu ihrer engsten Freundin und Supermarktkollegin, der aufgedrehten, lebenslustigen Lanna, ist geprägt von einem Wechselspiel von Distanz und Erfahrung inniger Gemeinschaft im bloßen Beisammensein. Zu keinem Zeitpunkt erfährt Lanna von dem Suizid, der für Morvern Callar eine weitere Traumatisierung durch den Verlust der am nächsten stehenden Person bedeutet. Mehrmals erwähnt sie die Insel, auf der ihre Pflegemutter begraben ist.
Morvern Callar ist ein Mensch ohne Wurzeln; sie kennt nicht einmal den Ort ihrer Geburt. Im Unterschied zu ihrem finanziell wohlhabenden Freund ist sie kein intellektueller Typ. Er hatte ihr nichts von seinem Manuskript gezeigt und nach seinem Suizid liest sie es nicht, auch wenn es in seinem Abschiedsbrief heißt, er hätte es für sie geschrieben. Sie bleibt mit ihm durch die Musik verbunden. Zu Beginn und zum Ende des Buches hört sie den 32-Minuten-Track „He Loved Him Madly“ von Miles Davis (aus: „Get Up With It“), zu Beginn auf dem Walkman und am Ende auf dem Discman. Eine Veränderung im Medium, aber der Inhalt bleibt konstant. Am Ende des Buches wählt sie überraschend einen Ort für ihr zukünftiges Leben, mit dem sie durch ein nachgebautes Modell bestens vertraut ist und der genauso auf symbolischer Ebene bedeutsam ist wie der Track von Miles Davis. Solche Feinheiten zeigen, wie sorgsam der Roman komponiert ist. Jenseits der Musik, in der Morvern Callar sich am intensivsten erfährt, gelingen ihr seltene zauberhafte Momente. Als sie an der spanischen Küste nachts ins Meer hinausschwimmt, sehr differenziert die verschiedenen Lichter wahrnimmt und das Dunkel und schließlich beim Autokino landet, beobachtet sie, wie das Licht der Leinwand auf den Blättern von Bäumen flimmert. „Ich drehte mich zum Meer hin“, heißt es dann. „An meinen Haaren hörte man es leise tropfen. Ich schloss die Augen dort in der Stille und atmete einfach nur durch. Ich hatte drei Tage nicht geschlafen, um mir nur ja keine Minute von diesem Glück entgehen zu lassen, auf das ein Recht zu haben ich mir nie hätte träumen lassen.“
Eignet sich der Roman für eine Verfilmung? Ein Amazon-Rezensent des Buches der englischen Originalfassung schrieb am 23. Januar 2000, er hätte vor drei Jahren für eine große Filmgesellschaft ein Gutachten zu dieser Frage verfasst, das er großzügig in seine Bewertung hineinkopiert hat. Zentrale Sätze lauten: „As far as film potential goes, this is a critical stumbling block. Films need to ask questions, then answer them. This novel leaves the reader pondering many unanswered questions.“ Und seine Schlusssequenz: „There are too many lists of different rave records, put in I suspect as a self-conscious sop to a „hip“ readership. Overall however, it is an engrossing read. I particularly liked the descriptions of Scottish binge drinking, and the ghastly Club Med group activities. On a deeper level, there some great symbolic strands which run through the book. To conclude, this is an excellent work of literary fiction, and works well on its own terms. I unreservedly recommend it as a good read. But there is no obvious film premise lurking within its pages, and though it is fun using the novel’s setup as a springboard for possible movies, I don’t think that justifies buying up the rights.“
Die schottische Filmemacherin Lynne Ramsay, deren Kurzfilm „Gasman“ ich vor einiger Zeit hier einen kleinen Post vorstellte, hat glücklicherweise eine andere Vorstellung als der Amazon-Rezensent davon, was einen gelingenden Film ausmacht. Im Jahr 2002 erschien ihre Verfilmung des Romans, wobei sie den Buchtitel übernahm. In einem Film Fragen zu stellen, um diese dann zu beantworten, liegt Lynne Ramsay fern. Sie macht die Hauptfigur geheimnisvoller, schweigsam und geradezu unnahbar. Trotz teilweise verstörender Bilder gelingt es, die innige Liebe Morvern Callars zu ihrem verstorbenen Freund als roten Faden zu inszenieren und Abwesendes in Szene zu setzen. Die Verbindung wird vor allem durch den Walkman inszeniert; das durchsichtige Kabel und die durchsichtigen In-Ear-Plugs lassen an eine Nabelschnur denken. Morvern Callar ernährt sich von der Musik. Sie ernährt sich darüber hinaus, wie ein Säugling, vor allem von Flüssigkeiten. Auffällig oft trinkt sie Milch, außerdem Wasser und Alkohol. Sie wirft E-Pillen ein, ohne sie anzusehen. Feste Nahrungsmittel stehen kaum auf ihrem Speiseplan. Als sie einmal eine Fertigpizza in den Backofen schiebt, lässt sie sie verbrennen und beschäftigt sich weiter mit dem, was sie gerade tut, obwohl der Timer schrill geläutet hat. Während Morvern Callar im Roman beim Gruppensex darauf bedacht ist, alle zu befriedigen, macht sie im Film den Eindruck, als ob sie sich ernsthaft in jemanden verliebt hat oder verlieben könnte, und als von seiner Seite aus klar ist, dass nichts daraus wird, flüchtet sie, so weit weg wie nur möglich.
Ein roter Faden des Films ist das Spiel mit der Identität, inszeniert durch ein Spiel mit dem Namen der Hauptfigur. Immer wieder buchstabiert sie ihren Namen. Ihr Name wird falsch ausgesprochen, der Nachname ist Bedeutungsträger auf Spanisch, Korrekturen führen nicht weiter. Wie um ihre wahre Identität zu schützen, trägt Morvern Callar eine Kette mit dem Namen „Jackie“.
Der Musik, die Lynne Ramsay ausgewählt hat, unterscheidet sich völlig von den Tracks aus dem Roman. Auch im Film ist die Bedeutung der Musik elementar. Immer wieder wird suggeriert, dass wir gerade den Klängen aus dem Walkman lauschen: der Sound ist weniger differenziert und scheppert etwas metallisch. Der Soundtrack erschien im gleichen Jahr wie der Film, 2002, bei Warp Records auf CD (es war die Zeit, in der Audiokassetten als uncool galten). Das ist die Tracklist:
Can: I Want More
Aphex Twin: Goon Gumpas
Boards of Canada: Everything You Do Is a Balloon
Can: Spoon
Stereolab: Blue Milk (Edit)
The Velvet Underground: I’m Sticking With You
Broadcast: You Can Fall
Gamelan: Drumming
Holger Czukay: Cool In the Pool
Lee ´Scratch´ Perry: Hold Of Death
Nancy Sinatra and Lee Hazlewood: Some Velvet Morning
Ween: Japanese Cowboy
Holger Czukay: Fragrance
Aphex Twin: NannouDen Schluss des Buches übernimmt Lynne Ramsey nicht. Am Ende bleibt das Gefühl, eine geheimnisvolle Figur, eine traumatisierte junge Frau, auf ihrem Weg einer Transformation eine Zeitlang begleitet zu haben: ins Offene und Ungewisse. Die filmische Interpretation des Romans ist, wenn auch eher nicht für ein Mainstreampublikum, hervorragend gelungen. Und: Mir fällt kein Film ein, dessen Musikauswahl mich mehr begeistert hat.
The last excellent jazz album of 2024
Per „Texas“ Johansson; tenor saxophone, clarinet, contrabass clarinet, cor anglais & flute / Ståle Storløkken; grand piano, fender rhodes & synths / Petter Eldh; double bass, electric bass & mpc / Gard Nilssen; drums & percussion
Some days ago, I received a batch of recent WeJazz vinyls, and I started listening to „Unionen“, the first album of a stellar set of Nordic Jazzmen with a history. They all are bandleaders, ans theit creative output is quite incredible. Free of self-imposed things called style and genre, you never know what to expect. This album is, from start to end, a stunner, and it quite remarkable to release an album between the years, on Decmeber 6, 2024. You can see these four guys as sonic architects who create a very different sound and atnosphwre with every piece: though free as they are in their playing, they know how to handle dark cinematic moods, grooves in the most open territory, twists and turns after every corner. You can easily get lost in this album. There is no lost moment here, and, while listening, you very soon quit labeling, comparing, or thinking hard. This fantastic album tales you on a journey, on which you see and hear things different every time. Absolutel refined, raw, sensual music. And, word of honour If I wozld have received this album on December 6, ist would‘ve landed in my Top 20 list of last year‘d overflowing harvest. Fact: I listened to the record three times in a row, that good it is! I am not alone with my enthusiasm. To quote Jazztrail:
„Die unkonventionellen Stimmungen sind es, die Lust auf diese Platte machen, und Stücke wie „Ganska Långt Ut På Vänsterkanten“ und „Tomikron“ veranschaulichen diese Qualität mit ihren kohärenten Klangwelten. Ersteres, das von durchgehenden Folk-Riffs geleitet wird, wird von Kontrabassklarinette und Flöte geprägt und erzeugt eine leidenschaftliche Stimmung, die mit bittersüßen Wendungen die Farben wechselt; letzteres, mit seinem gebürsteten Schlagzeug, groovigen Basslinien und luftigen Melodien, strahlt Charme und Wärme aus.“ Und der Rezensent setzt noch einen drauf: UNIONEN bietet ein meisterhaftes Gleichgewicht zwischen gut ausgearbeiteten Passagen und Ausbrüchen spontaner Kreativität, die neue Wege im modernen Jazz aufzeigen. Das Ergebnis ist eine fesselnde und befreiende Erfahrung, und die Hörer werden wahrscheinlich eine seltsame Befreiung des Geistes erleben. (For further info go the label page or bandcamp site of WeJazz.)
Einmal Tamla Motown mit einer melancholischen Note
Mit 15, 16 war ich ein Fliegendgewicht und flog mehr am Geländer in das Erdgeschoss hinunter als dass ich sanft herunterglitt. Im Wohnzimmer meiner Eltern legte ich 1971 oder so die einzige Single auf, die ich je von Tamla Motown besass, „Just My Imagination (Running Away With Me)“. Der Titel war auch mein Programm in Sachen Verliebtheit, Sex, und Autosex. Das Wort „Knutschen“ war in regem Umlauf, und das Mädchen, das mir den ersten Zungenkuss erlaubte, war einem jungen, aufstrebenden Briefträger versprochen. Ich dachte, ich trumpfe wild auf mit all meinen Besonderheiten, aber ich war ein blutiger Anfänger und schnurrte beim Küssen wie eine Katze. Jene Single der Temptations lief heiss, als ich von Petra Schmidt-Rimpler träumte (ich war so verliebt). Mit ein paar Zeilen auf Tinte und Papier beendete sie den einseitigen Zauber, während in meinem Kopf diese Single nun erstmal ausgespielt hatte. Keinen Song der Soulgeschichte habe ich mehr geliebt als diesen. Es musste 2025 werden, dass ich erstmals die dazugehörige Langspielplatte auf 140 Gramm Vinyl erwarb, in einer feinen Edition. Meine erste Tamla Motown-Platte ever! Und sie macht mir einen Höllenspass (einerseits): eine perfekte Zeitreise, ein afroamerikanisches Lebensgefühl mitten im Herzschlag der Hippie-Ära, das allen Traumata der Zeit trotzte und die Utopie Titel werden liess: „Sky‘s The Limit“. Sieht man sich das Cover in Ruhe an, ist es schon ein bisschen crazy, woll!? Mit dem Charme von Bravo-Starschnitten besiedeln die einzelnen Temptations einen imaginären Raum zwischen Meeressaum und Wolke Nummer 9. Der vorherrschende Farbton ein rostrot gefilterter Sundowner. Das Traurige an diesen Zeitreisen, dass sich neben einer gewissen Berauschtheit (beim Versinken in den alten Klängen) immer auch die gute alte Tante Wehmut breitmacht. Einen Teil des letzte halben Jahres ging ich auf Kindheitssuche in meiner alten Stadt, und das Resultat war die Nachricht vom Tode meines besten Freundes aus jenem alten magischen Revier zwischen den Lebensjahren fünf und zwölf, dessen Grenzlinien die Kohlenhalde, der Weissdornweg, die Harkortstrasse und das Stadion Rote Erde waren. Das war vielleicht traurig, das war vielleicht eine Scheisse! Und kaum suche und finde ich noch ein paar angeschlagene Recken von damals (Zurli und Klaus W.), ist es nun leider, leider, leider nicht mehr an der Zeit, uns aus gefunden Ästen schicke Schwerter zu schnitzen: wir erzählen uns Stories, die ein halbes Jahrhundert und diverse andere Ewigkeiten zurückliegen. Die Zeit ist ein endlos weisses Band, und völllig ausser Rand und Band, wenn das Träumen beginnt. Man weiss, wieviele Millionen Fäden Marcel Proust gesponnen hat! Aber, ähem, um diesen einen Faden zuendezuspinnen: es gibt auf der Langspielplatte der Temptations einen epischen Song, der knapp die Dreizehn-Minuten-Grenze verfehlt, und (weil die Jungs um Norman Whitfield nun mal keine völlig durchgeknallten Romantiker waren) mit scharfkantigen Bläsersätzen, eine Geschichte kompletter Desillusionierung bereithält: „Smiling Faces Sometimes“, und was sich an Dunkelheit und Gemeinheit und Leere dahinter verbergen kann. Aber du tanzt dich da hindurch, weiter und weiter, Wirbel für Wirbel, und noch eine Runde, please!
Das schönste Buch des Jahres 2024
13 cm nehmen meine drei Comics von Craig Thompson im Bücherregal ein.
Das dünnste (na ja, 580 Seiten ‚dünn‘) ist das vor 21 Jahren erschienene „Blankets“, eine autobiographische coming of age Geschichte. Thompson berichtet von der christlichen Erziehung durch seine Eltern, vor allem aber davon, wie sich die erste Liebe und der anschließende Kummer anfühlen.
„Habibi“ ist das dickste (6 cm) und kam 2011 dazu: wieder eine Liebesgeschichte, auch eine Reise zu den gemeinsamen Wurzeln von Islam und Christentum – magischer Realismus aus 1001 Nacht.
„Ginseng Wurzeln“ wurde im letzten Oktober im Reprodukt Verlag veröffentlicht und kommt auf 5cm. Es handelt über eines der wirksamsten Kräuter der chinesischen Medizin, auch über Klassenunterschiede in den USA, den Handelsbeziehungen nach China, wie Großkonzerne Familienbetriebe verdrängen und vieles mehr.
Die Welt des Ginseng wird zu einem Kaninchenbau in dem Craig Thompson selbst tiefe Wurzeln hat. Er wächst in Marathon (Wisconsin) auf, dem Hauptanbaugebiet in den USA. Jede Sommerferien arbeitet er als Kind mit seinen Eltern und Geschwistern auf den Feldern. Umkraut jäten, Steine wegschleppen, usw. Das Geld was übrig bleibt investiert er in Comics – so dass seine Karriere tief im Ginseng Anbau verwurzelt ist. Das er als Erwachsener Ginseng als Medizin gegen eine Wucherung in seinen Händen, die dieselbe Karriere bedroht, einnimmt, unterstreicht die schicksalhafte Bedeutung der Pflanze in seinem Leben.
„Ginseng Wurzeln“ ist eine Mischung aus Autobiographie und journalistischer Dokumentation. Thompson zeichnet verschiedenste Verästelungen und Verzweigungen nach: Es gibt Interviews mit amerikanischen Ginseng Farmern, Mythen um die Pflanze stehen neben dem Schicksal der Hmong nach den Vietnam Kriegen, neben seinen eigenen Wurzeln und der Entstehung des Buches.
Und dabei passiert fast alles gleichzeitig, die Erzählung nimmt verschiedene Abzweigungen und Umwege durch dieses Geflecht an Geschichten und Fakten. Begleitet wird der Leser nicht nur von Craig Thompson selbst, sondern oft auch von einer kleinen menschlichen Ginseng Wurzel.
Dabei halten die wundervollen Bilder die Vielzahl an Themen zusammen, verleihen ihnen zusätzliche erzählerische Tiefe: sehr detaillierte Schwarz-Weiß-Zeichnungen, wobei auch Rot – die Farbe der Ginsengbeeren – eingesetzt wird; immer wieder halten fantastische Elemente Einzug.
Giseng Wurzeln beeindruckt nicht nur optisch und inhaltlich, vor allem macht es viel Spaß diese Verflechtung von globalen mit persönliche Themen zu lesen.
Skrifum
Let’s call this, like that underrated gem of Leonard Cohen, another „new skin for the old ceremony“. Jon Balke’s fourth solo piano album on ECM is a strangely organic affair, no matter how much science from the laboratory may be involved. A llittle machine called „spektrafon“ is extrapolating sounds from the grand piano that inspire in subtle ways Jon‘s playing of the keys. I‘m immediately thrilled by the game he‘s playing here. Like from a shadow world, sounds unheard appear in drone-like clothing, on the verge of vanishing or lingering on – you never know. And they are not tapping into the „drone trap“ by sounding especially mysterious or alien. So forget about „new age“ and „old tricks“. Thanks to Jon’s heightened awareness ranging (to follow the meaning of the Icelandic word „Skrifum“) from a sharp pencil to a broad brush (staying away from conversational stylings), every track of this adventurously discreet music is a little world of its own. The whole album is a quietly flowing, exciting journey, a ghost story for an old instrument – delivered with a constant sense of wonder. Welcome to your next favourite ritual of deep listening!
(m.e.)
More Praise for it in KLANGHORIZONTE
DEUTSCHLANDFUNK
27. März 2025
21.05 Uhr
Kleines Verlagsecho
Lieber Herr Engelbrecht,
schon sehr lange möchte ich Ihnen zu Ihrer Empfehlung von Liz Moore „Der Gott des Waldes“ schreiben. Das geht aber nicht mal eben so, wenn man überwältigt und zum Nachdenken angeregt ist, wenn ein Kritiker sein „Inneres nach außen“ kehrt, wie ich das nenne.
Lieber Herr Engelbrecht, ich bin überwältigt, wie nahbar, persönlich, tiefgehend und glasklar in zwei, drei Sätzen Ihr Urteil ausfällt (weibliche Befreiungsakte), wie viel Sie über sich verraten (Ihre Generation, Leserekord) und dass Sie sogar noch einen Sound hinterlegen (The Who, Live at Leeds). Sie haben auch schöne Kommentare erhalten, wie ich lesen konnte, und dass Sie die Lit.Cologne empfehlen, freut mich sehr.
Es wird wahr, Liz Moore kommt am 29. März nach Köln und tritt am 30. März auf der Lit.Cologne auf – erinnere ich das richtig, dass Sie in unserem Telefonat sagten, Sie würden sie gern zum Interview treffen? Wenn ja, dann vermittle ich das gern!
Nur Gutes Ihnen und allerbesten Dank für diese treffliche, persönliche und überhaupt: wortschöne Empfehlung (und wegen des Covers: Wir diskutierten lange, ob wir das Original übernehmen oder nicht. Wir übernahmen es schließlich.)
Ihre T. W.
(Wer den (bei aller Wertschätzung sehr einfachen) Text, der ein „first take“ war und „ aus der Hüfte“ geschrieben, HIER noch einmal zum Nachlesen, mit Olafs Zuspruch in den Kommentaren. Der Roman erscheint am 20. Februar.)