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Kraftwerk, 7. März 2025
Kraftwerk Live, Pittsburgh, Stage AE
(English translation see here)
Gerade lese ich ein Interview mit Karlheinz Stockhausen, das er 2004 dem Schweizer Kunstkritiker und -kurator Hans Ulrich Obrist gegeben hat. Immer wieder staune ich, welch ein ungeheures Potenzial von Kreativität und künstlerischer Wachheit der Komponist noch drei Jahre vor seinem Tod, im Alter von immerhin 76 Jahren, zu vermitteln verstand. Bis zuletzt hat dieser Mann immer wieder neue Ideen produziert und neue Kompositionen vorgelegt, elektronische ebenso wie akustische. Und auch über die Live-Präsentation seiner Werke unter räumlichen Gesichtspunkten hat er stets nachgedacht. Das war ein Lebensthema für ihn — an Gruppen sei erinnert, das drei Orchester im Konzertsaal verteilte und dabei die räumliche Anordnung und Interaktion der Instrumente zum Teil der Komposition machte. Es gab den elektronischen Gesang der Jünglinge, ein fünfkanaliges Werk: Vier Kanäle um das Publikum herum, ein fünfter kam von oben. Mit dem Architekten Fritz Bornemann entwarf Stockhausen ein kugelförmiges Rundum-Auditorium, das zur Expo 70 in Japan gebaut (und danach leider abgerissen) wurde. Oder Sternklang, das fünf teils akustische, teils elektronische Ensembles so weit voneinander entfernt in einer Parkanlage aufstellte, dass die sich gegenseitig gerade noch hören konnten. Das Publikum konnte zwischen den fünf Podien spazierengehen. Es gab Fresco, eine von Stockhausen so bezeichnete „Wandelmusik“ für vier Orchestergruppen in mehreren Räumen eines Hauses. Der Opernzyklus LICHT spielte die räumlichen Ideen immer weiter durch, bis hin zu einem Streichquartett in vier fliegenden Hubschraubern. Es gab die achtkanalige Oktophonie, und die ebenfalls achtkanaligen Unsichtbaren Chöre, ebenso das letzte noch von Stockhausen selbst realisierte Werk Cosmic Pulses, in dem die präzise ausgetüftelte räumliche Positionierung und Bewegung von Klängen im Raum in eine Komplexität mündet, die (zugegeben) kaum noch differenziert durchhörbar ist.
An all das musste ich denken, als ich letzte Woche (zum neunten Mal seit 1971!) Kraftwerk auf der Bühne erlebt habe. Denn wenn irgendeine Band wirklich prädestiniert wäre, eine solche räumliche Platzierung und Bewegung von Klängen auf der Konzertbühne und dem Raum drumherum zu realisieren, dann wäre das Kraftwerk. Die Gruppe hat Vergleichbares mit einem 32-kanaligen 3D-Tonsystem namens „Wellenfeldsynthese“ zumindest in Ansätzen schon gemacht. Lange Zeit auch wurden die Konzerte mit 3D-Projektionen verräumlicht, ihr letztes Jahr 50 gewordenes Superwerk Autobahn hat die Gruppe soeben als räumlichen Dolby-Atmos-Mix wiederveröffentlicht.
Ich hatte gehofft, die derzeitige „Multimedia“-Tournee der Band durch die USA und Kanada mit 32 Stationen würde irgendetwas in dieser Richtung bieten. Aber die Chance wurde leider nicht genutzt.
Stattdessen wurde die klassische Schuhschachtel-Anordnung präsentiert: Vorn die Musiker in den inzwischen bekannten illuminierbaren Neon-Anzügen vor ihren Pulten auf der LED-bestückten Bühne, hinter ihnen ein elektronischer Großbildschirm mit sehr guter Bildqualität, Lautsprecher links und rechts, eine Subwoofer-Batterie vor der Bühne. Geboten wurden „Greatest Hits“, dazwischen auch einige eher selten gespielte Stücke („Tango“, „Ätherwellen“).
Hier ist die Setlist:
- Numbers / Computer World / Computer World 2
- Home Computer / It’s More Fun to Compute
- Spacelab
- Airwaves
- Tango
- The Man-Machine
- Electric Café
- Autobahn
- Computer Love
- The Model
- Neon Lights
- Geiger Counter
- Radioactivity
- Tour de France / Tour de France Étape 3 / Chrono / Tour de France Étape 2
- La Forme
- Trans-Europe Express / Metal on Metal / Abzug
Zugaben:
- The Robots
- Planet of Visions
- Boing Boom Tschak / Musique Non Stop
Dass die Band sich von der 3D-Projektion verabschiedet hat, geht in Ordnung, ich habe sie nicht vermisst, zumal die dafür erforderliche Papp-Brille nach einiger Zeit auch lästig wurde. Auch die „live“ auftretenden „Robot“-Kleiderständer sind nicht mehr dabei, sie finden nur noch auf der Projektionswand statt. Dieser Gag war nun auch wirklich allmählich abgeleiert. Interessant, nebenbei bemerkt, dass die Figuren im Film immer noch die Gesichter der früheren Bandmitglieder zeigen.
Kraftwerk ist bekannt für exzellente Soundqualität, und ich kann das aus eigener Erfahrung bestätigen. Was sie allerdings hier in der „Stage AE“ klanglich anboten, war leider einfach Matsch. Die relativ kleine Halle war anscheinend einfach „über-equipped“. Eine irre Lautstärke brachte sich überschreiende Höhen, überlagert von Bass-Impulsen der Subwoofer, die Tritten in die Magengrube gleichkamen. Ich habe im Laufe der Jahrzehnte viele Konzerte mit hohen und sehr hohen Lautstärken erlebt und überstanden. Dies war das erste Konzert, nach dem ich nicht sicher war, ob ich einen Trommelfellriss oder einen Hörsturz erlitten hatte und die Emergency aufsuchen sollte. Über Nacht hat sich die Sache wieder halbwegs normalisiert. Eine solche Soundkatastrophe sollte einem routinierten Mischpultmann nicht passieren. Und wenn das dann in der Lokalpresse noch als „Spitzensound“ bezeichnet wird, dann frage ich mich, ob die Leute überhaupt noch einen Maßstab dafür haben, was in einem Popkonzert „guter Sound“ bedeutet. Oder gilt es mittlerweile schon als solcher, wenn das Publikum von der Subwooferbatterie vor der Bühne nur massiv genug durchgeprügelt wird?
Oder sollten solche Fragen der Band mittlerweile egal sein? Es würde zum Gesamtbild des Abends passen: Etliche kleine Pannen (insbesondere der Neonanzüge) waren zu bemerken, die Lustlosigkeit der vier Herren, die kaum mal von ihren Pulten aufsahen, war ebenfalls nicht zu übersehen. Nach „Trans Europe Express“ verließen sie die Bühne, kamen dann aber bereits nach wenigen Sekunden wieder zurück und begannen den Zugabenteil.
Dem Publikum schien’s weitgehend egal zu sein. Auffällig, aber natürlich kein Wunder, dass ein Generationenwechsel sich nunmehr deutlich abzuzeichnen beginnt. Die „Urfans“ brechen allmählich weg, dafür wachsen zunehmend hippieske Fans im Highschool-Alter nach. Für sie allerdings scheint Kraftwerk nur noch eine Band unter vielen zu sein. Den historischen Background der Band kennen sie naturgemäß nicht mehr, für sie ist Kraftwerk ein Projekt der elektronischen Tanzmusikwelle. Auch die bei früheren US-Konzerten (Chicago, New York) immer anwesende Black Community, die man bei anderen Konzerten auch in Pittsburgh normalerweise sieht, war an diesem Abend anscheinend anderswo. Vielleicht aber auch nicht erstaunlich — die Berührungen zwischen Kraftwerk und den Schwarzen Musikszenen Detroits, Chicagos oder New Yorks liegen nun auch schon fast ein halbes Jahrhundert zurück; die damals entstandene Street Credibility Kraftwerks ist zwar noch nicht verflogen, aber für die heute aktive Musikergeneration annähernde Steinzeit.
Wer weiß, was Kraftwerk noch in petto hat. Mit größerer Experimentierlust der Band wird man wohl kaum noch rechnen dürfen, Ralf Hütter als letztes Urmitglied der Band geht nun immerhin auch schon auf die 80 zu. Ich denke ja, irgendwann wird sich die Band ganz in den virtuellen Raum zurückziehen. In Ansätzen (Electric Cafe) hat sie das ja schon gemacht, indem sie sich selbst in Gestalt von Wireframes präsentiert hat — und damit endet auch heute noch jedes ihrer Konzerte.
Wie auch immer, wer Kraftwerk noch nicht live gesehen hat, sollte die Gelegenheit nutzen. Irgendwann wird es sonst zu spät sein.
„Und man hört sie doch. 20 Jahre Literaturwerkstatt in Darmstadt“. Eine Anthologie und was sie bedeutet.
Das Buch ist da, schon einige Wochen ist es her, dass ich drei Pakete mit meinen bestellten Exemplaren bei der Verlegerin, Geraldine Gutiérrez-Wienken, in Heidelberg abgeholt habe. Jedes Buch wird von Hand hergestellt. Maximal zwölf Exemplare schafft sie an einem Tag. Ihre Garage im Hinterhof ist eine Werkstatt. Eine Neonröhre an der Wand beleuchtet die Schneidemaschine. In der Mitte steht dann noch ein anderer, größerer Tisch, für die Falz- und Klebearbeiten. An den Seiten offene Regale mit Kartons: Es wird edles Papier verwendet; nicht zu dünn, es ist griffig. Handarbeit, das bedeutet auch, dass die Seitenränder nicht immer gleich breit sind. Jedes Buch erhält einen Stempel. Mein Exemplar ist ein Probestück vom Dezember, es hat die Nr. 002.
Hinter dieser Anthologie, deren Herausgeberin ich bin, steckt ein Lebensabschnitt. Eigentlich sind es zwei Abschnitte: die Zeit der Seminarleitung, die weitergeht, und die Zeit der Arbeit an dem Buch selbst, die sich über eineinhalb Jahre erstreckte. Es begann am 8. Februar 2005, einem Montag, um 18 Uhr im Literaturhaus in Darmstadt. Alle, die sich dafür interessierten, auch weiterhin an ihren literarischen Texten in einer Gruppe im Diskurs zu arbeiten, saßen an den Tischen im vierten Stock, schrieben ihre Erreichbarkeitsdaten auf Blätter, die jetzt immer noch in einem meiner Ordner zur Literaturwerkstatt eingeheftet sind. Ein Zeitsprung um 20 Jahre: Ungefähr 250 vierstündige Seminare später liegt sie nun vor, die Anthologie, die in dieser Form nur eine Auswahl darstellen kann, Einblicke in die Arbeit von Autorinnen und Autoren, von denen viele im Literaturbetrieb bekannt sind: durch Buch- und Zeitschriftenpublikationen, Preise und Stipendien, Lesungen, Radio- und Fernsehauftritte, Leitungen von Schreibwerkstätten und Herausgeberschaften von Literaturzeitschriften. Ein Buch von vielleicht zweihundert oder gar dreihundert Seiten, mit vollständig abgedruckten Erzählungen, hätte einen anderen Charakter ergeben, den zu präsentieren mich nicht gereizt hat, auch wenn ich deutlich mehr als 27 Autorinnen und Autoren hätte ihren Raum geben können. Ich schätze das Fragmentarische und habe bei der Auswahl der Auszüge aus längeren Texten darauf geachtet, dass sie auch außerhalb ihres Zusammenhangs etwas transportieren. Die Anthologie enthält 15 Gedichte, zwei Kürzestgeschichten, eine Filmszene, einen kurzen Prosatext und 14 Auszüge aus Erzählungen und Romanen. Außerdem selbstverständlich (leider sehr kurze und unvollständige) Kurzbiographien. Um das Ausmaß der Auswahl zu verdeutlichen: In jedem Seminar haben durchschnittlich zwei Personen Texte im Umfang von je 12 Seiten vorgestellt, über die wir dann diskutiert haben, das sind 24 Seiten pro Seminar. Multipliziere ich diese 24 Seiten mit der Zahl der Seminare (250), komme ich auf 6000 Seiten besprochener Literatur.
Es ist nicht nur ein Seminar, an dem im Lauf der Zeit mehr als 100 Autorinnen und Autoren teilgenommen haben, viele davon länger als zehn Jahre; es ist eine Gemeinschaft geworden. Freundschaften sind entstanden, Netzwerke, die weit über die Teilnahme am Seminar hinausgehen. Die Begegnung in dem, was zu einem zentralen Bestand der eigenen Persönlichkeit gehört, verbindet. Bei den Gesprächen über die Texte vergessen wir die Zeit. Immer wieder diskutierten wir, vor allem in meiner zweiten Seminargruppe, der Dienstagsgruppe, statt planmäßig bis 22 Uhr eine halbe Stunde länger und manches Mal wurde es sogar noch später. Dann gingen wir ein paar hundert Meter die Kasinostraße runter, zum „Nazar“, einem türkischen Restaurant, das zwar nicht 24 Stunden offen hatte, aber immerhin 23. Die Atmosphäre war entspannt; wahrscheinlich lag es an den Öffnungszeiten, die verändern das Zeitgefühl. Wir saßen auf Hochsitzen, die Rucksäcke und Taschen zu unseren Füßen, bestellten warme Gerichte, ein „Nachtessen“ im wörtlichen Sinn, und wir ließen uns kurz vor unserem Aufbruch noch kleine Tassen schwarzen türkischen Tees als Geschenk des Hauses servieren, was sich nach Mitternacht wie eine Droge anfühlte, fast ein bisschen illegal, ein Aufputschmittel, das wir für den Rückweg in die verschiedenen Städte, aus denen wir anreisten, manche mehrere hunderte Kilometer weit, brauchten, und das uns länger als erwünscht wachhielt. Ich erinnere mich an einen Teilnehmer, der aus einer kleinen Stadt im östlichen Bayern anreiste. Er fuhr gegen Mittag mit einem Flixbus los, um gegen 18 Uhr in Darmstadt zu sein, nach dem Seminar und dem gemeinsamen Essengehen fuhr er mit mir im Auto mit nach Frankfurt, ich setzte ihn am Hauptbahnhof ab, von da aus nahm er einen Nachtbus, mit dem er letztlich wieder gegen Mittag in seinem Heimatort ankam.
Über die Reihenfolge der Texte im Buch habe ich im vergangenen Sommer zwei Tage lang nachgedacht und dabei Kriterien berücksichtigt, die uns Michael all die Jahre und vor allem damals auf unserem alten Blog, manafonistas, immer wieder bei der Anordnung der Musikstücke für seine Radiosendungen vermittelt hat. Damals habe ich darüber hier einen Text geschrieben. Leider war es im Prozess des Layouts aus verschiedenen Gründen nicht möglich, an allen Stellen die von mir gewählte Reihenfolge der Texte einzuhalten. Deshalb ist die Anthologie für mich in dieser Hinsicht auch nicht perfekt. Hier ist meine Anordnung der Texte: Maria Knissel, Özlem Özgül Dündar, Ralf Schwob, Alexander Roth, Jonas Mieth, Elnas Nazem, Julia Mantel, Lea Matusiak, Sandra Ade, Ute Dietl, Armin Steigenberger, Andreas Pargger, Ralf Wolf, Eric Giebel, Brigitte Morgenroth, Kameliya Taneva, Maria Anne Anders, Sven Buchsteiner, Ulrike Sabine Maier, Katharina Kramer, David Emling, Karin Brand, Stefan Förster, Angela Regius, Iris Antonia Kogler, Barbara Zeizinger und Elke Barker.
In meinem Vorwort habe ich von der Geschichte des Seminars erzählt und von ein paar Gedanken zur Bedeutung des Titels. „Und man hört sie doch“ ist ein Zitat aus der Erzählung „Wälder in Brooklyn“ von Armin Steigenberger, die wir im Jahr 2012 im Seminar besprochen haben. Hier ist die Passage, aus der der Titel entnommen ist:
„Die kleinen Fliegen sind überall. Sie sitzen auf der Gardine, auf dem Lampenschirm, auf der Zeitung. Sie krabbeln neben den Worten über das Papier. Sie lassen sich, auf der Suche nach Licht, auf meinem Bildschirm nieder. Man hört ihre kleinen Füße nicht. Und man hört sie doch. Ich kann sie hören, aber es ist nicht das Geschwirr ihrer Flügel, das ich höre. Es ist mehr spirituell, so, wie man das Gras wachsen hört. Oder die Bäume im Wald.“
Da die Anthologie beim Verlag, bei hochroth Heidelberg, hergestellt wird, ist es am besten, sie auch dort zu bestellen. Den Link findet man rasch auf der Verlagsseite hochroth.de, und hier ist der direkte Link zum Buch.
Die Premierenlesung findet statt am Samstag, den 26. April 2025, um 18 Uhr im Darmstädter Logenhaus Johannes der Evangelist zur Eintracht, Sandstraße 10, 64283 Darmstadt. Musikalischer Rahmen: Claus Boesser-Ferrari (Gitarre).
Alle Autorinnen und Autoren haben zugesagt, dabei zu sein, auch ohne Reisekostenerstattung; die weitesten Anreisewege sind die aus Hamburg, Leipzig, München und noch weiter südlich davon und – aus Irland. Dass solche Strecken zurückgelegt werden, um wenige Minuten einen eigenen Text vorzutragen und um die anderen aus der Literaturwerkstatt in Darmstadt wiederzusehen: Das ist der Spirit!
„Down the mountainside / To the coastline…“
Wenn dieser Film namens „Coastal“ zu sehen sein wird, bin ich dabei. Auch so einer der singer / songwriter, der mir „company for life“ bedeutet, vom ersten Augenblick an, als ich in Paignton 1971 „After The Goldrush“ entdeckte bis heute. Am wenigsten bekannt von den Alben, auf denen sich die Lieder dieser Playlist tummeln, dürfte „Reactor“ sein, das damals Prügel einstecken musste, zu Unrecht, wie ich finde. Neben dem herrlichen T-Bone-Steak-Song, der schon 1981 verriet, dass vielen Hippies der Humor ausging, wenn schräger Humor romantische Erwartungen und „strong messages“ konterkarierte, war „Southern Pacific“ stets ein Lieblingssong des Albums. Und, auf seine Weise, eben doch auch Sehnsuchtssoff und Liebeserklärung! (m.e.)
Hello, Macie!
It is easy to get lost in the music of „When The Distance Is Blue“, cause, amongst other reasons, it kinds to rejects labeling, Brian Eno calls music like this „where am i“-music. Possibly you know some of the the albums Mr. Eno had brought on the way as an executive producer and artistic director in the mid-seventies.The series was called „Obscure Records“ and tried to make bold connections between experimental, new classical and the contemporary pop culture. Like Gavin Bryars“ The Sinking of the Titanic / Jesus Blood Never Failew Me Yet, Brian Eno‘s Discreet Music, the wonderful first album of The Penguin Cafe Orchestra… Your album – though much more great sounding than those old treasures, would have fit brilliantly into Obscure Records, because it serves, too, as an invitation be seduced by strange atmospheres… What was the overall vision for this album (from start on or in retrospect)? Can it be perceived as an aural equivalent of Rebecca Solnit’s „A Field Guide To Getting Lost“, that book of essays (in a freewheelin‘ sense)? Best wishes, Michael!
Most wanted
It’s easy to imagine that there probably isn’t any music ever played by anyone, anywhere, at any time, from prehistoric hunters on the Eastern Steppe to whatever Kendrick Lamar, Billie Eilish or Nils Frahm are doing next, to which Don Cherry could not have made a worthwhile contribution. And the secret to that must have been his openness.
(Richard Williams)
Ihr kennt den launigen Spass mit dem Brief ans Unversum!? Manchmal kommt er wirklich an. Mein Dank an dieser Stelle auch an Michael Stelljes, Spezialist für desert island discs, dafür, mich an Paul Bleys „Ramblin‘“ erinnert zu haben. Grosse Musik findet ihre Hörer mit der Zeit!
Ein vollkommen Unbekannter?
Eben auf der großen Kinoleinwand James Mangolds A Complete Unknown angeschaut (in deutschen Kinos hat er albernerweise den „deutschen“ Titel Like A Complete Unknown). Der Film ist bzw. hat mir deutlich besser gefallen, als ich erwartet hatte. James Mangold ist im Allgemeinen nicht als großer Künstler bekannt, auch nicht als Autorenfilmer, eher als solider Handwerker, der jeden Stoff auf eine zugängliche bis gefällige Weise publikumsfreundlich zubereitet – und damit regelmäßig für die Oscar-Saison fit macht. Und auch A Complete Unknown ist erwartungsgemäß durch und durch konventionell und zudem ein solider Historienfilm – zwei Aspekte, die ich sonst nicht besonders mag, wenn ich ins Kino gehe. Doch davon abgesehen ist das Ganze sogar bemerkenswert weniger gefällig, als ich befürchtet hatte. Vor allem wird doch ein großer Fokus auf die Musik, auf die Songs gelegt, anfangs von Pete Seeger, Joan Baez und Woody Guthrie, dann aber auch auf den frühen Dylan. (Im Fall des Maria-Callas-Films Maria von Pablo Larraín hatte irgendeine Zuschauermeinung, die ich las, einen solchen erzählerischen Fokus auf gut ausgewählte Musikstücke letztlich als nachteilig ausgelegt, absurderweise.) Und sowohl damit als auch mit der inszenatorisch und schauspielerisch dann doch bemerkenswert und überraschend unsympathischen Darstellung der Filmhauptfigur Dylan macht der Film bei einer zweieinhalbstündigen Laufzeit keine großen Zugeständnisse an ein Mainstream-Publikum. Andererseits erklärt eben das auch ein wenig, warum Dylan selbst dem Film seinen „Segen“ gegeben hat, da er bekanntlich kein großer Fan von freundlichen Huldigungen seiner Person ist. Wenn man Dylan als Person vorher nicht mochte, wird man ihn nach dem Kinobesuch garantiert nicht sympathisch finden: Das macht der Film auf jeden Fall sozusagen richtig und wird dem Enigma damit gerecht.
Zudem werden etliche Figuren und Umstände, die heutigen jungen Menschen, zumal außerdem der Vereinigten Staaten, sicher kein Begriff sind, ausführlich erzählt: Die Figur Joan Baez hat ein wenig die etwas undankbare Rolle als attraktive Stichwortgeberin und Anhimmlerin der Hauptfigur; letztlich ist sie sogar die sympathischere Figur als Dylan; ihr Charisma vermittelt die Schauspielerin sehr gut, wenn die echte Joan sicher komplexer und weniger „nice“ war (wie man auch aus dem jüngsten autobiografischen, überaus sehenswerten Dokumentarfilm Joan Baez – I am a Noise entnehmen kann). Auch die Dylan-Freundin „Sylvie Rosso“, der man klugerweise nicht den echten Namen Suzie Rotolo gegeben hat, bleibt ein wenig unterkomplex als Dylans frühe große Liebe und wichtiger Einfluss in der New Yorker Kunstszene, wobei letzteres aber nur für Aufmerksame wirklich erzählt wird. Edward Norton allerdings füllt die in den USA bis heute kulturgeschichtlich legendär relevante Figur Pete Seeger oscar-reif mit Leben. Und Timothée Chalamet ist tatsächlich auch wirklich stark in der Hauptrolle, wie ich ihn bisher in keinem Film gesehen habe. Es ist sicherlich eine exzellente Regie-/ Besetzungsentscheidung, einen allgemeinen Sympathieträger in dieser schwierigen Rolle zu besetzen; sonst würde ein unvoreingenommenes Publikum vermutlich so eine Geschichtsstunde nicht knapp 150 Minuten lang durchhalten. Dafür sind viele Details in der Geschichte und der Figurenzeichnung eben doch sehr spezifisch für Musiknerds oder Menschen, die die 1960er noch miterlebt haben, sowie für den kleinen Kreis von Leuten, die sich für das doch recht spezifische Thema einer solchen Künstlerfigur und ihrer Nöte begeistern können. (Ich kann davon ein Lied singen…) Trotz der Laufzeit wurde mir keine Minute langweilig; ich hätte sogar eine ganze Serie mit diesem Material angeschaut, war fast traurig, dass es irgendwann zu Ende war.
Und dann sind da natürlich diese unfassbar großartigen Lieder, die das Ganze zusammenhalten. Denn der Film ist, ungeachtet des thematischen roten Fadens, der sich doch ganz wunderbar auch in Todd Haynes‘ ungleich kreativeren Dylan-Film I’m not there wiederfindet, dann letztlich eine große Verbeugung vor diesen Songs und ihrer bis heute bleibenden Relevanz, sowohl für die Zeitgeschichte (im Sinne eines Historienfilms über die frühen Sechziger), die Musikgeschichte (in Anbetracht des übergroßen Einflusses bzw. Wertschätzung, den/die Dylan bis heute bei 99% aller Songwriter genießt) als auch für die Kulturgeschichte im größeren Sinn. Große Klasse, wie Chalamet (und im übrigen auch die Tonmischung!) diese Songs zum Leben erweckt. Das ist alles andere als selbstverständlich.
„What can ordinary be“ (on a sunny afternoon)
Ich bin viel zu sehr am reinen Hören interessiert, um je ein besonderes Faible für Songvideos entwickelt zu haben, aber dieses ist eine Ausnahme von der Regel, ganz gleich, ob man Song und Bilder werkimmanent deutet oder biographische Fakten hinzuzieht. Als es mir noch vorschwebte, Deutschlehrer zu werden, interessierten mich beispielsweise die diversen Interpretationsverfahren, Herr Gadamer und der „hermeneutische Zirkel“ so sehr wie die Freuden der Konkrete Poesie (ich belegte Proseminare zu beiden Themen, und sehe noch heute Ernst Jandls „Laut und Luise“ auf meinem Nachttisch in Münster liegen, neben einer alten Tonbandmaschine mit vielen Leonard Cohen-Liedern und einer Sendung von Winfrid Trenkler über Soft Machine).
Auf jeden Fall ist Robert Forsters „Butterflies“, geschrieben mit ohne seine Lebensgefährtin Karin Bäumler, und dargeboten „at home“ mit Karin und einer aufmerksamen Katze im Garten (oh, Fusel klopft gerade ans Fenster und will eine kurze Sommerpause einlegen), ein Meisterstück, was filmische Inszenierung, Song und Lyrics betrifft. Mir erscheint es auch alles andere als weit hergeholt, hier eine Spur Ray Davies zu wittern (so wie mir bei einem Song von Alabaster DePlumes neuem Werk Schwingungen einer Platte von Donovan in den Sinn kommen namens „Wear Your Love Like Heaven“).
Einmal, als die beiden Go-Betweens mir gegenüber sassen, erzählte ich ihnen, wie ich ihr allerwrstes Album im Nördlichen Bayerischen Wald hörte, mit dem langen Song als Favoriten, und dass es nur ein Katzensprung von Grasfilzing nach Regensburg war, früh in den Achtzigern. Ich nannte „understatement and passion“ die „basics“ in ihrem Songbuch. So viele Jahre später jetzt. Hier, in diesem Song ist das wieder so eine spezielle Mischung: unendliche Nonchalance auf der einen Seite, das Dunkle, Unheimliche schimmert auf der anderen durch, genauso wie eine weiter zurückliegende magische Zeit: man kann es werkimmanent betrachten, Biografien als Folien drüberlegen. Selbst Lee und Nancy würden staunen und einen Sommerwein entkorken.
(m.e.)
The spirit of Emily Dickinson, other powerful ingrediences of „Manafon Variations“, and more – ein Interview mit Jan Bang und Erik Honoré
Michael: You and Jan were only in parts involved in the making of „Manafon Variations“, but your impact on some tracks was very strong. How do you see the place of this album in David Sylvian‘s work?
Erik Honoré: Looking back on Died in the Wool – Manafon Variations, I see it as an extension and deepening of the world Manafon created – a work that retains the starkness and unpredictability of the original, but introduces new layers of texture, arrangement, and atmosphere. While Manafon was characterized by its raw, almost documentary-like approach to improvisation, Died in the Wool reshapes and recontextualizes those elements, offering a more sculpted and immersive listening experience. The album highlights David’s ongoing willingness to revisit and reinterpret his work, allowing new voices and techniques to subtly shift its meaning.
Michael: As I remember, you and Erik found a deep source of inspiration in David Sylvian‘s solo albums from start on. Do you still return to them every once in a while, or is it so much in your visceral memory that it is more a living presence in your unconscious? And do you have a favourite album? Mine was always „Brilliant Trees“…
Jan Bang: After a performance at Cafe OTO last summer, Nina, my wife and I had a coffee in London with Yuka Fujii, David’s long time creative partner. She mentioned her favorite track, the title track from Brilliant Trees. It builds heavily on Jon Hassell’s work around that time of Possible Musics , Dream Theory in Malaya and Aka Darbari Java. David told me about the recording process and meeting Jon who was 15-20 years his senior. Having the vision of how the combination of the organ chords and Jon’s trumpet would be intertwined. I guess vision combined with a great deal of stubbornness is needed to come out on the other end of a recording session with something interesting. I love that track and the unusual combinations. David has a unique way of finding the right people at the right time. Then make something out of it.
Erik: Brilliant Trees was important to me when it came, as a transition from pop and surface to something more profound, but his third solo album Secrets of the Beehive has always been a particular favourite. I feel it represents the essence of all of David’s approaches and influences up until that point, in a distilled form. Natural, seamless and free, both musically, lyrically, and sonically. There’s a clarity to it, a kind of effortless depth, that makes it feel timeless. I do return to his early solo albums from time to time, but in many ways, they’ve become more of a „living presence in my unconscious“, as you say. Their atmosphere, their emotional and sonic landscapes, are so deeply ingrained that they don’t need to be consciously revisited—they just exist as a reference point, a shared language, a sensibility that still can be drawn upon in new ways.
Michael: There was a change of direction in David’s work with „songs“ that started with „Blemish“ and its remix album. Free improvisation, so-called „free jazz“ and other aounds beyond the mainstream entered his work up to „Manafon“ and „Manafon Variations“. For many listeners this was a watershed, like the one of Talk Talk when they made „Spirit Of Eden“ and „Laughing Stock“. On „Manafon“ David inspired a group of improvisors to build the foundation of the album with a series of free improvs. Afterwards he sang over carefully assembled parts of it. On „Manafon Variations“ the process was the other way round. His singing already existed and was to a great extent the starting point for finding new surroundings for the voice. Was this quite a creative challenge?
Erik: I wouldn’t describe it as a challenge so much as an inspiration, a „roadmap“ – something that provided direction rather than resistance. It was a cross between producing and creating that felt both familiar and inspiring, something that we had already explored in other collaborations with David, where I was more strongly involved than on on Manafon Variations. The process was very much about finding new landscapes for his voice, building something around his existing vocal performances.
That approach—creating a sonic world in response to his voice—was something we also did on Do You Know Me Now, where we constructed the arrangement around his guitar/vocal demo, and on Uncommon Deities, which had a spoken-word foundation. You are of course right: David’s shift toward free improvisation and more abstract forms of music, starting with Blemish, was certainly a turning point, as significant as Talk Talk’s transition from The Colour of Spring to Spirit of Eden—a leap into something raw, instinctive, and far removed from traditional song structures.
But while Manafon built its foundation from collective improvisation, Manafon Variations flipped that approach: His voice was already there, and the task was to build an environment around it. That process wasn’t about overcoming obstacles; it was about discovery, about allowing the music to emerge in response to something that was already present.
Michael: Let‘s come to two pieces you were involved in. One example: „A certain slant of light“. How did you approach the piece? At the last passage, there was this beautiful instrumental coda with Arve‘s trumpet.
Jan: This part was created using existing samples of Arve, performed on my sampler in the Punkt Studio. I’ve long since moved the studio location, but thinking of this piece I can clearly visualize the recording space. Performing these trumpet samples, turning them around, the sampler is a shapeshifter. Something that could not necessarily have been done by recording Arve Henriksen´s trumpet directly. Different techniques create different results.
Michael: Then there was this piece „I Should Not Dare“. The words by Emily Dickinson. In my review at the time i wrote, i could imagine this being a 20 minute track, it is so relaxed and condensed at the same time, rich in details and poetic impacts, „an index of pissibilites“ so to speak… Can you say something about the way this little thing grew to its kind of perfection…. And a memory of working on it (with the ghost of Emily Dickinson around…)?
Jan: We struck gold with that specific piece. Christian Fennesz had done a guitar overdub on David’s basic vocal/acoustic guitar recording and sent it to me. I added the surroundings: the sudden bass note, the synth sample I had from a concert with Ståle Storløkken, the strings etc that changed the harmonic structure in certain selected parts. It is very open in terms of „sound population» for the lack of a better word. It breathes.
Michael: Now „Manafon Variations“ received their first ever vinyl edition, as a double album. I think, what once was confusing the listeners‘ expectations (who wanted to listen more classic songs) today seems much more accessible, easier on the ear even for new listeners. It may be the last album of David, the singer, but it is surely not coming from the ivory tower. Do you agree?
Erik: I do agree. When Manafon and later Died in the Wool – Manafon Variations were first released, they challenged many listeners’ expectations. But over time, I think these albums have settled into a different place in his catalog, where their accessibility is no longer measured by traditional structures, but by the immersive quality of their soundworlds. Perhaps that’s a reflection of how our ears and expectations have changed, or maybe it’s just the natural way music finds its audience over time.
If this does turn out to be the last album of „David, the singer,“ it’s certainly not a work from an ivory tower. There’s too much humanity in it, too much presence and engagement with sound, with words, with the musicians he surrounded himself with. For me, the experience of collaborating with David Sylvian on various projects was never about making something remote or impenetrable—it was about responding to something deeply personal and expressive. And I think that’s why the music still resonates. It asks something of the listener, but it also rewards in ways that continue to unfold long after the first encounter.
Michael: Looking back, how was that teamwork with David going on in regards to the two pieces I asked you about? Fighting? Easy going?
Jan: Really easy going and given total freedom from David’s side to express ourselves. However, on a personal level I am most happy about the Emily Dickinson piece which is only based on small samples that form a mosaic of colors.Erik: The collaboration with David on Died in the Wool, and for me personally even more on Uncommon Deities, flowed very naturally. One of the things that made working with him so rewarding was the balance he struck between creative freedom and extremely precise feedback. He has this ability to provide razor-sharp, informed guidance—never imposing, but always illuminating. His comments are never vague; they are direct, insightful, and always about serving the essence of the music. That combination of trust and precision made the processes not just easy-going, but deeply inspiring. His approach isn’t about control, a „top-down“ approach, but about bringing clarity to the work—helping to shape and refine ideas without limiting their potential. That’s why these long-distance collaborations never felt like a struggle or a negotiation; they felt organic, like a conversation where each exchange moved the music forward in a meaningful way.
Michael: A last question. It is very impressive how David Sylvian explores the range between speaking and singing. I think, this adds to the magic very much. At one point, maybe on the last piece, he is even singing straight away, like in a song from the older days, but only two verses as a counterpoint…. On other tracks there is a very thin line between spoken word and singing….
Erik: David’s ability to explore the space between speaking and singing is one of the compelling aspects of his artistry. It’s a space where emotion is distilled, where meaning is heightened, and where the listener is drawn in by the sheer intimacy of his delivery. On Died in the Wool, there are moments where his voice almost slips into what we might call a “classic song” structure, only to pull back, reminding us of the deliberate tension he plays with. This ability to move fluidly between expressions adds to the magic, creating a sense of expectation and, at times, an almost ghostly presence. That same sensibility is something Jan and I have also encountered in our collaborations with Sidsel Endresen. We are so privileged. Sidsel, like David, has an unparalleled instinct for phrasing, tone, and texture—she can make a single, wordless syllable feel monumental. Both of them push the boundaries of what a voice can be, making every moment feel necessary.
Postscriptum: PARTS OF THIS INTERVIEW WILL FIND THEIR WAYS INTO KLANGHORIZONTE (DEUTSCHLANDFUNK) MARCH 27, 9.05 p.m. / That radio hour can be heard a week long after airplay at Deutschlandfunkfunk, and, at another place, forever and a day (but only, If the „5 hour production“ on March 26 will live up to my expectarions). Many thanks to Erik and Jan for entering memory lane and offering so much insights! Apart from this day within our blog diary, this conversation will be part of our monthly revelations in April. With a slightly changed sequence of photos and covers.
By the way, the last albums by or with Jan Bang and Erik Honoré can be found on Bandcamp and PUNKT EDITIONS incl. Erik‘s „Triage“, Jan‘s „Reading The Ear“, his duo album with Eivind Aarset titled „Last Two Inches of Sky“ (HERE an old radio hour with the two!) Sidsel Endresen‘s „Punkt Live Remixes, Vol. 2“ (LISTEN NOW!) or „The Bow Make“, a collaboration of Jan Bang and Daj Fujikura, the Japanese composer strongly involved in „Manafon Variations“. And HERE an old hour of Klanghorizonte with Erik‘s Triage album!
Eine ruhige, fesselnde Inszenierung
In der Ard Mediathek ist derzeit die beste deutsche Kriminalserie zu finden seit der zweiten Staffel der „Toten von Marnow“. Es beginnt wie ein „Allerweltstatort“, aber rasch merkt man, dass hier mit viel Diskretion, genauer Beobachtung, und einer grossartigen Nina Kunzendorf als Kriminaloberrätin, eine Ausnahme vom Mainstream zu erleben ist. Es menschelt nicht wie blöd, keine schrulligen Dienstleiter im Dauereinsatz.
Sowieso liegt der besondere Augenmerk auf der Spurensuche, der über einen langen Zeitraum sich ereignenden Spurensuche, der Erschöpfung des Teams. Sehr viel ist in kleinen Szenen zu erleben, der Humor so fein dosiert, dass er erstmals nach einer halben Stunde kurz in Erscheinung tritt. Und sich sowieso rar macht. Die Musik ist sensationell diskret, feingearbeitet, und ein zusätzlicher Anreiz der „Soko Sonntag“, wie einer der vier Teile getitelt ist, beizutreten.
Der grosse Fehler und Abzug in der B-Note beim zweiten Teil der „Toten von Marnow“, war, dass es am Schluss in Teilen unglaubwürdig inszeniert und geplottet wurde, etwas „over the top“ (anders als bei Staffel 1). Auch war der Soundtrack etwas zu grell. All das ist bei „Spuren“ wunderbar austariert.
Und einen kleinen Mundartkurs bekommen wir bei „Spuren“ kostenlos dazu geliefert. Aber keine Sorge, „pascht scho!“ Aber, ähem, sind wir da in der Gegend von Lauenburg im Hessischen oder Badischen? Egal. Leises grosses Kino. Based on true events. Ja, und ab und zu leiser Humor, zum Beispiel in der Szene mit Ermittler Bernd und dem Apfelkuchen von Muttern!
Ich kann dem Soundtrack gar nicht hoch genug loben. Es lohnt sich, wenn man die Serie sieht, zwischendurch auf das alustische Beiwerk zu achten, das hier keine Gegenwelt öffnet, keine zweie Story erzäht, aber sehr, sehr fein die jeweilig herrschenden Stimmungen auslotet, erweitert, vertieft.
(„Kleine Welt!“, möchte ich da ausrufen. Ein erhellender neuer Kommentar von Ingo macht uns mit der Region und dem Regisseur etwas vertrauter – bleibt die Frage, ob Ingo auch den Dialekt eimst beherrschte, als er dort einen Teil seiner Kindheit erlebte)
Thoughts about an interview in the making
Eine Weile, bevor David Sylvians „Manafon“ erschien, sprach ich mit dem Engländer über das Album, im hintersten Winkel eines Hotelflurs, neben schattigen künstlichen Pflanzen. ich hatte eine schwere Erkältung, und einen privaten Todesfall hinter mir, und wenn man als Journalist David Sylvian begegnet, trifft man in der Regel auf ein höfliches, sachliches Gegenüber – Herzlichkeit, funny stories, jede Form von Begeisterung, all das ist und war Mangelware bei meinen drei Treffen mit Sylvian. Auch bei jenen anderen, zu denen ich in bester Laune aufbrach. Eine Zeitlang war mein Interview auf seiner Samadhi-Sound Seite anzuhören, irgendwann verschwand es. Damals galt es erstmal genau zu verstehen, wie es David Sylvian überhaupt anging, über radikal freien Improvisationen seine Gesänge zu entfalten, und der guten alten Tante Song ein frappierend anderes Design bereitzustellen. Innerhalb von zwei, drei Jahren kamen zwei Alben heraus: „Manafon“ und „Died In The Wool – Manafon Variations“.
Vor wenigen Wochen erschien letzteres erstmals auf Vinyl, als Doppelalbum. Neue Mitspieler und Ko-Komponisten, andere Landschaften für seine Stimme auf ihren Erkundungsreisen durch eine dunklere Welt. Ich fand es nach all der Zeit verblüffend, wie leicht und schwebend ich diesen „twin albums“ folgen konnte. Egal, wie „noir“ manche dieser Stunden wahrer Empfindungen daherkamen, etwas Erhebendes geselllte sich diesen „Song-Meditationen“ bei. Ich befragte nun Jan Bang und Erik Honoré zu ihrem Anteil an den Variationen, und wie sie die Musik von damals heute erleben. Auch im Hinblick auf die Klanghorizonte vom 27. März, für die ich ein oder zwei Stücke der „Variationen“ fest eingeplant habe. Es wird wohl das letzte Album von David, dem Sänger, gewesen sein. In Kürze dann hier, wenn alles klappt, das Frage-Antwort-Spiel. Und die gern ausgeprochene Einladung, „Manafon“ und „Manafon Variations“ wieder mal in Ruhe auf sich wirken zu lassen.