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Das vorübergehende Verschwinden der luziden Träume
Obwohl Sylv und ich in unserer Traumgruppe einen neuen Anlauf unternahmen, wieder vermehrt luzide Träume zu haben, sind wir vorerst gestrandet. Seit den 1960er Jahren wurde die Fähigkeit, im Traum volles Bewusstsein über den Traumzustand zu gelangen und bei vollem Bewusstsein in dieser „anderen Realitätsebene“ zu handeln, wissenschaftlich erforscht.
1982 stiess ich zum ersten Mal auf luzide Träume, als mein letztes Jahr im Bayerischen Wald dem Ende entgegenging. In der Folge kehrte ich zu den luziden Träumen zurück, in Gruppen, Lektüre Vorträgen (tägliche Übungen, und nachts vor der letzten langen Traumphase sowieso, und Professor Tholey lernte ich im Frankfurt persönlich kennen und schätzen) – selbst Brian Eno bat mich mal um einen Crashkurs zum Thema (unvergesslich meine Session mit Brian in einem Park bei Maida Vale incl.eines mich attackierenden Wespenschwarms!)…
Wer bei manafonistas oder flowworker bei „Suchen“ „luzide Träume“ oder „Klarträume“ eingibt, wird etliche Stories und Selbsterfahrungen finden. Meinen letzten tiefgehenden luziden Traum hatte ich vor bald zehn Jahren, kurz nach einem Flaming Lips-Konzert in Berlin. Am Schluss dieses bewusstseinserweiternden Trips ohne Drogen hörte ich aus einem Recorder (im luziden Traum) einen brandneuen Brian Eno-Song, und da meine kritische Urteilskraft voll auf der Höhe war, erkannte ich dass dies ein absolut originelles und tolles Stück war, das bestens auf „Before and After Science“ gepasst hätte. Die genaue Analyse des Vortages machte klar, was da alles getriggert wurde. Aber seither – so gut wie nichts mehr. Ende Gelände!
Die Story kennen die meisten hier, und warum komme ich wieder drauf? Unser neuer Flussarbeiter Bernhard erzählte mir von seinen sehr speziellen Erlebnissen nach einem Flaming Lips-Konzert – vielleicht wirft er sie einmal in die Runde. Offensichtlich braucht es kein LSD, um nach den Lips in einen besonders empfänglichen Zustand „between the worlds“ zu geraten – eine besondere Story allemal war das, über die Auswirkungen, die ein Konzert oder das Hören eines Albums mit sich bringen können, unter besonderen Umständen. Bei Mojo gibt es eine spezielle Rubrik dafür: „A Record That Changed My Life“.
Man muss es nicht ganz so hoch hängen, jeder weiss, was damit gemeint ist. Unerwartet tief berührt hat mich zuletzt Steve Gunns CD / LP „Daylight Daylight“. Wer weiss, wie die Empfindungen, Erinnerungen, Seligkeiten, die sich mit dem Hören kurzgeschlossen haben, ihre dezenten „Marker“ setzen, bei Tagträumereien, und gerne nachts, wenn sich die klassische Frage des luziden Träumers stellt: „Träum ich oder wach ich?“ Sylv, sollten wir unsere Traumgruppe reaktivieren?! Wir hatten uns dabei ja vorgenommen, nachdem dir die berühmte Platte vom Buena Vista Social Club so unheimlich gut gefallen hat (es klang, als wären sie leibhaftig im Raum), einmal „Yoshimi Battles The Pink Robots“ von den Flaming Lips in Surround zu hören! Some little things (stories, sounds) change everything….

Es ist gleich 16.00 Uhr. Ich habe die 5:1-Surround-Fassung von „Yoshimi“ vorbereitet. Eine heisse Tasse Ovomaltine, die lightwhow der Lips ersetze ich durch Verdunkelung der Vorhänge und Kerzenlicht. Heute beginne ich wieder mit meinen Übungen. Ich denke, noch in diesem Jahr werde ich von ein, zwei, drei luziden Träumen berichten. Dieses fantastische Album der Flaming Lips möge meinen ersten luziden Traum triggern! Safe journey!Daylight, Daylight
„Laughter in shadows
Where you used to stand
With all of us around
Particles bright
In my letter of light
Scattered the sea
The fools, they agree
It‘s all we knowIch habe mich oft zu einer Musik hingezogen gefühlt, in der vermeintlich nichts passiert, und doch so viel. Als ich das Album erstmals hörte, um das es hier geht, war ich auf Anhieb verblüfft. Zu wenig war ich mit den Alben dieses Singer / Songwriters vertraut, um zu beurteilen, ob sich diese Art von Liedern schon früher bei ihm angedeutet hatten: nichts Zupackendes, Riff-Betontes , eher ein durchgängig verhaltendes, impressionistisches Flair, dem sich die ruhige, nie verschwommene Stimme bestens zugesellt. Orchestrale Klangfarben kommen ins Spiel, aber dermassen subtil und dezent, dass aufmerksames Lauschen die einzige Chance ist, dieser Musik nahezukommen. Als Vergleiche werden in Besprechungen hier und da Bert Jansch, Talk Talk und John Martyn ins Feld geführt, ich würde noch M. Ward nennen, was den leichten Rauch in der Stimme angeht – und wenn diesem wunderbaren Liederzyklus ein Thema zueigen ist, dann „traveling“. Auf jeden Fall wird es die Nummer 8 meiner Jahresendliste sein. Beim Hören wird man, wenn man nicht ratzfatz das Interesse verliert, sanft in das Gewebe dieser Songs hineingezogen, und haben sich die Ohren einmal auf die diskrete Art der Soundmalerei eingelassen, sind es die kleinen Ereignisse im Panorama, die unsere Aufmerksamkeit erregen. Die lyrics leisten das ihre, um uns auf all diesen Reisen und Momentaufnahmen zu begleiten. Steve Gunn hat mit „Daylight, Daylight“ ein fabelhaftes Album fabriziert, u.a. mit James Elkington und einer gewissen Macie Stewart an seiner Seite, die auch Alabaster DePlume auf seiner letzten Tour begleitete. „Bevor der Film dir erklärt, was er bedeutet, ist die Geschichte völlig falsch und wird es vielleicht auch immer bleiben“, singt Gunn an einer Stelle und weist damit diskret auf die Sinnlosigkeit hin, nach Anzeichen für einen großen Plan zu suchen, wenn doch die unmittelbare Gegenwart alles ist, was wir haben. HIER der Auftakt! „Now come along, keep on / Distance is growing / We’re nearly there…“ (einen Satz aus Sharon O‘Connors „Hin-und-weg“ Uncut review habe ich hier einfliessen lassen, aber nicht diesen hier: „This is music that slowly pitches around on a rolling sea, or swoops in hazy air.“)
Afterglow: „Toward the end of the recording process, he revisited that song he’d recorded late at night in his kitchen. It reminded him somehow of the famous story about Neil Young sitting by a fireplace and recording “Will to Love” in a single take in 1976. He called the song “Daylight” at first, until Elkington suggested doubling the title. “And I was like, ‘That’s the name of the record,’” Gunn says. “Rebirth, beginning again, letting some daylight come into the darkness. It all just clicked.”“
It’s not a bug, it’s a feature
Manchmal denke ich: wie schade, dass ich nie irgendwo auch mal Filmeinführungen machen darf, wie das viele Kollegen in Kinos bei Vor-, Neu- oder Wiederaufführungen machen (und dann sogar noch dafür bezahlt werden). Ein Film, der mir vorab gar nicht danach aussah, nach dem ersten Schauen dafür umso mehr für eine persönliche Einführung meinerseits, wäre dieses neue, wohl erste „Biopic“ über eine bestimmte Phase und einen Wendepunkt in der Laufbahn von Bruce Springsteen.

Der Titel kommt (im Film selbst) in einem sehr springsteen-typischen Schriftzug in großen, amerikanisch designten Lettern daher: SPRINGSTEEN – ergänzt um den Untertitel „Deliver me from Nowhere“, was ebenso gut der Name eines seiner Alben hätte sein könnte. Die Besprechungen zum Film sind zumeist recht verhalten, und so hatte ich nicht viel erwartet. Allerdings musste ich dann feststellen, dass der Film aus anderen Gründen verhalten aufgenommen wird, als ich dachte. Hier ein Beispieltext, in dem einiges als kritisch vermerkt wird, was doch letztlich positiv zu verbuchen ist – wenn man eben nicht das Konventionelle und Erwartbare im Kino will.
Ich habe mir den Film also angesehen, mit verhaltenen Erwartungen. Und obwohl die verlinkte Analyse irgendwie schon richtig ist, finde ich es seltsam, dass diese Punkte als „Fehler” dargestellt werden, obwohl sie offensichtlich alle beabsichtigt waren. Wenn man sich den Film ansieht, merkt man, dass er sicherlich nicht für ein möglichst großes Publikum gedacht ist wie Bohemian Rhapsody oder Rocketman. It’s not a bug, it’s a feature. Ich war tatsächlich überrascht, dass der Film viel subtiler und interessanter war, als ich erwartet hatte. Gerechnet hatte ich mit einem okayen Film im typischen Arthouse-Mainstream-Stil. Geboten bekam ich aber eine klug gedachte und fein inszenierte Geschichte über künstlerische Schaffensprozesse, über Depression und darüber, wie das Macho-Image, das Springsteen schon damals zugeschrieben wurde, so gar nicht zu seinen eigenen Ansichten, Ansprüchen und Ambitionen als Mann und Künstler passte. „Deliver me from Nowhere“ erzählt eine wirklich ehrliche und offene Geschichte darüber, sich selbst treu zu bleiben, gegen alle inneren und äußeren Kräfte. Und damit kann ich sehr viel anfangen.
Teils kann man wohl einwenden, dass es teils ein wenig unentschieden ist zwischen fein und leise erzähltem Autorenfilm und typischem Arthaus-Mainstream; so ist die Filmmusik an zwei, drei Stellen etwas emotionalisierend, die Auflösung der Vatergeschichte schrammt auch am Kitsch, und ein bis zwei zentrale Nebenfiguren sind vom Drehbuch sehr stark als Erklär-Bären eingesetzt, gerade so, als wären es die „O-Töne“ oder „Talking Heads“, die die nachgestellten, fast dokumentarisch gemeinten Szenen des persönlichen und kreativen Ringens im Rückblick noch einmal für alle im Publikum sauber erklären. Aber diese – sicher auch nachvollziehbare – Unschlüssigkeit hält sich dann doch in Grenzen. Und so möchte ich fast sagen, in dem Film verbirgt oder versteckt sich eigentlich ein anderer.
Dramaturgisches Gerüst im Zentrum der Geschichte ist eine ganz interessante, auch ungewohnt –aufrichtig und ernst – erzählte Männerfreundschaft. Auch darüber hinaus scheint mir sehr interessant, wie dieser Film von Männerbildern und Männerrollen erzählt. Es geht ja, wie man aus dem Trailer und der ersten Szene im Film sofort erkennt, um Bruce Springsteens Beziehung zu seinem Vater — und darum, wie die Erziehung, die Kindheit und in diesem Fall im Besonderen das Verhältnis zum Vater einen Mann prägt, und was man daraus macht, zum einen als Künstler, in einer künstlerischen Form, zum anderen was man biografisch daraus macht, in seinem Leben. Für sich genommen ein alter Hut.
Auf der erzählerischen Oberfläche geht es somit um künstlerische, kreative Prozesse und um den Schaffensprozess hinter dem Album „Nebraska“, und das macht der Film schon ganz gut und überzeugend: Man glaubt sofort, dass es wirklich so gewesen sein könnte, approved by Bruce Springsteen. Es geht darüber hinaus aber vielmehr um das Ringen der Hauptfigur mit bestimmten Fragen, die in eine recht lose, fast dürftige Story mit eher unspektakulären Konflikten eingebettet sind. Und so habe ich mich beim Schauen gefragt, wie es Leuten wohl geht, die mit Springsteens Werk und Biografie nicht so wirklich vertraut sind. Zuerst dachte ich, der Film müsste in diesem Fall total langweilig sein, weil sonst ja eigentlich nichts Sehenswertes erzählt wird. Zum einen haben Leute, die Springsteen kennen und den Film deshalb sehen wollen, sicher eine bestimmte Erwartungshaltung — auch wenn man gerade seit der Veröffentlichung seiner dicken Autobiografie und vielen anschließenden Interviews um seine Depression weiß und um sein Ringen um Selbstbild und dem Star-Image, für das er viele Jahrzehnte lang stand.
Doch was die Depressionen mit ihm gemacht haben, gerade auch im Kontrast zu dem markigen, männlichen Image, das er so lange verkörpert hat, hat Springsteen seither offen berichtet, ist daher für jene, die sich in den letzten Jahren einmal mit seiner Biografie befasst haben, keine Neuigkeit, Und doch finde ich bemerkenswert, wie dieser Film davon und von Männerfiguren in Amerika erzählt – und das auch unerwartet unaufdringlich tut. Dass der Film mit dem Versprechen, dass man jetzt ein – vom Protagonisten selbst autorisiertes – Biopic zu sehen bekommt, wirbt, aber uns dann letztlich einen Film über Männerbilder – auch über die Generationen und Zeiten hinweg sozusagen – und über einen „starken“ Mann, der sich eine Depression eingestehen muss, bietet, fand ich unerwartet. Und offenbar nicht nur ich, denn dieser sehr ruhige, ja bedrückte Film war kein Erfolg an den Kinokassen. Denn wer sollte ihn auch schauen? Für viele Springsteen-Fans ist all das kaum attraktiv für einen Kinobesuch, denn der Film bedient so gar nicht die „Big Star“- und „American Hero“-Geschichte; und Leute, die für Springsteen aufgrund seines Images ohnehin nicht gerade viel Interesse übrig haben, ja auch nicht. Beide würden eben einen anderen Film erwarten.
Daher ist es eben vielleicht gerade ein Film für jene, die mit derlei Erwartungshaltung gar nicht erst vorbelastet sind. Letztlich ist es ein viel kleinerer „Indie“-Film, als man erwartet, gerade auch im Zuge der vielen (sehr erfolgreichen und groß angelegten) Biopics über andere Stars der populären Musikwelt in den letzten Jahren, die stets klangvoll damit enden, dass der Star am Ende mit dem großen Erfolg aus der Krise hervorgeht. Wie es 1984 mit Springsteen weiterging, das wissen wir; der Film erzählt es aber nicht.
Organ at Noon
The Heinz Chapel, part of the University of Pittsburgh, boasts a Reuter organ built in 1995. Its more than 4,000 pipes are arranged at the front, right, left, back, and even on the ceiling, creating a kind of surround-sound effect depending on the instrument’s registration. The instrument also features electronic samples because some French works in particular go down into bass ranges that would require 32-foot pipes, which could not be accommodated spatially in the chapel.
Organist Pamela Shaw, who studied at the Lübeck Academy of Music with Walter Kraft and is currently assistant organist at St. Paul’s, played an interesting program spanning from the Baroque to the modern era:- Grand Choeur in B-flat major by Théodore Dubois,
- Dialogue sur les grands Jeux (Veni Creator Spiritus) by Nicolas de Grigny,
- Concerto No. 2 in A minor (after Vivaldi, BWV 593) by Johann Sebastian Bach,
- Aria from Leoni Variations by John S. Dixon,
- Deo Gracias by Joseph Willcox Jenkins.
Thirty minutes of organ recital at noontime—a great idea that should become a tradition.

Die Sache mit der explodierten Aussicht

Ich weiss noch genau, wie ich 1986 Steve Tibbetts‘ „Exploded View“ auflegte, und das Album genau das mit mir anstellte, was „Northern Song“ und „Safe Journey“ zuvor besorgt hatten: Hörrausch mit Horizont! Ich war fasziniert , wie da Gitarre und Perkussion etwa ganz Anderes gelang, als selige Erinnerungen an wilde Zeiten und Jimi Hendrix zu produzieren. Als ich Steve und Marc Jahre später traf, nicht lang, nach dem Album „Big Map Idea“, früh in den 1990er Jahren, waren sie zu meiner Überraschung gar nicht gut zu sprechen auf „Exploded View“. Jene Zeit wäre voller innerem Aufruhr, Wirrnis, Trennung und Tumult gewesen, und die zwei schienen, nach dem spannenden wie in-sich-rigenden „Grossen Landkarten Ideen“ in einem ganz anderen „mindset“ angekommen zu sein.

Das mag so sein, aber ich fürchte, die Entstehung von „Exploded View“, das Hören und Wiederhören dieses Albums, war einfach mit viel zu peinvollen Erinnerungen befrachtet, als dass sie der Schallplatte in wenigstens gelassener Halbdistanz begegnen konnten. Ich vermeinteluftige Weite zu erinnern, zartes Filgran, natürlich auch Wildnis und Feuer. Nun ist die Scheibe irgendwann aus meinem Archiv verschschwunden, und selbst die CD-Ausgabe finde ich nicht mehr. Also bestellte ich gestern ein Exemplar via Discogs aus den Niederlanden. Und wenn das eingetroffen ist, beginnt mein privates Steve-Tibbetts-Festival. Über zehn Tage (das Wochenende auf dem Dortmunder Weihnachtsmarkt ausgenommen) werde ich mir jeden Tag mir seine ECM-Alben der Reihe nach zu Gemüte führen, von YR (das erst später bei ECM wiederveröffentlicht wurde) bis CLOSE. Und wenn ich dann Steve für das Radioporträt am 22. Januar noch ein paar Fragen schicken sollte, wird gewiss eine über „Exploded View“ dabei sein.
Gary Bartz, Bilal, Adrian Younge (Heidelberg 07.11.2025)
Es sollte ein besonderer Abend werden…
Am späten Nachmittag treffe ich Martin, dem ich zuletzt im Sommer 2024 begegnet bin, in Karben, und wir machen uns auf den Weg nach Heidelberg. Dort angekommen, haben wir genug Zeit, um einen Blick durch die Glasfassade des Kongress Centers zu werfen. Auf den LED-Displays an der Wand, einige Meter von uns entfernt, ist der Zeitplan abzulesen.
Gary Bartz, Bilal und zum Abschluss Adrian Younge, jeweils für eine Stunde und mit eigener Band.

Da im Saal der Soundcheck noch nicht beendet ist und uns folglich der Zugang voerst verwehrt bleibt, wird es kurz nach dem Einlass sehr eng im Foyer. Was zu Gedränge und vereinzelt heftigen Wortwechseln führt. Nach 5 – 10 Minuten dürfen wir dann in den bestuhlten Saal und finden 2 Plätze, geschätzt Reihe 7-9. Ich schaue mir die skulpturenartigen Lautsprechersäulen an, und mir schwant nichts Gutes in punkto Klang. Wieviele Personen versammelt sind, ist schwer einzuschätzen, ich tippe auf etwa 1500.
Das Warten hat ein Ende, als Gary Bartz um 20:00 Uhr im Glitzer-Sakko die Bühne betritt, sichtlich gut gelaunt und bester Dinge. Das hält leider nur kurz an. Als der Pianist sein erstes Solo zum Besten gibt, wird klar, dass hier etwas nicht stimmen kann. Der Klang wirkt zerhackt, Verunsicherung und Ratlosgkeit zeichnen sich auf den Gesichtern des Quartetts ab. Ob Gary Bartz, der nun sehr ernst in den Raum schaut, die Setlist jetzt spontan anpasst, wird sein Geheimins bleiben. Er singt einen Blues über einen „bad man“. Bei dieser spontanen Doppeldeutigkeit kann ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. Das Klangbild wird allmählich besser und die Mienen der Protagonisten hellen sich wieder auf. Was wir jetzt erleben dürfen, kommt einer Reise in die Zeit gleich, als Gary Bartz noch ein junger Mann war. Tage später muss ich an eine wunderbare Blue Note–Doku denken: „it must schwing“. Und wie sie schwingen! Alfred Lion und Frances Wolff hätte das gefallen. Angetrieben von der famosen Rhytmusgruppe, hauen Gary Bartz und der Pianist ein großartiges Solo nach dem anderen raus. Was für ein grandioser Auftakt!
Bilal kann ich kurz abhandeln: not our cup of tea, wozu auch der schlecht abgemischte Sound beiträgt. Begleitet wird er von Gitarre( zu leise), E-Bass und Schlagzeug (zu laut). Nach 10 Minuten beschliessen wir, frische Luft zu tanken und die Umgebung nach günstigeren Getränkeangeboten zu sondieren. Frisch gestärkt kehren wir zurück und tauschen uns mit der netten Frau zu unserer Rechten aus. Bilal klinge wie Prince, aber er sei nicht Prince. Das können wir so unterschreiben.
Endlich ist es so weit.
Einer der umtriebigsten Künstler der letzten 15 Jahre, und für mich der Mann der Stunde hat seinen großen Auftritt. Zunächst atmet Adrian Younge tief durch, ehe er erklärt, dass es ein heisser Abend werde. Seinen Bass nimmt er kurz ab, um sich seines Sakkos zu entledigen. Schon kurz nachdem die vielköpfige Band, ua. mit Viola, Violine, Saxofon, Trompete, loslegt, sinke ich glückselig mit einem Seufzer in meinen Stuhl. Es erklingt ein Song von einem der beiden mir bekannten „Something About April“-Alben. Funky psychedelic Soul, Blaxploitation-Sounds , Jazz, HipHop-Beats verschmelzen hier auf magische Art und Weise. Den Abschluss der Trilogie mit der Veröfentlichung von Part III im April feiert er nun auch mit seiner ersten Tournee in Europa. Es entwickelt sich ein hochenergetischer, mitreißender Set.
Adrian mit seinem extrem druckvollen Bass und der Drummer bilden ein Fundament, über dem sich ein wunderbarer Klangteppich entfaltet. Der wird maßgeblich von den fantastischen Musikerinnen an den weiter oben erwähnten Instrumenten erzeugt. Die Saxofonistin und insbesondere die Trompeterin begeistern uns mit ihrer Power und treiben sich gegenseitig zu weiteren Höhenflügen. Zurecht bekommt die zuletzt genannte am Ende den stärksten individuellen Applaus. Mit Lauren Oden gesellt sich ein Sänger hinzu, der mich an Curtis Mayfield denken lässt. Der Funke springt recht bald über, der Saal kocht. Getragen von der Stimmung um ihn herum, entwickelt sich Younge im weiteren Verlauf zum charmanten Dampfplauderer, der das Publikum neckt und herrlich (selbst-)ironische Anekdoten erzählt.
Als er einen Song für den im März verstorbenen Roy Ayers ankündigt, wird es merklich stiller. Einen weiteren Wermutstropfen müssen alle schlucken, die realsieren, dass der Gitarrist schlicht nicht zu hören ist.Auch das Schlagzeug ist wieder zu dominant abgemischt, was aber angesichts der Gesamtperformance keine so große Rolle spielt. Mitternacht. Ende. Tosender Applaus, stehende Ovationen. 30 Minuten später verlassen wir Heidelberg, im Gepäck frisch signiertes Vinyl. In Karben trennen sich unsere Wege. Beide müssen wir noch für eine knappe Stunde durch nebliges Mittelgebirge, Martin in den Vogelsberg, ich in den Hintertaunus. Um 02:30 erreiche ich ermattet, aber glücklich, mein Zuhause.
Unsere alten Helden in jungen Jahren
Ich musste gestern daran denken, wie Rosato einst mit Freunden aus seinem Kronacher Hinterland nach Frankfurt fuhr, früh in den 1970er Jahren, um den „elektrischen Miles“ zu hören. Solche Erlebnisse mit dem „dark magus“ waren für viele aus meiner Generation Offenbarungen. Und auch all die Jungs an seiner Seite „learnt their lessons“ beim Altmeister, ob John McLaughlin, Keith Jarrett, Chick Corea, Dave Holland, Dave Liebman oder oder – die Liste ist lang, und zu ihr zählt auch Gary Bartz. Er erzählte vor ein paar Jahren, wie er zu diesem kleinen Zirkel stiess, und was für ihn Miles‘ wichtigste Lektion gewesen sei. HIER zu hören – und zu sehen: ein Auftritt einer dieser immer wieder das Personal wechselnden Formationen, nach Bob Marley 1979 ein weiterer kleiner Abstecher in eine grosse Zeit.

Bei solchen Zeitreisen geht es nicht um altersgerechte Nostalgie, vielmehr um V e r g e g e n w ä r t i g u n g. Der Schamane in uns kann sich hierhin und dorthin träumen, mit allen Sinnen. (Das Plakat vom Frankfurter Miles-Konzert schickte mir Rosato himself)
So kannte ich den Namen Gary Bartz allerbestens von seine diversen Aufnahmen jener Jahre: ob es beispielsweise die viel später erschienenen „Cellar Door Sessions“ waren oder „Live Evil“. Wer mich mal in meiner elektrischen Höhle besucht, dem spiele ich „Live Evil“ in der Quad-Version vor – eines meiner liebsten Surround-Alben, ein tollkühner Mix mit dem vorhandenem Material. Gary ist da äusserst präsent, sein Saxofonspiel ein Traum – uns Musikverrückten brannte sich damals die Namen auf Dauer ein, wenn wir sie im Kleingedruckten auf den Plattenhüllen ausfindig machten. Mtume, Pete Cosey, Michael Henderson, Reggie Lucas, Sonny Fortune usw. Heute, morgen oder übermorgen wird ein Flussarbeiter etwas erzählen, unter anderem von einem taufrischen Erlebnis mit Gary Bartz auf der Bühne. Lassen wir uns überraschen!
Anhang:
Great producers side by side, oder: „Kennen die Flaming Lips und die Butthole Surfers Joe Meek?“

Kurzer Ausblick auf den Dezember: in unseren „Monthly Revelations“ stelle ich im „Archiv“ „Madar“ vor, gerade erstmals als Lp (bzw. Doppelalbum) erschienen, in der „Luminessence“-Vinyl-Serie aus dem Hause ECM. Anouar Brahem, Jan Garabarek, Shaukat Hussain. 1992 aufgenommen in Oslo, 1994 erschienen. Und in der Abteilung „Prosa“ Jan Reetzes Portrait über „Joe Meek“. Die sich auf dem obigem Foto zu Mr. Meek gesellenden Flaming Lips haben unlängst Black Sabbaths „War Pigs“ gecovert. Das crazy! Aber es passt!Wim
Zu meinem Kurzbesuch in Bonn kam ich zwar pünktlich nach Zeitplan an, hatte mir dreieinhalb Stunden für die Wenders-Ausstellung in der Bundeskunsthalle eingeplant, stellte dann aber bei meiner Ankunft vor Ort fest, dass direkt gegenüber im Kunstmuseum gerade eine Retrospektive mit Werken von Gregory Crewdson stattfindet (wohl aus Wien herüber gewandert). Dass ich mir das entgehen ließe, stand außer Frage, und sei es nur für einen etwas beschleunigten Besuch. Wie oft kann man diese spektakulären Bilder schon im Original sehen? Und dann gleich noch als Karriere-Überblick!
Nach einer knappen Stunde, natürlich unverschämt kurz für die 70 gezeigten Werke des Bildkünstlers, für dessen Arbeit seit langem eher die Bezeichnung Regisseur als die des Fotografen passt, kam ich nicht umhin, zwei Bildbände zu kaufen, da die überraschend bezahlbar waren. Auch als Recherche für meine weiteren Überlegungen für einen Dokumentarfilm über einen Fotografen sicher von Nutzen.
„Was macht die Qualität eines Filmes aus? Natürlich gibt es objektive Qualitätsmerkmale, die man auch sehen lernen kann. Vor allem aber ist ,Qualität' eine subjektive Wahrnehmung. Ein Film kann den einen begeistern oder berühren und die andere eben gar nicht. Das mag damit zu tun haben, dass wir in Filmen oftmals unser eigenes Leben reflektiert sehen, dass wir uns aus den unterschiedlichsten Gründen mit einzelnen Figuren identifizieren, oder dass Filme Wünsche oder Sehnsüchte in uns wecken können, von deren Existenz wir bis dahin keine Ahnung hatten. Am besten lässt sich erkennen, wie gut ein Film (für uns) war, wenn er noch lange in uns nachklingt, wenn wir uns an den Film oder an Szenen des Films erinnern, als wären es unsere eigenen Erfahrungen, als wäre der Film ein Teil unseres Lebens geworden ..."



Also blieben mir noch zweieinhalb Stunden für Wenders, direkt gegenüber, und das schien mir noch bei den ersten Ausstellungstücken auch eine gut ausreichende Zeit zu sein, doch wird die Ausstellung, je weiter man durch sie hindurchgeht, immer zeitverlangender. Man trifft auf viele sehr gut kuratierte Filmausschnitte und beeindruckend umfangreiche Materialien aus Wims Laufbahn: etliche Gemälde aus seiner Frühzeit, die vielleicht nicht weltbewegend sind und denen man ihre Einflüsse auch deutlich ansieht, die allerdings zumindest ich zuvor aber nie gesehen hatte, unzählige Recherchematerialien von allen möglichen Projekten vom Debütfilm Summer in the City bis zum bisher letzten, Perfect Days, Fotografien in allen vorstellbaren Größen und Qualitäten, Arbeitsfotos, private Stücke und Einblicke in seine Inspirationen und Einflüsse … usw.…. dann gibt es auch ein paar 3D-Filme zu sehen, die man sonst kaum einmal zu Gesicht bekommt und von denen ich nicht einmal wusste… es gibt vier von Wenders eigens für diese Ausstellung editierte Multikanal-Installationen, die vielleicht nichts eigentlich Neues bieten (doch, ich entdeckte unter den vielen verarbeiteten Ausschnitten einen Filmtitel, von dem ich wohl noch nie gehört hatte), aber in der Neuanordnung und vor allem der monumentalen Größe und der dazu editierten Musik doch beeindruckend sind – darunter eine wilde Collage zum Thema Fahrten und Reisen zur Musik von Canned Heat.



Und dann gibt es am Ende auch noch zahlreiche Drehbuch-, und Arbeitsseiten zum Lesen, nebst Briefkorrespondenzen mit Leuten wie Willy Brandt, Nick Cave, Lou Reed… einen Darstellervertrag mit Gorbatschow (In weiter Ferne, so nah), Original-Drehbücher aus Wims Studienzeit, von teils verschollenen Filmen, weitere Nebenwerke wie ungewöhnliche Werbefilme und einen Kurzfilm zum 80. Jahrestag der Kapitulation (auch im „Zeit“-Podcast angesprochen), alles in Form von Bildschirmen mit Kopfhörern, Interviews… und einiges mehr… ich konnte am Ende dann doch nicht mehr alles ordentlich betrachten, durchlesen und anhören, diese vielen Materialien in den unmittelbaren Schreib- und Vorbereitungsprozess konnte ich leider nicht mehr ausreichend betrachen (und mein Smartfon hatte längst keinen Akku mehr, um noch etwas abzufotografieren) und wurde um 18 Uhr als letzter aus den Ausstellungsräumen hinauskomplimentiert. Daher habe ich sogar vergessen, wenigstens einen Blick auf die große Wand mit den Trophäen zu werfen. Nur den Goldenen Löwen habe ich im Vorübergehen gerade so gesehen.



Wenn die Ausstellung in wie auch immer veränderter Form im nächsten Jahr nach Frankfurt wandert, muss ich wohl noch einmal hin. Wie man auch zu diesem oder jenem einzelnen Film von Wenders stehen mag, der unglaubliche Reichtum allein seines Kinoschaffens und der von ihm (und ggf. Kameraleuten) geschaffenen Bilder ist wohl in dieser Form und Fülle ohne Vergleich. Ein großes, vielschichtiges Werk sondergleichen, quer durch die Jahrzehnte und Themenabschnitte auch von Wim selbst kommentiert, so zum Beispiel hier über Orte und Amerika im Speziellen und über das Reisen.
