Uncategorized

  • Percussion Paradise

    „The use of electronics and processing throughout the record adds a subtle shimmer. Echo, delay and saturation are used not to distance the listener but to deepen the atmosphere. These effects serve as a kind of golden thread, binding the natural and synthetic, the ancient and the modern, the individual and the collective. Like in Kintsugi, what might have remained separate is made whole, its joins not hidden but celebrated.“ (bandcamp on Simon Popp: Trio)

    Damals, als wir jung und schön waren, und manche noch gar nicht auf der Welt, gab es eine drums only-Platte, die mich jedesmal in wirbelnde Strudel und Rhythmusgewitter hineinzig und über zweimal zwanzig Minuten nicht mehr losliess. Es war das Projekt des Drummers Klaus Weiss, der auch zu Klaus Doldingers Zirkeln zählte. Unter seiner Regie und dem Namen Niagara enstanden drei Alben, und das erste Opus höre ich heute noch gerne: wundervoll melodische Trommelmusik voller raffinierter Brüche, und trancetechnisch unwiderstehlich.

    Was für ein Cover! Aber wieviele reine Perkussionsalben haben uns über die Zeiten in ihren Bann gezogen: bei „Niagara“ blieb es bei diesem ersten grossen Streich, bei dem übrigens ein gewisser Udo Lindenberg mittrommelte – die beiden Nachfolger waren fusion der langweiligsten Art. Gerade die Neue Zeitgenössische Klassik bietet reine Perkussionsensembles in grosser Zahl, aber gerade bei diesem Genre der allgegenwärtigen Trommelei bleibt die grosse Frage: wie tief geht solche Musik auf Dauer, ohne zu ermüden?

    Pierre Favres „Singing Drums“ etwa sind grosse Klasse! Die Gefahr sich schnell abnutzender Effekte ist natürlich gross – der Mensch braucht kein showdrumming. Nun hat sich das Simon Popp Trio aufgemacht, ein reines Perkussionsalbum zu fabrizieren: drei Schlagwerker, jeder Track so kurz wie eine Single. Der erste Eindruck ist: famose Musik. Minimalistisch, nie geschwätzig, ruhig inszeniert. „Trio“ heisst es schlicht. Die Sache mit der Langzeitwirkung wird sich noch weisen müssen. Aber eines haben Simon und seine Gefährten schon mal realisiert: eine wunderbare Luftigkeit! HIER eine stimmlich wie sprachlich gewitzte Besprechung des Vorgängeralbums „Bliss“ von Kristin Amme!

  • “Aftermath“ & „Rubber Soul“ – ein Hoch auf Norman Maslov

    Norman M. ist nahezu der einige „Talking Head“, dessen Videos ich mir sehr gerne und regelmässig ansehe. Ich prüfe kurz, ob mich das Thema interssiert, and then I let it flow. Letzte Woche entdeckte ich durch ihn eine alte Scheibe von Tim Buckley, „Greetings From L.A.“ aus dem Jahre 1972. Olaf und ich hörten neulich in meiner Höhle eine Schallplattenseite von Tims „Happy Sad“ und wir waren unisono verzaubert. Norman hat eine ruhige sehr angenehme Art zu erzählen, verbindet klug Musikhistorie und Privates, ohne jede Art von Aufgesetztsein.

    Ich bin gespannt, was er zu den beiden Alben der Beatles und Stones erzählt, und poste sein Video, ohne es zuvor angesehen zu haben, I trust this guy! Je älter man wird, desto mehr bleibt man bei den Platte, oder kehrt zu ihnen zurück, die nicht aufhören, uns an andere Orte zu transportieren. Als Teenager war „Aftemath“ eine meiner ersten Platte. Der Musikkriiker in mir war schon damals schon hellwach:) – ich liebte etliche Songs, einige fand ich leider etwas mau. Mit 10, 111 oder so, Rubber Soul ist grossartig, „bis auf wenige Songs“ – hören wir, was Mazzy dazu erzählt! Ich hoffe er sieht das anders, dann sind wir im Gespräch:)… (m.e.)

  • Die besten Filme des Jahres, die ich nicht gesehen habe (ranked)

    „Musik hat eine seltsam emotionale Kraft“, schreibt Bettina Dunkel, und fährt fort: „Ein Song kann glücklich und traurig zugleich machen, kann in vergangene Zeiten zurückführen und ein Hörerlebnis zaubern, das niemand sonst auf dieser Welt empfindet – weil es von persönlichen Erinnerungen und Gefühlen geprägt ist. Kein Wunder also, dass manche Menschen alles dafür geben würden, ihre lang aufgelöste Lieblingsband noch einmal live zu hören. So wie Charles, die Hauptfigur der bittersüßen Tragikomödie „The Ballad of Wallis Island“.“

    Es ist leicht, die Liste meiner Lieblingskinofilme des Jahres zu benennen, als da wären „One Battle After Another“ (endlich gesehen, Olaf, auf supergrosser Leinwand!), „“Köln 75“ (eine fein Hommage an eine alte Zeit (die Mitt1970er), und ein paar besondere Typen, und ein tolles Album), „A House Full Of Dynamite“, Christian Petzolds neuen Film. Und, nicht zu vergessen, „The Brutalist“. Der Favorit von allen: das Dylan-Epos „A Complete Unknown“. All diese Filme haben mich mitgerissen, an den Stuhl gefesselt, berührt und / oder tief beeindruckt. Aber wie ist es mit den Filmen, die mir entgangen sind? Ich sah Trailer, huschte über oder verschlang Besprechungen… und here it comes, the strange list of the best movies of 2025 I didn‘t see. (Ich denke, „I‘m still here“ ist der Film hier, auf den sich alle Flussarbeiter einigen könnten, eine Reise in ein von der Junta leidvoll beherrschtes Brasilien! Wo kann ich ihn nur sehen?! Bei dem Plakat könnte man an eine Latino-Version der Waltons denken, aber Freunde des Südens, der Film wird unser Herz brechen.

    1. The Ballad of Wallis Island 
    2. I‘m Still Here 
    3. Steve
    4. When The Light Breaks
    5. Tornado
    6. The Seed Of The Sacred Fig
    7. In die Sonne schauen

    Richard Williams über THE BALLAD OF WALLIS ISLAND (amazon prime, bluray): „Anscheinend hat der Film unter der Regie von James Griffiths etwas mehr als eineinhalb Millionen Dollar gekostet. Es sollte viel mehr Filme dieser Art geben: bescheiden in Umfang und Ausmaß, formal ungewagt, aber intelligent, witzig und gut gemacht, ohne sich an eine bestimmte Nische zu richten.“

  • Buddenbrooks & Co.

    (English version here!)

    Sagt einem Thomas Mann heute noch etwas? Soll man diese alten Kamellen wirklich noch lesen? 

    Die Weimarer Zeit und besonders ihre Kabarettszene interessiert mich seit je, damals wie heute. Neben Altmeister Tucholsky war Klaus Mann einer der wichtigen Impulsgeber. Seinen Roman „Mephisto“, 1936 im Exil geschrieben, musste ich schon der Verfilmung von 1981 wegen lesen (Regie: István Szabó; Oscar für „Best Foreign-Language Film“; Brandauer spielte darin wie immer Brandauer). In den Cafés rund um die Uni war der Film ein Dauerthema, den wir immer wieder diskutiert haben — da der Roman ja als „Schlüsselroman“ galt, erzeugte er jede Menge „Wer-ist-wer?“-Spekulationen, und man stieß auf Namen, die kaum noch jemand unterzubringen wusste. Ich, als an Kabarettgeschichte Interessierter, kannte etliche der Namen. Über die historischen Unebenheiten des Romans sahen wir damals großzügig hinweg; ein lesenswertes Buch über einen Karrieristen, der sich selbst in die Falle geht, ist „Mephisto“ allemal.

    Und da ich dann schon bei Klaus Mann war, mussten „Treffpunkt im Unendlichen“ und „Der Wendepunkt“ folgen; letzteres Buch ist unverzichtbare Lektüre, wenn man sich für die politische und gesellschaftliche Situation der Ära interessiert — es ist erschreckend aktuell, aber weniger klatschsüchtig als Florian Illies (dem es in seinen Büchern wohl mehr auf den Unterhaltungsfaktor ankommt). 

    Mit Klaus war ich dann schon mal im Kraftfeld der Mann-Familie. Man kommt schwer heraus, wenn man mal drin ist. Denn auch „Der Untertan“ von Heinrich Mann erwies sich als fesselnde Entdeckung — und das, obwohl wir den auch schon Jahre vorher im Deutschunterricht besprochen hatten. Aber da kam es wie meist in solchen Fällen: Literaturexegesen im Schulunterricht sind eine ziemlich sichere Methode, einem auch die besten Werke zu vermiesen. Die Wiederentdeckung jedoch belehrte mich eines Besseren: „Der Untertan“ ist eine großartige Geschichte. (Es gibt auch eine meisterliche Verfilmung von 1951 in der Regie von Wolfgang Staudte.)

    Und so bin ich dann letzten Endes auch auf den Herrn Papa selbst gestoßen — keine Ahnung, in der wievielten Auflage dieses Werk von 1901 inzwischen erschienen ist, aber dies hier ist die Taschenbuchausgabe, die ich noch immer im Regal habe:

    Auch diesen Roman muss ich als Student zu lesen begonnen haben. Da bin ich mir ziemlich sicher, denn ich kann mich daran erinnern, dass es mir auf die Nerven ging, wie Thomas Mann jeden Kerzenhalter und jeden Kniff in jedem Sofakissen bis hinein in winzigste Details beschreibt. Ob ich die 759 Seiten damals bis zu Ende durchgelesen habe? Ganz ehrlich, ich weiß es nicht mehr.

    Nun wollte aber der Zufall, dass ich vor einiger Zeit anlässlich Thomas Manns 150. Geburtstag in der ARD-Mediathek auf den Dreiteiler Die Manns — Ein Jahrhundertroman (2001, Trailer) von Heinrich Breloer und Horst Königstein stieß. Wie diese beiden das auch in anderen Produktionen schon gemacht hatten, kombinieren sie in dieser (wie man heute sagen würde) „Miniserie“ nachgespielte, manchmal auch fiktionale, Szenen mit Originaldokumenten aus dem Leben der erweiterten Mann-Familie. Da kommen sie alle vor, Thomas, Klaus, Heinrich, Erika, Golo, Katia, Monika, Elisabeth, Frido, die Pringsheims, Gustaf Gründgens (alias Mephisto), kurz: der ganze Clan, das Ganze in exzellenter Besetzung, und ein spannendes Stück Zeitgeschichte sowieso.

    Dies wiederum brachte mich zu „Deutsche Hörer!“, der von Mely Kiyak herausgegebenen vollständigen Sammlung der Radioansprachen, die Thomas Mann ab 1941 von Los Angeles aus via BBC nach Deutschland schickte.

    Unbedingt lesenswert. Man staunt, mit welcher Wucht, mit welcher Präzision und gleichzeitig mit welcher Hellsichtigkeit Thomas Mann die Naziherrschaft zersägt. Da bleibt kein Stein auf dem anderen. (Heißer Tipp nur: das Ganze nicht in einem Rutsch durchlesen, sondern eine Ansprache pro Tag.)

    Thomas Mann also doch. Aber noch hatte ich die unendlich vielen, nervenden Kniffe in den Sofakissen nicht vergessen. Waren die nicht immer noch im Weg?

    Es kommt darauf an, wie man die Geschichte liest. Diesmal habe ich „Buddenbrooks“ wirklich von der ersten bis zur letzten Seite gelesen, und nach anfänglicher Widerborstigkeit der Story bin ich zunehmend in ihr versunken. Der Untertitel „Verfall einer Familie“ zeigt, was zu erwarten steht: Es geht um eine zunächst wohlhabende Lübecker Kaufmannsfamilie und ihren sich über vier Generationen hinziehenden Untergang, beginnend 1835, bis die Geschichte 1877 in Pleite, Krankheit und Tod endet. Thomas Mann schrieb vier Jahre an dem Buch. Er kannte das Milieu, über das er spricht. Natürlich ist es keine Dokumentation, aber etliche der Personen haben reale Vorbilder; in Teilaspekten der Figur Hanno taucht Thomas Mann sogar selbst auf.

    Die mir vorliegende Fassung folgt in Rechtschreibung und Grammatik den Regeln des Jahres 1901, und auch, wenn dies anfangs ein wenig irritiert, erweist es sich letztlich doch als richtig. 

    Auch ohne den Untertitel ahnt man recht bald, dass hier keine Erfolgsgeschichte erzählt wird. An der Oberfläche erfährt man eine Menge über die Lebensverhältnisse der Menschen jener Jahre, man lernt ihre Gewohnheiten, ihre Schicksale, ihr Handeln, ihre (meist kleinen) Erfolge kennen, ebenso auch ihr Versagen im Rahmen der Möglichkeiten, die ihnen zur Verfügung standen. Thomas Mann beschreibt sie ebenso liebevoll wie meisterlich; nach einer Weile meint man sogar ihre Stimmen zu hören. 

    Liest man die Marotten, mit denen Thomas Mann seine Akteure ausstattet, hat man manchmal schon fast den Eindruck, ein modernes Drehbuch zu lesen: Er beherrschte schon damals die Tricks, seine Personen leitmotivisch wiedererkennbar zu machen, sei es durch Dialekte („Ick heww da nu ’naug von!“), bestimmte Redewendungen (“ … sei glöcklich, du gutes Kend“, zu welcher stets auch ein „knallender Kuss auf die Stirn“ appliziert wird. So wird jede Figur mit individuellen Gewohnheiten oder Eigenarten ihres Auftretens ausgestattet, etwa Antonie (Tony), die bei allen möglichen und unmöglichen Gelegenheiten immer wieder ihr Beharren darauf zur Schau stellt, „kein dummes Ding mehr“ zu sein und zu wissen, was sie „vom Leben zu halten“ habe. Die geradezu satirische Schilderung einer Lübecker Ratsversammlung könnte aus dem heutigen Bundestag stammen. Und doch fehlt jede Häme; Mann macht sich über keinen seiner Charaktere lustig, immer lässt er ihnen einen letzten Rest Würde.  

    Thomas Mann bedient die volle Bandbreite zwischen hochkomischen und todtraurigen Ereignissen, Erfolgen und Fehlschlägen; sein Gespür für das richtige Timing ist bewundernswert. Die meisten der geschilderten Ereignisse kann man herannahen sehen, ihre unvermeidlichen Konsequenzen folgen dann glashart, und der Autor geht mit seinen Charakteren alles andere als schonend um. Allerdings auch nicht mit dem Leser — insbesondere seine Schilderungen von Krankheits- oder Todesfällen gehen nicht selten bis an den Rand des Erträglichen.

    Das heißt nicht, dass es keine Schwerpunkte gibt. Thomas Mann hat auch Lieblinge, denen er größere Aufmerksamkeit widmet als anderen — Tony sei als Beispiel genannt, ebenso das verhinderte musikalische Wunderkind Hanno Buddenbrook, an dessen Beispiel Mann in einer Art Exkurs das elende Schulsystem der damaligen Zeit schildert. (Tatsächlich spricht Thomas Mann in diesen Abschnitten offenkundig über seine eigene Schulzeit, die purer Horror gewesen sein muss. Diese fallen ein wenig aus dem Rahmen der Handlung, und doch kann man diese Episoden nicht weglassen, ohne dass der Geschichte ein wichtiger Farbton fehlen würde.) 

    Aber dies alles ist eigentlich noch nicht das Entscheidende; es ist nicht das, was diesen Roman und seinen Autor so herausragend macht. Thomas Mann geht es in seinem Schreiben nicht primär darum, wie man heute sagen würde, „Content“ zu liefern. Das tut er mit seinem breiten Bildungsspektrum sowieso, ganz nebenbei.

    Das Geheimnis liegt in Thomas Manns Schreibstil und der Art, wie er einem Architekten gleich einen Bauplan verfolgt. Ich habe während des Lesens zunehmend an den Aufbau einer Mahler- oder Bruckner-Sinfonie denken müssen. Da könnte man leicht versucht sein, zu sagen: Das hättste auch einfacher haben können, zum Beispiel als Klaviersonate oder als Streichquartett. Aber es geht eben nicht nur darum, ein paar Melodien passend zusammenzustellen, sondern eine Sinfonie arbeitet Leitmotive, Melodien, Stimmen, Variationen, Klangfarben, Tempi und Dynamikabstufungen aus bis in die letzte Verzweigung. Erst aus diesem Zusammenspiel ergibt sich das Gesamtbild. Nichts darf fehlen, auch wenn man den Sinn vielleicht nicht sofort erkennt. 

    Eine Sinfonie in dieser Weise zu hören erfordert geistige Mitarbeit, aber die zahlt sich aus. Auf das Tempo und den langen Atem der „Buddenbrooks“ muss man sich einlassen wollen. Die Zeit muss man sich nehmen. Diese Geschichte ist ein sinfonisches Gesamtkunstwerk; jeder Satz hat hier seine Bedeutung und seinen Sinn, aber er erschließt sich erst in der Gesamtschau. „Buddenbrooks“ ist ein klingender Kosmos.

    Man ist das heute vielleicht nicht mehr gewohnt. Ein Grund mehr, in diese Geschichte einzutauchen. Man kommt als veränderter Leser wieder heraus.

  • First Moonbeams of Adulthood

    Neues von Claypipe Music, London. Mit einem Groove, der an Cymande erinnert, und einem E-Gitarren-Motiv, das der goldenen Ära von ECM würdig ist, schimmert „First Moonbeams of Adulthood“ mit vielschichtigen Trompeten, einem Streicherteppich und dem Auftrieb des Sopransaxophons. Subtile Veränderungen in der Textur, gebrochene Melodien und geflüsterte Vocals führen das Stück durch eine Atmosphäre, die sowohl aufregend als auch zart wirkt. Es bietet einen leuchtenden ersten Einblick in Andrew Wasylyks mit Spannung erwartetes neues Album, das im Frühjahr 2026 erscheinen soll.

    The track

    Musik von Andrew Wasylyk wurde in den Klanghorizontem in diesem Jahr gleich zweimal vorgestellt. Die Sphären dieser neuer Komposition liessen mich seltsamerweise von einem perfekten Soundtrack zur Verfilmung von Sherlock Holmes Kurzgeschichten träumen. Als Kind oder gerade in jugendlichen Jahren angekommen, verschlang icb in Grossen Ferien die kleinen Taschenbücher aus dem Heyne-Verlag, in denen über etliche Bände Sir Arthur Conan Doyles‘ Kriminalgeschichten versammelt waren, auf dem Cover immer auch Sherlocks Pfeife, in deren Rauchblasen die Titel der short stories aufleuchteten. Das obige Stück passt wunderbar zu solche Stimmungen, in denen das Unheimliche auf das Scharfsinnige stiess. Träumen und Mitfiebern, Mitdenken waren gleichermassen gegenwärtig. Etwas von diesem, aus Gegensätzen entstehendem Charme, öffnet sich auch in Andrews Musik! (m.e.)

    Radio Hour with Andrew Wasylyk, Paul Bley a.o.: H E A R !

  • Die Fellfarben eines Fuchses (eine Januarstunde 2026 im Deutschlandfunk)

    „Tibbetts morphs from one register to the next, swapping terrains with the ease of a fox changing the color of its fur without even thinking. The seasons are his compass, trudging through the underbrush as winter approaches. The delicate patter of canine footsteps is audible now and then, marking the forest floor with rhythms older than all of us put together.“ (Tyran Grillo on Close)

    Close

    Die frühen Jahre:
    Yr
    Northern Song
    Exploded View

    Ruhepol und Abenteuer:
    Big Map Idea

    Die Wildnis:
    The Fall Of Us All
    A Man About A Horse

    Die Einkehr:
    Natural Causes
    Life Of

    Close

    “Close is like a dark Rothko painting on fire. The love of life, the losses. Honestly, this album breaks my heart.” — Flowworker.org

    Über den Titel kann man noch reden, aber dies sind die fünf Stationen („Kapitel“) meines Steve Tibbetts-Porträts im Januar 2026. Es beginnt und endet mit seinem jüngsten Streich „Close“. in seiner Anthologie „Hellbound Train“ gibt Steve Tibbetts auf zwei Cds einen fesselnden Überblick über seine mal dem Meditativen, mal dem Exstatischen zugewandten Welten. Es gibt nur eine bessere Reiseoption: jedem Album persönlich zu begegenn, ear to ear,, mind to mind. In einer langen Radionacht würde ich all seine Alben vorstellen, in 54 Minuten und 38 Sekunden folge ich allein den ECM-Jahren. Safe journey!

  • “Around You Is A Forest“


    Thomas Morgan’ debut album, Around You Is a Forest (Loveland Music), reveals a dimension of Morgan’s artistry long hidden from public view: his lifelong engagement with computers, programming, and hacker culture. The record is built around WOODS, a virtual string instrument Morgan designed in SuperCollider, an open-source software environment for real-time audio synthesis and algorithmic composition. WOODS evokes the sound of plucked and struck string instruments — West African lute-harps, Asian zithers, the Hungarian cimbalom, marimbas — while operating according to generative code that Morgan shaped into a living, evolving instrument.

    Jeder Titel ist ein Duett zwischen WOODS und Dan Weiss (Tabla), Craig Taborn (Keyboards, Feldaufnahmen), Gerald Cleaver (Schlagzeug), Henry Threadgill (Flöten), Ambrose Akinmusire (Trompete), Bill Frisell (Gitarren), Immanuel Wilkins (Altsaxophon) und Gary Snyder (Gesang). Morgans erste Erfahrungen mit dem Programmieren machte er bereits in seiner Kindheit in Hayward, Kalifornien. Sein Vater, ein Professor für Informatik, machte ihn mit Spielen wie „Where in the World Is Carmen Sandiego?“ und „Myst“ bekannt – und brachte ihm dann bei, wie man hinter die Kulissen schaut. „Als ich ihn fragte, zeigte er mir, wie man eine SimCity-Datei in Hexadezimalcode bearbeitet, um die Stadtkasse aufzubessern“, erinnert sich Morgan. „Zu verstehen, wie die Dinge tatsächlich funktionierten, eröffnete mir eine ganz neue Welt.“

  • Hubert, das I Ging, und „objets trouvés“

    Manchmal begegnet man bei Konzerten oder hier bei den „Flussarbeiten“, Menschen, die einen selbst lange kennen (medial), ohne dass man oder ich in diesem Falle je zuvor von ihnen gehört habe. Einiges brachte mich in der folgenden Mail zum Schmunzeln. Hubert managte mal einen Musikclub im Hinterland, in der Zeit zwischen der zweiten Hälfte meines Studiums in Würzburg, und meiner Zeit als Gruppentherapeut in Furth i.W. – da bin ich aber gespannt, wo dieser Club lag. Meine Lieblingshinterlandclub war das To Act in der Fränkischen Schweiz (Weißenohe), wo ich 1980, unvergessen, Robert Fripp and The Leagug of Gentlemen erlebte.

    Und als ich dann endgültig selber zwei Jahre im deutschen Niemandsland wohnte, in Arnschwang und Bergeinöden, da waren meine treuen Gefährten, neben der Musik als Seelennahrung, und einer Handvoll guter Freunde, die Schafgabenstengel, mit denen ich öfter ein meditatives Ritual durchführte, um Antworten auf ein paar drängenden Fragen zu erhalten. Abseite aller Mystifizierung tat es mir sehr gut denn die Aussagen des alten chinesischen Weisheitsbuches hielten inspirierende Dinge bei, um Blokaden meines Unbewussten auszuhebeln.

    Durchaus ein wenig vergleichbar mit Brian Enos „Oblique Strategies“, ein Kartenspiel, das stets griffbereit lag. Einmal, unendlich verliebt, griff ich in den Stapel und zog die Karte „Into The Impossible“. Wie wahr. Es waren damals die Pionierjahre der Kognitiven Verhaltenstherapie bei der Behandlung von Alkoholkranken und Medikamentenabhängigen. Am Ende meiner Zwit dort war ich einem Liebeskummer verfallen, der dem des jungen Werthers nahekam. Jedes Aufwachen über Wochen eine qualvolle Begegnung mit dem Verlust der Angehimmelten. Der Stoff für eine zweihundertseitige Erzählung (ich suche dafür noch ein sponsoring in Höhe von 30000 Euro, kein Witz.) in dem kleinen Roman würden sie alle Protagonisten vorkommen, und meine damals besten Freunde, Hansjörg, Gudrun, Uwe. Und Ralf im Hintergrund war auch ein Netter (mein ECM-Experte im Nördlichen Ausläufer des Bayerischen Waldes). Hier ein Foto des Hauses, links, mir frischem Weissanstrich, in dem damals die Schafgarben flogen und „Remain In Light“ (nomen est omen) von den Talking Heads zu einem survival kit zählte.

    Hallo Michael,

    ich heiße Hubert Mania, bin Autor und Übersetzer, 71 Jahre alt. Ich kenne deine Sendungen von Anfang an, habe die Manafonistas ein paar Jahre verfolgt und lasse mich nun auch von euch Flussarbeitern zu musikalischen Entdeckungen anregen. Zwischen 1977 und 1982 war ich Mitinhaber eines Jazz- und Rockclubs auf dem Land: ne Dorfkneipe mit Disco und Konzertsaal.

    Neulich erwähntest du in einem Beitrag en passant deine Beschäftigung mit Schafgarbenstengeln, und ich glaube, ich habe da vielleicht eine Anregung für dich. Meine Erlebnisse mit dem I Ging habe ich 1984 aufgeschrieben und dabei den mit objets trouvés funktionierenden Zugang zum Buch der Wandlungen beschrieben. Hier kommt jetzt gleich ein kleiner teaser aus dem sachte redigierten 18seitigen Text, den ich per PDF mitschicke. Kein Stress: Ich werde keinesfalls nachfragen, weil ich mir vorstellen kann, dass du gar keine Zeit für so was hast.

    Herzliche Grüße,

    Hubert

    P.S. Es gibt auch eine poetische Hochrechnung des I Ging zur Bundestagswahl 1980. Franz Josef Strauß war gegen den Eisernen Kanzler angetreten. Als einzige Kneipe im Ort durften wir unsere Landfreak-Disco als Wahllokal zur Verfügung stellen. Während in der ARD der angenehme Bariton von Rudolf Rohlinger die ersten Hochrechnungen bekanntgab, brachte ich den Wahlhelfern gerade eine neue Runde Bier und Kurze. Sie hatten die Stimmen schnell ausgezählt und die Lokalhonoratioren gaben auf den überwältigenden Sieg der CDU im Dorf einen aus.

    Beim Abräumen der nassen Bierdeckel fiel mir als Erster einer in die Hände, auf dem die Zahlenkombination 32/34 stand, vermutlich die inoffizielle Notierung der Erst- und Zweitstimmen für die SPD im Dorf. Ich brauchte nicht im I Ging nachzuschlagen, denn diese Bilder kannte ich: 32 ist die Fortdauer und 34 die Macht des Großen Mannes. Und das gaben auch zwei Stunden später die vorläufig endgültigen Hochrechnungen des Herrn Rohlinger bekannt: Die Fortdauer der Macht des Großen Mannes. Helmut Schmidt blieb Bundeskanzler.

    (Hubert Mania hat mir einen überarbeiteten Text zu „I Ging und objets trouvés“ zur Verfügung gestellt, den ich gerne auf Anfragen zusende. Ausserdem scheint Hubert guten Humor zu besitzen, ein feines Gespür für das Fantastische Im Alltag, und sowieso gut schreiben zu können… bahnt sich hier, neben Bernard aus Limburg, die Ankunft eines weiteren neuer „Flusswerkers“ an. Ich sollte mal wieder die Schafgabenstengel rausholen!)

  • „Reisenahrung“

    Spätestens, als ich damals „Safe Journey“ (1984) kaufte, war meine Verbindung zur Musik von Steve Tibbetts besiegelt. Als ich heute in aller Frühe zu jenem Flughafen fuhr, der Brian Eno auf die Idee seiner auf andere Art unerschöpflichen „Music For Airports“ (1978) brachte, hörte ich nach längerer Zeit mal wieder „Safe Journey“ , und die Musik klang so frisch und unverbraucht wie einst. (m.e.)

  • Die Gesänge einer Laute

    „Jeder, der Davy Graham oder Sandy Bull mag, wird daran große Freude haben.“ Das merkt Richard Williams an zu der „Music for archlute and chitarrone“, solo vorgetragen von Rolf Lislevand auf seiner neuen Cd „Libro primo“. Obwohl die „liner notes“ der Historie und den Geschichten dieser Lautenmusik des 16. und 17. Jahrhunderts ausführlich nachgehen, ist ein kleiner „Crashkurs“ in Sachen Lautenmusik gar nicht erforderlich, um sich in dieser Musik zu verlieren. In einer alten, zu einem Studio umgebauten Scheune im Süden Norwegens, ringsum nur Wald, entstand diese fliessende, in-sich-versunkene Musik. Der Trick beim Hören besteht darin, über die flüchtige Wahrnehmung hinauszugelangen, dass diese alten Stücke doch sehr ähnlich klängen. Es gibt den Kipppunkt des Lauschens, an dem einem die immense Vielfalt bewusst wird, der Zauber im Detail, die emotionale Leichtigkeit und Tiefe all dieser Lieder ohne Worte. Kaum ein Song in diesen Wechselspielen von Erzlaute und Chitarrone überschreitet die klassische Kürze einer guten alten Pop-Single: alles erscheint so transparent wie klar umrissen, und schon damals war es eine Kunst, blossen Zierat zu verbannen und strenges Regelwerk auszuhebeln. Es gibt weitere zwei imaginäre Freunde von „Libro primo“, die mir auf Anhieb einfallen: Bert Jansch und John Renbourne!