• “The Beacons“

    „Wenn Sie die Gelegenheit haben, in die Beacons zu reisen (die vor kurzem in den walisischen Bannau Brycheiniog National Park umbenannt wurden), sollten Sie sie nutzen, denn es ist eine spektakuläre Region, die während der letzten Eiszeit durch schiere Kraft in dramatische Formen gemeißelt wurde. Wenn Sie dazu nicht in der Lage sind, keine Sorge: Vic Mars und Clay Pipe haben es uns, auf ihre Weise, ermöglicht. Wie man es von einer Clay Pipe-Veröffentlichung erwarten würde, stammt die Grafik von Frances Castle und ist äußerst stimmungsvoll. Diejenigen, die mit dem Sound von Vic Mars vertraut sind, werden sich wie zu Hause fühlen: Die Retro-Instrumentierung hat eine wissende Naivität, die an seine fröhlichen Curriculum for Schools and Colleges-Alben erinnert (wenn Sie wie ich ein Fan sind, werden Sie vielleicht erschrocken feststellen, dass diese 2012 und ’13 erschienen sind – vor einem Jahrzehnt!) Das soll aber nicht heißen, dass sich sein Sound nicht weiterentwickelt: Hier ist der Moog besonders präsent und sorgt für Momente echter Dunkelheit.“ (Garth Brook)


    Es begann alles damit, dass ich auf Clay Pipe Music aufmerksam wurde, dank einer Kurzkritik jenes Albums in „Electronic Sound“, das ich am 27. März in den Klanghorizonten vorstellen werde, „Ash Grey And The Gull Glides On“, von Tommy Perman und Andrew Wasylyk. Danach entdeckte ich ein Soloalbum von Andrew, und kurz darauf „Stagdale“, Frances Castles dreiteilige „graphic story“ – und nun zwei soeben neu aufgelegte Werke von Vic Mars und Cate Brooks. Auf Cate komme ich demnächst zu sprechen, momentan läuft „The Beacons“ meinen Cd-Player heiss. Ein Absatz aus der obigen Besprechung aus „A Closer Listen“ mag als Eimstimmung genügen, sich einmal in den „Beacons“ zu verlieren! Natürlich hört man diesem Album die Historie elektronischer Software an, vom alten Onkel Moog bis sonstwohin, aber wie hier folkloristische Elemente in elektronische Sphären gewandelt werden, ist auf abenteuerliche Weise „reizend“. Ganz zu schweigen von der Liebe zum Detail, sowie den verspielt wie gekonnt verschwimmenden Grenzen zwischen dem Nostalgischen, dem Sehnsüchtigen, und dem Unheimlichen! (m.e.)

  • Atempause und Horizonte

    six album covers, six sleeves of desire.
    six landscapes of sound, six places to be transported to.
    six choices, which is the place you wanna live in?

    Ich stromere, streife. Ich durchforste und springe hin und her. Ich sitze still. Ich stöbere durch die Seiten des Fotobuches „Time Passes Slowly“, das Teil der edel gefertigten Schatzkiste „Another Self Portrait (1969-1971) – The Bootleg Series Vol. 10“ beiliegt. Bob Dylan zuhause mit Hund und Gitarre, im Studio, quiet days, eine Phase des Driftens, nach einer Serie von „milestones“, nach dem Skandalgriff zur elektrischen Gitarre, nach seinem Motorradunfall. „Self Portrait“ wurde damals meist verrissen, und wie so oft, erkannten viele erst dann eine spezielle Qualität, als es von den riesigen Erwartungen entkoppelt wurde, die mit ihm, schon lange kein „complete unknown“ mehr, einherhergingen. Ich mag einige Lieder mehr, einige weniger, das eine und andere Juweil mischt sich ins Bootleg. Dieses Fotobuch hat es mir besonders angetan, denn da trifft man Dylan in einer Zwischenwelt an, einen Mann, der sich ins Private zurückzieht, Freude empfindet am Alltag jenseits des grossen Geschehens.

    „Time passes slowly“ – in den kommenden vier Tagen muss das komplette Skript der Klanghorizonte“ stehen, der Redakteur braucht meinen Stoff zum Redigieren, vor seiner Reise nach Berlin. Ich habe heute noch Jans O-Ton zu „Manafon Variations“ bekommen, zwei Stunden lang aus den frisch eingetroffenen „audio files“ von Marcie Stewart einen OTON für die Stunde zusammengestellt und übersetzt, ich bin eine kleine Bergrunde gelaufen, habe nun unter den ersten Teil des Skript einen Haken gemacht, die Zeitmarker gesetzt, in Dylans „coffee table book“ gestöbert.

    Die Zeit vergeht langsam und wie im Flug. Mein Freiraum, mein Herumstöbern, mein „lazy afteroon“, und da fällt mir gleich Mark Doyles toll geschriebenes Buch über die Kinks ein, denen er sich so facettenreich nähert, wie es einem versierten Historiker möglich ist, und der darin der tiefergelegten Dynamik von Ray und seinen Gesellen auf die Spur kommen möchte, in der Welt, die sich ihnen damals auftat. Ich bin noch im Eröffnungskapitel; nach seinem jüngsten Büchlein über John Cales „1919“ ist Mr. Doyle eine echte Entdeckung. Und die Kinks sowieso für mich ein gefundenes Fressen.

    Also, wunderliche Stunde des Nichtstuns. Lass mal die Märzhorizonte fallen bis morgen, und beginne mit den ersten freien Assoziationen zum übernächsten Mal, im Mai. Von ECM wird es dann wohl einen Titel geben, für mich das schönste Album, dass Bennie Maupin je als Leader gemacht hat, „The Jewel In The Lotus“. Und morgen landet die neue Scheibe von Geir Sundstol im Postkasten, einmal mehr aus dem Haus Hubro. Unlängst bekam ich zum Streamen und Runterladen ein spannendes Projekt aus dem Reich der langem Schatten, die Don Cherry immer noch wirft. Die Erforschung eines archaischen Steinkreises mit alten Instrumenten von Don und Moki, aus ihren Jahren in Schweden.

    Und wie passend es da wäre, auch jene geniale Platten des Taschentrompetenmagiers zu spielen, die nach 1971 nie wieder auf einen Tonträger gepresst wurde, die „Relativity Suite“. Das fügt sich sogar nahtlos ins Umfeld von Bennie Maupins Meisterstück: nie aus dem Kopf ist mir die Erinnerung des Perkussionisten Adam Rudolph gegangen, der als Jugendlicher Zeuge im Schaltraum war, als Bennies Platte in New York aufgenommen wurde, ja, genau, dieser Adam Rudolph von „Hu! Vibrational“, sowieso einer der grössten Fans von Don Cherry unter der Sonne. Atempause und Horizonte. Wer neue Alben entdeckt, die einen besonderen Zauber entfachen, und die zwischen Ende März und Mitte Juni erscheinen, von Drag City bis Nonesuch, von Red Hook bis Punkt Editions, von Intakt bis Clay Pipe Music und Frederiksberg Records, möge Laut geben. No hurry, time passes slowly!


    Green Cosmos? Das Besondere dieses mir bislang unbekannten Albums aus dem Jahre 1983, das schon seinerzeit nur privat in kleiner Auflage gepresst und vertrieben wurde, ist keinesfalls eine unerhöre Mischung von Stilen. Manches ist hier vertraut als Anklang von Bill Evans bis MCoy Tyner, und das Quantum Kalimba reicht nicht aus, um der Zeit von damals voraus zu sein. Alle Jungs kannten ihren Coltrane, besonders die Quartett-Alben, und hin und weg waren sie nach eigenen Angaben von John Handys „Indo-Jazz“ namens „Karuna Supreme“, einer schönen Schwarzwald-Produktion des Labels MPS. Das Besondere ist gar nicht leicht auf den Punkt zu bringen, und beruht auf der immensen Spielfreude, die nie überdreht und stets massvoll bleibt, mit einer frappierenden Leichtigkeit des Ausdrucks. Ich hätte damals meine helle Freude gehabt, diesen gesammelten Unaufgeregtheiten zu folgen, und hole das nun gerne nach, dank einer weiteren Ausgrabung der Schatzjäger von Frederiksberg Records: „Abendmusiken“! Die Aufnahmequalität sehr fein, und dass die Jungs hier alles, was sie kennen, in die Stücke hineinlegen, und etwas von dem, was sie nicht kennen, bringt etwas Unerhörtes ins Spiel! Mojo vergibt vier Sterne, Downbeat drei, ich dreidreiviertel – eine wirklich fesselnde Entdeckung!

    (am 1. April ist die überarbeitete Fassung dieses Textes bei unseren „monthly revelations“ zu finden, in der Abteilung RADIO…. A propos, die BINGE-Rubrik verschwindet und wird durch TIME TRAVEL ersetzt. Gezeichnet, das FlowFlow HQ!)

  • The spirit of Emily Dickinson, other powerful ingrediences of „Manafon Variations“, and more – ein Interview mit Jan Bang und Erik Honoré


    Michael: You and Jan were only in parts involved in the making of „Manafon Variations“, but your impact on some tracks was very strong.  How do you see the place  of this album in David Sylvian‘s work? 

    Erik Honoré: Looking back on Died in the Wool – Manafon Variations, I see it as an extension and deepening of the world Manafon created – a work that retains the starkness and unpredictability of the original, but introduces new layers of texture, arrangement, and atmosphere. While Manafon was characterized by its raw, almost documentary-like approach to improvisation, Died in the Wool reshapes and recontextualizes those elements, offering a more sculpted and immersive listening experience. The album highlights David’s ongoing willingness to revisit and reinterpret his work, allowing new voices and techniques to subtly shift its meaning.

    Michael: As I remember, you and Erik found a deep source of inspiration in David Sylvian‘s solo albums from start on. Do you still return to them every once in a while, or is it so much in your visceral memory that it is more a living presence in your unconscious? And do you have a favourite album? Mine was always „Brilliant Trees“…

    Jan Bang: After a performance at Cafe OTO last summer, Nina, my wife and I had a coffee in London with Yuka Fujii, David’s long time creative partner. She mentioned her favorite track, the title track from Brilliant Trees. It builds heavily on Jon Hassell’s work around that time of Possible Musics , Dream Theory in Malaya and Aka Darbari Java. David told me about the recording process and meeting Jon who was 15-20 years his senior. Having the vision of how the combination of the organ chords and Jon’s trumpet would be intertwined. I guess vision combined with a great deal of stubbornness is needed to come out on the other end of a recording session with something interesting. I love that track and the unusual combinations. David has a unique way of finding the right people at the right time. Then make something out of it.

    ErikBrilliant Trees was important to me when it came, as a transition from pop and surface to something more profound, but his third solo album Secrets of the Beehive has always been a particular favourite. I feel it represents the essence of all of David’s approaches and influences up until that point, in a distilled form. Natural, seamless and free, both musically, lyrically, and sonically. There’s a clarity to it, a kind of effortless depth, that makes it feel timeless. I do return to his early solo albums from time to time, but in many ways, they’ve become more of a „living presence in my unconscious“, as you say. Their atmosphere, their emotional and sonic landscapes, are so deeply ingrained that they don’t need to be consciously revisited—they just exist as a reference point, a shared language, a sensibility that still can be drawn upon in new ways.

    Michael: There was a change of direction in David’s work with „songs“ that started with „Blemish“ and its remix album. Free improvisation, so-called „free jazz“ and other aounds beyond the mainstream entered his work up to „Manafon“ and „Manafon Variations“. For many listeners this was a watershed, like the one of Talk Talk when they made „Spirit Of Eden“ and „Laughing Stock“.  On „Manafon“ David inspired a group of improvisors to build the foundation of the album with a series of free improvs. Afterwards he sang over carefully assembled parts of it. On „Manafon Variations“ the process was the other way round. His singing already existed and was to a great extent the starting point for finding new surroundings for the voice. Was this quite a creative challenge?

    Erik: I wouldn’t describe it as a challenge so much as an inspiration, a „roadmap“ – something that provided direction rather than resistance. It was a cross between producing and creating that felt both familiar and inspiring, something that we had already explored in other collaborations with David, where I was more strongly involved than on on Manafon Variations.  The process was very much about finding new landscapes for his voice, building something around his existing vocal performances.

    That approach—creating a sonic world in response to his voice—was something we also did on Do You Know Me Now, where we constructed the arrangement around his guitar/vocal demo, and on Uncommon Deities, which had a spoken-word foundation. You are of course right: David’s shift toward free improvisation and more abstract forms of music, starting with Blemish, was certainly a turning point, as significant as Talk Talk’s transition from The Colour of Spring to Spirit of Eden—a leap into something raw, instinctive, and far removed from traditional song structures.

    But while Manafon built its foundation from collective improvisation, Manafon Variations flipped that approach: His voice was already there, and the task was to build an environment around it. That process wasn’t about overcoming obstacles; it was about discovery, about allowing the music to emerge in response to something that was already present.

    Michael: Let‘s  come to two pieces you were involved in. One example: „A certain slant of light“. How did you approach the piece? At the last passage, there was this beautiful instrumental coda with Arve‘s trumpet.

    Jan: This part was created using existing samples of Arve, performed on my sampler in the Punkt Studio. I’ve long since moved the studio location, but thinking of this piece I can clearly visualize the recording space. Performing these trumpet samples, turning them around, the sampler is a shapeshifter. Something that could not necessarily have been done by recording Arve Henriksen´s trumpet directly. Different techniques create different results. 

    Michael: Then there was this piece „I Should Not Dare“. The words by Emily Dickinson. In my review at the time i wrote, i could imagine this being a 20 minute track, it is so relaxed and condensed at the same time, rich in details and poetic impacts, „an index of pissibilites“ so to speak… Can you say something about the way this little thing grew to its kind of perfection…. And a memory of working on it (with the ghost of Emily Dickinson around…)?

    Jan: We struck gold with that specific piece. Christian Fennesz had done a guitar overdub on David’s basic vocal/acoustic guitar recording and sent it to me. I added the surroundings: the sudden bass note, the synth sample I had from a concert with Ståle Storløkken, the strings etc that changed the harmonic structure in certain selected parts. It is very open in terms of „sound population» for the lack of a better word. It breathes.

    Michael: Now „Manafon Variations“ received their first ever vinyl edition, as a double album. I think, what once was confusing the listeners‘ expectations (who wanted to listen more classic songs) today seems much more accessible, easier on the ear even for new listeners. It may be the last album of David, the singer, but it is surely not coming from the ivory tower. Do you agree? 

    Erik: I do agree. When Manafon and later Died in the Wool – Manafon Variations were first released, they challenged many listeners’ expectations. But over time, I think these albums have settled into a different place in his catalog, where their accessibility is no longer measured by traditional structures, but by the immersive quality of their soundworlds. Perhaps that’s a reflection of how our ears and expectations have changed, or maybe it’s just the natural way music finds its audience over time.

    If this does turn out to be the last album of „David, the singer,“ it’s certainly not a work from an ivory tower. There’s too much humanity in it, too much presence and engagement with sound, with words, with the musicians he surrounded himself with. For me, the experience of collaborating with David Sylvian on various projects was never about making something remote or impenetrable—it was about responding to something deeply personal and expressive. And I think that’s why the music still resonates. It asks something of the listener, but it also rewards in ways that continue to unfold long after the first encounter.

    Michael: Looking back, how was that teamwork with David going on in regards to the two pieces I asked you about? Fighting? Easy going?

    Jan: Really easy going and given total freedom from David’s side to express ourselves. However, on a personal level I am most happy about the Emily Dickinson piece which is only based on small samples that form a mosaic of colors.

    Erik: The collaboration with David on Died in the Wool, and for me personally even more on Uncommon Deities, flowed very naturally. One of the things that made working with him so rewarding was the balance he struck between creative freedom and extremely precise feedback. He has this ability to provide razor-sharp, informed guidance—never imposing, but always illuminating. His comments are never vague; they are direct, insightful, and always about serving the essence of the music. That combination of trust and precision made the processes not just easy-going, but deeply inspiring. His approach isn’t about control, a „top-down“ approach, but about bringing clarity to the work—helping to shape and refine ideas without limiting their potential. That’s why these long-distance collaborations never felt like a struggle or a negotiation; they felt organic, like a conversation where each exchange moved the music forward in a meaningful way.

    Michael:  A last question. It is very impressive how David Sylvian explores the range between speaking and singing. I think, this adds to the magic very much. At one point, maybe on the last piece, he is even singing straight away, like in a song from the older days, but only two verses as a counterpoint…. On other tracks there is a very thin line between spoken word and singing….

    Erik: David’s ability to explore the space between speaking and singing is one of the compelling aspects of his artistry. It’s a space where emotion is distilled, where meaning is heightened, and where the listener is drawn in by the sheer intimacy of his delivery. On Died in the Wool, there are moments where his voice almost slips into what we might call a “classic song” structure, only to pull back, reminding us of the deliberate tension he plays with. This ability to move fluidly between expressions adds to the magic, creating a sense of expectation and, at times, an almost ghostly presence.  That same sensibility is something Jan and I have also encountered in our collaborations with Sidsel Endresen. We are so privileged. Sidsel, like David, has an unparalleled instinct for phrasing, tone, and texture—she can make a single, wordless syllable feel monumental. Both of them push the boundaries of what a voice can be, making every moment feel necessary.

    Postscriptum: PARTS OF THIS INTERVIEW WILL FIND THEIR WAYS INTO KLANGHORIZONTE (DEUTSCHLANDFUNK) MARCH 27, 9.05 p.m. / That radio hour can be heard a week long after airplay at Deutschlandfunkfunk, and, at another place, forever and a day (but only, If the „5 hour production“ on March 26 will live up to my expectarions). Many thanks to Erik and Jan for entering memory lane and offering so much insights! Apart from this day within our blog diary, this conversation will be part of our monthly revelations in April. With a slightly changed sequence of photos and covers.

    By the way, the last albums by or with Jan Bang and Erik Honoré can be found on Bandcamp and PUNKT EDITIONS incl. Erik‘s „Triage“, Jan‘s „Reading The Ear“, his duo album with Eivind Aarset titled „Last Two Inches of Sky“ (HERE an old radio hour with the two!) Sidsel Endresen‘s „Punkt Live Remixes, Vol. 2“ (LISTEN NOW!) or „The Bow Make“, a collaboration of Jan Bang and Daj Fujikura, the Japanese composer strongly involved in „Manafon Variations“. And HERE an old hour of Klanghorizonte with Erik‘s Triage album!

  • Eine ruhige, fesselnde Inszenierung

    In der Ard Mediathek ist derzeit die beste deutsche Kriminalserie zu finden seit der zweiten Staffel der „Toten von Marnow“. Es beginnt wie ein „Allerweltstatort“, aber rasch merkt man, dass hier mit viel Diskretion, genauer Beobachtung, und einer grossartigen Nina Kunzendorf als Kriminaloberrätin, eine Ausnahme vom Mainstream zu erleben ist. Es menschelt nicht wie blöd, keine schrulligen Dienstleiter im Dauereinsatz.

    Sowieso liegt der besondere Augenmerk auf der Spurensuche, der über einen langen Zeitraum sich ereignenden Spurensuche, der Erschöpfung des Teams. Sehr viel ist in kleinen Szenen zu erleben, der Humor so fein dosiert, dass er erstmals nach einer halben Stunde kurz in Erscheinung tritt. Und sich sowieso rar macht. Die Musik ist sensationell diskret, feingearbeitet, und ein zusätzlicher Anreiz der „Soko Sonntag“, wie einer der vier Teile getitelt ist, beizutreten.

    Der grosse Fehler und Abzug in der B-Note beim zweiten Teil der „Toten von Marnow“, war, dass es am Schluss in Teilen unglaubwürdig inszeniert und geplottet wurde, etwas „over the top“ (anders als bei Staffel 1). Auch war der Soundtrack etwas zu grell. All das ist bei „Spuren“ wunderbar austariert.

    Und einen kleinen Mundartkurs bekommen wir bei „Spuren“ kostenlos dazu geliefert. Aber keine Sorge, „pascht scho!“ Aber, ähem, sind wir da in der Gegend von Lauenburg im Hessischen oder Badischen? Egal. Leises grosses Kino. Based on true events. Ja, und ab und zu leiser Humor, zum Beispiel in der Szene mit Ermittler Bernd und dem Apfelkuchen von Muttern!

    Ich kann dem Soundtrack gar nicht hoch genug loben. Es lohnt sich, wenn man die Serie sieht, zwischendurch auf das alustische Beiwerk zu achten, das hier keine Gegenwelt öffnet, keine zweie Story erzäht, aber sehr, sehr fein die jeweilig herrschenden Stimmungen auslotet, erweitert, vertieft.

    („Kleine Welt!“, möchte ich da ausrufen. Ein erhellender neuer Kommentar von Ingo macht uns mit der Region und dem Regisseur etwas vertrauter – bleibt die Frage, ob Ingo auch den Dialekt eimst beherrschte, als er dort einen Teil seiner Kindheit erlebte)

  • Thoughts about an interview in the making

    Eine Weile, bevor David Sylvians „Manafon“ erschien, sprach ich mit dem Engländer über das Album, im hintersten Winkel eines Hotelflurs, neben schattigen künstlichen Pflanzen. ich hatte eine schwere Erkältung, und einen privaten Todesfall hinter mir, und wenn man als Journalist David Sylvian begegnet, trifft man in der Regel auf ein höfliches, sachliches Gegenüber – Herzlichkeit, funny stories, jede Form von Begeisterung, all das ist und war Mangelware bei meinen drei Treffen mit Sylvian. Auch bei jenen anderen, zu denen ich in bester Laune aufbrach. Eine Zeitlang war mein Interview auf seiner Samadhi-Sound Seite anzuhören, irgendwann verschwand es. Damals galt es erstmal genau zu verstehen, wie es David Sylvian überhaupt anging, über radikal freien Improvisationen seine Gesänge zu entfalten, und der guten alten Tante Song ein frappierend anderes Design bereitzustellen. Innerhalb von zwei, drei Jahren kamen zwei Alben heraus: „Manafon“ und „Died In The Wool – Manafon Variations“.

    Vor wenigen Wochen erschien letzteres erstmals auf Vinyl, als Doppelalbum. Neue Mitspieler und Ko-Komponisten, andere Landschaften für seine Stimme auf ihren Erkundungsreisen durch eine dunklere Welt. Ich fand es nach all der Zeit verblüffend, wie leicht und schwebend ich diesen „twin albums“ folgen konnte. Egal, wie „noir“ manche dieser Stunden wahrer Empfindungen daherkamen, etwas Erhebendes geselllte sich diesen „Song-Meditationen“ bei. Ich befragte nun Jan Bang und Erik Honoré zu ihrem Anteil an den Variationen, und wie sie die Musik von damals heute erleben. Auch im Hinblick auf die Klanghorizonte vom 27. März, für die ich ein oder zwei Stücke der „Variationen“ fest eingeplant habe. Es wird wohl das letzte Album von David, dem Sänger, gewesen sein. In Kürze dann hier, wenn alles klappt, das Frage-Antwort-Spiel. Und die gern ausgeprochene Einladung, „Manafon“ und „Manafon Variations“ wieder mal in Ruhe auf sich wirken zu lassen.

  • Spiel mit dem Unbekannten – ein kleines Porträt von Paul Bley aus dem Jahr 1992

    DER LINK

    Dank des „Radiohoerers Henry“, und dank unserer Redaktionsassiatentin Martina Bedzent liegt nun der Link vor zu einer Ausgrabung aus den Archiven. Anno 1992. Als Einstimmung ein Text aus alten „Mana-Zeiten“:

    Herzlichen Glückwunsch, wenn Sie dieses Trioalbum besitzen, in knisterndem Vinyl,  mit Paul Bley, Bill Connors und Jimmy Giuffre. Sie haben eine Rarität in Händen, ein lang vergriffenes Stück Historie, einen kleinen Meilenstein. Ich bekam diese Platte, wenn ich mich recht entsinne, von Jazz by Post zugeschickt,  meinem Pasinger Stammlieferanten für aufregenden Jazz in den 70er und frühen 80er Jahren. Carol Goss hat das Cover mit schneller Hand gezeichnet, in kurzer Zeit den Ideen in ihrem Kopf flüchtigen Halt geboten. Paul Bley hatte damals  ein eigenes Schallplattenlabel ins Leben gerufen,  Improvising Artists Inc. (I.A.I.). Auf einem anderen Werk spielte er an der Seite des Sun Ra -Companion John Gilmore. Und da war sein Solo-Piano-Album „Alone, Again“: ganz nah kam es heran an den Zauber seines Klassikers „Open, To Love“ (ECM). Ein Meister der Andeutung, der Pausen, des Ausschwingens einzelner Töne.  Auf „Open, To Love“, erzählte er mir früh in den Neunzigern, in einem Bremer Hotel, wollte er (neben allem, wer da eine Rolle spielte, Carla (Bley), Annette (Peacock), ihre Präsenz, ihre Schatten, ihre kargen Kompositionen), die Hüllkurven von elektronischen Sounds auf dem Flügel nachempfinden. Aber zurück zu der anfangs erwähnten Schallplatte: „Quiet Song“ ihr Titel, und Sie sollten, statt jetzt eine Rezension zu erwarten (in der dann Worte auftauchen würden wie „skelettiert“, „leuchtend“, „Gesänge“, aber  natürlich auch „Jimmy“ und „Bill“, dessen schönstes Soloalbum „Theme From A Gaurdian“ bitte bald von ECM wieder ans Tageslicht befördert werden möge), sich langsam, aber sicher auf die Suche machen nach dieser Produktion, vorausgesetzt, Sie mögen flüchtige, widerständige Töne!

  • Fall. Float. Love.

    „Die ätherische Stimme von Julee Cruise ist für die Welt von Twin Peaks so unverzichtbar wie Kirschkuchen und Dale Coopers Träume, und doch hätten wir sie vielleicht nie gehört, wenn David Lynch mehr Geld gehabt hätte. Er wollte This Mortal Coil’s Cover von Tim Buckley’s „Song To The Siren“ in Blue Velvet einbauen, konnte sich aber die Rechte nicht leisten. Der Komponist Angelo Badalamenti, der bald für den Rest seiner Karriere Lynchs Ansprechpartner werden sollte, wurde stattdessen mit der Aufgabe betraut, ein originelles Musikstück für den Film zu schreiben, wobei er außer der Formulierung „Mysterien der Liebe“ (dem späteren Titel), und der Idee, dass der Song „auf dem Meer der Zeit treiben“ sollte, und David Elizabeth Frasers Stimme im Sinn hatte, kaum Anweisungen erhielt. Badalamenti hatte Cruise gerade bei einem Theaterworkshop kennengelernt und holte sie zu sich. Das Ergebnis ist ein einzigartig glühendes Stück Musik, schimmernde Poesie, belebt von Cruises schwindelerregender Engelsstimme. Blue Velvet ist ohne sie unvorstellbar.“ (Ana Gaveilovska, May, June 2025)

  • Erik Satie auf Gras (1/3)

    Das war für meine Verhältnisse ein recht langer Spaziergang, einmal am Watt entlang zur „Kupferkanne“, diesem labyrinthisch wirkenden  Caféhaus, mit sinnlos-schlechter Popmusik aus quäkigen Lautsprechern, und mit Hiroshi Yoshimuras „Flora“ rauf und runter in den Ohren auf dem langen Weg zum Toyota nahe einer Klärgrube. Die Heidelandschaft ist beeindruckend. Zwischendurch huschten meine Gedanken zu toten Freunden. Ana Gavriolovska und ich erzählen euch unsere Gedanken und Hintergründe rund um „Flora“, wobei wir zu unterschiedlichen Bewertungen kommen. Ana vergibt neun von zehn, ich gerade mal sieben von zehn. Und nun also kommt in Kürze die Neuauflage des Albums von Hiroshi Yoshimura heraus: wer „Flora“ vorab hören will, kann died bei youtube in voller Länge, von ein paar schwachsinnigen Werbungen unterbrochen.

    Das letzte Stück, „Satie On The Grass“, gibt einige Hinweise darauf, was wir auf „Flora“ erwarten können. Satie ist natürlich Erik Satie, der französische Komponist und Pianist, der selbst ein Pionier der „Möbelmusik“ war, eines Stils, der als Hintergrundmusik gedacht ist, im Gegensatz zum bewussten Hören. Er hatte einen bedeutenden Einfluss auf die Entstehung der Minimal Music, die in den 60er Jahren Gestalt annahm, also einige Jahrzehnte vor der Aufnahme von Yoshimuras in Teilen innovativen Alben mit seiner eigenen Interpretation der Möbelmusik oder, wie sie heute besser bekannt ist, der Umweltmusik.

    Der japanische Ausdruck für dieses Genre ist kankyō ongaku, ein Begriff, der 2019 noch bekannter wurde, als Light In The Attic die tolle kleine Schatztruhe Kankyō Ongaku veröffentlichte: Japanese Ambient, Environmental & New Age Music 1980-1990, das einen von Yoshimuras besten Tracks enthält, „Blink“ von seinem meisterhaften Debüt Music For Nine Post Cards aus dem Jahr 1982. Im darauffolgenden Jahr veröffentlichte LITA sein ebenso hypnotisches Album Green von 1986 neu, das dazu beitrug, eine Welle des Interesses an seinem Werk außerhalb seines Heimatlandes Japan zu wecken. Viel zu früh starb er, 2003, sein Geburtsjahr war 1940.

  • Stiller Hammer!

    Es gibt Regisseure, sehr verehrte Regisseure, in deren Filme man mich nur für Summen im mittleren dreistelligen Bereich kriegt, wie Noah Baumbach, Richard Linklater und James Ivory, und es gibt Regisseure, da bin ich auf jedes neue Werk gespannt, wie etwa bei Thomas Vinterberg. Entscheidend für alles in der Kunst, was einem viel bedeutet, ist nie der fundierteste Zeitgeist, oder der klügste Durchblick, somdern ein merkwürdiges „Interstitium“, ein „in between“ zwischen Subjekt und Objekt.

    Nach „Der Gott des Waldes“ von Liz Moore hatte ich das kleine Problem, einen Roman zu finden, das mich genauso packt. An die fünf Leseproben habe ich bei Kindle runtergeladen, und alles waren in meinen Augen Flops, sogar ein Roman dabei, der eine Riesenfangemeinde hat, und den ich nach 6 % in die Tonne geschmissen hätte, wäre es nicht eine virtuelle Kostprobe gewesen. Ich meine den ersten, epischen Kriiminallroman von Joel Dicker. Dann las ich, nachdem mir die Serie der Verfilmung des ersten Romans einer nordic noir-Serie mit Nora Sand ganz gut gefallen hatte, den zweiten Roman „an“. Aber leider tummelten sich da in den ersten zehn Prozent so viele Klischees, und teilweise grosser Quatsch, dass ich es kopfschüttelnd zur Seite legte. Und so ging das Weile weiter, bis mir der Roman in die Hände fiel, den ich hier abgebildet habe. Hammer!


    Ein ruhiger, fast schon stoischer Erzählfluss, australisches Hinterland, eine ohne jedes Trara schlicht ergreifend ausgebreitete Story. Hier wird nicht die Welt verhandelt, lediglich ein kleiner Erdenwinkel ausgeleuchtet. Mehr wird nicht verraten, ich bin gerade mitten drin. Wäre ich noch auf der Suche, würde ich wohl ein zweites Mal in meinem Leben Richard Powers „versuchen“, nach Olafs Beschreibung. Wie war das mit der zweiten Chance? Damals, das Buch, edle Langeweile, eine Minderheitenmeinung schon damals – ich strandete früh. Was Olafs weitere Seelennahrung im März betrifft: ich kenne und mag diese alte Scheibe von Vincent Gallo auf Warp“, aber von einem dezidierten Republikaner höre ich mir nichts an. Gallo hat damals schon manchen Schwachsinn erzählt, aber irgendwann ist auch gut. In die von Olaf im Superflow erlebte Agentenserie kam ich nie wirklich rein, ich wollte es mögen, aber es funzte nicht. Mir ist das zu sehr auf Effekt gebürstet, die Schauspielre toll, aber die Figuren zu statisch. Die Serie, die alles andere in diesem Jahr bislang in den Schattens stellt, ist das umfassbar gute Flüchtlingsdrama von Thomas Vinterberg über ein langsam versinkendes Dänemark. Ich glaube, ich bin Thomas Vinterberg-Fan! Er hat eine Filmsprache, die mich mitreisst, und die ich überall erkennen würde. In der Mediathek der ARD.


    Paul Bleys „Open, to love“ liebe ich, seit ich die Platte 1973 kaufte, und Olafs Gedanken haben mich darin bekräftigt, eine kleine Änderung in meinen „März-Horizonten“ vorzunehmen. Ich liebe Alabasters neue Musik, und es ist mein meistgehörtes „Songalbum“ (mit vielen Instrumentals) in diesen Wochen! Und Don Cherrys „Relativity Suite“, ein Traum! Immer wieder! Ich weiss gar nicht, ob ich dazu tanzen oder schweben möchte. Dazu passt natürlich die Natural Information Society, das neue Album ist schon in der Stoffsammlung für die „Mai-Horizonte“! Genauso wie das Album, dessen Cover hier zu sehen ist, mit dem Titel „The Wind That Has Not Touched Land“. Mittlerweile wurde am Rande der „Bitter Wash Road“ ein Toter gefunden.

  • „Different kinds of ecstasy“ (1)

    Nun ist es nicht so, dass es vor 1970 keine Solopianoalben gab, aber sie waren ein wenig aus der Mode gekommen, und Chick Corea empfand es durchaus abenteuerlich, sich in Oslo an einen Flügel zu setzen und Soli zu spielen: fein, dass die erste seiner beiden Alben „Piano Improvisations, Vol. 1“ (rate mal, wie die zweite heisst, die im gleichen Zeitraum entstand!) am 18. April in der ECM-Reihe „Luminessence“ erscheinen wird. Die ersten drei von Manfred E. produzierten Solopianoalben wurden Klassiker, Meilensteine, und, was das Wichtigste ist, ich höre sie immer noch leidenschaftlich gerne. Keith Jarretts „Facing You“, Paul Bleys „Open, to love“, und eben, das erste, Chicks Improvisationen.

    Es dauerte dann etwas, bis zwei andere Abenteurer sich trauten, diesen fantastischen Werken eigene Sololpianowerke, produced by Manfred Eicher, folgen zu lassen, und es kamen dabei zwei beeindruckende Arbeiten heraus, von Richard Beirach und Steve Kuhn. Mit Keith Jarretts derzeit wieder vielbesprochenem „Köln Concert“ war der Solopianovortrag spätestens in einer ganzen Generation angekommen.

    Die Abenteuer gingen weiter. Und sie passieren auch in der Rückkehr, beim Wiederhören diese alten Scheiben – forget nostalgia! Wie sagte Paul Bley zu „Open, to love“: „Eines der Dinge, die ich an der Elektronik mochte, war die Möglichkeit, lange Nachklänge zu erzeugen. Und nachdem ich diese elektronische Periode beendet hatte, in der Sustain wirklich Sustain war, verlangte ich, als ich zur akustischen Musik zurückkehrte, dass das Klavier selbst das duplizieren sollte, was ich elektronisch erreichen konnte.“ Was so nüchtern klingt, ist einfach eine andere Art von Ekstase.

    Und ich komme in Kürze zurück auf „Piano Improvisations, Vol. 1“.