…diese Leben, aus denen man herauswächst…
Nein, damit hatte ich nicht gerechnet. Es traf mich so unmittelbar wie das erste Hören von Marianne Faithfulls „Negative Capability“. Und bei aller Zuneigung zu Beth Gibbons, und dem Zauber von Portisheads „Dummy“, von Portisheads nach wie vor betörend-verstörendem „Third“, von ihrer zurecht gerühmten Zusammenarbeit mit Rustin Man auf „Out Of Season“… ja, natürlich, alles braucht seine Zeit, aber was hier passiert ist (die Lieder sind über Jahre gewachsen, das Kernteam Beth und Lee Harris, der Trommler von Talk Talk, und da war, später, eine handverlesene Schar, sowie der Multiinstrumenalist und Produzent James Ford)… also, das war auch nach dem ersten Songvideo (das noch hellere Farben mit sich führte) so naheliegend nicht. Auch die Stimme reisst Räume auf, wie ich es noch nie von ihr gehört habe. In einem ziemlich unheimlichen Labor herrlich alter, versponnener Klänge. Ist „shattering“ das Wort? Oder „devastating“, wenn die dünne Linie zwischen Schmerz und Schönheit ins Spiel kommt. Deep as deep can go. Machen wir‘s kurz: she has painted her masterpiece. Es erscheint am 17. Mai. „Lives Outgrown“.
10 Kommentare
Olaf Westfeld
Sicher das Album des Jahres, dachte ich schon bei der Ankündigung. Ich glaube, alle drei Portishead Alben waren jeweils meine Lieblingsplatten in dem Jahr. „Out Of Season“ mit Rustin‘ Man mag ich noch ein bisschen mehr… und das Konzert in Berlin war damals ganz großartig.
Michael Engelbrecht
Bei dem Presskit, das ich erhielt, war auch ein Foto dabei (es fällt noch unter die Sperrfrist, glaube ich): Beth Gibbons mit Hund auf einer Riesenwiese (das Bild erinnert mich an das Cover von Van Morrisons Veedon Fleece, und was einige pastorale Schwingungen angeht, passt die Parallele auch musikalisch. Ein bisschen.
Michael Engelbrecht
Ich überlege mir das schon gut, wenn ich so einen Satz raushaue mit painted und masterpiece. Aber das Album hat für mich auf Anhieb die musikalische und existenzielle Tiefe von Veedon Fleece, Negative Capability, On The Beach (da geht es auch bei Neil Y um lives outgrown), Aerial, und von diesem letzten grossen Billie Holiday Album mit Streichern… und da ist nichts zu hoch gegriffen. Soll mir keiner sagen, ich möge besser die Kirche im Dorf lassen:) …. das Album ist auch kein „grower“, wenn ich gleich beim ersten Hören so umgehauen werde.
Olaf Westfeld
Das ist gute Gesellschaft. Beth can’t do no wrong. Und der Portishead Gefährte – Geoff Barrow – hat auch nur gutes produziert, ist aber leider nur unwesentlich produktiver; so richtig viele Alben haben Beak ja nicht veröffentlicht.
Michael Engelbrecht
Wer ist denn Beak? Beth?
Aber zwischen „go no wrong“ und so einem Hammeralbum ist dann schon noch ein Unterschied. Wieviele gepflegt langweilige Alben hat zB Van Morrison in späteren Jahren gemacht – so einige! Das wird dann von Fans gerne nostalgisch und verklärt wahrgenommen. Aber das hier… Beth Gibbons wird wohl auch diesmal keine Interviews geben… aber Lee Harris ist angefragt…
Jan Reetze
Mit „masterpieces“ bin ich seit je sehr vorsichtig, erst recht, wenn ich es noch nicht gehört/gesehen/gelesen habe. Aber Beth traue ich eines zu. Und weiß mich da übrigens mit Irmin Schmidt einig.
Olaf Westfeld
Beak> = Projekt von Geoff Barrow. Krautrockige Elektronik. Kein Masterpiece, aber gute Unterhaltung.
Michael Engelbrecht
Klar, Jan. Mir ist es jetzt auch nicht wichtig, ob das allgemein so gesehen werden wird, oder kontrovers. Oder ich das letztlich exklusiv für mich habe. Aber ganz klar reihe ich das Album nach einmaligem Hören gerne in die obige Reihe ein. Portishead war ja auch eine Band. Für mich geht es noch einen weiten Schritt über „Out Of Season“ hinaus… wenn ich auf allen Ebenen so intensiv auf ein Album reagiere, weiss ich halt sofort: das wird eines meiner drei Alben dieses Jahres. Und mit meinem „Restverstand“ kann ich es gerade noch so abgleichen mit diversen Parametern: statt dann ein paar schlaue Sachen zu sagen, ziehe ich ein einfaches WOW vor. Another album of the the soundtrack of my life.
ijb
Ich bin mit „Out of Season“ nie so richtig warm geworden (wie mit den drei 5-Sterne-Alben von Portishead). Ich hab dem über die Jahre immer wieder Zeit gegeben, aber für mehr als „ganz schön“ hat’s bei mir nie gereicht. Das neue natürlich schon bestellt. Wenn man einmal im Jahrzehnt was Neues von Beth Gibbons bekommt, ist das natürlich ein Ereignis wie bei Fiona Apple oder Peter Gabriel. Sicher werd ich „Out of Season“ in de Zuge auch wieder hören.
Von den Beak-Alben kenne ich wohl nur das erste, das ich sehr gut finde (aber nicht weltbewegend), guter Neo-Krautrock. Und auch sehr gut übrigens: Die Zusammenarbeiten von Geoff Barrow mit Anika. Wer’s nicht kennt, hier Empfehlung: https://www.allmusic.com/album/anika-mw0001514546
Michael Engelbrecht
Nun, ich hatte einen kleinen Vorbehalt gegenüber Beth Gibbons‘ Gesang, auf Out Of Season, und den ersten beiden Pottishead-Alben: sie klang mir, auch in der Phrasierung des Gesangs, zu oft nach Billie Holiday. Sehr eng dran. Und THIRD von Portishead war und ist klanglich so aufregend, dass ich gar nicht mehr auf diese Nähe zu Lady Day achtete. Aber eins weiss ich: auf dem neuen Werk erinnert mich nichts mehr an eine Nähe zu der grossen Legende. Das erste Stück, das ich von dem neuen Album hörte, fand ich gut, aber nicht sooo umwerfend. Auf youtube zu hören.
Und dann höre ich heute die anderen neun, und bei jedem denke/fühle ich: wow. Und denke, das ist vielleicht ein Ausreisser. Und dann das nöchste: wow, ein wow-Erlebnis nach dem anderen.
Out of Season verhält sich zu lives Outgrown wie
The Colour of Spring zu Spirit of Eden
P.S. Der Vergleich / die Affinität mit Billie Holiday wurde oft angestellt bzw festgestellt. Dass das für das neue Album gar nicbt mehr gilt imho, spricht auch Bände.