• Die Story von „Northern Song“

    Die Anfangsschwierigkeit wirkt erhabenes Gelingen.
    Fördernd durch Beharrlichkeit.
    Man soll nichts unternehmen.
    Fördernd ist es, Gehilfen einzusetzen.

    I Ging, übersetzt von Richard Wilhelm 

    Es war im Jahr 1982, als ich in Bergeinöden erstmals ein Album von Steve Tibbetts bekam. Damals hatte ich auch Scharfgabenstengel, um meinem Unbewussten bei Problemen auf die Sprünge zu helfen. Vor allem in Liebesdingen. Die Musik und das Leben erledigten den Rest. Wenn man der Geschichte und Musik von Steve Tibbetts näher kommen möchte, eignet sich kaum etwas besser wie die Entstehung seines dritten Albums „Northern Song“. In den Nachwehen der Produktion landete Steve sogar eine Woche auf Sylt. Nun, auch da gibt es Stille bis zum Horizont, an den richtigen Stellen. In der folgenden Story wird die Rede sein von jenem Faktor Stille, der auch in seinen wildesten Werken wie „The Fall Of Us All“ oder „A Man About A Horse“ zur Entfaltung kommt. Nicht zuletzt auch auf „Close“, einem Album, das am 17. Okobei bei ECM erscheint, und einen Kulminationspunkt seines Schaffens darstellt. Aber hier ist von den Anfängen die Rede. Den Anfangsschwierigkeiten. Erzählt hat die folgende wahre Geschichte Rob  Caldwell, ziemlich genau vor zehn Jahren. Ich habe etliche Lieblingsalben von Steve Tibbetts. „Northern Song“ ist wunderbar und Nummer 5 oder 6 in dieser Liste. Ausserdem würde das Cover in meiner Sammlung der zehn favourite ECM covers auf jeden Fall auftauchen. Natürlich wird auch die Geschichte des Covers erzählt. Here we go… (m.e.)

    Es ist ein kühler, bewölkter Nachmittag Ende Oktober 1981 in Oslo, Norwegen. So nah am Polarkreis werden die Tage mit dem Herannahen des Winters bereits rapide kürzer, und die Sonne verschwindet schon am Nachmittag hinter dem Horizont. In einem abgedunkelten Studio haben sich der Gitarrist Steve Tibbetts, der Percussionist Marc Anderson, der Produzent und Chef von ECM Records, Manfred Eicher, sowie der Toningenieur Jan Erik Kongshaug für zwei Tage einer dreitägigen Aufnahmesession eingeschlossen. Das Team arbeitet konzentriert an den Tracks für Northern Song, Tibbetts‘ erstem Album für das Label. So könnte die Story beginnen. Und so beginnt sie auch.

    (Fortsetzung folgt weiter rechts, im Oktober Archiv der flowflows – passt doch!)

  • Monthly Revelations (October)


    Es geht los mit einigen Screenshots der Besprechung der 30 Lieder von Jeff Tweedy. Wer auf die Vinylversion wartet, hat es nicht mit soviel Kleingedrucktem zu tun, im Begleitheft von „Twilight Override“. Wunderbar, sich in den Texten zu verlieren und Parallelen im eigenen Leben nachzuspüren. Die Lieder schwingen aus. Danach ein sehr persönlicher Text von Ingo über Wim Wenders, anlässlich von zwei Dokus, die man sich derzeit anschauen kann. Ich habe danach Lust bekommen, mal zur Ausstellung nach Bonn zu fahren von Wims Fotos, und mehr. Anlässlich des Todes von Georg Stefan Troller, erinnert Jan an sein Wien-Buch. Noch einen Monat lang ist unter der Rubrik „Talk“ mein kleines Interview mit Beatie Wolfe zu hören, eher ein Solo von Beatie. Drumherum ältere Brian Eno-Besprechungen und mehr, desses spätes Werk keine Verlangsamungen kennt ausser solchen rein musikalischer Natur! Mit Eno-Alben ist es wir mit Bussen, erst kommt lange keiner, dann drei auf einen Schlag. Und so erscheint am 10. Oktober der dritte Streich „Liminal“ des Duos „Eno/Wolfe“. Was diese 11 Stücke mit Maya Derens legendärem Kurzfilm „Meshes Of The Afternoon“ verbindet, schreibe ich vielleicht noch in einer Besprechung. In der Abteilung „Radio“ meine abgespeckte Version der jüngsten Klanghorizonte, auch weil ein guter Teil der dort präsentierten Musik (Eno/Wolfe, Tibbetts, The Necks) erst in diesem Monat erscheint. Wer von früh an ein Faible für Kriminalromane mit Tiefgang hatte, kam evtl. Nur schwer an den Büchern von Tony Hillerman nicht vorbei, die geschichtsbewusst und ohne jede Verharmlosung von indianischem Leben in Reservaten erzählten, in der Tradition grosser amerikanischer Kriminalliteratur. Die beiden Staffeln „Dark Winds“ sind grandios besetzt, ruhig erzählt, und entführen uns in Hillermans Welt, in die frühen Siebziger Jahre. Mancher mag danach Lust haben, nach einem alten rororo-Bändchen zu stöbern. 1971, lange her, springen wor ein Jahrzehnt weiter, 1981, 1982. In Oslo entsteht ein Album, produced by Manfred Eicher: Northern Song, von Steve Tibbetts und Marc Anderson. Eine besondere Story, nachzulesen im „Archive“ rechts! (m.e.)

  • The thing with triple albums

    Hier ist eine kurze und höchst unvollständige Liste von Alben mit mehr als 30 Songs: Das White Album der Beatles aus dem Jahr 1968, das genau 30 Songs enthält. Neil Youngs 1977 erschienene Sammlung Decade, die seine bisherige Karriere umfasst und 35 Songs enthält. Das eindringliche, interkulturelle Traumwerk Sandinista! von The Clash aus dem Jahr 1980, das mit 36 Titeln noch einen drauf setzt. Hinzu kommt Jeff Tweedys eigene 30-Song-Hippie-Jazz-Pop-Odyssee Twilight Override, die die verschiedenen Stränge der mittlerweile vier Jahrzehnte langen Karriere eines unserer großartigsten Melodiker zusammenführt. Mit 58 Jahren, auf dem Höhepunkt seiner Karriere und seiner kreativen Fähigkeiten, bleibt er gleichermaßen irritierend ambivalent, unergründlich, witzig und fesselnd. Wenn man darüber nachdenkt, ähnelt das Album Twilight Override am ehesten Bob Dylans 1970er Doppel-LP Self Portrait, die damals viel verspottet wurde, aber zutiefst komisch, melancholisch und lohnenswert ist und mit 24 Songs zwischen seltsamen neuen Kompositionen und obskuren Coverversionen wandert. Twilight Override besteht nur aus seltsamen, schönen und abgenutzten Originalen, aber das Gefühl glorreicher Selbstverliebtheit ist typisch für Dylan im Jahr 1970. What is this shit? Wie viel Zeit haben Sie? (Elizabeth Nelson, Pitchfork)

  • Popol Vuh

    „Er war zuerst mal Poet und dann erst Musiker, und sein Gefühl für die innere Struktur eines Filmstoffs war unfehlbar“, sagt der Filmemacher Werner Herzog über Florian Fricke (1944 – 2001), und Michael Cretu (Enigma) ergänzt: „Popol Vuh sind die größten Vorbilder,  die ich je hatte und je haben werde.“

    Popol Vuh, von Florian Fricke gegründet 1969, so benannt nach dem heiligen Buch der guatemaltekischen K’iche‘-Maya, gehörte fraglos zu den bemerkenswertesten Erscheinungen der frühen deutschen Rockszene — aber schon da zögert man, denn Rockmusik war das eigentlich nicht, was die Band zu Gehör brachte.

    Was aber war es dann? An genau dieser Frage hangelt sich die jetzt vorgelegte Biografie entlang. Michael Fuchs-Gamböck und Michael Joseph untersuchen „die Klangwelten des Florian Fricke“, wie der Untertitel lautet. Und da gibt es einiges zu entdecken.

    Florian Fricke war der zweite Besitzer eines Moog-Synthesizers in Deutschland nach Eberhard Schoener (der sein Miesbacher Nachbar war) und gilt seit Popol Vuhs Erstling Affenstunde (1970) als Pionier des Elektronik-Rocks. Es wird schnell deutlich, dass er das ohne seinen Mitstreiter, den Musiker und Filmemacher Frank Fiedler, wohl nicht geworden wäre, denn sein Technikverständnis war, sagen wir mal: begrenzt. Und ohne solches spielt der Synthesizer mit dem Musiker, nicht umgekehrt. Insofern war es konsequent, dass Fricke den Moog schon nach dem zweiten Album In den Gärten Pharaos (1971) wieder aufgab (der landete dann bei Klaus Schulze). Da er dafür allerdings eine deutlich durchgeistigtere Begründung angab, hat dieser Schritt seinem Ruf als Pionier nicht geschadet. Erst viel später, als die elektronischen Instrumente deutlich musikerfreundlicher geworden war, kehrte Fricke zu Synthesizern zurück (For You and Me, 1991) und entdeckte mit dem Synclavier auch das Sampling, das dann eine wichtige Rolle in seinen weiteren Werken spielte.

    Einen großen Teil des Buches nimmt selbstverständlich Frickes Zusammenarbeit mit dem Regisseur Werner Herzog ein. In der Tat kann man Fricke wohl als kongenialen Partner bezeichnen; etliche von Herzogs Werken leben von seiner Filmmusik mindestens so stark wie von Herzogs künstlerischer Fantasie. Da hatten sich ganz offenkundig zwei gefunden — ein Glücksfall.

    Ein eigenes Kapitel erhält auch Frank Fiedlers wunderbarer Film „Kailash — Pilgerfahrt zum Thron der Götter“ — eine Art Reisebericht ohne Kommentar, aber natürlich mit der Musik von Florian Fricke, gedreht 1994 auf einer gemeinsamen Reise der beiden nach Tibet. Der Mount Kailash wird als heilig angesehen und darf nur umrundet, aber nicht betreten werden.

    Der komplexen Persönlichkeit Florian Frickes ist nicht leicht beizukommen. In diesem Buch spiegelt sich dies darin, dass die Autoren kapitelweise getrennt vorgehen, wobei jeweils namentlich gekennzeichnet ist, wer gerade spricht. Auch werden verschiedene Darstellungsformen gewählt; essayistische Texte liest man ebenso wie ein langes Gedicht, es gibt einen Ausflug in Frickes Tätigkeit als Kursleiter und Vortragender in Sachen Musik- und Atemtherapie, sehr informativ ist auch ein Gesprächsprotokoll vom Mai 2025 mit Frank Fiedler.

    Mit der Persönlichkeit Frickes gehen die Autoren sehr pfleglich um — kein Wunder, denn sie waren mit ihm befreundet bzw. als Mitmusiker tätig; Frank Fiedler dürfte sogar einer von Frickes engsten Freunden und Mitstreitern gewesen sein. Dass man von anderen, die ihn ebenfalls kannten, durchaus handfestere Aussagen über Frickes Persönlichkeit, insbesondere auch über seinen frühen Tod, zu hören bekommen kann, wird in diesem Buch bestenfalls angedeutet. Das stört aber kaum und wird durch die Vielzahl der Informationen über ihn mehr als aufgewogen.

    Frank Fiedler sagt heute: „Ich bin der große Archivar, wenn man so will. Außerdem waren Florian und ich enge Freunde, wobei wir durchaus mal Streit untereinander hatten. Wie das bei wahren Freunden üblich ist. Wir teilten eine Menge kreativer Ideen, waren ständig im Austausch. Florian und ich wussten voneinander, wie der andere künstlerisch tickt.“ 

    Und Co-Autor Michael Joseph: „Das Thema lässt mich nicht mehr los. Ich werde weiter an der Aufarbeitung dieses Lebens arbeiten, denn die Geschichte von Florian Fricke ist noch lange nicht zu Ende erzählt. Vielleicht lebt er so in vielen Herzen weiter.“

    In diesem Sinne ist dieses Buch ein guter Anfang. 

    Michael Schmidt-Gamböck und Michael Joseph:
    Popol Vuh — Die Klangwelten des Florian Fricke
    (inklusive Diskografie, Filmografie und Literaturliste)
    edition kopfkiosk im Verlag Andreas Reiffer
    Meine 2025, 188 Seiten, 16 €
    ISBN 978-3-910335-13-4

    Popol Vuh, rechts im Bild Florian Fricke

  • RIP Danny

    Seit neun Jahren habe ich eine Spotify Mitgliedschaft. Meine erste große Entdeckung durch den Algorithmus war die Musik von John Martyn. Ziemlich schnell merkte ich, dass bei den schönsten Aufnahmen von ihm immer Danny Thompson Bass spielte. Den kannte ich auch von „Avocet“ von Bert Jansch, einem anderen Lieblingsalbum, das nur wenig früher entdeckte (Danke, Herr Engelbrecht!). Noch später stellte ich fest, auf wie vielen unglaublichen Aufnahmen er Bass spielte.

    HIER ein sehr schöner Überblick!
    Oder HIER, in fünf Teilen!

    Danny Thompson hat mit 86 Jahren die kosmische Adresse gewechselt.

  • Bericht aus Mainz

    Als ich meine Karte in einer Kneipe in der Nähe des Stadions abholte, wurde klar, dass ich doch nicht auf der Pressetribüne landete, aber einen formidablen Sitzplatz in Höhe des Mittelkreises bekam. Allerbeste Sicht, und kein Sardinendosenbüchsenfeeling wie in der Woche zuvor in der Gelben Wand! Ein grundsolider Auswärtssieg mit magischen Momenten!

    Hier waren keine Klassenunterschiede zu sehen, vielmehr die Kleinigkeiten, die Spiele entscheiden. Ein dezentes Übergewicht individueller Qualität. Nach dem Spiel und nach fünf Spieltagen gibt es nur eine Antwort auf das unausweichliche Thema: es gibt keinen echten „Bayern Jäger“, und spätestens zu Weihnachten wird das Thema ad acta gelegt sein, weil München viel zu souverän agiert, und es bei einem Rennen der üblichen Verdächtigen um die Championleagueplätze 2-4 bleiben wird. Der BVB spielte das Spiel „seriös nach Hause“ mit zwei toll herausgespielten Toren, bei denen mein persönlicher Lieblingsspieler Jule Brandt (grosser Freund von Anime-Filmen und sowieso ein intelligenter Bursche) zu glänzen wusste.

    Zum Aktuellen Sportstudio war ich zurück und bekam unterwegs noch die Radioreportage von dem verrückten 4:6 von Gladbach gegen Frankfurt mit. Ich freue mich natürlich, wenn ein Dortmunder im Sportstudio gastiert, aber das Interview von Katrin Müller-Hohenstein mit Sebastian Kehl hätte ich auch vorher schriftlich „erfinden“ können, so vorhersehbar und hübsch nichtssagend war es. Ein typisches Kehl-Interview im Manager-Sprech: der gute Sebastian ist stets kontrolliert, lässt sich nicht locken, und die gute Katrin ist die personifizierte Gute-Laune-Korrektheit ohne Überraschungswert. Sind ja auch landesübliche alte Hüte, die da Woche für Woche verbraten werden, wie die Frage – gähn, gähn! – nach dem „Bayern-Jäger“.

    Bei dem Spiel gestern kam es nur zu Kurzeinsätzen der Neuen. Ich habe, vom Gefühl her, grosse Hoffnungen, was Fabio Silva angeht, der viel von Europa gesehen hat als Leihspieler der „Wolves“, und zuletzt bei Mallorca seine spielerische Klasse bewies, mit Toren und technischer Rafinesse. Vielleicht wird er bei „uns“ endlich heimisch. Anselmino zwickt es noch in der Wade, und auch bei diesem Neuen mache ich mir keine Sorgen. Er zeigte bei seinem bislang einzigen Auftritt allerfeinste Grätschen, wie man sie von ambitionierten argentinischen Innenverteidigern kennt. Leider ist seine Leihe am Ende der Saison beendet, und er wird zu Chelseas Spielerbasar zurückkehren.

    Chukwuemeka hat alles drauf, was ihn in meinen Augen zu meinem nächsten „favourite player“ machen könnte: einen Blick für die Tiefe des Raumes, spieltaktisches Knowhow und geniale Einfälle. Leider ist seine Vita von permanenten Verletzungen begleitet, deren Ursache man im weiten Feld von „Wachstumsstörungen“ ausmachte. In seinen wenigen Einsätzen konnte man ahnen – und sehen, was in ihm steckt.

    Geduld ist das Zauberwort bei Jobe Bellingham. In einer souveränen Pressekonferenz vor Saisonbeginn zeigte er sich so klug wie selbstbewusst und tat kund, er wolle einer der besten Mittelfeldspieler Europas werden. Derzeit kommt er nicht einmal an Sabitzer und dem leider politisch komplett verpeilten Mnecha vorbei. „Erst kürzlich war der 24-Jährige auf einem Tiktok-Video mit einem Buch vor sich zu sehen, in dem ein evangelikalen Prediger über die Rolle der Frau, wie sie Gott ihr angeblich zugedacht hat, schreibt. Es ist – wenig überraschend – eine untergeordnete Rolle“ (taz)- Frau Hohenstein, da hätten sie mal nachharken können! Ich schweife ab: Jobe und Jude. Ich bezweifle, dass Jobe wie Bruder Jude beim BVB gross Geschichte schreiben wird (und das war ja auch nur eine Kurzgeschichte). Im Moment sehe ich in ihm das Potential eines guten Box-To-Box-Spielers, der in diesem Jahr wohl kein einziges Mal eine 1 oder 1,5 vom „Kicker“ bekommen wird.

    Es hatte jedenfalls riesig Spass gemacht, mal wieder bei einem BVB-Spiel auswärts dabei zu sein. Auf der Rückfahrt, nach gewohnt langer Stauzeit bei solchen „events“ , lief neben den Live-Schaltungen aus Gladbach auch die dritte der drei CDs von Jeff Tweedys zauberhaftem „Twilight Override“. Dreissig Songs – nur einer gefällt mir gar nicht, mit einer kleinen Überdosis Chorgesang. Selten höre ich in Stadien gute Musik – da gibt die übliche Folklore den Ton der „Stimmungsmusik“ an. Unvergesslich jene fünf Minuten vor Jahrzehnten, in denen einst im Westfalenstadion ein Song erschallte, der uns allen etwas über das Leben mitteilt, und damals dermassen in die Bein ging, dass ich nur zu gern dazu getanzt hätte: „Road To Nowhere“ von den Talking Heads. Jetzt gegen Bilbao und Leipzig zwei anspruchsvolle Heimspiele, und dann zu den Bayern. Danach ist wohl erst mal Schluss mit dem „Jägerlatein“ – leider, sagt der Fan in mir!


  • Georg Stefan Troller 1921 – 2025

    Der Journalist, Filmemacher, Schriftsteller und Kenner der klassischen Wiener Kaffeehauskultur hat heute im gesegneten Alter von 103 Jahren seine Adresse von Paris ins Kosmische gewechselt. Wenn das kein Verlust für die Welt ist, dann weiß ich nicht, was einer ist.

    Gerade noch im März dieses Jahres habe ich in diesem Blog an eines seiner Bücher erinnert. 

    The journalist, filmmaker, writer, and connoisseur of classic Viennese coffee house culture has changed his address from Paris to the cosmos today at the blessed age of 103. If that isn’t a loss for the world, I don’t know what is.

    Just last March, I remembered one of his books in this blog.

  • Saving Grace

    Gestern habe ich mir mal ein paar – zumindest für mich – ganz neue Neuerscheinungen aus dem (auf den ersten Blick) Classic-Rock-Segment zugelegt: neben dem Tweedy-Dreier-Album die toll kuratierte 2-CD-Kompilation mit 38 Songs aus 60 Berufsjahren Ronnie Woods, die von einer Wood-Komposition der Birds 1965 bis zu vier bislang unveröffentlichten Stücken reicht – Fearless: Anthology 1965-2025 – mit einigem ziemlich Bekanntem (’ne Handvoll Faces-Klassiker, ’ne Handvoll Stones-„Deep Cuts“ mit Wood-Co-Writing-Credit, die Jeff Beck Group, drei klasse Rod-Stewart-Perlen usw.) und einigem weniger Bekanntem, bspw. einem Duett mit Mick Jagger aus dem Jahr 1974, also vor Ronnies Zeit bei den Stones (von seiner ersten Solo-Scheibe I’ve Got My Own Album To Do) und einigen weiteren Stücken von seinen Solo-LPs, darunter auch Dylans Seven Days).

    Vor allem aber die neue LP von Robert Plant: Saving Grace – und die ist fantastisch. Sehr intensiv, sehr eigen, sehr berührend, bin begeistert, wird garantiert in meiner Jahres-Top10 auftauchen. Schade, dass Plant nur noch so selten neue Platten macht – aber wie toll, dass die dann zuverlässig so große Klasse sind.

    Plants letztes Soloalbum war Carry Fire, und dass das bereits 2017 war, überraschte mich selbst gerade. Für manche Leute sind acht Jahre ja ein kompletter Karrieren-Zeitraum. Auf Saving Grace widmet sich Plant weiter seinem Herzensprojekt seiner späteren Jahre, die Traditionen US-amerikanischer Musik auf raffinierte, berührende Weise in die Gegenwart zu holen. Vielleicht nur Dylan gelangen vergleichbar zeitlos klingende Neuaufnahmen uralter Songs jenseits von Folk und Gospel. Dass neben Memphis Minnie (die älteren von uns erinnern sich an When The Levee Breaks vom vierten Zeppelin-Album) und Blind Willie Johnson auch mal wieder eine Nummer von des (mittlerweile nicht mehr existenten) Duos Low aus Dylans Heimatstadt Duluth, Minnesota, dabei ist, fällt einem erst einmal gar nicht auf. Zehn meisterlich arrangierte Stücke, die gewissermaßen eine intensive Reise durch ein Jahrhundert US-Roots-Musikgeschichte bieten und Türen in alle möglichen Richtungen öffnen.

  • Liebe Villa Sonnenschein!

    Ich weiss noch, wie wir vor Monaten zusammensassen bei eurer Hauspizza Neapolitana, und du eine Jugenderinnerung ausgrubst, Tobi, an diesen einen hypermelodischen Song von Velvet Underground, als Assoziation zu „Suddenly“ von Beatie Wolfe und Brian Eno – und tags später erzählte Beatie mit was von genau diesem Lied über einen magischen Sonntagmorgen.

    Musik hat nie eine Hauptrolle in eurem Leben gespielt – dabei traf ich genau ins Schwarze, als dir, Ulrike ganz warm uns Herz wurde als ich dir, auch schon wieder länger her, eine Ballade aus John Coltranes „Ballads“ vorspielte.

    Hier also eine Art Gebrauchsanweisung meiner gestrigen „Klanghorizonte“. Ich bin zuversichtlich: wenn ihr sie gelesen habt, werdet ihr beim Wiederhören die Musik nicht mehr in melodisch / eingängig und wild / schwierig einorden.

    Es begann alles damit, als ich in „Electronic Sounds“ eine kleine Besprechung von Ludwig Bergers „Crying Glacier“ las, und Jan Bang mir Wochen später die erste aus dem Presswerk angekommen Schallplatte seiner neuen Arbeit, „After The Wildfire“, schickte. Es war völlig klar, dass diese beiden Alben den ersten Teil der „Klanghorizonte“ bilden würden.

    Ein Unheil nach dem anderen. Die Feuerbrünste in Mazedonien, in Griechenland: als Brian und Roger Eno in der Akropolis spielten, war die Hitze bis zur Bühne hin erlebbar. Jan und Arve befassten sich mit dem Danach, der Trauerarbeit, aber auch mit unbändigem Widerstandsgeist. Die alten Gesänge bleiben unverwüstbar, niemand verlernt das Tanzen auf Dauer. Manchmal, in dem Stück das ich spielte, kracht es kurz, das ist die „Schattengitarre“ von Eivind Aarset.

    Mit einem Augenzwinkern könnte man übrigens die „Feldaufnahmen“ aus den Schweizer Alpen für den Soundtrack eines Abenteuerfilms halten: „Indiana Jones im Vadret De Morteratsch“. Aber rasch wird aus humoriger Abwehr ein ungewohnter Ernst. Beim zweiten Hören fremdelt man nicht mehr mit dieser Musik der Natur. Staunen und Erschauern setzen ein.


    Und so bekam die Erzählung der Stunde, mit allen ihren „field recordings“, eine klare Form: von dem „weinenden Gletscher hin zu einer anderen grünen Welt“. Es ist das gute alte „Prinzip Hoffnung“ meines deutschen Lieblingsphilosophen des 20. Jahrhunderts Ernst Bloch, das hier im Handlungsgefüge der Klanghorizonte zum Tragen kommt:

    „Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen. Seine Arbeit entsagt nicht, sie ist ins Gelingen verliebt statt ins Scheitern. Hoffen, über dem Fürchten gelegen, ist weder passiv wie dieses, noch gar in ein Nichts gesperrt.“

    Lässt man diese Sätze etwas länger auf sich wirken, gewinnen sie an Klarheit. Brian Enos „Another Green World“ bietet solche utopischen Räume, die wir sterblichen Wesen in Angriff nehmen können, die Übergänge zwischen Traum und Wirklichkeit sind fliessender als wir gemeinhin denken.

    Und so beginnt der dritte und letzte Teil der Stunde, zwar sehr unheimlich, in einem Niemandsland aus Yorkshire, aber es sind auch solche Randzonen, in denen sich unsere Welt abbildet. Natur und Zivilisation treffen aufeinander, elektronische Sounds grundieren das Gewebe aus Vogelstimmen, Zuggeräuschen und anderen Seltsamkeiten. Im Nachhinein hätte ich vielleicht ein sanfteres Stück aus der Philip Jeck Anthologie nehmen sollen.

    Fliessender Übergang in andere Randzone: die Finka von Alfreda Benge und Robert Wyatt, ihr Sommerunterschlupf in den 1980er Jahren: das Album „Dondestan“ ruft diese „thin places“ wach, auch hier öffnen sich Zonen zwischen Traum und Wirklichkeit: ein imaginäres Kinderbuch beschwört ein eigenständiges Palästina, eine Mülltüte fliegt in sanfter Konkurrenz zu einem Zeitungspapier von gestern über den Strand.

    Es sind solche Zwischenzonen und Randgebiete, die Jürgen Becker schon früh in seiner Lyrik aufgriff, Orte der Erosion, lange, bevor Die Grünen ihr erstes Grundsatzpapier verfassten.

    Hier ein Screenshot der Playlist der Stunde. Im kommenden Jahr plane ich, themenzentriert, Art von Radio, öffentlich aufzuführen. Wie einst bei den „lectures“ in Kristiansand.

    Es folgt ein Song aus dem dritten Album „Liminal“ von Brian Eno und Beatie Wolfe: gehüllt in pure Traumsphäre, legt der Zeitlupengesang eine ganz andere Ebens frei: unsere Fragilität, die Träume, die zerbrechen. Immer wieder auch ein Memento mori. Dass wir Kinder ohne Sterne seien, verkündet Beatie, und leise gesellt sich Brian Stimme am Ende dazu. Wie war das noch mit den Woodstock-Träumen von Joni Mitchell!?

    Sich in die Dunkelheit fallen lassen, ist auch eine Kunst. Music, the doctor, music, the healer! Heilen in kleinen Dosen, keiner wird übertreiben.

    Und so bleibt das Zentrum dieser Stunde, die beiden neuen Werke von The Necks und Steve Tibbetts, Stammgäste meiner Ausgaben der Klanghorizonte, in einer Stunde voller Stammgäste! Es gehört zu den schönen Zufällen, dass Enos Another Green World in diesem Herbst 50 Jahre alt wird, und somit, neben den Themen dieser Stunde, allemal ein naheliegendes Finale darstellt.

    Wer Steve Tibbetts‘ Werke nicht kennt, wird vielleicht ein zweites, drittes Hören brauchen, bis der berühmte Groschen fällt. Es gibt solche „Kippeffekte“, bei denen etwas, das zuerst seltsam, verstörend, unheimlich wirkt, auf einmal fasziniert und fesselt. Wie bei Bergers Gletschermusik. Das könnte auch für das „warm strömende Sonnenlicht“ der Necks gelten: eine gute Einführung für diese Komposition wäre ein Besuch im Pariser Museum der Impressionisten, und da speziell der Raum mit den riesigen Seerosenbildern von Claude Monet!

    Die Stories, die Steve erzählt (und er zählt zu meinen liebsten Interviewpartnern), sind auf eigene Weise spannend, nehmen sie ums doch mit in den kreativen Prozess des Musikmachens – und Musikhörens!

    In diesem Sinne hoffe ich auf das eine und andere Aha-Erlebnis bei euren „zweiten Hören“, und auf ein baldiges Wiedersehen in der Villa Sonnenschein oder meiner „elektrischen Höhle“.

    In den 80 Welten um den Tag, in welchen wir regelmässig landen, bin ich gerade in jener unterwegs, die mich mit dem Toyota nach Mainz führt, zum Auswärtsspiel des BVB, und zu zwei alten Freunden. Im Gepäck ein alter Lyrikband von Jürgen Becker, „Triple Override“ von Jeff Tweedy, und eine Karte für die Pressetribüne. Thank you, Uli!

    P.S. Die kleine Kiwi hatte was!

  • Gute Reise!

    Click on the following line
    to listen to the radio hour
    with The Necks, Steve Tibbetts, Brian Eno, Robert Wyatt a.o.:


    Part One – Of Ice and Fire
    A form of language
    The more he‘s alive, the more he‘s dying 

    (from Ludwig Berger‘s Crying Glacier) *
    Meridian moon 
    (from Jan Bang / Arve Henriksen: After The Wildfire)

    * the vinyl runs with 45 rpm

    Part Two Twilight Language
    Away 3 (from Steve Tibbetts‘ Close)
    We begin 3 (from Steve Tibbetts‘ Close)*
    Warm running sunlight (from The Necks‘ Disquiet)
    Away 1 (from Steve Tibbetts‘ Close)

    * „a small concert hall inside…“ – my 2018 interview with Steve Tibbetts

    Part Three – Shades Of Blue, Shades of Green
    Saltmarshe (from the Philip Jeck anthology „rpm“)
    Sparrowfall 2 * (from Brian Eno‘s Music For Films, 1978)
    The sight of the wind (from Robert Wyatt‘s Dondestan, 1991)
    Shallow form (from Eno / Wolfe: Liminal) 
    Becalmed (from Brian Eno‘s Another Green World, 1975)

    * click on „Sparrowfall 2“ to listen to Brian Eno‘s memories on „Music For Films“

    Auf‘s erste Hinschauen dachte ich an Fotografien von Gregory Crewdson – auch hier scheint vieles bis ins kleinste Detail arrangiert zu sein. Ist der Sternenhimmel überhaupt echt. Ist er! Der Clou ist, dass es sich um einen klassischen Schnappschuss handelt. Ich habe Steve Tibbetts natürlich auch gefragt nach diesem Bild, und ihm geschrieben, ein hinreissenderes Cover sei mir für diese Musik und ihre „twilight language“ kaum vorstellbar. „Fairytale“, „darkness“, „somewhere“, „anywhere“, „noir“, so flogen meine Assoziationen umher, auch, weil ich, neben den Klängen, schon die „tracklist“ kannte, die, nach dem Hören der Musik, für eine Extraportion Gänsehaut sorgten!

    DIE STORY


    In regards to sequencing: 54 minutes and 38 seconds. To stick faithfully to the most rewarding sequence of tracks, i had to leave out pieces from these fantastic albums, old or new: Jeff Tweedy: Twilight Override / Lucrecia Dalt: A Danger to Ourselves / Meredith Monk: On Behalf Of Nature / David Darling: Cello.

    In regards to Eno / Wolfe (70 seconds of sound / soul / place searching)

    In regards to Jeff Tweedy: „It was novelist and critic John Berger who first posited that “calm is a form of resistance”. Who knows if Jeff Tweedy was channelling that sentiment while creating the gentle behemoth that is Twilight Override, but he has certainly responded to the maelstrom of paranoia and inhumanity unleashed by the second Trump term – what the Wilco frontman has dubbed “a bottomless basket of rock bottom” – with disarming composure, and a big batch of tunes for his fifth solo outing.“ (Fiona Shepherd, Uncut)

    In regards to Steve Tibbetts:

    one) „Steve speaks (1)“ („music philosphy“)

    two) „Steve speaks (2)“ („twilight language“)

    „At times I miss working in a record store. I miss the camaraderie of sullen, sneering record clerks. I miss hearing all the new releases, right out of the box. Closing up the store and going out to see Prince or Motörhead. Tom Smith was part of our crew working at the Wax Museum record store in Minneapolis. My daughter and I go visit Tom at the Electric Fetus record store at the end of every year. Tom has 10 albums ready that he thinks I will like. Laura Marling’s Once I Was an Eagle was in the stack some years ago. It stayed in my CD player for a long time. One long song. The same key. Repeating motifs and melodies. A trance. I could do that.“ (S.T.)

    In regards to Philip Jeck: „Time, and the placement of time, is odd: as I type up this obituary, in a generic chain hotel bedroom, I do so to the sound of the first track from his 2015 album Cardinal album. Titled ‘Fleeing’, it fills the poorly-lit room with colour, anguish, hope and tension. The three minutes and seven seconds of the length feel like they could be both (i) forever and (ii) a mere gust of breeze at the window. On record or in performance, Jeck could juxtapose various emotions and – dare I say it – feelings. I distinctly remember him playing on one occasion and turning to a section which made me think, without warning: “Life can be pretty fucking dark sometimes, huh?” Yet I also recall how I also smiled at how beautiful this passing darkness was.“ (Dale Cornish, taken from his Philip Jeck orbituary, TheQuietus, 2024)

    „Die Zeit und die Einordnung der Zeit sind seltsam: Während ich diesen Nachruf in einem Zimmer einer gewöhnlichen Hotelkette tippe, höre ich den ersten Titel von Philip Jecks Album Cardinal aus dem Jahr 2015. Der Titel „Fleeing“ erfüllt den schlecht beleuchteten Raum mit Farbe, Angst, Hoffnung und Spannung. Die drei Minuten und sieben Sekunden des Songs fühlen sich an, als könnten sie sowohl (i) ewig dauern als auch (ii) nur ein kurzer Windstoß am Fenster sein. Auf Platte oder bei Live-Auftritten konnte Jeck verschiedene Emotionen und – ich wage es zu sagen – Gefühle nebeneinanderstellen. Ich erinnere mich noch genau daran, wie er einmal spielte und zu einem Abschnitt kam, der mich ohne Vorwarnung denken ließ: „Das Leben kann manchmal verdammt düster sein, oder?“ Aber ich erinnere mich auch daran, wie ich darüber lächelte, wie schön diese vorübergehende Dunkelheit war. (Dale Cornish, übersetzt)

    In regards to a certain passage of this hour: „Rejoyce“

    Every album from this hour is a treasure trove. In my ears, and for heaven’s sake not in my ears only. Some have made history, some will make history, or do the „buried treasure game“. Much more important are the „stories“ that these albums “tell” us when we listen to them, mostly without words. Words: why words. East of words. The unspeakable comes into play. The storytellers, too. There’s a lot to rummage around here. There’s no replacement for listening. (m.e.)

    P.S. In regards to more blue hours:

    from left to right: Agharta / Love, Love / Big Map Idea / Ecstasy / Tauhid