• „Mach‘s noch einmal, Schimanski!“ – Eine Empfehlung für den Weihnachtsbaum


    Ich wusste gar nicht, dass Edward Berger, dem wir die exzellenten wie fesselnden Filme „Konklave“ und „Im Westen Nichts Neues“ verdanken, nach Hajo Gies zu den späteren Regisseuren der Schimanski-Filmen zählte. Ein oder zwei hat er, glaube ich, gemacht. Hat er irgendwann Hajo über die Schulter geschaut, wie einst Clint Eastwood seinem Lehrmeister – wie hiess er noch gleich – Don Siegel! Damals sah ich noch ziemlich regelmässig „Tatort“. Mochte den verrückten Kressin, und Schimanski am liebsten. Haferkamp wäre meine Nummer drei.

    Früher in Dortmund, wenn wir uns bei Freunden trafen, war es ein geschätztes Ritual am 2. Weichnachtstag, vorwiegend unter Jungs, spät abends im Fernsehen nach knallharten Filmen Ausschau zu halten – gerne „Dirty Harry“, und aus solch seltsamen Verknüpfungen stammt heute mein alljährlicher Bingewatchtipp für die Zeit zwischen den Jahren. Und für den schnellen Adrenalinkick: perfektes Popcornkino bietet Netflix derzeit mit dem „Reisser“ „Carry On“ (Peter Bradshaw gibt zwei Sterne, ich vier).

    Wie heute wohl die „Schimi“-Filme auf mich wirken würden? Was, es waren nur siebzehn? Egal, ein paar Flowworker und Leser würden sich bestimmt für ein grosses Bingewatching finden. Zum Beispiel drei Wochen Langeoog, und jeden frühen Abend im Medienzimmer ein Tatort. Mit anschliessendem Talk am Meer, mit oder ohne Eiergrog. Als Opener dann den herrlich durchgeknallten Tatort aus den frühen Jahren – ohne Frage ein TV-Meilenstein – Regie Samuel Fuller – mit den „toten Tauben auf der Beethovenstrasse“, und viel Can-Musik. Aber ohne Götz George.

  • Der tierische Ernst und der gute Humor von Jazzjournalisten im Einsatz

    Bei meinen ersten Besuchen im berühmtesten Jazzkeller Dortmunds, dem Domicil, nah dem Rotlichtmilieu, und nicht zu verwechseln mit dem feinen Jazzclub von heute in der Hansastrasse, war immer ein rothaariger, kurz rasierter, natürlich Brille tragender, Kritiker zugegen namens Werner Panke, ein Kenner der Materie, der schon Gene Krupa in der Nordtstadt zu Nachkriegszeiten erlebt hatte und in Sounds, im Jazzpodium und anderswo seine Urteile kundtat. Als Teenager an der Nordsee war ich begeisterter Zuhörer der Jazzsendungen von Michael Naura. Toll, ihn in seinem letzten Berufsjahrzehnt, den Neunzigern, aktiv begleiten zu können. Irgendwann gehörte ich selber zu dieser Gilde!

    Werner Panke sass stets vorne in der ersten Reihe, einigermassen gut zu erkennen, durch dicke Nikotinschwaden hindurch, bei meinem ersten unvergesslichen Erlebnis dort, dem Dave Pike Set, bei dem erstmals ein gewisser Eberhard Weber neben Volker Kriegel Platz nahm und den ganzen Keller in Erstaunen versetzte, zwei Jahre, bevor „The Colours Of Chloe“ das Licht der Welt erblickte, und ungefähr in der Zeit, als Weber mit einem Elektrobass, der noch nicht viel mit seiner bald auftauchenden Spezialkonstruktion gemein hatte, auf Mal Waldrons „The Call“ glänzte, einer frühen, uralten Japo / ECM-Scheibe, in meinen unbestechlichen Ohren ein vergrabener Schatz, eine schon damals viel zu wenig gefeierte Sternstunde der experimentellen Jazz-Rock-Fusion-Ära, deren Wiederveröffentlichung ich wieder und wieder empfehle, auf die Gefahr hin, damit ECM‘s Pressechef Christian Stolberg ganz leicht auf die Nerven zu gehen.


    Als ich meine Liebe zum Jazz entdeckte, gab es beim WDR eine spannende Gesprächsrunde: eine kleine Ansammung von Experten sass an einem grossen Tisch, und munter diskutierte man ausgewählte Neuerscheinungen. Ich erinnere mich noch bestens an den Abend, an dem diese drei oder vier Experten (eine Frau war dabei, bingo!) eine MPS-Produktion diskutierten, die „We‘ll Remember Komeda“ hiess, mit rotem Cover – und alle waren gewiss mit guten Gründen begeistert. Ich liebe die Scheibe noch heute.

    Worauf ich damit hinauswill, ist die heutige Jazzkritikerrunde im Deutschlandfunk. Um 8.40 Uhr begann unsere Blockzeit im Studio: Thomas Loewner, Odilo Clausnitzer und ich legten los, wir sprachen über unsere drei Favoriten des ausklingenden Jahres. Die beiden sind, wenn ich das richtig einschätze, gute Freunde, ich kenne sie allein aus kollegialen Zusammenkünften. Aber was die berühmten „weichen Faktoren“ angeht, das Zwischenmenschliche, den Ungangston, kann ich nur Gutes über die Zwei berichten, und niemand kann mir schnöde Schmeichelei unterstellen, denn es ist schon lange abgesprochen, dass ich 2025 meine finalen Radiorunden drehe.

    Gesundheit vorausgesetzt, gibt es meine letzten vier Ausgaben der „Klanghorizonte“ im März, Mai, Juli, und September 2025, stets am dritten Donnerstag des jeweiligen Monats zwischen 21.05 Uhr und 22.00 Uhr – und, finally, ein knapp einstündiges Porträt, vielleicht über Steve Tibbetts – das perfekte Schliessen eines Kreises wäre das, denn meine allererste Sendung im Oktober 1989 war, im DLF, eine 45-minütige „Studiozeit“ über Steve Tibbetts.

    Das heute war schon mal mein Farewell in diesen alljährlichen Rückblicken über persönliche Jazzhighlights – fünfmal war ich nun am Stück mit dabei: einmal mehr waren wir heute oft genug herzlich verschiedener Meinung. All das mit Ernst und Witz und Augenzwinkern vorgetragen, so, dass es letztlich in die Idee mündete, versuchsweise in die Ohren des jeweils andern zu schlüpfen – es wäre eine bewusstseinsverändernde Erfahrung. Humor war auf jeden Fall eine Konstante, und ich bin gespannt, wie Thomas das alles zusammenschneidet.

    Ich will nicht vorgreifen, aber möglicherweise kann Thomas eine kleine Schlusspointe gar nicht im finalen Mix unterbringen, drum gebe ich sie hier preis. Situationskomik. Das letzte Werk, ein Favorit von Thomas, stammt von einer norwegischen Ziegenhornspielerin, und Odilo meldete leise Zweifel an, ob die Sache mit dem Ziegenhorn (s. Foto) nach 200 Jahren instrumentaltechnischer Entwicklung noch soviel Sinn mache. Nun, entgegnete ich, und nachdem ich just meine dezenten Ambivalenzen zu Eva Klesses bedeutungsschweren „Stimmen“ (Enja) vorgetragen hatte, das Ziegenhorn wäre tatsächlich die allerbeste Idee für den Ausklang dieser Stunde!

    Wie gesagt, die „Ohren des Andern“, das war ein Subtext unserer fröhlichen Diskurse, und auch die beiden handsignierten Exemplare spielten hinein, die meine zwei Kollegen bekommen, von meinem Buch über Shabakas neue Flötenmusik. Am kommenden Donnerstag, dem 19. Dezember um 21.05 Uhr, ist diese Jazzauslese im Deutschlandfunk zu hören, und anschliessend sieben Tage in der Audiothek.


  • Mitternachtsmusikerinnerung

    21. März 2021. Für eine Nachtwanderung sind einige Dinge nötig, ich habe an alles gedacht, natürlich auch an das Banalste, die Taschenlampe. Sonst wäre es Slapstick, eine Art Geisterbahn für die Erlebnispädagogik. Die Nacht, zwischen Dünen und Küste, da, wo auch Rehe heimisch sind, hinter Kampen, hinter dem gediegenen Leben, hat ihre hundert Geräusche („the dying sounds of Sylt“), die alle Musik sind. Beim ersten Mal habe ich wirklich Beatles-Melodien gesummt, nun sind die Songs im Survival Kit: alles von You Want It Darker, bis, wie versprochen, „Promises“, mit Floating Points und Pharoah, die Boom-Box, mehr ist nicht erforderlich. Ich werde heute nicht ins Wasser gehen an den Buhnen, der kleine Anriss an der Wade schmerzt noch immer. Strandkörbe sind schon wieder im Einsatz, Einheimische hocken manchmal darin, aber nicht nach Mitternacht, und denken, bald werde es wieder so sein wie früher. Vor Corona. Eingeschliffene Bilder von der Wirklichkeit sind beharrlich. Das Leben kriegt man immer nur für eine Weile zurück.

  • An Acrobat‘s Heart


    I met her back then in Munich (in the summer of 2000), and she told me, at one point, about sensitive moments in the production. Once, in the morning, she felt her energy waning, couldn’t make the appointment, everything was up in the air. Manfred Eicher carefully knocked at her door. Helpful words, encouragement. It ended well. Fortunately. By the way, she never got together with Brian Eno (they would have made an interesting pair in the studio), but once, early in the seventies, he lent her a wonderful pair of old horn loudspeakers, she fell in love with their sound and never gave them back.

    In meinem Jahresrückblick tauchen ungewöhnlich viele Frauenstimmen auf, aus lang vergangener wie heutiger Zeit, Julia Holter, Laurie Anderson, Feliciá Atkinson, Jessica Pratt (you miss something between „Twin Peaks“ and „deep, deep mood music“ if you miss Jessica‘s „Here In The Pitch“), Beth Gibbons, Joni Mitchell, Anne Briggs, Annette Peacock. All diese Alben haben für mich etwas Unwiderstehliches, und ich kann nie anders, als sie am Stück zu hören. Vor Tagen lauschte ich wieder einmal Laurie Andersons „Hörspiel“ über den letzten Flug von Amelia Earhart, und war so gefangen von ihrem stimmlichen Vortrag, dass ich Raum und Zeit um mich vergass, in ihrer alten Klapperkiste, auf ihrer allerletzten Reise.

    Und am Tag darauf kam Annettes letztes Songalbum bei mir an, das im Jahr 2000 entstand. Erstmals nun als Schallplatte, genauer gesagt, als Doppelalbum, in der ECM-Reihe „Luminessence“. Makellose Pressung, exzellenter Sound (was ja nun keine Überraschung ist). Neben ihrem Gesang ist Annette am Piano zu hören, allein das Cicada String Quartet begleitet sie. Jan Erik Kongshaug sitzt am Mischpult, und Manfred Eicher ist der Produzent im Rainbow Studio. (Those were the days.)

    Einst, in ihren jungen Jahren, war sie eine so eigensinnige wie sinnliche Erscheinung. Viele Männer hielten Hof, Timothy Leary war einer von ihnen. Obwohl mir ihre skurrile „Annette Peacock Paul Bley Synthesizer Show“ als Album stets ein Rätsel blieb, das vielleicht nur Konrad Heidkamp und das Liebespaar Bley – Peacock entschlüsseln konnten, waren ihre Soloalben durchweg wagemutige, auf seltsame Art zugängliche, wundervolle, ja, genau, wundervolle Trips, die nie einem einzigen Stil treu blieben und brisantes Fremdgehen betrieben zwischen Funk und Free Jazz, Blues und Elektronik, Avantgarde, Rock und ganz und gar unklassischem Songwriting.

    Wie betörend ihre Kompositionen sein konnten, brachte Paul Bley etwa auf „Open, To Love“ zu Gehör, allein am Klavier. Jahrzehnte später Marylin Crispell mit „Nothing Ever Was, Anyway – Music of Annette Peacock“. Für das kammermusikalische Szenario von „An Acrobat‘s Heart“ (mit einem Hauch von Folk, den ich nie ding- und ortfest machen kann), gab es einmal mehr keinen Vorläufer unter ihren eigenen Alben, und unter anderen sowieso nicht. Klappt man das Gatefold-Cover auf, finden sich die lyrics, die wider allen Mainstream-Empfindsamkeiten, Liebesdingen und Erinnerungen auf den Grund und Abgrund gehen – die Bilder der Worte so elementar, so klar, und doch kaum zu fassen. Fragile Sphären, unzerbrechlich!

    Ich traf sie damals in München, und sie erzählte da auch von sensiblen Momenten der Produktion. Einmal, morgens spürte sie ihre Energie schwinden, konnte den Termin nicht wahnehmen, alles hing in der Luft. Es nahm ein gutes Ende. Zum Glück. „An Acrobat’s Heart“. Mit Brian Eno ist sie übrigens nie zusammengekommen (das wäre auch ein interessantes Paar im Studio gewesen – die „Annette Peacock Brian Eno Synthesizer Show“ hätte ich zu gerne erlebt), aber einmal, früh in den Siebzigern, lieh er ihr ein wunderbares Paar alter Hornlautsprecher, sie verliebte sich in ihren Sound, und rückte sie nie wieder raus.

    (monthly revelations, „Archive“, January 2025)

  • Die Schneekugel schütteln

    „Nur die Hunde können es klingeln hören“ – das ist ein geradezu therapeutischer kurzer Prosatext von Jonas Mieth, der einen fundamentalen, traumatisierenden Verlust bearbeitet. Hier ist der Link. Ein Bewusstseinsstrom? Nein, es ist viel mehr. Fasziniert lauschen wir einem atemlosen Erzähler, der seinen Verstand verliert. Ein Bewusstseinserweiterungstext, ein Bewusstseinsveränderungstext ganz im Sinne Michael Pollans Buch „Verändere dein Bewusstsein“. Ein Unterbewusstseinstext. Oder eine komplexe aktive Imagination im Sinne C.G. Jungs, in der sich jemand vom Ich zum Selbst bewegt. Der Text erzählt davon, wie das Ich in sich gefangen ist, wie es sich selbst gefesselt hat und plötzlich in Bewegung gerät, wie seine Konturen verschwimmen und sich auflösen und sich etwas in einem Kraftakt befreit oder wenigstens versucht sich zu befreien. Wir spüren, was selten in Literatur gelingt, dass das Ich eine Illusion ist. Der Text beschreibt ein Bewusstsein ohne das Gefühl eines Ich. Jedenfalls ohne das Gefühl eines menschlichen Ich. Jedenfalls zeitweise. Das Bewusstsein löst sich auf, es geht auf die Suche, es findet etwas, es verwandelt sich und es entsteht neu. Wer kontrolliert deinen Kortex? Think outside the box. Turn on, tune in, drop out. Ganz ohne LSD.

  • Im Club der Fische (4)


    Es war nicht mehr langhin, dann würden wir uns nie wieder sehen, vielleicht waren wir noch ein Jahr beste Freunde, ohne dass alles, ohne besonderen Grund und Sinn, zerfiel in zwei ganz andere Lebenswege. Kein einziger Streit, je, das muss man sich mal vorstellen, aber gemeinsame Abenteuer und tolle Erlebnise wieder und wieder. Und ein Langstreckenlauf besonderer Art. Eine Sache war etwas unheimlich, und sie  fand an einem besonderen Ort statt, nahe der Weissen Taube, auf einem  Feld mit struppigem, hochgewachsenen Gras. 

    Wir spielten dort, und ich weiss gar nicht mehr was. Vielleicht erkundeten wir nur das Wiesenfeld. In der Nähe eine Tankstelle, und die Geleise der S-Bahn, auf die wir öfter die Ohren gelegt haben, um zu hören, ob seltsames Gesumm einen nahenden Zug ankündigte. Da kam ein uns unbekannter Junge herüber, und wir wunderten uns, dass er direkt auf uns zukam. Er kam gleich zur Sache, und sagte, das Feld  sei nicht unseres, und wir mögen verschwinden. – Nein, machen wir nicht, entgegnete ich. Wir stören hier niemanden! 

    Der Typ, der in unserem Alter war, etwas kleiner und eher humorlos, zog von dannen. Nach etwa zwanzig Minuten kam er mit einem Kumpel wieder. – Ihr verschwindet jetzt hier, sagte er und holte ein kleines scharfes Messer hervor. Das veränderte die Situation. Auf eine kleine Rauferei hätten wir es noch ankommen lassen, aber das hier konnte gefährlich werden. Wir hatten keine coolen Sprüche auf der Lippe und räumten das Feld anstandslos. Bis wir die Weise Taube überquert hatten, spürten wir die Angst in unseren Knochen.

    Rückblickend hatte der Ort etwas Besonderes. Der Junge, der seinen Kumpel mit dem Messer holte, verschwand in einem der Häuser auf der Hagener Strasse, in einer seit Ewigkeiten dicht gedrängten Häuserzeile, in der du nicht so viele Jahre später mit deiner Frau eingezogen bist, als du schon völlig verschwunden warst aus meinem Leben, nie aber aus den Erinnerungen. Ich wohnte nur sieben Minuten von der Weissen Taube entfernt, bis ich das Abitur machte. Und dann, fort, fort! Ich hätte dich gerne gefragt, ob du nicht öfter, wenn du das Feld gesehen hast, oder den Raum, auf dem einst das Feld stand, an diese eigentlich völlig folgenlose Episode gedacht hast, in der wir einmal, von einem Typ bedroht wurden und klein beigeben mussten. Vielleicht bist du gar eine Zeitlang sein Nachbar gewesen, aber keiner hätte den anderen erkannt und auf diese Konfrontation angesprochen.

    Wie gerne würde ich heute noch einmal mit dir an diesen heissen Sommertag zurückkehren (ich ernnere es genau, wie die Sonne niederbrannte). Natürlich würden wir einmal mehr das Feld räumen, aber es wäre eine ideale Gelegenheit gewesen, unsere Blutsbrüderschaft zu erneuern, und auf alle Zeiten zu verlängern, quer durch die Jahrzehnte, über das Ende des Jahrhunderts hinaus. Wir hätten das diesmal wieder mit ein Stecknadel gemacht, in der Lichtung in dem grossen Wald, der unser Revier war.

  • Im Club der Fische (3)

    Stück für späte Stunden (für Matthias)

    Da war die Zeit, in der wir Nachmittage dehnten,
    bis all die Lichter, Fenster, Autos, erste Feuerstellen,
    uns nach Zeichen suchen ließen, Spuren schwarzer Himmel,
    die ihre Pforten für den Regen öffnen,
    für Lieder über Regen, wie er hart zu Boden trifft, uns
    badet, uns, unbesiegbare Kinder mit einer Mission.


    „Unser Polizist“, Michael Z. (weisst du noch, wie wir ihn morgens oft abholten, die lange Singerhoffstrasse runter und rauf), hatte mir den Weg gewiesen, aber ich war zu blöd, dich zu finden. Vielleicht dachte meine Unbewusstes, die Kindheit sei ein zu weit entferntes Land. Ich hätte nur ein paar Häuser weiter abklingeln müssen, im Frühsommer, und du hättest vor mir gestanden.

    Was trennte uns letztlich so früh, 1966 oder 1967, es war nicht die Höhere Schule, es war nicht deine Arbeiterkklassenherkunft, es war nicht der Umzug von Hombruch nach Kirchhörde, es war kein Streit. Scheisse, wir waren Blutsbrüder, so wie es uns Karl May beibrachte mit Winnetou und Old Shatterhand. Wie oft fuhren wir Sonntags mit dem Mercedes von Daddy in den grossen Wald, wir pflanzten einen Baum ein, und wir guckten „Am Fuss der Blauen Berge“.

    Ist es wirklich albern zu sagen, dass du mein bester Freund warst, weil es die Jahre 6 bis 12 waren? Es war das Ende der Kindheit. Das Ausfahren der Antennen in andere Richtungen. Du hast schneller geheiratet als ich verlobt war. Obwohl ich sicher bin, dass wir das Träumen nie verlernt haben, fanden wir nie mehr die Kurve in das Leben des anderen.

    Unzählige Male fuhr ich durch die alte Siedlung, nach meiner Rückkehr 1987, studierte die Namen auf den Klingelschilldern, und ging vor ein paar Tagen mit Klaus Weckermann, unserem Anführer in den vier Jahren auf der „Brüder Grimm“, noch mal Namen und Häuser und Erinnerungen durch. („Hallo, bist du Klaus Weckermann, wir sahen und zuletzt vor weit über fünfzig Jahren!“). Wer schon alles tot ist: Margarete, so früh, mit 43, Erdnüsse und aus! Und fast alle Regeners. Und der schlaue Dieter.

    Vor ein paar Monaten standest du noch bei Klaus vor der Tür, mit einem neuen Motorrad. Du bist beruflich noch einige Male nach Japan geflogen, zu Mitsubishi, erzählte Klaus. Zwei Kinder, drei Enkel – zwei Hunde zuletzt. Und nach deiner Hochzeit nahmst du den Namen deiner Frau an, wie soll ich dich da finden? Und als Klaus und Jutta mir das Foto rüberreichten, wusste ich, dass ich dich überall auf der Welt sofort erkannt hätte, selbst in Tokyo. Die Augen. Das Lachen.

    Ich hätte so gerne in deinen Erinnerungen gestöbert – es wäre ein Rausch gewesen, voller Drachen und Singles und Sylvesterknaller. Weisst du noch: am 2. Oktober 1965 sahen wir das 2:2 unseres BVB gegen den HSV im Stadion Rote Erde, du hattest auf einmal Panik, ich begleitete dich heraus, bis dein Herz wieser ruhig schlug, dann kehrten wir auf die Tribüne zurück. Blutsbrüder! Lass uns bitte noch einmal Donovan singen! „Sunshine Superman“. Und den Himmel nach Liedern für den Regen absuchen!

  • 2024: Eleven albums you should listen to

    • Beth Gibbons – Lives Outgrown
    • Willie Nelson – Last Leaf On The Tree
    • Fabiano do Nascimento & Sam Gendel – The Room
    • The Cure – Songs Of A Lost World
    • Santi Careta – A Milers De Somnis De Distànsa
    • Gunnar Sønstevold/Mai Sønstevold – The Kitchen Counter Experiments And Other Electronic Works (1959-1984)
    • Andrea Giordano – Pearlescent Dark
    • Erik Honoré – Triage
    • Tyla – Tyla
    • Charlie XCX – Brat
    • Ganavya – Daughter Of A Temple

    A personal favorite of mine from 2024 is the duo album entitled The Room, from LA based, Brazilian guitarist Fabiano Nascimento and saxophone player Sam Gendel. The latter has also released an album together with Norwegian fidler Hans Kjorstad. Its sparse arrangements and strong musicianship leans  on Brazilian music of bossa, jazz and folk. 

    Erik Honoré made his best album under his own name in 2024. Triage carries themes that can be found on his previous solo releases Heliographs (2014) and Unrest (2017). Beautifully produced, it ties old recordings with the new ones.  A perfectly balanced album, at least in my book. 

    Perhaps the most surprising release of the year came from Willie Nelson. The Last Leaf On The Tree is a set of (mostly) cover songs by the senior C&W singer. A swan song that is full of beauty, protest songs and advice for young people. Produced and curated by Micah Nelson it features among others Daniel Lanois on pedal steel.

    Two dance albums that intrigued me: South African singer Tyla´s self titled debut album, and the Charlie XCX´ Brat long player. Both sounds fresh and daring while still being accessible. 

    Italian singer Andrea Silvia Giordano, currently based in Oslo released a large ensemble album dedicated to her late Italian mentor. The album carries a set of nine Stansia songs expressing fatigue or perhaps a life ending. Giordano studied with Sidsel Endresen at the Norwegian Academy in Oslo. She has collaborated with among others video artist Kjell Bjørgeengen and Eivind Lønning. The latter also a sometime collaborator with Erik Honoré. 

    Together with Eivind Aarset I was invited to play at Laboratory of Arts in a small village of Tavertet outside Barcelona. A community of Tibetan Buddhist practitioners. We stayed for a week and listened to performances in between mediation lessons, masterclasses and mountain walks. Indian/US singer Ganavya came with her mom and dad, both appearing on her 2024 album. Celebrating midsummer night, Nik Bartsch, Shai Maestro and EST dummer, Magnus Öström joined us for our performance. A beautiful night. Listening to Ganavya´s masterclass, a lecture on classical Indian raga was both intentional demystifying and inspiring. I was also impressed by Catalonian guitarist Santi Careta and his performance with pianist Clara Peya. Santi Careta´s solo album A Milers de Somnis de Distànsa is a set of songs sung by Careta himself. Worth checking out.

    Norwegian electronic pioneers Gunnar and Mai Sønstevold homemade «kitchen» recordings has been carefully collected and restored by the eminent Lasse Marhaug as The Kitchen Counter Experiments And Other Electronic Works (1959-1984). These recordings has been made public on O.Gudmundsen Minde. Available on Bandcamp.

    A little nod to Flowworker´s Michael Engelbrecht is the new Cure album. I could pull out a few tracks from their extensive catalogue. I must admit I fell off their releases after a while, but Alone from Songs From A Lost World would be a good start to their extensive catalogue.

    From her tenure with Portishead, a band that somehow left me cold, Beth Gibbons´Lives Outgrown is a work of a matured songwriter and performer. What once felt insecure and perhaps therefore had traces of Billy Holiday has gradually turned into something deeply personal.  

    – Jan Bang

  • „Delights of My Life“ – meine Jazzauslese 2024 (for Brian W.)


    A few weeks ago, I laid back and listened to the wonderful bass solo album „Landloper“ by Arild Andersen. One of these albums that better work in darkness. I listen to Arild’s bass since I discovered ECM with Jan Garbarek‘s album SART. By the time John Lennon‘s „Imagine“ blocked my record player. He never stopped surprising me, being good company at least. („Landloper“ ends with an irresistible mélange of the two classics ‘song for che’ and ‘lonely woman’). I somehow never ever even heard about his 1981 album „Lifelines“. By chance, this summer, I stumbled on it. Via Discogs, I got a near mint vinyl copy. Awesome. Paul Motian on drums, Kenny Wheeler on trumpet, and a fabulous pianist with his only appearance ever on ECM. One of the titles: „Landloper“. 

    01. Shabaka: Perceive Its Beauty, Acknowledge Its Grace  
    02. Fred Hersch: Silent. Listening  
    03. Anna Butterss: Mighty Vertebrate  
    04. Jeff Parker ETA IVtet: The Way Out Of Easy  
    05. Jakob Bro: Taking Turns  (my radio review: HERE)
    06. Nala Sinephro: Endlessness  
    07. Kalma / Chiu / Honer: The Closest Thing To Silence  
    08. Eric Chenaux: Delights Of My Life  

    09. Sidsel Endresen: Punkt Live Remixes, Vol.2
    10. Wayne Shorter: Celebration  


    11. Charles Lloyd: The Sky Will Be There Tomorrow 
    12. Arild Andersen: Landloper 
    13. Aaron Parks: Little Big
    III
    14. Vijay Iyer: Compassion
    15. Cyrille / Frisell / Downes: Breaking The Shell
     
    16. Søren Skov Orbit: Adrift 
    17. Nik Bärtsch‘s Ronin: Spin  
    18. Arroj Aftab: Night Reign  
    19. The Messthetics and James Brandon-Lewis  
    20. Patricia Brennan: Breaking Stretch

    „In year of bounty in jazz, identifying the best new jazz of 2024 meant finding the recordings that took my breath away and built atop or extended the tradition. Each of these recordings, to my ears, is bracing, beautiful, and new, suggesting the many ways the art form remains important and joyful.“ (These are the words of Will Layman in „Popmatters“, but I can easily make them my own. We even share some records on our lists, five exactly.)

  • „Es lebe der Gong in alten Lichtspieltheatern!“ – Peter Bradshaw vs. Michael Engelbrecht

    Im Guardian gibt es keine halben Sterne. Also machen wir bei diesem Duell zumeist 2024 erlebter Filme (meine Bewertung von Point Break aus dem Jahre 1991 habe ich aus der fernen, fernen Erinnerung geholt) auch keine halben Sachen. Kevin Costners Western-Epos „Horizon“ wird oft verrissen, aber ich stehe zu meinen vier Sternen, weil es dreieinhalb nicht gibt. Den Film „Blitz“ von Steve McQueen (wir kennen ihn u.a. von dem magischen Movie einer Londoner Reggae-Nacht), angesiedelt im „Blitzkrieg“ (wiederum ist London zentraler Schauplatz), hätte sich Peter bei allem Respekt für den Regisseur gerne radikaler gewünscht, aber ich schätze den „touch of Charles Dickens“ sehr (Netflix übrigens). Und einer meiner absoluten Lieblingsfilme, „The Duke Of Burgundy“ musste auch reinrutschen. Klicke auf das Wort „masterpiece“, und du siehst Peters Besprechung des beeindruckenden Films „Die Fotografin“! Okay, ein gewisser Pfiff fehlt diesem Duell, weil wir etwas zu selten weit auseinanderliegen (wir liegen sogar parallel bei „Roter Himmel“ und „Perfect Days“), aber der eine und andere Filmtipp mag dennoch rausspringen! Oder eine sich lohnende Wiederholung. Wie etwa der einst gern gesehene Surfer-Thriller „Perfekte Brandung“…. wusste gar nicht mehr, dass der Film von Kathryn Bigelow ist.


    Beatles 64 PB ***** ME ****
    Horizon ** ME ****
    Blitz PB *** ME ****
    Poor Things PB ***** ME **
    The Zone of Interest PB **** ME *****
    Point Break PB **** ME ****
    Twisters PB *** ME ****
    The Duke Of Burgundy PB **** ME *****
    The Dead Don‘t Hurt PB **** ME ****
    Lee / Die Fotografin PB „masterpiece“ ME ****

    Spätvorstellung“:

    „Lovers Rock“ – „Steve McQueen throws the best party ever. Filled with rows, romance and sexual adventure, this story of an uproarious celebration in 80s west London is an audacious, euphoric experience.“ Das schrieb Mr. Bradshaw vor über voer Jahren über „Lovers Rock“, meine Empfehlung für einen alternativen Weihnachtsfilm. Ich kenne keinen, der Reggae liebt und diesem „instant classic“ von diesem „anderen“ Steve McQueen keine fünf Sterne geben würde! Hinreissend!