Elton und Brandi
Zu den Musikern, deren Oeuvre mich schon seit meiner Kindheit begleiten und zu jenen, deren veröffentlichtes Werk ich in der Gänze kenne, zählt Elton John. Seit ich denken kann, rief das bei vielen Leuten immer wieder verwunderte Blicke und irritierte Kommentare hervor, zumal ich sonst ja oft auch eher recht radikale und experimentelle Sachen genieße und verteidige, die vielen Leuten eher Kopfschmerzen als Freunde schenken. Ich hatte wohl, was Pop- und Rockmusik betrifft, schon in meiner Jugend eher eine Neigung zu jenen, die trotz irgendwelcher Widerhaken (wie z.B. dass sie nicht in die Erwartungen passten) einen erfolgreichen Weg im Pop gegangen sind — Elton John, Freddie Mercury, Gianna Nannini, Patti Smith, David Bowie, Björk, Annie Lennox, Fiona Apple sprachen mich damals weit mehr als die typischen Macho- und Testosteronrocker (und -Rapper), die (nicht nur aber natürlich auch) in meiner Jugendzeit überaus beliebt waren, oder die glatten Sängerinnen, die Millionen Platten verkauften.
Bis heute kann ich viele von Eltons Meisterwerk-Alben jederzeit hören (und mitsingen) – und nach wie vor verteidigen. Und es gibt doch viele davon. Auch wenn der bald 80-Jährige über die Jahrzehnte immer wieder mal auch Sachen aufgenommen oder verzapft hat, bei denen ich auch beim wiederholten Hörversuch „Was für ein Käse“ denke (beispielsweise das komplette „Aida“-Album) und die Qualität immer wieder auch schwankend ist, freue ich mich nach wie vor jedes Mal, wenn’s alle paar Jahre mal ein neues Album gibt. Häufig wird es die Gelegenheit nicht mehr geben, dass ich eine neue CD von Elton John auspacke und zum ersten Mal anhöre.
Die letzte Platte The Lockdown Sessions war eine extrem heterogene Kollektion von Duetten, darunter ein paar „Hits“, die songwritingmäßig deutlich unter dem Niveau selbst vieler seiner durchschnittlicheren Nummern sind. Auf der CD hörte ich allerdings erstmals Brandi Carlile und wurde neugierig auf ihr damals neues Album In these Silent Days, ein großartiges Songwriteralbum (das ich erst auf CD kaufte und dann später passend auch noch als LP), nicht nur sehr stark von den Großen der Siebziger beeinflusst – im Wesentlichen von Elton und Joni, die Brandi als ihre „Eltern im Geiste bezeichnet“ – sondern klingt erstaunlicherweise auch total so, als wäre es Mitte der Siebziger entstanden. Und Brandi Carlile hat nicht nur ein tolles Händchen für hervorragendes classic songwriting, sondern obendrein eine beeindruckende Präsenz in ihren Performances, anders als einige andere der Kollaborateure der The Lockdown Sessions .
Nun haben Brandi und Elton ein komplettes gemeinsames Album aufgenommen, das heute in meinem Briefkasten landete, und nicht überraschend ist es eine Kollektion von Songs, die ebenfalls an die Siebziger anknüpfen und – anders als die enorm unterschiedlichen Elton-Alben der letzten 25 Jahre (zuletzt wohl Songs from the West Coast, 2001), die ich größtenteils sehr schätze – streckenweise tatsächlich auf erfrischende Weise altmodisch. Hier und da ein bisschen (unnötiger) Bombast, andererseits aber auch ein paar subtile, charmante Sachen. Dass das visuelle Design, wie schon bei den Alben der letzten zehn Jahre (speziell The Lockdown Sessions und Wonderful Crazy Night) haarsträubend albern ist – geschenkt. Nicht hinschauen… Ein sensibles Design wie bei Brandi Carliles Alben wäre weitaus passender gewesen. Die vielen persönlichen und berührenden Momente dieses Albums sind nun ein bisschen unter dem knalligen Camp dieser aufgedrehten „Gay Theatrics“ vergraben.
Das letzte Elton-Album, das wirklich grandiose Songs hatte, The Diving Board, 2013 erschienen, hatte leider den Haken, dass es als „just Elton and his piano“ angekündigt worden war, aber dann doch eine Spur zu viele weitere Gastmusiker drauf hatte. Dieses neue endet mit einem sehr bewegenden, sehr persönlichen Solo, das eben dort anknüpft, und es bleibt zu hoffen, dass es nicht sein letztes Album ist und er an diesem Faden noch einmal weiterspinnt. Eine kraftvolle Stimme hat er noch, das muss man ihm lassen, zumal sie sich über die Jahrzehnte hin extrem gewandelt hat. Wenn es wieder vier Jahre dauert, bis er ein Album rausbringt, ist er immerhin schon 82. Wie viele (Rock-)Musiker bzw. Songwriter liefern als (über) 80-Jährige noch was ab, geschweige denn was Interessantes? Johnny Cash, Lou Reed, David Bowie haben gerade so (oder gerade so nicht mehr) die 70 erreicht und ihr reifes Spätwerk entsprechend deutlich früher abgelegt. Patti Smith hat sich seit 2012 leider vom Veröffentlichen neuer Songs komplett verabschiedet, auch wenn sie auf Tour noch immer große Kraft hat (im Sommer gehe ich wieder hin, vielleicht auch mehrmals). John Cale immerhin hat letztens mit knapp 83 noch ein gar nicht unspannendes, gar nicht lahmes Album rausgebracht. Das letzte von den Stones fand ich auch überraschend stark; ich höre es nach wie vor sehr gerne. Witzig auch, dass sie dort, nachdem Charlie Watts nur noch auf zwei Songs mitspielen konnte, Bill Wyman einmalig aus dem Ruhestand zurückgeholt haben und nochmal alle fünf zusammenkamen — sogar in diesem einen Fall mit Elton John an den Tasten!
Inside Brian‘s Studio
Es wird mal wieder Zeit für ein Brian Eno-Interview, und mir würden genug Fragen einfallen, auf deren Antwort ich selbst neugierig wäre. Nicht so leicht, mögen manche denken, denn seit der Zeit des Internets gibt es zahllose Interviews mit Eno, zur Musik, dazu, wozu Kunst da ist, zu Gaza, dem aufkommenden Faschismus in den USA. Meine aufregendste Zeit muskalischer Entdeckungen liegt tatsächlich in den Zeiten vor der Erfindung des Netzes, in der analogen Ära.Damals stolperte man über Neuerscheinungen, oder man benutze gewisse „Kanäle“, um auf dem Laufenden zu bleiben. So ging ich in der zweiten Hälfte der Siebziger Jahre in Würzburg regelmässig zu Montanus, um die neuesten Ausgaben des Jazz Podiums und des Melody Maker durchzustöbern. Was heute allgegenwärtig ist, musste damals ausgekundschaftet werden. Nur wenige Magazine halfen da, die eine und andere Radiosendung.
Heute ist der Blick auf die neuen Klänge der nahen Zukunft geradezu gleichgeschaltet – und sehr oft mit einem Blick zurück verbunden. Mit einem Schmunzeln merkt Brian Eno im Gespräch mit Zane Lowe an, dass damals, als Roxy Music am Start war, die Geschichte des Rock‘n‘Roll gerade mal 16 Jahre jung war, wenn man die Stunde Null bei Bill Haley ansetzt. As time goes by.
Meine einzige Roxy Music-Story ist die, um die mich viele beneiden, die Fans der ersten Alben der Band sind, die ursprünglich mit dem Anspruch auftraten, „anti-hippie“ zu sein, und dem allzu schnell kodifizierten „styling“ der Hippie-Kultur unverbrauchte Mythen und Fantasien entgegenzustellen. Nun war ich um 1991 herum (oder Jahre später) in seinem alten Haus in Maida Vale, als er mir nebenbei mitteilte, dieser Raum hier, in dem wir sassen, wäre damals der Übungsraum von Roxy Music gewesen, wo sie wie verrückt die Stücke ihres ersten Albums einstudiert, entwickelt, geprobt hätten.
Ja, ich nahm es zur Kenntnis (Roxy gehörte nie zum Soundtrack meines Lebens), und war froh, ihm in seinem Arbeitszimmer über die Schulter zu schauen, als er ein am DX-7 entwickeltes Stück für „The Shutov Assembly“ den letzten Schliff verpasste. Ein absolutes Lieblingsalbum. As time stands still. (m.e.)
Die drei besten Alben der besten Band der Welt
Vom Opener „Our prayers will never be answered again“ bis zu „In a Future Age“, in dem Jeff Tweedy uns auffordert, „unsere Gebete in unverschämte Wagnisse zu verwandeln“, schleppt uns das drittbeste Album, das Wilco je aufgenommen hat, durch unseren zwischenmenschlichen Müll, nur um uns dann höflich zu bitten, ihn selbst aufzuräumen. Cool.
Und da ist genug Zucker in der Medizin: also, Leute, von den süchtig machenden Pop-Hooks des Albums in den Bann gezogen, umgarnt uns die Band mit cleverer Ironie und reichhaltiger musikalischer Bearbeitung, die uns so leicht nicht mehr loslässt. Während das Album seine Feinheiten preisgibt, wird deutlich, dass die Band exponentiell wächst. Und das anno 1999. Nachdem sie sich selbstbewusst von ihren alternativen Country-Geistern verabschiedet haben, ist Wilco zu einer Band geworden, von der wir alles und nichts erwarten können. Mit Summerteeth haben sie ein Album geschaffen, das so wunderbar doppeldeutig und ungewiss ist wie das Leben selbst. Einst schrieb mir Elizabeth Hand dazu:
„Another album I must have listened to almost every day for a decade. I finally put it aside last year, and this morning found myself in the mood to dig it out again. Beautiful and eerie; the sunny “Pet Sounds” production belies the dark lyrics. You could write an entire essay about the influence of “Pet Sounds” on“Pieholden Suite,” though my favorite song is the alternate version of the brilliant “A Shot in the Arm,” a hidden track (along with “Candyfloss”) which gives “Sergeant Pepper” era John Lennon a run for his money in under four minutes. Gorgeous, desperate, and so dark it’s exquisitely painful to listen to. “Maybe all I need is a shot in the arm/Something in my veins, bloodier than blood.” An entire hidden thread of my life had this as its soundtrack (note: nothing to do with drugs). “You’ve changed: What you once were isn’t what you want to be anymore.”
Es folgten bald darauf ihr zweitbestes Opus, das viele für reinen Sternenstaub und dunkelstes Gold halten, Yankee Hotel Foxtrot, und dann das überwältigende wie tollkühne Meisterwerk A Ghost Is Born. Unendlich sanfte und wilde Lieder kreuzen sich gnadenlos! Seit damals bin ich Fan und freue mich sie im Juni in meiner alten Heimat zu erleben. Übrigens mag ich alle ihre Alben seit diesen drei großen Würfen der frühen und dunklen Jahre.
Auf jeden Album seitdem finde ich Juwelen und Songs, die den direkten Weg unter meine Haut einschlagen, und immer wieder mal ein neues Lieblingsalbum, das sich den drei Geniestreichen ebenbürtig erweist. Meistens Sky Blue Sky, betörend verstörend in seinem sanften Flowflow! Derzeit ist mein Album Nummer Vier The Whole Love, mit zahllosen Songs zum Versinken, allen voran der tiefgründige 12-Minuten-Schleicher „One Sunday Morning“, mit seiner Verschmelzung von Wehmut und Freude. Läuft in meinem spanischen Leihwagen in dieser Woche „on high rotation“! (Michael E.)
Ensaïmada
Wann immer mit die Gegenden von Málaga und Marbella begegnet sind: sehr warmes Wetter schien das Normale zu sein, in Reiseführern und Wetterberichten. In diesen Tagen ist eher frisches Frühlingswetter angesagt, und als ich heute Morgen eine mallorcinische Bäckerei entdeckte, tauchte jenes Gebäck auf, das unvergesslich mit meinen grossen Ferien in Teenagerjahren verbunden ist: Ensaïmada. Es wird normal mit Sauerteig gemacht, finde ich heraus, es geht aber angeblich auch mit reiner Hefe. Der Geschmack ist so speziell, warum auch immer, dass er einen an nichts anderes erinnert.
Und damit kommen – auch ohne die Form dieses Teilchens einer psychoanalytischen Betrachtung zu unterziehen (Triggerwarnung: Vertigogefahr bei zu langem Anschauen des Objekts!) – unweigerlich jene alten Bilder und Empfindungen zu Bewusstsein, aus einem lang vergangenen Urlaub dort (die bei mir schon den Status einer „Repertoirestory haben): Lex Barker und Mario Adorf geniessen ihren Salat am Swimmingpool (es hat etwas Besonderes, als Jugendlicher alten Karl May-Helden zu begegnen), Superminister Karl Schiller dreht im Pool langsame Runden mit seiner Geliebten, die seine Sekretärin ist, unbelästigt von der Bild-Zeitung (ein lang verschwundenes Agreement), eine meiner gefühlvollsten Ferienfreundschadten mit Peter von den österreichischen „Judokas“ und endlosen Partien Tischtennis (jenseits homoerotischer Schwingungen) , der Abtransport einer Leiche eines älteren Herrn nach einem Suizid („Depressionen“ ist das Wort, das sich schnell verbreitet), der Soundtrack der Eltern der „Wirtschaftswunderjahre“, Neil Diamond, Frank Sinatra, James Last, und immmer wieder „Spanish Eyes“ (oder heisst dieser „golden Oldie“ „Spanish Harlem“), mein Versunkensein in Albert Camus‘ Roman „Die Pest“ (mehr Gegenwelt geht kaum in jenem künstlichen Paradies eines abgelegenen Luxusressorts).
Eine Atmosphäre von Luxus, die mich heute an die drei Staffeln von „The White Lotus“ erinnert, die nun ihr vielbesprochenes, furioses Finale erreicht hat, das blutige Finale, dem David Steinitz in der SZ und ich hier im Süden immer noch viel Gutes abgewinnen können. Den Showdown von Lebensentwürfen in Marbella zu erleben, in spanischer Synchro, ist speziell, habe ich mich doch an das Timbre der deutschen Synchronstimmen gewöhnt, von Walter Goggins (manchen bekannt aus den grandiosen sieben Staffeln von „Justified“) bis Corrie Coon (manchen bekannt aus dem dreistaffeligen Serienmeisterwerk „The Leftovers“). Was so ein mallorcinisches Gebäck alles an Gedankenketten auslösen kann! Selbst diese kleine Schreibmeditation mit drei Serientips, und einer (nicht weiter ausgeführten, aber uneingeschränkten) Buchempfehlung. Die Regenwahrscheinlichkeit beträgt hier in Marbella in den kommenden Tagen keineswegs Null Prozent. (Music for pool swimming and gazing at the sky today: Carla Bleys „Tropic Appetites“, mein Lieblingsalbum von Carla, mit einzigartigen Gesängen von Julie Tippetts, jedes Stück eine Offenbarung!)Song Of The Day
Vor vier Wochen oder so habe ich mir schon eine Karte für das Konzert von Stereolab in Berlin gekauft, heute lese ich, dass sie dabei auch neues Material präsentieren werden; HIER der erste Song, den ich gleich mehrmals gehört habe. The numbing is not working anymore. Good to have yesterday’s retrofuture back.
News from Makaronesien
Auf der kleinsten kanarischen Insel El Hierro trafen sich jetzt grosse Schaffende von den glücklichen Inseln: Madeira, Azoren, Kapverden. Sie kamen zusammen, um sich über die Lage des Tourismus auf ihren jeweiligen Archipelen auszutauschen. Weil auf diesen atlantischen Meerinseln vorwiegend Portugiesisch gesprochen wird, hatte ich mir ein junges Englisch sprechendes chica organisiert zum Übersetzen.
José Luis Rivero, Wirtschaftswissenschaftler von der Universität La Laguna/Teneriffa moderierte die spannende Runde – claro – auf Spanisch.
Den für mich attraktivsten Auftritt bot Urbano Bettencourt Machado von den Azoren. Er ist Journalist und Schriftsteller, ein anerkannter Intellektueller, der viel für die Musik tut. Seine engagierte These lautet: gegen die Religionen kann nur die Liebe zur Musik als internationale Sprachen antreten. Er berichtete von Philharmonien, also grossen Orchestern, die unterwegs sind und Künstler wie Kurt Weil und Bertold Brecht im Programm haben. Mich fasziniert der Gedanke, dass unsere grosse Kultur bis in die kleinsten Archipele vordringt. Ich fragte ihn, wie es mit dem Jazz aussehe. Er erzählte mir, dass es eine amerikanische Airbase auf den Azoren gebe. Dort gibt es Jazzmusiker, die den an Jazz interessierten Einheimischen die Jazzmusik beibringen. Aber es sei ja klar, dass die afrikanische Musik den grösseren Einfluss habe. Ich fragte ihn auch nach grossen Dichtern auf den Azoren. Er nannte Antero de Quental mit Daten 1842-1891.
Glückselig wer
vorüberging am Weh
Des Lebens und der Leiden-
schaft Getose
Unwissend wie
vorübergeht die Rose
Und flüchtig wie der
Schatten ob der SeeMadeira war vertreten durch den Musiker, Journalist und Schriftsteller Juan Carlos de Abreu. Er verriet mir, dass das nächste Treffen seine grosse Stunde sei, das Thema wäre POESIE.
Javier Morales Febles lehrt als Agraringenieur an den Unis in La Laguna/ Teneriffa und Las Palmas/ Gran Canaria. Ich glaube, er ist unser Vizepräsident, der sehr nah an seinem Inselvolk ist. Wo sieht man schon mal einen Wissenschaftler oder Politiker aktiv bei den lokalen Tänzen ‚mithupfen‘?
Cabo Verde, der afrikanische Inselstaat mitten im Atlantik, erhielt meine grösste Aufmerksamkeit. Ich war sehr neugierig auf den Mann von den Kapverden. Leáo Lopes heisst er. Er ist Filmregisseur, Künstler, Professor, in seiner Zeit als Kultusminister gründete er das Institute of Art an der Universität von Mindalo. Er zeigte kleine touristische Bauprojekte und Märkte mit lokalen Produkten. Im gemeinsamen Gespräch nach seinem Vortrag fragte ich ihn nach interkulturellem Kulturaustausch, ob es Residenzen für Künstler gäbe. Er gab mir für meinen Künstlersohn seine Kontaktadresse.Leáo Lopes hatte zwei Künstler mitgebracht, einen Gitarrenspieler und Sänger und eine Tänzerin. Tiolino y Rosy Timas.
Wie klingt der Sound von den Kapverden? Darauf war ich sehr gespannt. Vollkommen entspannt betrat ein junger hübscher Mann mit seiner Gitarre die Bühne und begann ein langes Lied zu singen. Man konnte ahnen worüber er sang, als die Tänzerin mit um den Bauch gebundenem Ball einen Geburtstanz hinlegte. Sehr graziös vollbrachte sie das Wunderereignis. Aufgrund der Tänze, die alle das Bild der Frau zum Thema hatten, konnte man die Songs gut einordnen. Rosy Timas ist einen begabte Choreografin, die verstand, eine Hausfrau, eine Braut, eine Büroangestellte oder eine verführerische Frivole zu tanzen.Die Rhythmen waren vielfältig : Mazurka, Chachacha hörte ich heraus. Tiolino sang ein Lied von Cesaria Evora, der wohl berühmtesten Sängerin von den Kapverden. Die Beiden bekamen viel Applaus- Ich sah einige Einheimische auf ihren Sitzen tanzen und klatschen zu den afrikanischen Klängen von einer der glücklichen Inseln in Makaronesien. Vamos!
Málaga dreaming
Swimmingpools spielen eine rare Rolle, aber ich unterschlage Erinnerungen, würde ich den Serientraum aus Kindertagen aus dem Spiel lassen, das warme Wasser, in dem die Füße spielen, und die Magierin, die von hinten an mich herantritt. Im Süden Spaniens jetzt ein anderer Traum, und tatsächlich strömt in der Dämmerung, aus schwarzen Lautsprechern, die zweite Sologitarrenplatte von Bill Connors, mit ihrem Hauch von Latino, und einem dritten Swimmingpool (auf dem Cover), der nicht weniger zum Verweilen animiert als dieser hier, und jener aus den frühen Märchen aus 1001 Nacht. (m.e.)
Los Thuthanaka
In den ersten Minuten dieses Albums der bolivianisch-amerikanischen Geschwister Chuquimamani Condori und Joshua Chuquimia Crampton, da glitzern die Gitarren wie Tempelglocken und bilden dämmernde Akkorde. Stürme von Geräuschen wehen hindurch, mal verblüffend in ihrem zischenden Rauschen, mal fremdartig in ihrem Glanz und Rauschen. In von menschlichen und maschinellen Effekten verfremdeten Klangfarben sprechen „Voiceovers“ einleitend und rückblickend über etwas, das wie Stereofelder von lokalen Radiosendungen klingt. It’s a strange world. Irgendetwas passiert hier. Aber was? Nun, wir haben eine interessante Interpretation der Andenmusik. Über Jahrzehnte haben die Musiker diesen Boden vorbereitet, alte Rhythmen von ihren Großeltern gelernt und an Klangzeremonien teilgenommen. Im Jahr 2023 haben sie ein kleines Fenster in die Welt von Los Thuthanaka für die Öffentlichkeit gebaut. In einer aufschlussreichen Ausstellung im MoMA boten sie den Besuchern Kopfhörer und einen Sitzplatz vor einer monumentalen Collage an. Zu den Bildern gehörten traditionelle Medizin und Tiere, die in den Erzählungen der Eingeborenen eine zentrale Rolle spielen. An anderer Stelle hockt ein Ahnenpaar mütterlicherseits zwischen einem monumentalen Soundsystem und schießt Glasscherben und Blitze in den Nachthimmel. Los Thuthanaka klingt so, wie man sich dieses Wandbild vorstellen könnte. Und das ist erst der Anfang.
“That childhood preference for a slow lifestyle“ – ein Interview mit Kevin Ayers
Manchen mag Kevin Ayers bekannt sein, aus alten Hippietagen, von frühen Soft Machine-Alben, oder seinen Soloalben. Oder von seinem „Lampenfieber“. Er stand für fantasievolles, postiv versponnenes Liedergut, undals er einmal nach vielen Jahren der Stille anno 1992 mit einem feinen „Comeback“-Album daherkam, freuten sich die „alten Fans“, wie unverbraucht seine Stimme und sein Charme daherkamen.
Michael Frank traf ihn damals in meiner alten Heimat in Dortmund zum Gespräch. Und Freunde seiner Musik werden HIER das eine und andere von Interesse finden, etwa seine Kindheitsvorliebe dafür, die Dinge des Lebens langsam anzugehen. „The Unfairground“ war sein letztes Werk – ich habe es in guter Erinnerung, und ganz sicher ein, zwei Songs daraus in den frühen Jahren der „Klanghorizonte“ gespielt. John Mulvey schrieb damals:„From what I can tell, Ayers seems to have been mooching about the south of France for an extraordinarily long time, probably doing not much more than some fairly concerted wine-tasting. We spent a while yesterday trying to work out what he lives on – does he have independent means, maybe? But Ayers always comes across as one of those charming, insouciant wasters who sort of glide through life untroubled by the dreary realities that trouble the rest of us. In fact, listening to „The Unfairground“, Ayers tackles angst, romantic mishaps and fear of ageing with a sort of rueful shrug.“
Unser Interview mit Robert Fripp aus dem Jahre 1997 findet sich in diesem „Blogtagebuch“ am 28. März – unter dem Titel „Everything broken will flow“. m.e.)
„Eine Treppe tiefer, und andere Notizen rund um zwei Alben mit einem kubanischen Pianisten“
„Achten Sie auf das raue (aber genau richtige)
Summen der Gitarrensaiten
zu Beginn von „Y Tú Qué Has Hecho?“,
das in eine der natürlichsten, reichhaltigsten
und holzigsten akustischen Gitarren mündet,
die ich je auf Band gehört habe.Oder „El Carretero“. Es zeichnet sich aus
durch einen eindringlichen, sich wiederholenden
akustischen Bass aus, der eine reichhaltige Plattform
für die anderen Instrumente bildet, insbesondere
für ein tief verhalltes, gleitendes Instrument,
das in den Gesangspausen immer wieder auftaucht.“
„All that said this new 4LP treatment of Buena Vista Social Club from Analogue Productions works just fine for me. It feels like they have achieved a happy medium between audiophile excellence and logistical convenience. As I allowed myself to just immerse in BVSC and listen, instantly realizing just how very, very grand it sounds, I became lost in the lushness of the recording of these outstanding performances. And I didn’t mind the frequent disc changing because, in effect, my ears were brought into extreme focus on the individual performances captured on each track. Honestly, it became somewhat exciting to anticipate what joys might await me on each following side!“Ich hatte damals ein seltsam zwiespältiges Verhältnis zu diesem Album (und seinen „Wirkungsgeschichten“), das nun in einer glorreichen Edition auf vier Schalplatten mit „45 rounds per minute“ neu aufgelegt wurde. Ich wusste gar nicht, dass Mark Smotroff bereits im Januar auf „Analog Planet“ darüber geschrieben hatte. Nun bekam ich gestern dieses Päckchen und hörte mir, mit allem munteren Wechseln der Plattenseiten, das Gesamtkunstwerk an. „The word LUSH must have been invented for the overall sound of this time travellers.“
Was mich damals ein wenig nervte, war das „Ergriffenheits-Tamtam“ um diese alte kubanische Musik herum, das man auch jetzt noch hören kann, wenn etwa „Micha45“ aus Düsseldorf („Welcome back!“) sein Loblied spricht, und dabei nur zu gerne auf das Empfinden zurückkommt, glücklichen alten Kubanern in die Augen zu schauen. Als wäre dort in Havanna das Leben im vor- und nachrevolutionäten Kuba ein Leben voller Armseligkeit, und Musik der einzige Fluchtort verlorener Seelen. Solch gönnerhafte Empathie mag ich nicht.
Der Ex-Freund einer amour fou wollte am liebsten auswandern, und in einer alten Bar an der Promenade der Hauptstadt den Rest seiner Tage verbringen. Mit diesem Hippietraum konnte ich nichts anfangen, aber harte Kritik erntete meine damalige Begeisterung für das Liebespaar Julio und Carol, die, um ihrer beider Lungenkrebs wissend, noch eine grosse Reise unternahmen, von einer französischen Autobahnraststätte zur nächsten. Was musste ich mir da für Entrüstungen anhören: meiner Selbstverwirklungsartistin schwebten da ganz andere, letzte Sonnenuntergänge vor, viel Havanna und Kalifornien, und keinesfalls der Anblick nagender Ratten an einem Mülldepot nahe Brest.
Solche „romantischen“ Ergriffenheiten beförderte auch in Teilen der BVSC-Film von Wim Wenders, dessen „documentaries“ von schwankender Qualität sind, und, etwa imFalle von BAP und dem Papst, etwas zu sehr aus dem Fach der Devotionalien stammen (lieber dann doch seine Werbefilme für die Deutsche Bahn!). Da hilft tatsächlich (als berüchtigte „andere Seite der Romantik“) die Lektüre von Pedro Juan Gutiérrez` „Schmutziger Havanna Trilogie“. Gutiérrez weiß als Kubaner, wovon er schreibt und verzichtet zum Glück auf Wim Wenders filmische „Alles wird gut“- Romantik. Da kommt dann eine andere Art von Not und Einsamkeit zum Vorschein! Und rauschhafte Sexualtät, in der breiten Palette zwischen Befreiung und Betäubung.
Gestern tauchte ich jedenfalls ohne rosarote Patina in diese versunkene Welt des BVSC ein, und verspürte alsbald Lust, jenen alten Schmöker hervorzugraben, der ein facettenreiches und traumtänzerisches, wildes und dunkles Bild vom alten Kuba zeichnet, ein famoses „Sittengemälde“, mit dem Namen „Drei traurige Tiger“. Neben „Rayuela“, „Hundert Jahre Einsamkeit“ und, i am laughing out loud, „Schmutzige Havanna Trilogie“ einer meiner Lieblingsromane lateinamerikanischer Erzähler.
Um mit die Wartezeit auf diese Schatzkiste zu verkürzen (der im übrigen alle Texte und eine feine englische Übersetzung und andere Hintergrundrecherchen beiliegen), holte ich das 2017 als Doppelalbum auf Vinyl rausgekommene Opus „Introducing… Ruben Gonzalez“ aus dem Regal, das ebenso wie „BVSC“ in den Egrem Studios aufgenommen wurde. Diesmal nicht von Ry Cooder (dessen gitarristische „Einmischungen“ ich liebe) produzertm sondern von Nick Gold, einem anderen maestro von „World Circuit Records“. Und hier kommt die Überraschung: Rubens Piano kommt hier ganz anders rüber als auf „BVSC“. Zwei fraglos audiophile Werke, und doch ist der Klavierklang so komplett anders. Mhmmm… Ich kann mir dazu zwar einiges denken, aber eine zweifelsfreie Antwort kenne ich nicht. Vielleicht entstand die Aufnahme in EGREM 2, eine Treppe tiefer…
Es gibt, neben dem Versinken in diese beiden Alben, und Infantes erschütternd fesselnden wie melancholischem Roman „Drei traurige Tiger“, noch ein weiteres allerbestes „tool“, um dieser alten Welt, über exotische Träumereien hinaus, nahezukommen, „Babalú-Ayé“, das lange zweite, der Historie der afrikubanischen Musik gewidmete Kapitel aus Joe Boyds Mammutwerk „And The Roots Of Rhythm Will Remain“ – und mit einem Zitat daraus schliesse ich meinen kleinen Ausflug ab (und das lasse man mal in aller Ruhe auf sich wirken):
“For me, though, the key element is the sound. I walked people walk into the London launch party, where it was playing on the PA system; many stared around, looking for the bandstand and the live musicians. Jerry and Ry had achieved the kind of warm, three-dimensional sound that can only happen when so many microphones are open (and perfectly postioned) in a big „live“ room, voices and instruments blending in the air before the reach the mixing-board. If „Buena Vista“ hade been made downstairs in EGREM 2, it would have been lucky to sel ten thousand copies, let alone ten million.“
„Für mich ist das Schlüsselelement jedoch der Sound.
Auf der Londoner Launch-Party,
bei der das Album über die PA-Anlage lief,
habe ich die Leute laufen sehen; viele starrten umher
und hielten Ausschau nach dem Bandstand
und den Live-Musikern.
Jerry und Ry hatten die Art von
warmem, dreidimensionalem Klang erreicht,
der nur entstehen kann,
wenn so viele Mikrofone in einem großen „Live“-Raum
offen (und perfekt positioniert) sind,
wobei sich Stimmen und Instrumente
in der Luft vermischen,
bevor sie das Mischpult erreichen.
Wäre „Buena Vista“ unten in EGREM 2
aufgenommen worden, hätte es Glück gehabt,
zehntausend Kopien zu verkaufen,
geschweige denn zehn Millionen.“