• Eine ruhige, fesselnde Inszenierung

    In der Ard Mediathek ist derzeit die beste deutsche Kriminalserie zu finden seit der zweiten Staffel der „Toten von Marnow“. Es beginnt wie ein „Allerweltstatort“, aber rasch merkt man, dass hier mit viel Diskretion, genauer Beobachtung, und einer grossartigen Nina Kunzendorf als Kriminaloberrätin, eine Ausnahme vom Mainstream zu erleben ist. Es menschelt nicht wie blöd, keine schrulligen Dienstleiter im Dauereinsatz.

    Sowieso liegt der besondere Augenmerk auf der Spurensuche, der über einen langen Zeitraum sich ereignenden Spurensuche, der Erschöpfung des Teams. Sehr viel ist in kleinen Szenen zu erleben, der Humor so fein dosiert, dass er erstmals nach einer halben Stunde kurz in Erscheinung tritt. Und sich sowieso rar macht. Die Musik ist sensationell diskret, feingearbeitet, und ein zusätzlicher Anreiz der „Soko Sonntag“, wie einer der vier Teile getitelt ist, beizutreten.

    Der grosse Fehler und Abzug in der B-Note beim zweiten Teil der „Toten von Marnow“, war, dass es am Schluss in Teilen unglaubwürdig inszeniert und geplottet wurde, etwas „over the top“ (anders als bei Staffel 1). Auch war der Soundtrack etwas zu grell. All das ist bei „Spuren“ wunderbar austariert.

    Und einen kleinen Mundartkurs bekommen wir bei „Spuren“ kostenlos dazu geliefert. Aber keine Sorge, „pascht scho!“ Aber, ähem, sind wir da in der Gegend von Lauenburg im Hessischen oder Badischen? Egal. Leises grosses Kino. Based on true events. Ja, und ab und zu leiser Humor, zum Beispiel in der Szene mit Ermittler Bernd und dem Apfelkuchen von Muttern!

    Ich kann dem Soundtrack gar nicht hoch genug loben. Es lohnt sich, wenn man die Serie sieht, zwischendurch auf das alustische Beiwerk zu achten, das hier keine Gegenwelt öffnet, keine zweie Story erzäht, aber sehr, sehr fein die jeweilig herrschenden Stimmungen auslotet, erweitert, vertieft.

    („Kleine Welt!“, möchte ich da ausrufen. Ein erhellender neuer Kommentar von Ingo macht uns mit der Region und dem Regisseur etwas vertrauter – bleibt die Frage, ob Ingo auch den Dialekt eimst beherrschte, als er dort einen Teil seiner Kindheit erlebte)

  • Thoughts about an interview in the making

    Eine Weile, bevor David Sylvians „Manafon“ erschien, sprach ich mit dem Engländer über das Album, im hintersten Winkel eines Hotelflurs, neben schattigen künstlichen Pflanzen. ich hatte eine schwere Erkältung, und einen privaten Todesfall hinter mir, und wenn man als Journalist David Sylvian begegnet, trifft man in der Regel auf ein höfliches, sachliches Gegenüber – Herzlichkeit, funny stories, jede Form von Begeisterung, all das ist und war Mangelware bei meinen drei Treffen mit Sylvian. Auch bei jenen anderen, zu denen ich in bester Laune aufbrach. Eine Zeitlang war mein Interview auf seiner Samadhi-Sound Seite anzuhören, irgendwann verschwand es. Damals galt es erstmal genau zu verstehen, wie es David Sylvian überhaupt anging, über radikal freien Improvisationen seine Gesänge zu entfalten, und der guten alten Tante Song ein frappierend anderes Design bereitzustellen. Innerhalb von zwei, drei Jahren kamen zwei Alben heraus: „Manafon“ und „Died In The Wool – Manafon Variations“.

    Vor wenigen Wochen erschien letzteres erstmals auf Vinyl, als Doppelalbum. Neue Mitspieler und Ko-Komponisten, andere Landschaften für seine Stimme auf ihren Erkundungsreisen durch eine dunklere Welt. Ich fand es nach all der Zeit verblüffend, wie leicht und schwebend ich diesen „twin albums“ folgen konnte. Egal, wie „noir“ manche dieser Stunden wahrer Empfindungen daherkamen, etwas Erhebendes geselllte sich diesen „Song-Meditationen“ bei. Ich befragte nun Jan Bang und Erik Honoré zu ihrem Anteil an den Variationen, und wie sie die Musik von damals heute erleben. Auch im Hinblick auf die Klanghorizonte vom 27. März, für die ich ein oder zwei Stücke der „Variationen“ fest eingeplant habe. Es wird wohl das letzte Album von David, dem Sänger, gewesen sein. In Kürze dann hier, wenn alles klappt, das Frage-Antwort-Spiel. Und die gern ausgeprochene Einladung, „Manafon“ und „Manafon Variations“ wieder mal in Ruhe auf sich wirken zu lassen.

  • Am Morsumer Kliff


    Kaum gefährlich, ausser für Schwindelanfällige, der Rundweg durch eine uralte Landschaft, falsches Schuhwerk für die zwei matschigen Passagen, hinterher Zwiebelrostbraten von der Keitumer Landschlachterei, Nachbilder sich im Wind wiegender Ähren, Richtung Watt. Am frühen Nachmittag lausche ich dem neuen Album von Alabaster, und wähle hinterher aus dem Interview aus , was er über „tenderness“ sagt, über „healing“. Ohne einen einzigen falschen Ton – selbst die auf seiner Langspielplatte sind goldrichtig. Entwaffnend. Neben dem einen oder anderen Album für die Klanghorizonte ist Roger Enos „Voices“ aus dem Jahre 1985 on high rotation, hier in meiner Ferienwohnung. Eine Wiederveröffentlichung macht Sinn. Am besten zusammen mit dem anderen 1985‘er Werk aus den Grant Avenue Studios in Hamilton, Ontario, Michael Brooks „Hybrid“. Ich weiss noch, wie die zwei Langspielplatten im Sommer jenes Jahres erschienen (in meiner Erinnerung), und ich einen kleinen Text des Produzenten Brian Eno las, der von dem „impact“ von Klängen handelt, die abseits des „Angesagten“ entstehen.

  • Big Change Is Coming

    Revolutionäre träumen tagsüber. Sie träumen vorwärts und zwar gemeinsam.

    Da kann man nur hoffen, dass die amerikanischen Protestler in diesem Modus sind. Arcade Fire geht das nicht schnell genug. Die kanadische Band klagt in ihrem Song „Generation A“: „I can‘ t wait wait wait wait, I‘ m not a patient man…“ Neil Young, mein „hero forever“, schreitet durch eine verschneite Winterlandschaft mit einem Blockbuster unterm Arm und verkündet laut und stark: „BIG CHANGE IS COMING“. Wir hören täglich die Horrornachrichten aus der untergehenden „free world“. War die mahnende Stimme der Erzbischöfin während einer Messe, in der Trump sass, er solle sich mässigen, die singuläre Aufstandsstimme, die ein bisschen Hoffnung machte? Reichen die Aktionen der entlassenen Ranger des Yosemite Park, die die amerikanische Flagge kopfüber aufhängten? Ist es eine Option, die USA zu verlassen, was Cher überlegt? Ich bin ein Kind der Protestsongs. Viele der Musiker, die damals engagiert waren, leben noch. Alt und müde? Nun ja, sie treten noch auf: Bobby, Bruce, Joan, Joni… Sich still zu verhalten bzw. sich zu weigern, den Namen des Wüterichs in den Mund zu nehmen, reicht nicht. Ich bin gespannt, ob bei der Oscarverleihung heute Nacht Protest- bzw. Solidaritätskundgebungen stattfinden. „MASTERS OF WAR“ hätte Programm sein können. Bob Dylan wäre der Visionär geblieben. Nun heißt der Film über ihn A COMPLETE UNKNOWN. Man darf gespannt sein, ob „Der Brutalist“ gegen den Dichter gewinnt.

  • Spiel mit dem Unbekannten – ein kleines Porträt von Paul Bley aus dem Jahr 1992

    DER LINK

    Dank des „Radiohoerers Henry“, und dank unserer Redaktionsassiatentin Martina Bedzent liegt nun der Link vor zu einer Ausgrabung aus den Archiven. Anno 1992. Als Einstimmung ein Text aus alten „Mana-Zeiten“:

    Herzlichen Glückwunsch, wenn Sie dieses Trioalbum besitzen, in knisterndem Vinyl,  mit Paul Bley, Bill Connors und Jimmy Giuffre. Sie haben eine Rarität in Händen, ein lang vergriffenes Stück Historie, einen kleinen Meilenstein. Ich bekam diese Platte, wenn ich mich recht entsinne, von Jazz by Post zugeschickt,  meinem Pasinger Stammlieferanten für aufregenden Jazz in den 70er und frühen 80er Jahren. Carol Goss hat das Cover mit schneller Hand gezeichnet, in kurzer Zeit den Ideen in ihrem Kopf flüchtigen Halt geboten. Paul Bley hatte damals  ein eigenes Schallplattenlabel ins Leben gerufen,  Improvising Artists Inc. (I.A.I.). Auf einem anderen Werk spielte er an der Seite des Sun Ra -Companion John Gilmore. Und da war sein Solo-Piano-Album „Alone, Again“: ganz nah kam es heran an den Zauber seines Klassikers „Open, To Love“ (ECM). Ein Meister der Andeutung, der Pausen, des Ausschwingens einzelner Töne.  Auf „Open, To Love“, erzählte er mir früh in den Neunzigern, in einem Bremer Hotel, wollte er (neben allem, wer da eine Rolle spielte, Carla (Bley), Annette (Peacock), ihre Präsenz, ihre Schatten, ihre kargen Kompositionen), die Hüllkurven von elektronischen Sounds auf dem Flügel nachempfinden. Aber zurück zu der anfangs erwähnten Schallplatte: „Quiet Song“ ihr Titel, und Sie sollten, statt jetzt eine Rezension zu erwarten (in der dann Worte auftauchen würden wie „skelettiert“, „leuchtend“, „Gesänge“, aber  natürlich auch „Jimmy“ und „Bill“, dessen schönstes Soloalbum „Theme From A Gaurdian“ bitte bald von ECM wieder ans Tageslicht befördert werden möge), sich langsam, aber sicher auf die Suche machen nach dieser Produktion, vorausgesetzt, Sie mögen flüchtige, widerständige Töne!

  • Different kinds of ecstasy (2)

    Als ich Weihnachten, im Jahr 1 nach dem Ende der Beatles, das Gatefold-Cover von „Blue“ aufklappte, waren dort (in meiner Erinnerung zumindest) alle lyrics zu lesen.

    Und anders als später im Leben, als 30 Jahre Radio und Klanghorizonte das eher selten erlaubten, gab es Langspielplatten, die über Wochen den Plattenspieler blockierten. Mir fällt aus der Zeit nach den Kinks und den Beatles Chick Coreas „Return To Forever“ ein. Aber auch die erste aller Solopianoalben von ECM,  Chicks „Piano Improvisations, Vol. 1“.

    Im nachhinein ins Visier genommen (aber das Nachhinein ist nicht von Bedeutung), befördert die überragende Aufnahmequalität der Studioproduktion von „Blue“ oder den „Piano Imprivisations, Vol. 1“ das Empfinden, ohne Wenn und Aber einen einzigen Raum zu teilen…. die Stimme, der Zuhörer, die Gitarre, das Piano, das Kerzenlicht, die geschlossenen Augen – und sowieso der Wind aus Afrika….  ähnlich bei der über Seite 2 der Improvisationen schwebende Frage „Where Are You Now?“ 

    „The wind is in from Africa, last night I couldn‘t sleep.

    Sowas von egal, ob es eine Chromdioxydkassette ist, „dead quiet“ Vinyl, dezent verrauschte Mittelwelle: im Innersten berührt zu werden, ist keine Frage der ultimativen Version. Es ist wie bei der Einnahme psychedelischer Substanzen oder bei luziden Träumen: Set und Setting müssen stimmen: kein Zauber ohne die Öffnung der Empfangsorgane, all die kleinen Rituale, sich einzustimmen.

    In den nicht mehr so jungen wilden Jahren, hat es das eine und andere Album dann doch geschafft, nächtlicher wie täglicher Begleiter zu sein, round and round and round, 2019 zum Beispiel, Steve Tibbetts, „Life Of“. Manche erleben dieses Album des Mannes aus Minneapolis so, dass sich die einzelnen Stücke doch sehr ähneln, bis, ja, bis die Wahrnehmung in eine ganz andere Richtung kippt, und aus der ersten Enttäuschung wird oft genug erstmal eine Verblüffung, und dann ein konstanter „state of wonder.

    Singulärer insulärer Traumstoff. 

    „What game shall we play today?“ 

    Die Zeit läuft.

    Time runs fast. 

    Time passes slowly.

  • Runde Geburtstage mit Marshall und Leonard

    „My voice has gotten very very deep over the years and seems even to be deepening. I thought it was because of 50,000 cigarettes and several swimming pools of whiskey that my voice has gotten low. But I gave up smoking a couple of years ago and it’s still getting deeper … My voice really started to change around 1982. It started to deepen and I started to cop to the fact that it was deepening.“ (L.C.)

    Die tiefer und tiefer werdende Stimme von „the man with the golden voice“ lässt sich gut hören auf „Various Positions“ von 1984. Damals hatte er sogar einen Auftritt mit „Hallelujah“ in Frank Elsners „Wetten, dass…“, was ich so surreal fand wie das das Logo von „Hörzu“ auf der deutschen Erstausgabe von „Sgt. Pepper“. Aber eines nach dem andern. Vor ziemlich genau zehn Jahren, am 14. März 2015 (so erinnere ich es jedenfalls), war ich im Kölner Stadtgarten, und feierte, ein paar Stunden ganz allein, meinen „runden“ Geburtstag. Auf der Bühne, zarte neunzig Jahre alt, Marshall Allen, und ein Konzert, das mir serienweise Gänsehaut bescherte. Drei Jahrzehnte zuvor, am 14. März 1985, feierte ich, einmal mehr für mich (oder war der Bruder meiner Ex-Verlobten dabei?), in Essen einen anderen „runden“ Geburtstag. Wie ihr merkt, ist das ein ganz persönliche Geburtstagserinnerungsstory.

    In der Grugahalle erlebte ich Leonard Cohen in hervorragender Verfassung (obwohl neben mir ein Rockfan mit Halbglatze sagte, er wolle den „alten Sack“ (der damals 50 war) noch einmal live erleben. Ich erfuhr später, wie verliebt die Sängerin an seiner Seite, Jennifer Warnes, in Cohen war, was bald zum Bruch der Freundschaft führen sollte). Es war wunderbar, und auf der Rückfahrt von Essen nach Dortmund lernte ich eine Frau aus Neuseeland kennen, und ich erzählte ihr von dem Konzert (sie liebte seine Musik), und wir sprachen über die Flüchtigkeit der Zeit. Es war ein Sechserabteil, ganz dunkel mit winzig-warmen Leselichtern, und sie gab mir ein Zeichen, zu ihr zu kommen.

    Wir umarmten uns heftig, wir küssten uns, hielten uns umschlungen – und landeten eine halbe Stunde später in einem Hotel in Bahnhofsnähe (sie unterbrach ihre Reise nach Berlin „my birthday present for you“, sagte sie). Nach dem Sex spielten wir ein Spiel und nannten uns abwechselnd Titel von Leonards Liedern. Wie Flüsterworte zum Einschlafen und Wachbleiben. „Dance Me To The End Of Love“ war natürlich dabei. Wir verstanden uns unheimlich gut und waren, glaube ich, vielleicht drei Tage und Nächte davon entfernt, uns ineinander zu verlieben.

    Nun, zehn Jahre nach dem Marshall Allen-Auftritt in Köln (wild, verwegen) , bin ich auf dem Weg nach Sylt, und höre, zwei Wochen vor meinem nächsten „runden Geburtstag“, das Solodebüt des 100-jährigen Saxophonisten Marshall Allen, der seit 1995 das Sun Ra Arkestra leitet, eine charmante, selbstbewusste Reise durch Klangstimmungen, die er im Laufe seiner Karriere erforscht hat. „Mehr als sonst lässt er nostalgische Momente zu, und wer soll es ihm verdenken?!


    Aufgenommen mit Hilfe von Arkestra-Mitgliedern (schade, dass John Gilmore nicht mehr unter uns weil), und Gästen wie Neneh Cherry, ist „New Dawn“ ein wunderbar ausgewogenes Album: „die Space Lounge-Musik von „African Sunset“, der „Crime Jazz“ von „Sonny’s Dance“, die barock angehauchten Grooves von „Boma“. Die klassische Komposition „Angels And Demons At Play“ schließt das Album ab und enthält Momente, die die Musik des Arkestra in eine weitere galaktische Richtung schicken.“

    Soweit Peter Watts in der Aprilausgabe von Uncut. Alabaster DePlume erzählte mir ja neulich, wie sehr er das alte namensgleiche Album von Sun Ra in sein Herz geschlossen hat. Seine von mir heiss und innig geliebte neue Arbeit erscheint am 14. März, es wird meine „Geburtstagsplatte“. In meinem schwarzen Wintermantel und Schal sitze ich eingemummelt auf einer Bank, und lese das erste Kapitel von Mark Doyles Buch über die Kinks zuende. Und mir geht der Song „See My Friends“ durch den Kopf, der gerade noch im Auto lief, drei- viermal hintereinander.

    Die schönste Geburtstagsparty meines Lebens war im März 62, als ich sieben wurde. Zurli war dabei, und mein Blutsbruder Matthias sowieso. Es gab Sandkuchen und Kakao, und abends den Tiefseetaucher Mike Nelson. Es sollte noch ein paar Jahre dauern, bis zu den Monkees, und bis „See My Friends“ aus einem silbernen Transistorradio tönen sollte, und es ist keine Halluzination, wenn man darin Klänge mit mehr als einem Hauch einer Sitar vernimmt. Ray Davies war in den Ferien am Ganges (so erinnere ich die Story jedenfalls), und sah den Fischern zu, wie sie ihre Netze einsammelten. Er vermochte es, Freunde und Seelenverwandte aufzuspüren, in der grösstmöglichen Ferne, in der Nachbarschaft beim „five o-clock tea“, oder als er das erste Mal eine Schallplatte von Big Bill Broonzy auflegte (m.e.)

  • Fall. Float. Love.

    „Die ätherische Stimme von Julee Cruise ist für die Welt von Twin Peaks so unverzichtbar wie Kirschkuchen und Dale Coopers Träume, und doch hätten wir sie vielleicht nie gehört, wenn David Lynch mehr Geld gehabt hätte. Er wollte This Mortal Coil’s Cover von Tim Buckley’s „Song To The Siren“ in Blue Velvet einbauen, konnte sich aber die Rechte nicht leisten. Der Komponist Angelo Badalamenti, der bald für den Rest seiner Karriere Lynchs Ansprechpartner werden sollte, wurde stattdessen mit der Aufgabe betraut, ein originelles Musikstück für den Film zu schreiben, wobei er außer der Formulierung „Mysterien der Liebe“ (dem späteren Titel), und der Idee, dass der Song „auf dem Meer der Zeit treiben“ sollte, und David Elizabeth Frasers Stimme im Sinn hatte, kaum Anweisungen erhielt. Badalamenti hatte Cruise gerade bei einem Theaterworkshop kennengelernt und holte sie zu sich. Das Ergebnis ist ein einzigartig glühendes Stück Musik, schimmernde Poesie, belebt von Cruises schwindelerregender Engelsstimme. Blue Velvet ist ohne sie unvorstellbar.“ (Ana Gaveilovska, May, June 2025)

  • Erik Satie auf Gras (1/3)

    Das war für meine Verhältnisse ein recht langer Spaziergang, einmal am Watt entlang zur „Kupferkanne“, diesem labyrinthisch wirkenden  Caféhaus, mit sinnlos-schlechter Popmusik aus quäkigen Lautsprechern, und mit Hiroshi Yoshimuras „Flora“ rauf und runter in den Ohren auf dem langen Weg zum Toyota nahe einer Klärgrube. Die Heidelandschaft ist beeindruckend. Zwischendurch huschten meine Gedanken zu toten Freunden. Ana Gavriolovska und ich erzählen euch unsere Gedanken und Hintergründe rund um „Flora“, wobei wir zu unterschiedlichen Bewertungen kommen. Ana vergibt neun von zehn, ich gerade mal sieben von zehn. Und nun also kommt in Kürze die Neuauflage des Albums von Hiroshi Yoshimura heraus: wer „Flora“ vorab hören will, kann died bei youtube in voller Länge, von ein paar schwachsinnigen Werbungen unterbrochen.

    Das letzte Stück, „Satie On The Grass“, gibt einige Hinweise darauf, was wir auf „Flora“ erwarten können. Satie ist natürlich Erik Satie, der französische Komponist und Pianist, der selbst ein Pionier der „Möbelmusik“ war, eines Stils, der als Hintergrundmusik gedacht ist, im Gegensatz zum bewussten Hören. Er hatte einen bedeutenden Einfluss auf die Entstehung der Minimal Music, die in den 60er Jahren Gestalt annahm, also einige Jahrzehnte vor der Aufnahme von Yoshimuras in Teilen innovativen Alben mit seiner eigenen Interpretation der Möbelmusik oder, wie sie heute besser bekannt ist, der Umweltmusik.

    Der japanische Ausdruck für dieses Genre ist kankyō ongaku, ein Begriff, der 2019 noch bekannter wurde, als Light In The Attic die tolle kleine Schatztruhe Kankyō Ongaku veröffentlichte: Japanese Ambient, Environmental & New Age Music 1980-1990, das einen von Yoshimuras besten Tracks enthält, „Blink“ von seinem meisterhaften Debüt Music For Nine Post Cards aus dem Jahr 1982. Im darauffolgenden Jahr veröffentlichte LITA sein ebenso hypnotisches Album Green von 1986 neu, das dazu beitrug, eine Welle des Interesses an seinem Werk außerhalb seines Heimatlandes Japan zu wecken. Viel zu früh starb er, 2003, sein Geburtsjahr war 1940.

  • magnificent seventies and beautiful melancholia

    „Das verträumte Debütalbum der neuen Welle des amerikanischen Krautrocks aus Texas. The Fun Of Watching Fireworks wurde 1996 zu Hause aufgenommen und bewegt sich auf dem schmalen Grat zwischen Lo-Fi und Living Stereo, wobei es hypnotische Chemtrails, Ampex 456-Polyfaserstaub und subtropisches Ozon ausstößt, während die Farfisa aufgewärmt wird. Remastered von den analogen Originalbändern als Erinnerung an das Leben in früheren Zeiten. Unbefugte sind willkommen.“ (Numero Group Press Info)

    Zu all den Orten, zu denen ich gerne via Zeitmaschine reisen würde, zählt, in milder Rückschau, neben Reeperbahn 1962, Carnaby Street 1966, und Santa Monica 1967, seit einiger Zeit auch, Austin, Texas, 1996. So etwas passiert Musikjournalisten eigentlich nur, wenn sie in den Sog einer Kulturszene geraten wollen, die einmal grosse Wellen geschlagen hat. Und glauben Sie mir: grosse Wellen hat vor der Jahrtausendwende in Austin gar nichts geschlagen. Aber ein Auslandsjahr dort, bei einem lokalen Radiosender, nun, ich hätte mich wahrscheinlich bei einem Interview in Lisa Roschmann verliebt, und ein Album wie verrückt gespielt, rauf und runter: „The Fun Of Watching Fireworks“, das Debut des American Analog Set, das am 3. Mai 2025 von dem Label Numero Group als Schallplatte wiederveröffentlicht wird. Und momentan den „Opener“ meiner Playlist für die Klanghorizonte Ende Mai gibt. Oder nehme ich dich das nicht weniger fesselnde zweite Album, das Eröffnungsstück, das mit einem Stück beginnt namens „The Fun Of Watching Fireworks“?! Oder das hier, das „Magnificent Seventies“ heisst?! (m.e.)