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  • “Close“

    Ein bisschen small talk jetzt. Man könnte es so erzählen: es dürfte wenige Hörer meiner Ausgaben der Klanghorizonte über die Jahrzehnte verwundern, wenn ein Album von Brian Eno von mir zum Album des jeweiligen Jahres „erkoren“ wird. Ja, sagen dann so manche, der Mann hat seine Lieblinge, und sie schwingen da mit oder auch nicht. Nun ist es so, dass ich auch schon viele Alben zu Alben des Jahres (oder meiner Top 3) gewählt habe, die auch in Magazinen wie „Mojo“ oder „Uncut“ oder „Wire“ auf vordersten Plätzen zu finden sind. Wie zuletzt die Songalben von P.J. Harvey und Beth Gibbons – oder, auch schon wieder länger her – David Bowies „Blackstar“. Aber „The Ship“ von Eno? Oder „The Drift“ von Scott Walker? Oder „Life Of“ von Steve Tibbetts? Oder „Foreverandevernomore“ von Eno (der schon wieder!)? Oder „Warp“ von Jon Balke? Oder „Cartography“ von Arve Henriksen? Da muss man schon länger suchen, um sie in den einschlägigen Jahresendlisten bestimmter „Experten“ zu finden.


    Das heisst nun aber überhaupt nicht, dass ich meiner „Fanseele“ hier und da die Zügel schiessen lasse… was vielleicht ein schräger Aussruck ist… but you know what I mean… Nein, wenn sog. Lieblingskünstler ein schwächeres Album rausbringen, dann spiele ich es halt nicht, und ganz sicher finde ich dafür keine warmen Worte. Nun hatte ich die Gelegenheit und habe sie hinfort Tag für Tag und Nacht für Nacht, ein Album zu hören, das Ende Oktober als physisches Medium (CD) und als Download verfügbar sein wird. (Das Album wäre ein Grund, sich einen Cd-Player zuzulegen, denn Vinyl ist erstmal nicht in Sicht😉.) Und , wenn der Leser mir diesen spielerischen Ansatz erlaubt, ES wird wohl – wenn es nicht „Lateral“ von Wolfe / Eno wird (oder ein anderes, aus dem engsten Kreis der Favoriten, von The Necks, oder Lucrecia Dalt, oder einem im Herbst hereinschneienden üblichen Verdächtigen („After The Wildfire“ von Bang / Henriksen ist soeben mit der Post aus Norwegen eingetroffen! Auch so ein „Ende-Oktober-Werk“, von dem ich aber noch keinen Ton gehört habe), mein Album des Jahres 2025!!! (Diesen Bandwurmsatz am besten nochmal lesen!)

    Und wieder wird es wohl nicht in den Top Twelve der einschlägigen Magazine auftauchen – am ehesten noch, rein theoretisch, im „Wire“ Oder in „Electronic Sound“! Aber ich mache es hier nur künstlich spannend, denn diese Geschichte müsste – und wird – noch ganz anders erzählt werden. Das Teil, von dem ich hier rede, hat mich umgehauen. Pathetischer gesagt, tief getroffen. I go down to the sea and listen! Ich habe wenige Worte für die Gefühsmischungen, die mich beim ersten Hören heimsuchten – „hauting“, „haunting“ – ausser Hülsen, ausser dem taumelnden Inventar gesammelter Ergriffenheiten. Ich bin sehr froh, jetzt nicht aus dem Stand eine Rezension verfassen zu müssen, und im glücklichen Reich der „Sprachlosen“ (if you know what i mean…) Besser, ich wechsle jetzt auf die augenzwinkernde Seite der Worte: Gänsehaut, meine Freunde, Gänsehaut, immer wieder und mittendrin! Reale Gänsehaut. Wahrscheinlich sogar, unbemerkt, Aufstellen der Nackenhaare!


    Und auch wenn rund um dieses besagte Album ein Stück eigener Lebensgeschichte mitschwingt – ich lasse diese alten Hüte mal aussen vor – ich bin absolut sicher, dass es manchen, ja, vielleicht sogar vielen Lesern dieser Zeilen ähnlich ergehen wird, wenn sie an einem Abend, kurz vor Oktoberende, das Licht löschen, die Augen schliessen, oder draussen einen „power spot“ aufsuchen mit Blick zum Himmel, und „Close“ von Steve Tibbetts hören. Aber, ganz klar, die Geschichte muss letztlich anders erzählt werden. Die Tracklist, by the way, hätte auch von Samuel Beckett sein können. Und das Cover ist eine Geschichte für sich. Am 25. September 2025 in den Klanghorizonten! Im Deutschlandfunk. Und am 22. Januar 2026 ein einstündiges Portrait in den JazzFacts! Dann natürlich ohne Gestotter und Geschichtenerzählerei. Ich rede schon wieder Unsinn: es geht nicht ohne Storytelling.

  • Iskra

    I first heard Olga Anna Markowska’s pieces this spring at mi-so, which is a small store and exhibition space that Erik Skodvin of miasmah recordings and his partner Monique Recknagel of the label sonic pieces started a few years ago here in Schöneberg where I have been living for the past 20 years. More recently they have been inviting friends and other musicians they find interesting to perform in their store for an audience of around 15 people.

    Erik, or miasmah, now released Olga’s debut album, Iskra, which has a great record cover that doesn’t give away anything. The image is a photo by Olga, transformed into a kind of dream image by Erik who worked as a graphic designer for many years, designing also a huge amount of surreal album covers.

    The concert was really fascinating, creating a unique atmosphere, and I could see everyone in the audience being very intrigued and moved by the sounds and energy Olga created with those instruments she brought. While she is first of all a cello player, then a visual artist working with photography and installations, she also uses some additional electronics, and she also bought a kind of zither on a flea market and then taught herself to play it – so it now takes a central role in the unique sound world of her album, opening up a kind of timeless, placeless kind of music. Her sound feels somewhere in a dreamlike, elusive space between acoustic and electronic.

    It is very exciting to see how her music relates to her visual work, and it’s been quite inspiring to visit her website and wander through the photographic and installation works she documents there. For example, Iskra seems to communicate really well with the Borderland or 6 Years projects, maybe also some parts of Map of the Memory, all of which you can find on her website. I think Olga’s work invites us into a very personal sphere, and – even though she doesn’t show herself – we are trying to figure out where we can find her in there, and then also ourselves. I am also quite intrigued by how the work draws from specific places and then draws me towards them. 

    When I talked to Olga, she explained how she worked and lived with the music on this album for quite many years, and through different (even difficult) times of her life, including moving though different periods of her life, …moving from one Polish city to another and also to some residencies in other European countries. I quite loved how she struggled to categorize her music into a genre or style, and the influences or inspirations she mentioned can also be misleading when people cannot hear the music. I am listening to an album by Evgueni Galperine at this moment, Theory of Becoming, which to me feels grounded in a somewhat similar intangible sound world between electronic and acoustic (at least the LP’s A-side), between ancient and avant-garde, between eastern and western sensibility. Some people may think there’s not much to hear there, but then, when you let yourself fall into it, it opens up huge spaces.

    ijb

  • Sirāt


    Ein Freund sagte vor längerer Zeit einmal, es sei total offensichtlich, meine Filme erzählten immer vom Aufbrechen von Grenzen. Ich bin mir nicht so ganz sicher, wie Recht er damit hat, aber mir gefällt diese thematische Quersumme sehr gut; ich kann mich darin wiederfinden bzw. fühle mich davon angesprochen. Und wenn ich dran denke, nehme ich das auch als konkreten Abstoß für meine inhaltliche Arbeit an Projekten. Sehr fasziniert bin ich bspw. von unterschiedlichsten geografischen Grenzgebieten und nehme sie gerne als Anstoß für Reisen und Recherchen und Fotografien. Und entsprechend ziehen mich im Kino Filme an, die das Thema Grenzen auf die unterschiedlichsten Weisen aufgreifen. 

    „Sirāt“ wurde beim Filmfestival in Cannes vor zwei Monaten mit großer Begeisterung aufgenommen und hat bei vielen Menschen Eindruck hinterlassen, wurde entsprechend auch als einer der zwei oder drei Favoriten auf die Goldene Palme gehandelt. („In jedem Jahr gibt es mindestens einen Film, der das Festival in Cannes durchschüttelt und auf den Kopf stellt. 2025 war das […] ohne Frage „Sirāt“ von Óliver Laxe.“ beginnt Joachim Kurz eine von zahlreichen 5-Sterne-Besprechungen.) Die Palme ging letztlich an den geschätzten Iraner Jafar Panahi, der seit vielen Jahren trotz enormer Repressalien einfach weiter macht, von seiner Heimat zu erzählen – wieder und wieder wurde er von seinem Heimatland am Filmemachen gehindert, eingesperrt, mit Ausreiseverboten belegt. Aber „Sirāt“, der immerhin mit dem Preis der Jury nach Hause ging, fand in meinem Umfeld größeren Wiederhall. In meinem Facebook-Thread z.B. überboten sich die Leute gegenseitig mit der Aussage, dass dies für sie der beste, eindrücklichste, nachhaltigste und intensivste Filme in Cannes gewesen sei.

    Zusätzlich neugierig wurde ich, weil Kangding Ray, ein von mir seit vielen Jahren sehr geschätzter Musiker, der u.a. viele Alben bei Raster/Notonveröffentlicht hat, die einen sehr eigenen Sound haben, in sozialen Medien auch auf den Film hinwies. Denn der Franzose (bürgerlich heißt er David Letellier), seit vielen Jahren in Berlin lebend, hat die Filmmusik gemacht. Passenderweise gab es gerade in Berlin eine Voraufführung bzw. Premiere mit Präsenz und Publikumsgespräch mit „Kangding Ray“ und Regisseur Óliver Laxe — ein Franzose, der 12 Jahre in Marokko lebte, wo er einige Filme gedreht hat; vier seiner Spielfilme wurden bereits in Cannes gezeigt, mehrere Preise erhielt er dort, mit „Sirāt“ zum ersten Mal im Wettbewerb.

    „Sirāt“ ist einer dieser Filme, die einen recht gut erwischen, wenn man die Handlung nicht kennt – wenn man es vorab vermeidet, Inhaltsangaben zu lesen. Die Handlung ist ohnehin recht schnell zusammengefasst. Manche Kritiken zogen Parallelen zu „Mad Max“, speziell dem beliebten „Fury Road“; ganz so hysterisch und exzessiv ist der dann auch wieder nicht; aber wenn man andere Orientierungspunkt wie Clouzots Klassiker „Lohn der Angst“ oder Friedkins „Sorcerer“ (bei dem die Tangerine-Dream-Musik an die Filmmusik von Kangding Ray erinnern soll) mit einrechnet, kommt man schon in eine gute Richtung. Auch „The Searchers“ und „Zabriskie Point“ sowie Apichatpong Weerasethakul wurden als Vergleiche herangezogen. Diese an sich unvereinbaren Filmverweise finde ich wiederum enorm spannend, denn einen Film aus der Quersumme dieser vier ergibt gewissermaßen keinen Sinn. Schon früher wurde Laxes Schaffen mit Werner-Herzog-Filmen verglichen. Mir würden auch noch ein paar weitere einfallen. 

    „Sirāt“, ein vollkommen einzigartiger Film, spielt in der marokkanischen Wüste und erzählt von Grenzen aller Art. Es geht auch um Politik, Kapitalismus, um die Rave-Kultur und um Utopien, und es geht um die Geschichte eines Vaters und der Beziehung zu seiner Tochter, doch bleibt es wie gesagt bei einer sehr einfachen Geschichte, die Óliver Laxe auf manchmal überraschend kantige Weise erzählt. Auch die Genregrenzen sind fließend — mit enorm energetischer Techno-Musik starten wir auf einem illegalen Rave in der Wüste, und bald wird es auch eine Art post-apokalyptisches Roadmovie, mit meditativen Passagen und aufreibenden Trips an verschiedene Grenzen. Hauptdarsteller Sergi López ist zwar ein bekannter Schauspieler, geht aber geradezu dokumentarisch in diesem Werk auf, ebenso wie wir um ihn herum viele vom Leben gezeichnete Personen erleben, mit „Laien“ besetzt und aus der realen Rave-Szene – und alles passt enorm gut zusammen, darf aber auch mal alberne Momente haben. Auch wenn die Handlung sehr eindringlich ist und kaum vorherzusehen, womit man konfrontiert werden wird, erzählt „Sirāt“ nicht auf eine gewöhnliche psychologische Weise – vielmehr öffnet sich ein Erfahrungsraum, in dem wir als Zuschauer eine tiefe Erfahrung mit den Figuren und ihrem Trip an die Grenzen machen. In jedem Fall ist es durch und durch ein Film, wie ich mir gewünscht hätte, ihn gedreht zu haben.

    ijb

    Deutscher Kinostart: 14. August 

  • The Necks, hopefully in talking mood

    Three Questions for Chris:  

    1) the title of the forthcoming album „DISQUIET“ is not an easy one, not suggesting trance-like feelings often associated with some of your albums… what made you chose the title for the whole boxset of those four long tracks?

    2) can you give some insights in the piece RAPID EYE MOVEMENT? Especially after playing it and having done some post-production… What comes to your mind when now thinking back of it? What do you like especially about it, what was a special moment etc.?

    3) two weeks ago, i listened to one of the four tracks in Paris, on a warm sunny afternoon. And of course i chose WARM RUNNING SUNLIGHT knowing I would definitely be the first human to listen to it in my favourite Paris Park, Le jardin du Luxembourg. What a joyful experience lying on the green grass with closed eyes (mostly), and a peaceful atmosphere all around. Now i know you‘re not doing program music. So the title was  chosen as a counterpoint to the other tracks or was there any little story with sunlight involved?

    Two Questions for Tony:

    1) on that very long track GHOST NET you play a long time a kind of irregular double rhythm, what I would call a „complex stumbling rhythm figure“… at some passages the drums work in synchronicity, so to speak, but very often there is this „disquieting“ feel of the rhythm… of course, the ear adapts to it and the music  creates a wild, strangely wonderful energy. So  what made you think of working with such a challenge (in the ryhthmic field)?

    2) is there a piece on this boxset, that reminds you – when listening back to it after playing – (now matter from how far) to other musics like tribal music or certain jazz albums or whatever. Apart from creating a unique sound as The Necks, i think it is not so far out to feel sometime a connection (by surprise) to some other guys‘ musics…

    Two Questions for Lloyd:

    1) can you give some insights into the piece RAPID EYE MOVEMENT that develops from a very relaxed state of mind to a very intense piece of music. Quite at the beginning there is your bass with a  recurring „one note sound“ that looks like a steady announcement of stranger things to come….

    2) out of pure curiosity: what are three favourite albums from ECM and IMPULSE, which three of these these two labels enter your mind first when thinking, and please leave out the most famous like A LOVE SUPREME or MUSIC FOR 18 MUSICIANS…. i remember Chris speaking to me about his love for Pharoah Sanders‘ Live at the east with Michael Bonner on piano  – and with great joy i discovered that one:) so, shoot…

    And thanks for you all doing this….

  • Dortmund, Alter Markt 1973

    „All across the nation
    Such a strange vibration
    People in motion
    There’s a whole generation
    With a new explanation
    People in motion
    People in motion“

    Vor Stunden war ich genau an dieser Stelle, wo ein paar Klassenkameraden und ich (rechts) once upon a time ein paar Schalen Pommes verzehrten. Neben mir, in der Mitte, Wolfgang Vogel (RIP), sowie Michael Hoell, mit dem ich noch vor Jahren Shakespeares Sonnet 18 unisono zum Besten gab. Vorhin war dieser Ort fast menschenleer, bevölkert von 300 und mehr bereitgestellten Caféhausstühlen, an einem Tag, an das summer feeling und Menschen sowieso auf sich warten liessen. Als ich damals nach Hause ging, legte ich vielleicht SART von Jan Garbarek auf, oder BREMEN / LAUSANNE von Keith Jarrett, oder LORD OF THE RINGS von Bo Hansson. Vielleicht aber auch das umwerfende THICK AS A BRICK von Jethro Tull. Das gehörte alles zu meinem „horizon kit“. Wappnung und Durchlässigkeit. Später in dem Jahr sah ich mein erstes „ECM-Konzert“ in der Musikaula von Unna, „The New Quartet“ von Gary Burton. Danke, Horst, für die rasche Zusendung der Fotos. Meine sentimentale Ader brauchte in dem Augenblick ein paar alte unscharfe Fotos und einen alten Jukeboxsong (so etwas hilft gegen Gespenstergeschichten.)

  • Another Green World with 50

    The passage of time
    Is flicking dimly up on the screen
    I can’t see the lines
    I used to think i could read between
    Perhaps my brains have turned to sand

    Es ist naheliegend, sich an grosse Alben zu erinnern, wenn sie ihr fünfzigstes Jahr erreicht haben. So wird nun auch „Another Green World“ 50 Jahre alt. Am 14. November. Jan Reetze hat über eines seiner Schlüsselalben, Kraftwerks „Autobahn“, ein ganzes Buch geschrieben. Wenn ich ein Album von allen wählen müsste, käme ich fast immer auf Brians Album von 1975 zurück. Ich habe über die Jahre viel darüber erzählt, geschrieben, und es immer wieder mal aufgelegt in den „Klanghorizonten“. Es ist, wohl neben seinen „Music For Films“, das unscheinbare mit dem grauen Cover, das meistgespielte Album meiner Radionächte im Deutschlandfunk. Beide sind in der gleichen Zeit entstanden. Wie „Luminal“ und „Lateral“ ein halbes Jahrhundert später, hätten die Zwei auch ein Doppelalbum sein können. Die eine und andere Geschichte wird noch zu erzählen sein – manche bereits nachts zum besten gegeben, also „alte Hüte“, „Repertoire-Stories“! AGW und MFF werden beide in den Klanghorizonten am 25. September zu hören sein, mit jeweils einem Track.

  • Ein seit Jahrzehnten erwartetes Album

    Ich hatte mein Fahrrad abgeschlossen und trat ins Café, das ungewöhnlich leer war. Abendlicht fiel auf die Wände. Ab und zu wurden hier Fotos ausgestellt. P war noch nicht da. Die ausgedruckten Texte, die wir besprechen wollten – ein paar Gedichte von ihm, ein paar von mir – hatte ich in einer Tasche dabei. Der große Bildschirm über der Treppe, die zu den Klos herunterführt, war sonst nicht hier. Vielleicht sollten wir woandershin gehen. Ich wollte weder Fußball noch sonstige bewegte Bilder im Hintergrund haben. Ins Bild kam eine Art Arena, ein großes Amphitheater; mit der Antike hatte ich nach meiner Schulzeit abgeschlossen. Himmel und weite Fläche, ein Nachmittag. Dann bauten sie die Instrumente auf. „Ist das nicht Pink Floyd?“ fragte ich. „Live at Pompeii,“ sagte der Kellner. P traf ein und ich sagte, ich müsse schnell nach Hause und den Videorecorder anstellen. In zehn Minuten sei ich wieder da. Das war meine erste Begegnung mit diesem Konzert, das zu den magischsten der Musikgeschichte gehört: trotzig, aber vor allem maximal lässig aufgeführt ohne Publikum. Die Abmischung zwischen der überirdischen Musik, dem Gesang, Bildern wie aus dem Lateinbuch und dem Lavaspeienden Vulkan. Texte von inhaltlicher Tiefe, und, noch faszinierender, die Passagen, die ohne Worte noch viel mehr ausdrückten, als es Worte und Sätze je könnten, das Mikro vor der Hundeschnauze und eine Art Geheul von David Gilmour am Ende des Tracks „A Saucerful of Secrets“, während er sich sein langes Haar ins Gesicht flattern lässt und ich aufhörte zu atmen, um bloß keine Störung zu verursachen. Ausgerechnet diese Passage hatte ich irgendwann versehentlich überspielt. Deshalb hatte ich mir auch noch die DVD des Konzerts gekauft, The Director’s Cut. Da die Lautsprecher beim Fernseher meine Ansprüche an einen musikalischen Sound nicht erfüllen und ich also eine rein akustische Fassung des Konzerts haben wollte, kaufte ich mir auch noch die Doppel-LP „Pompeii“, musste aber feststellen, dass es sich um eine rein instrumentale Fassung ohne Gesang handelte. Die Enttäuschung war groß. Hatte ich etwas übersehen? Es konnte doch nicht sein, dass es ausgerechnet dieses Konzert nicht als rein akustische Fassung auf einem Tonträger gab. Aus welchen Gründen auch immer: Das Konzert war in rein akustischer Version nicht zu haben. Neulich habe ich bei meinen Recherchen zur Radiosendung über elektronische Musik in Deutschland Dank der Hinweise der Art „aus dieser Rubrik kauften andere Kunden auch folgende Alben“ entdeckt, dass es „Live at Pompeii“ erst seit wenigen Monaten, nämlich seit 2. Mai 2025, erstmals als reines Audioformat zu kaufen gibt, auf Vinyl oder CD. Ein paar Tage zuvor, am 23. April 2025, war der Film in einigen Kinos gelaufen. Die Worte „Live at Pompeii“ habe ich sogar in eins meiner Gedichte aufgenommen; es hat den Titel „Ich wusste nicht mehr, was ausgedacht und was Wirklichkeit war“ und es findet sich inzwischen in meinem Gedichtband „Häuser, komplett aus Licht“. Das Fragment, aus dem Zusammenhang gecuttet, lautet: „Live at Pompeii, oder woanders, egal. Ich bin in deinen Armen verloren.“

  • 31:31 – the deep kind of smooth


    Annette Peacock / vocals, keyboards, synthesizer, programming, arrangements, producing With: Mano Ventura / acoustic guitar /Lol Ford / electric guitar / Duncan Lamont / saxophone / Larry Moses / trumpet / Michael Mondesir / bass / Simon Price / drums / Carlos Valdez / percussion / Avalon Peacock / backing vocals

    Als ich mir einst dieses Album bei Frau Peacock bestellte, kam es zeitig an mit einem freundlichen Gruss und verschwand dann viel zu lang in meinem seltsam ungeordneten Archiv. In der Erinnerung hielt ich es später für eine Neuauflage ihres Klassikers „I‘m The One“. Irrtum. Und jetzt hörte ich es zum ersten Mal, und weil ich meinen Ohren nicht traute, ein zweites Mal. Im Garten, unter Kopfhörern, spät abends. Der gelbe Mond verhinderte, dass ich am wolkenkosen Himmel die Sternschnuppen sah – in Arles oder den Highlands oder auf Pellworm wäre das ein Kinderspiel gewesen Aber diese Musik ihres Albums von 2005 vérsöhnte mich mit dem Ausbleiben des Himmelsspektakels. Es ist, wenngleich raffinierter in der Produktion als das erste Hören suggeriert, Annettes leichtestes Album, unendlich lässige „Barmusik“ (und so viel mehr) von einsamer Klasse. Leicht kann man das sog. Leichte für leichtgewichtig halten, aber es ist in diesem Falle wundervoll. Seltsam „sophisticated“. Beim zweiten Hören merkt man, dass selbst diese „easy breezy background band“ ziemlich ausgefuchst ist und Annette manche Überraschung in den Arrangements bereithält. Im Netzt findet sich keine einzige aussagekräftige Besprechung des Albums.


    Frau Peacock, einst von legendärer Schönheit (auch Timothy Leary umwarb sie, vergebens), kommt mir hier viel näher, als es mir in meinem Gespräch mit ihr über das zauberhafte „The Acrobat‘s Heart“ gelang. Bei Discogs ist „31:31“ günstig zu bekommen für 150 Euro. Bei jpc gibt es „The Acrobat’s Heart“ als Doppel-Lp (im Rahmen der „ECM-Luminessence“-Reihe) derzeit für 39,90 Euro. Fantastische Pressung. (m.e.)