Close (3)
We Begin
We Begin
We Begin
Away
Away
Away
Remember
Remember
Somewhere
Somewhere
Somewhere
Anywhere
Everywhere
Everywhere
Everywhere
Everywhere
Everywhere
Remember and
Remember and Wish
We EndSamuel Beckett hat einst auch kurze Gedichte geschrieben. Er kannte Gomringer. Er kannte sowieso die Kunst der Verknappung. Diese Tracklist stammt aber nun von Steve Tibbetts’ Ende Oktober stammendem Album „Close“. In weissen Buchstaben sind diese 20 Stücke gelistet, über zwei Seiten. Wobei, anders als hier, dem jeweiligen Titel, untereinander, die einzelnen Teile angefügt sind, „Part 1“, „Part 2“, „Part 3“ beispielsweise. Weiss auf schwarzem Hintergrund.
Halten wir fest: ungewöhnlich ist diese Tracklist allemal. Nehmen wir sie spasses- wie ernsteshalber als ein Gedicht: hätte Gomringer es in einem Büchlein untergebracht (oder Beckett in seinen Kurzgedichte, niemand hätte an der Echtheit gezweifelt. Die Freunde klassischer Poesie rollten damals sowieso mit den Augen, wenn solch ernüchternde Wortanordnungen ohne raffinerte, vielschichtige Ebenen, als Poeme hingestellt und verkauft wurden.
Hätten wir diesen Text (ein Spiel der Imagination) im Abitur serviert bekommen, hätten wir ihn seitenlang interpretiert. Als Zeit zwischen Anfang und Ende, zwischen Geburt und Tod. Wir hätten sprachlich die Ortungen von Somewhere, Anywhere, Everywhere auseinandergepflückt. Es gibt, bei aller Schlichtheit, keine Ordnung, keinen Plan, es gibt Bewegungen in Raum und Zeit, und erst zum Ende hin entsteht eine Art Überraschung. Remember and. Und was bitteschön?! Remember and Wish. Ah, Wünsche kommen ins Spiel, mit einem Augenzwinkern könnte man sagen, die Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat. Remember geht in unserem Zeitpfeilen nach hinten, Wünsche gehen „nach vorne“. Dann ist aber auch schon (in diesem Gedicht alles vorbei. We End.
Hier kommen wir zur Verbindung von Tiitel und Musik. Hätte mir jemand die zwanzig Musikstücke zum Hören gegeben, mit der Herausforderung, ich möge das Stück, das den Titel „Remember and Wish“ trage, unter ihnen herausfinden, es wäre mir mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gelungen. Aus diesem einen Stück springt einen das Wünschen geradezu an, in einem Motive, das nichts mit einem Evergreen zu schaffen hat.
All diese Worte „nur“ Worte. Wegzeichen. Markerungen. Marker. Mental Notes. Irrwege. Phrasen.
Höre die Musik: DAS IST DER BURNER!
“Close“ (2)
Es ist schon ein paar Jahre her, als „Life Of“ von Steve Tibbetts erschien, so ruhig und in sich versunken wie einst „Northern Song“, doch ganz anders gewoben und gearbeitet. „Even the silences were different.“ Ich konnte mich wohl gerade noch beherrschen, den berüchtigten Satz von mir zu geben (oder ich habe ihn tatsächlich rausgehauen?!): „he has painted his masterpiece“. Nun, nach den ersten Reisen durch sein Ende Oktober erscheinendes Album „Close“ kam mir dieser Ladenhütersatz wieder in den Sinn, und einmal mehr hätte ich gute Gründe dafür.
Seit „Safe Journey“ warte ich auf Werke von Steve Tibbetts mit der gleichen Erwartungslust wie, einst oder immer noch, auf Alben von Brian Eno, Robert Wyatt oder Scott Walker. Ich kann in vielen Arbeiten des Gitarristen hausen, leben, herumstreunen, wie in einem grossen Abenteuer. Keines seiner Alben hat sich je abgenutzt, und jedes neue Opus legt neue Horizonte frei. So wartete ich auch diesmal, zum Ende hin immer ungeduldiger, auf „Close“. Als es dann möglich war, die Musik als Journalist vorab zu hören, war ich gerade auf dem Weg zum Rursee, wo ich sehr gerne schwimmen gehe, tief in der Eifel. Aner natürlich wollte ich es in aller Ruhe hören.
Wir erlebten launige Stunden am See, und irgendwann nahm die Hitze zu. Ich holte mir eine Cola, und dachte mir, komm, ich höre mir mal auf dem Parkplatz die ersten Stücke an. Gesagt, getan. Ich lauschte „We Begin – Part 1“, „We Begin – Part 2“, und „We Begin, Part 3“. Nicht, weil unsere Pflegetochter inzwischen von einer Wespe gestochen wurde (das erfuhr ich erst Minuten später): nein, ich drückte auf die „Stop“-Taste, weil mich die Musik dermassen packte, dass ich am liebsten in die Sounds hineingekrochen wäre, wie einst vielleicht an der Seite von Jules Verne in eine Höhle auf seiner „Reise zum Mittelpunkt der Erde“. Ich wollte mich verlieren in dem einzigartige Gewebe dieser leisen wie wilden Sounds. Es gibt ja auch den kleinen Schock des Ergriffenseins, und schliesslich musste ich an diesem Nachmittag noch gut funktionieren, Kühlpacks besorgen und Marjans leichte Unterzuckerung beenden. Ich schreibe hier munter drauflos, aber ich war in jenen Minuten auf seltsame Art sprachlos. Die grosse Reise holte ich daheim am späten Abend nach, vom ersten bis zum letzten Ton. Und dann dieses Cover mit all seinen Dunkelheiten und speziell ausgeleuchteten Winkeln – „fairytalelike“ – wohl eine noch gelungenere Einladung, „Close“ kennenzulernen als all meine ausufernden Worte!
In Erinnerung an Eugen

Zum Abitur befragten die Ruhr Nachrichten traditionsgemäss jeden von uns nach seinem Studier- und Berufswunsch, und so stand bei mir zu lesen: „Deutsch und Philosophie fürs Lehramt an Gymnasien“. Es wäre vielleicht so gekommen, wenn ich nicht über das didaktische Grau der Proseminare über Edmund Husserl und das Althochdeutsche gestolpert wäre. Das, was mich im Semester 1973/74 endlos fesselte, war eine mitreissende Veranstaltung mit 12 Sessions über Konkrete Poesie. Ich verschlang, in der geboten Langsamkeit, Werke von surrealitischen Vorläufern wie Kurt Schwitters und Hugo Ball, von modernen „Klassikern“ und „Anstosserregern“ wie Ernst Jandl, Hans Arp – und Eugen Gomringer, der nun mit 100 Jahren den Planeten verliess. So spröde Gomringers Texte oft schienen, inspiriert von einfacher Sprache, dem griffigen Ton der Werbung, dem Sound der Worte – in vielen seiner Texte schwang eine feine Sinnlichkeit mit, welche die Fantasie der Lesenden spielerisch miteinbezog. Man stelle sich die nüchterne Architektur des Bauhaus als Spielplatz vor: Eugen Gomringer gelang es, solche Polaritäten aufzulösen, eins werden zu lassen! Mein Lieblingsgedicht entdeckte ich damals schon, und liebe es noch heute, es ist im ersten Kommentar zu lesen. Ich kann es wieder und wieder lesen und mich daran erfreuen, denn es setzt bei mir joie de vivre in Schwingung, pure Lebensfreude – manche werden sich fragen: häh, ehrlich jetzt!? Manche werden aber schmunzeln und gleich ein neues Lieblingsgedicht gefunden haben, ratzfatz. So leicht geht das. Wenn es geht.
“Close“
Ein bisschen small talk jetzt. Man könnte es so erzählen: es dürfte wenige Hörer meiner Ausgaben der Klanghorizonte über die Jahrzehnte verwundern, wenn ein Album von Brian Eno von mir zum Album des jeweiligen Jahres „erkoren“ wird. Ja, sagen dann so manche, der Mann hat seine Lieblinge, und sie schwingen da mit oder auch nicht. Nun ist es so, dass ich auch schon viele Alben zu Alben des Jahres (oder meiner Top 3) gewählt habe, die auch in Magazinen wie „Mojo“ oder „Uncut“ oder „Wire“ auf vordersten Plätzen zu finden sind. Wie zuletzt die Songalben von P.J. Harvey und Beth Gibbons – oder, auch schon wieder länger her – David Bowies „Blackstar“. Aber „The Ship“ von Eno? Oder „The Drift“ von Scott Walker? Oder „Life Of“ von Steve Tibbetts? Oder „Foreverandevernomore“ von Eno (der schon wieder!)? Oder „Warp“ von Jon Balke? Oder „Cartography“ von Arve Henriksen? Da muss man schon länger suchen, um sie in den einschlägigen Jahresendlisten bestimmter „Experten“ zu finden.

Das heisst nun aber überhaupt nicht, dass ich meiner „Fanseele“ hier und da die Zügel schiessen lasse… was vielleicht ein schräger Aussruck ist… but you know what I mean… Nein, wenn sog. Lieblingskünstler ein schwächeres Album rausbringen, dann spiele ich es halt nicht, und ganz sicher finde ich dafür keine warmen Worte. Nun hatte ich die Gelegenheit und habe sie hinfort Tag für Tag und Nacht für Nacht, ein Album zu hören, das Ende Oktober als physisches Medium (CD) und als Download verfügbar sein wird. (Das Album wäre ein Grund, sich einen Cd-Player zuzulegen, denn Vinyl ist erstmal nicht in Sicht😉.) Und , wenn der Leser mir diesen spielerischen Ansatz erlaubt, ES wird wohl – wenn es nicht „Lateral“ von Wolfe / Eno wird (oder ein anderes, aus dem engsten Kreis der Favoriten, von The Necks, oder Lucrecia Dalt, oder einem im Herbst hereinschneienden üblichen Verdächtigen („After The Wildfire“ von Bang / Henriksen ist soeben mit der Post aus Norwegen eingetroffen! Auch so ein „Ende-Oktober-Werk“, von dem ich aber noch keinen Ton gehört habe), mein Album des Jahres 2025!!! (Diesen Bandwurmsatz am besten nochmal lesen!)
Und wieder wird es wohl nicht in den Top Twelve der einschlägigen Magazine auftauchen – am ehesten noch, rein theoretisch, im „Wire“ Oder in „Electronic Sound“! Aber ich mache es hier nur künstlich spannend, denn diese Geschichte müsste – und wird – noch ganz anders erzählt werden. Das Teil, von dem ich hier rede, hat mich umgehauen. Pathetischer gesagt, tief getroffen. I go down to the sea and listen! Ich habe wenige Worte für die Gefühsmischungen, die mich beim ersten Hören heimsuchten – „hauting“, „haunting“ – ausser Hülsen, ausser dem taumelnden Inventar gesammelter Ergriffenheiten. Ich bin sehr froh, jetzt nicht aus dem Stand eine Rezension verfassen zu müssen, und im glücklichen Reich der „Sprachlosen“ (if you know what i mean…) Besser, ich wechsle jetzt auf die augenzwinkernde Seite der Worte: Gänsehaut, meine Freunde, Gänsehaut, immer wieder und mittendrin! Reale Gänsehaut. Wahrscheinlich sogar, unbemerkt, Aufstellen der Nackenhaare!

Und auch wenn rund um dieses besagte Album ein Stück eigener Lebensgeschichte mitschwingt – ich lasse diese alten Hüte mal aussen vor – ich bin absolut sicher, dass es manchen, ja, vielleicht sogar vielen Lesern dieser Zeilen ähnlich ergehen wird, wenn sie an einem Abend, kurz vor Oktoberende, das Licht löschen, die Augen schliessen, oder draussen einen „power spot“ aufsuchen mit Blick zum Himmel, und „Close“ von Steve Tibbetts hören. Aber, ganz klar, die Geschichte muss letztlich anders erzählt werden. Die Tracklist, by the way, hätte auch von Samuel Beckett sein können. Und das Cover ist eine Geschichte für sich. Am 25. September 2025 in den Klanghorizonten! Im Deutschlandfunk. Und am 22. Januar 2026 ein einstündiges Portrait in den JazzFacts! Dann natürlich ohne Gestotter und Geschichtenerzählerei. Ich rede schon wieder Unsinn: es geht nicht ohne Storytelling.The Necks, hopefully in talking mood
Three Questions for Chris:
1) the title of the forthcoming album „DISQUIET“ is not an easy one, not suggesting trance-like feelings often associated with some of your albums… what made you chose the title for the whole boxset of those four long tracks?
2) can you give some insights in the piece RAPID EYE MOVEMENT? Especially after playing it and having done some post-production… What comes to your mind when now thinking back of it? What do you like especially about it, what was a special moment etc.?
3) two weeks ago, i listened to one of the four tracks in Paris, on a warm sunny afternoon. And of course i chose WARM RUNNING SUNLIGHT knowing I would definitely be the first human to listen to it in my favourite Paris Park, Le jardin du Luxembourg. What a joyful experience lying on the green grass with closed eyes (mostly), and a peaceful atmosphere all around. Now i know you‘re not doing program music. So the title was chosen as a counterpoint to the other tracks or was there any little story with sunlight involved?
Two Questions for Tony:
1) on that very long track GHOST NET you play a long time a kind of irregular double rhythm, what I would call a „complex stumbling rhythm figure“… at some passages the drums work in synchronicity, so to speak, but very often there is this „disquieting“ feel of the rhythm… of course, the ear adapts to it and the music creates a wild, strangely wonderful energy. So what made you think of working with such a challenge (in the ryhthmic field)?
2) is there a piece on this boxset, that reminds you – when listening back to it after playing – (now matter from how far) to other musics like tribal music or certain jazz albums or whatever. Apart from creating a unique sound as The Necks, i think it is not so far out to feel sometime a connection (by surprise) to some other guys‘ musics…?
Two Questions for Lloyd:
1) can you give some insights into the piece RAPID EYE MOVEMENT that develops from a very relaxed state of mind to a very intense piece of music. Quite at the beginning there is your bass with a recurring „one note sound“ that looks like a steady announcement of stranger things to come….
2) out of pure curiosity: what are three favourite albums from ECM and IMPULSE, which three of these these two labels enter your mind first when thinking, and please leave out the most famous like A LOVE SUPREME or MUSIC FOR 18 MUSICIANS…. i remember Chris speaking to me about his love for Pharoah Sanders‘ Live at the east with Michael Bonner on piano – and with great joy i discovered that one:) so, shoot…
And thanks for you all doing this….
… a propos Annette P.
Ich hätte zu gerne das Konzert dieses Quartetts in Montreux gehört. 1971. Eine Freude, mal kurz Paul Bley in früheren Jahren zu sehen, ein Jahr vor Open, to love. Und Han Bennink, den ich bald öfter sehen sollte in den Siebzigern, mit meinem deutschen Lieblingsfreejazztrio: Brötzmann Van Hove Bennink!
Another Green World with 50
The passage of time
Is flicking dimly up on the screen
I can’t see the lines
I used to think i could read between
Perhaps my brains have turned to sand
Es ist naheliegend, sich an grosse Alben zu erinnern, wenn sie ihr fünfzigstes Jahr erreicht haben. So wird nun auch „Another Green World“ 50 Jahre alt. Am 14. November. Jan Reetze hat über eines seiner Schlüsselalben, Kraftwerks „Autobahn“, ein ganzes Buch geschrieben. Wenn ich ein Album von allen wählen müsste, käme ich fast immer auf Brians Album von 1975 zurück. Ich habe über die Jahre viel darüber erzählt, geschrieben, und es immer wieder mal aufgelegt in den „Klanghorizonten“. Es ist, wohl neben seinen „Music For Films“, das unscheinbare mit dem grauen Cover, das meistgespielte Album meiner Radionächte im Deutschlandfunk. Beide sind in der gleichen Zeit entstanden. Wie „Luminal“ und „Lateral“ ein halbes Jahrhundert später, hätten die Zwei auch ein Doppelalbum sein können. Die eine und andere Geschichte wird noch zu erzählen sein – manche bereits nachts zum besten gegeben, also „alte Hüte“, „Repertoire-Stories“! AGW und MFF werden beide in den Klanghorizonten am 25. September zu hören sein, mit jeweils einem Track.
Psychoakustika (2) – für Rosato
Ich war ja fast noch ein Kind, vielleicht 15, 16, höchstens 17, und rührte mich nicht vom Fleck. Ich sehe das Zimmer im Notweg 11 noch vor mir, das Holzmobiliar, die Couch, das alte Radio. Es dauerte lange, bis mir diese Minuten, in den ich regungslos verharrte und mich daran erinnern musste, das Atmen nicht zu vergessen, wieder in den Sinn kamen. Viele Jahre später las ich eine Geschichte von Brian Eno, die mich zum Nachdenken brachte.
Es war der Moment, in dem ihm die erste oder zweite Velvet Underground-Platte in die Hände fiel. Er hörte sie, und es haute ihn um. Man könnte auch sagen, er fiel in eine tiefe Trance. Diese ganz andere Sprache von Rockmusik. Diese Verweigerung der abgegrasten Themen, die Klangfarbe Schwarz. Was immer in seinem Kopf passierte beim Lauschen, es wären allenfalls einige interessante Gedanken herausgesprungen für sein Notizbuch – das Bedeutsame war die unmittelbare Wucht der Musik, etwas, das sich nicht auf ordentlich geschliffene Gedanken reduzieren lässt.
Wie er später erzählte, habe er absichtlich dieses Album nie wieder gehört, um die Wucht des ersten Erlebens nicht zu mindern. So, und nur so, konnten die dunklen Lieder sich ganz tief einnisten, wie der Moment einer Liebe auf den ersten Blick, der nicht durch Wiederholung, Nostalgie oder den Verlust von „Nach-Erzählungen“ und „Zurück-Holen“ geschmählert wird.
Und so erging es mir, als ich aus Versehen an einem Sonntag mitten im Sommer (wie kann man sowas Beiläufiges erinnern?) ein Radioprogramm mit Neuer Klassischer Musik hörte (WDR 3), mittendrin von einem Musikstück kalt erwischt wurde, von einem Komponisten, den ich nie zuvor gehört hatte. Ich war Kinks- und Beatlesfan, ich liebte alle vier Seiten von Soft Machines „Third“, und vielleicht hatte ich schon ein paar frühe ECM-Platten. Mit fehlte alles Vorwissen, als ich mitten in Steve Reichs „Drumming“ versetzt wurde. Ich war fast noch ein Kind, meine Ohren waren in diese 15, 20 Minuten gross wie Scheunentore – and „Drumming“ put a spell on me!

Weder besorgte ich mir den Tonträger, noch machte ich mich schlau, was das denn nun für eine Musik war. Viele Jahre später traf ich Steve Reich zum Interview, „Music for 18 Musicians“ hatte uns alle begeistert, und wir „music lovers“ erfuhren bald, was es, an den Oberflächen, am modus operandi, an den musikästhetischen Hintergründen, mit „Drumming“ und Artverwandten auf sich hatte. Aber wie Brian bei den Velvets, scheute ich mich davor, irgendwann die CD aufzulegen, die immer noch irgendwo im Archiv rumliegt. Nie wieder könnte mich die Musik so kalt erwischen!
Psychoakustika (1)
Diese Reihe, ganz gleich, ob sie umfänglich wird oder rasch versandet, beginnt möglichweise mit einem Fehler: ist das Wort „Psychoakustika“ korrekt so, nicht die Eigenwilligkeit interessiert mich, allein die Rechtschreibung. Es geht um unsere Erlebnisweisen von Musik. Der erste Teil widmet sich, in aller Kürze, dem Phänomen, dass man manche Musikalben mag, gut findet, ohne dass der letzte Funken überspringt – und dann tut er es doch, und wie! So ein Album ist für mich „Woodland Studios“ von Gillian Welch und David Rawlings (2024). Das die Musik richtig gut ist, spürte ich von Anfang an, aber erst jetzt hat sie mich so tief berührt, getroffen, dass mir bei drei Songs Tränen ihren Weg fanden. Und so höre ich gerade dieses Album wieder und wieder, lese die Texte, versinke in den Gesängen des Duos, ihrem Gitarrenspiel, den kleinen Ideen am Rande – und finde keinen einzigen „filler“, nichts, dass überflüssigerweise noch Teil des Ganzen geworden ist.

„Ein Güterwagen täuscht das Auge. Auf seinen sich drehenden Rädern ist keine Ladung zu sehen, nur die Knochen einer Fracht, die den Himmel einrahmen, durchschossen von Blau. So beginnt das neue Album von Gillian Welch und David Rawlings: mit einem illusorischen Fenster zum Jenseits. „Empty Trainload of Sky“ ist eine akustische Rock’n’Roll-Miniatur, wie sie Welch und Rawlings auf ihrem Meisterwerk Time (the Revelator) aus dem Jahr 2001 perfektioniert und seither bewusst mit zwei Gitarren, zwei Stimmen, Spannung, Anmut und Entschlossenheit erweitert haben. Der Schwung dieses skelettartigen Mystery-Trains trägt Tradition und Unendlichkeit in sich. Ob er nun hohl oder voll ist, nichts oder alles enthält, er rast immer weiter vorwärts.“ (Jen Pelly, NPR)
Es folgt: PA (2) – „Platten, die so grossartig sind, dass man sie nur einmal im Leben hören will // PA (3) – „ Warum Neil Youngs „Talking To The Trees“, das generell verrissen wird, in meinen Ohren ein verdammt gutes Album ist
Sweet nightmares are made of this (1982, remake)
Der Kollege drehte sich eine Zigarette, er sass mir gegenüber in unserem Zwei-Mann-Büro. Zwei Psychologen, einer hatte Liebeskummer. Michael, um aus dieser Nummer raus zu kommen, flieg nach London, über Weihnachten, das ist doch deine Stadt. Du musst einfach ständig wach sein, saug Piccadilly auf, das tut richtig weh, aber gut, alleine, ganz alleine, saug die Einsamkeit auf. In vollen Zügen. Das hilft. Down to the bottom! Ja, sie ist bestimmt die schönste Frauen Regensburgs. Du warst ihr Ausbruch, sie hat die Reissleine gezogen.
Die Würfel sind gefallen. Er hatte ja so recht. Ich wohnte noch immer am Ende der Welt, die Wölfe der Tschechei kamen manchmal über die Grenze, und ein Buch mit Kurzgeschichten von Richard Brautigan lag neben dem Bett. Ich fuhr von Bergeinöden nach Frankfurt und besorgte mir ein Flugticket nach London. So allein wollte ich auch nicht sein, und so kündigte ich meinem alten Würzburger Freund David Webster meinen Besuch an. Er freute sich darauf, mich wiederzusehen.
In Frankfurt verweigerten sie mir die Einreise nach London. Ich landete in Büros, und musste sogar zu einem amerikanischen Konsulat, wieso musste ich auf das fucking amerikanische Konsulat? Ein Riesentheater, und ich war sauer, und zeigte das auch. Da klärte es sich, dass ich als Amerikareisender gebucht war, ohne Visum, alles war ein Missverständnis im Frankfurter Nieselregen. Lauter Sorrys und Entschuldigungen, und Lufthansa schenkte mir ein Ticket für die Business Class, mit Sekt und allem Drum und Dran für eine Dreiviertelstunde Flug in den Londoner Nebelregen.
Heiligabend war ich bei den Websters eingeladen, bis dahin hatte ich zwei Tage: billige Absteigen, alte Cafes, und ich besorgte mir sofort ein Musikmagazin. Musik sollte Teil meiner Selbsttherapie sein. Ich liess mich in einem Pub nieder, erleichtert nach dem Tagesstress, der Kaktus auf der Ablage über mir geriet in Bewegung und plumpste dem Mann hinter mir in den Nacken. Ein Aufsschrei. Ich kümmerte mich sofort um ihn, zog ihm einzelne Stachel raus, ein paar Stellen waren blutig, aber er blieb freundlich. Der Pubbesitzer hatte sogar ein Desinfektionsmittel. Am Abend ging ich in den Marquee Club, um Jah Wobble & The Invaders of the Heart zu erleben.
Jah Wobble hatte einen Trenchcoat an, der aussah, als wäre er den ganzen Tag durch den Londoner Dunkelregen gewandert. Man konnte hören, dass Jah Wobble nach der Zeit mit Public Image Ltd. noch viel mehr in die Welt des „elektrischen Miles“ eingetaucht war. Dunkel pulste sein Bass durch den Raum. Eine Trompete mit Wah-Wah-Pedal verschickte knappe telegraphische Notizen, der Drummer hämmerte wohltuende Monotonie. Da erkannte ich sie und taufte sie Healy. Du bist die Fremde, mit der ich diese Nacht erobern werde. Sie stand alleine an der Seite, und trug auch einen fucking beautiful Trenchcoat. Hoffentlich war sie kein Jah Wobble-Groupie. War sie nicht.
Nach dem Konzert lud ich sie zu einem Drink ein, nachdem ich mich freundlich vorgestellt hatte. Why me, fragte sie mich, und ich sagte, your eyes. Sie hatte ein kleines Appartment in West Hampstead. Sie legte eine gemeinsame Lieblingsplatte auf, Chairs Missing von Wire, und dann schliefen wir miteinander. In dieser Nacht lösten sich die Bilder der schönsten Frau Regensburgs in den Umarmungen einer Wildfremden auf. Wir kifften, lachten, und mochten einander – small talk with a beating heart. Sie hatte kleine feste Brüste und einen extrem schlanken Körper, Londoner Regenblässe. Sexual Healing. Ein wenig.
Ich wanderte den ganzen Tag durch Hampstead Heath, ich hörte spät am Abend John Peel im billigen Hotelzimmer (er spielte Musik von Howard Devotos Band „Magazine“, ich weiss es noch genau, einen Song aus „Second Hand Daylight“, oder „The Correct Use of Soap“, wunderbar) und am nächsten Abend, Heiligabend, traf ich bei den Websters ein. Es gab Gans, Rotkohl, und Plumpudding. Es waren noch andere Gäste da. Ich hatte mir einen Infekt eingefangen, und später nachts 38.9 Grad Fieber. Ich schnupfte. David sagte: Michael, erzähl, wie war das Jahr? Wollt ihr das wirklich hören? Ja, Mann! Und ich erzählte die ganze Geschichte. Bis zu dem Augenblick, wo mein Kollege sich eine Zigarette drehte. In einer Fachklinik für Suchtabhängige. Ich ruinierte die Party mit dieser Story, leider. Obwohl ja alles so magisch anfing, mit einem Western mit James Stewart, und dem berühmten Song der Gruppe Grauzone. Ich hätte gerne als Entschuldigung einen Weihnachtsbaum gestiftet. Für Mrs. Webster wurde ich zum roten Tuch.
Das Allerschönste in diesen Tagen waren die Fahrten mit der Underground, besonders die Augenblicke, wenn man die letzte Treppe zum Tageslicht betrat. Immer wieder gerne: Piccadilly Circus, die bunten, flackernden Werbetafeln im Dauerregen. Ich kam mir vor wie in einer ungeschriebenen Geschichte von Richard Brautigan. Eine, in der Duftkerzen Patchouli verströmen, die Kinks im Radio „Mr. Pleasant“ spielen, ein Hirschbraten mit Preiselbeerrahm serviert wird, und ein paar Glückskekse am Tannenbaum hängen.