• Brian Eno and Beatie Wolfe go „Liminal“

    „A quiet life where
    We can blend
    Hidden thoughts
    With sweet lament“
    (from Shudder Like Crows)

    A manageable arsenal of instruments, essentially synthesizer and guitar. Two defining instruments of rock history—and nothing seems to have been told to an end yet. If anything has completely disappeared from the duo’s expeditions, it is tempo, action, and turmoil. Everything, including the vocals, is imbued with slowness, a sense of adventure and the unknown.

    But first things first: after their song cycle “Luminal,” a kind of “electric country dream music” in which the private and the political are closely intertwined in dark times; after the purely instrumental large-scale composition “Lateral,” with its subtly eerie prairie spaces, Brian Eno and Beatie Wolfe now present their third coup. “Liminal” is an exciting collection of immensely rich “instrumentals,” songs, song-like pieces, and the thin places in between. Each composition reveals a different sphere: lament, primeval fantasy, dream story, at one time probably the most verbose breakup song in recent pop history, set in a laundromat! Or is the narrator just caught in a dream? “Liminal” surprises at every turn.

    And we know / what it means to be dust / Watch it sleep / In the last part of us“. Although we are confronted time and again with finitude, decay, and darkness, in verses that pose many a riddle and could serve here and there as new koans for Zen students, it is quite an uplifting experience to dive into these breathing things and sounds. With Eno being a kind of nighttime painter with a knack for „the soul in the machine“, the guitar, folksy and meditative, is no miles and moons away from legendary campfire moods: a quiet joy, and more than a quantum of solace.

    The voice, close-miked,  has an unexpected range of  intimacies to offer, but is not really reliable, coming along like an uncanny entity, ghost-like, a figure from a dream, a meditation on human fragility, a delicate splash of colour.  What a seamless balance between the moments on the brink, and the almost warm-hearted adventures with „oceanic“ vibes in between!  Exit strategies for sheer amazement are hard to find on this visionary, wild and strangely relaxed ride!

    Michael Engelbrecht, Deutschlandfunk

  • „Robert‘s in the building“ – Mr. Forster in Köln

    Wie oft schon habe ich die Go-Betweens gesehen, wie oft Robert Forster solo oder mit Band!? Es ging los damals in den frühen 1980er Jahren, als mir ihr früher Garagenrock mit zwei genialen Liedern im Bayerischen Wald zuflog – dann die grandiosen vier Folgealben vor dem ersten „Cut“, von denen mein absoluter Liebling mal „Spring Hill Fair“ heisst, mal „Liberty Belle And The Black Diamond Express“, ab und zu aber auch „Before Hollywood“, und, gerne zur Weihnachtszeit, „16, Lovers Lane“. Und später dann, aber lassen wir das… Gestern Abend erzählte Robert die Geschichte des Rumpelrocksongs „German Farmhouse“, der sicher nur im Text mit der ihm eigenen Subtilität glänzt, und dennoch famos demonstriert, wie man gelebtes, gestrandetes, geglücktes Leben in eine kleine wilde Punk-Nummer verpackt. Die Go-Betweens waren kaputt, erzählte Robert also, und er lebte auf einem deutschen Bauernhof. Es war das „Rock-Haus“ in diesem niederbayerischen Winkel, er fand sein Glück mit Karin, er las über zwei Jahre Marcel Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, nahm in Berlin seim erstes Soloalbum „Danger In The Past“ auf, und kehrte immer wieder zurück zu seinem Glück im Hinterland. „Und es war gut, und nun sind wir 35 Jahre verheiratet!“, verkündete er mit dem Humor und der Nonchalance eines tollen Geschichtenerzählers. Allerbeste Stimmung im Publikum, ein erstklassiger Sound, den seine schwedische Band fabrizierte – Seelennahrung! Allein ich schwächelte nach einer Stunde im dichtgedrängten Saal – das Knie! Man wird halt auch gemeinsam älter, ich träumte von einem Sitzplatz. Marianne und Gerald konnten das nachfühlen, zwei andere in die Jahre gekommene Freunde der Band, die wir vor Ort kennenlernten, Lebensläufe, die sich kreuzen – wir sind halt alle Go-Betweens, und hatten uns ein bisschen was zu erzählen!

    („Strawberries“ heisst das aktuelle Album der Gruppe, bei Tapete Records, Hamburg erschienen, in allen Formaten. Highly recommended. Meine zwei Lieblingssongs daraus, das Titelstück, und „Breakfast On The Train“ waren natürlich Teil der Setlist!)

  • „Something stranger“ – the ongoing flow of Eno & Wolfe on „Liminal“


    Ein überschaubares Arsenal von Instrumenten, im wesentlichen Synthesizer und Gitarre. Zwei prägende Instrumente der Rockhistorie – und nichts ist offenbar zuende erzählt. Wenn etwas aus der Musik des Duos völlig verschwunden ist, dann Tempo, Action, und Aufruhr. Alles, auch der Gesang, macht sich immense Langsamkeit zueigen. Die Ruhe der Ausführung behindert allerdings nicht das, wiederum zu den Zutaten und Mythen der Rockgeschichte zählende, „berauschende Hören“.

    Aber eins nach dem andern: nach ihrem Liederzyklus „Luminal“, einer Art „electric country dream music“, in der das Private und Politische nah beieinander sind in unseren dunklen Zeiten; nach der rein instrumentalen Grosskomposition „Lateral“, mit ihren subtil unheimlichen Prairieräumen,  liegt nun der dritte Streich von Brian Eno und Beatie Wolfe vor. „Liminal“ ist keine  harmlose Restesammlung, vielmehr  eine spannende Abfolge  von  immens reichhaltigen „instrumentals“, Songs und Songartigem. Jede der elf  Kompositionen enthüllt eine andere  Sphäre: mal Lamento, mal urzeitliche Fantasie, mal das in einem Waschsalon angesiedelte, wohl wortreichste Trennungsstück der jüngeren Pophistorie! „Liminal“ überrascht an allen Ecken und Enden.

    Obwohl wir hier ein ums andere Mal mit Staub, Endlichkeit, Verfall und Nacht konfrontiert werden, in Versen, die manches  Rätsel aufgeben und hier und da als neue Koans für Zen-Schüler dienen könnten, ist es eine seltsam erhebende Erfahrung, diese unbekannten Orte aufzusuchen. Die Gitarre, folkig, meditativ, ist nicht so weit von den alten Lagerfeuern entfernt: eine reine stille Freude, mehr als ein Quantum Trost in den dunklen Räumen ringsum.

    Und was für eine seltsame und nahtlose Balance zwischen den Momenten am Abgrund, und beinah warmherzigen Abenteuern mit ozeanischen „vibes“ dazwischen! Die einzige Möglichkeit, aus dem Staunen herauszukommen (wenn man einmal Feuer gefangen hat für diese elementare Klangwelt aus Gitarre und Elektronik und Stimme und wenig mehr), besteht darin, sich der Versuchung zu entziehen, das Album wieder und wieder anzuhören! Aber warum sollte man!?

    (Michael Engelbrecht, Deutschlandfunk)

    Im folgenden erzählt Beatie Wolfe, gewohnt markant, etwas über ihre gemeinsame Arbeitsweise, und über den Song „Shudder Like Crows“, der ein perfektes, ergreifendes Finale für „Liminal“ abgibt, ein Werk, das alles andere als eine Resteverwertung ist, und in 11 Kompositionen elfmal die Landschaft verwandelt, den Ton, die Stimmung, die Gefühle. Ein Kreis schliesst sich mit „Liminal“ zu dem vor 50 Jahren erschienen Album „Another Green World“, auf dem Eno erstmals Ambient und Song mischte.

    Thoughts on „Shudder Like Crows“

  • Blue (blue by blue, step by step)

    “Joni Mitchell’s Blue probably has the same characteristic that I like about Revolver. It has this in-your-face production value. She had written songs like ‘Clouds’ where she had harpsichord on it and all these strings and all that but this album was devoid of all instruments bar the dulcimer, the acoustic guitar and the piano. I don’t even recall a lot of bass on the album but Stephen Stills might have played a bass line on an acoustic guitar. So what you have is ten or twelve knockout songs that she must have spent months crafting. Poetically, these songs are perfect. They speak to women, I know, but they also speak to men as well, about universal and personal challenges we all face in life. Joni Mitchell articulated them so well but as a record producer, how she did it was so important. Again, it’s that dry sound; in-your-face and a kind of minimal recording but every note and every instrument stated something very clearly and very powerfully. There are times when I hear this and I don’t even realise that I’m hearing a piano or a vocal; to me, it sounds orchestral. A good arrangement can make two or three instruments sound huge and a bad arrangement can make a whole orchestra sound puny.” (Tony Visconti, producer of „Low“ and other masterpieces)

    Es war vielleicht das letzte magische Weihnachtsfest meines Lebens, an dem Kindheit, mein wirres, verrrücktes, und manchmal ausgefuchstes Teenagerleben, sowie die Ahnung von Zukunft Hand in Hand gingen, Ton in Ton, mit dem allerletzten Adventskalender (einmal noch, Lametta auch!), und Joni Mitchells „Blue“. Die Schallplatte mit einem der wunderbarsten Cover überhaupt lag unter dem elektrischen Funkelllicht des Tannenbaums und verzauberte mein 16-jähriges Ich vom ersten bis zum letzten Ton. Natürlich wurde das Album „ein treuer Begleiter“, und dann irgendwann – Achtung, aufgepasst! – ein Fundus voller Fragmente, ein „Spiel der Erinnerung“. Ich stelle eingermassen verblüfft fest, dass ich das Album vorhin zum ersten Mal seit vielleicht zwanzig, dreissig Jahren „richtig“ gehört habe, so wie damals (natürlich anders!), und später, und viel, viel später wieder und wieder! Und dieses erste Wiederhören hatte es in sich, und das zweite Wiederhören (im neuen Quad-Remix von Rhino, „overseen by Joni Mitchell“), gleich, in ein paar Minuten, wird es auch in sich haben!

    (Fortsetzung folgt früher oder später)


  • Randnotiz

    Bislang hatte ich ja nur die audio files zur Verfügung von Steve Tibbetts‘ „Close“, was bedeutete, dass ich die Musik auf kleinen Boxen hörte. Das reicht völlig, um Qualität zu beurteilen, aber es ist was anderes, wenn die Cd in den Player einer grossen Anlage geschoben wird, und das war gestern erstmals der Fall. Die Dämmerung draussen passte zur „twilight language“ der Musik.

    In den Klanghorizonten sprach der Mann aus Minneapolis von den 74 Minuten, die das Werk anfangs lang war, und von der Einsicht, es noch einmal verdichten zu müssen. Das ist gelungen, auch wenn ich nicht weiss, wie „Close“ vor den Einschnitten geklungen hat. Jetzt rauschte ich durch das Album hindurch, ohne eine Sekunde der Ermüdung. In meiner Welt (und das Album ist ja jetzt „meins“, um Steve zu zitieren) ist „Close“ ein „instant classic“. Und das „Album des Jahres“.

    Ich werde es so machen wie Jan R. jüngst mit einer Band unserer jungen Jahre, und mir nacheinander alle ECM-Alben von Steve Tibbetts anhören. Ys – Northern Song – Safe Journey – Exploded View – Big Map Idea – The Fall Of Us All – A Man About A Horse – Natural Causes – Life of – Close. Aber bevor ich damit beginne, hat „Close“ Vorrang. In diese Musik mit ihrer besonderen Tracklist einer Reise durch Orte und Zeiten eines Lebens (so unbestimmt in den Worten, so scharf umrissen, voller Atem und Verblüffung in den Klängen), werde ich mich vorerst immer wieder fallen lassen.

    (Auch wenn er noch andere bedeutende Alben ausserhalb des ECM-Universums gemacht hat, sind diese hier wahrscheinlich die perfekte Playlist für mein Steve Tibbetts-Portrait am 22. Januar 2026 um 21.05 Uhr im Deutschlandfunk. 54 Minuten und 38 Sekunden.)

    Zu bestimmten Zeiten des Lebens spielen bestimmte Alben in unser Leben hinein, insofern wir Musik von früh an als Seelennahrung begriffen. Es geht da nicht um den Kanon der Grossartigkeit, sondern um die Schallplatten, die unser Leben mitunter über Nacht veränderten, die Begleiter waren durch Himmel und Hölle. Trost, Medizin, Schutzschild, Selbstverteidigung, Horizont. Manche dieser Alben hatten ihre Zeit, manche verrichten ihr Werk ein Leben lang. In diesem Sinne ist „Close“ das vorläufige Ende einer privaten history of music, die, aus dem Ärmel geschüttelt, eine ganz besondere Perlenschnur freigibt. Die erste Perle trug den Namen Sgt. Pepper.

  • Bericht aus Mainz

    Als ich meine Karte in einer Kneipe in der Nähe des Stadions abholte, wurde klar, dass ich doch nicht auf der Pressetribüne landete, aber einen formidablen Sitzplatz in Höhe des Mittelkreises bekam. Allerbeste Sicht, und kein Sardinendosenbüchsenfeeling wie in der Woche zuvor in der Gelben Wand! Ein grundsolider Auswärtssieg mit magischen Momenten!

    Hier waren keine Klassenunterschiede zu sehen, vielmehr die Kleinigkeiten, die Spiele entscheiden. Ein dezentes Übergewicht individueller Qualität. Nach dem Spiel und nach fünf Spieltagen gibt es nur eine Antwort auf das unausweichliche Thema: es gibt keinen echten „Bayern Jäger“, und spätestens zu Weihnachten wird das Thema ad acta gelegt sein, weil München viel zu souverän agiert, und es bei einem Rennen der üblichen Verdächtigen um die Championleagueplätze 2-4 bleiben wird. Der BVB spielte das Spiel „seriös nach Hause“ mit zwei toll herausgespielten Toren, bei denen mein persönlicher Lieblingsspieler Jule Brandt (grosser Freund von Anime-Filmen und sowieso ein intelligenter Bursche) zu glänzen wusste.

    Zum Aktuellen Sportstudio war ich zurück und bekam unterwegs noch die Radioreportage von dem verrückten 4:6 von Gladbach gegen Frankfurt mit. Ich freue mich natürlich, wenn ein Dortmunder im Sportstudio gastiert, aber das Interview von Katrin Müller-Hohenstein mit Sebastian Kehl hätte ich auch vorher schriftlich „erfinden“ können, so vorhersehbar und hübsch nichtssagend war es. Ein typisches Kehl-Interview im Manager-Sprech: der gute Sebastian ist stets kontrolliert, lässt sich nicht locken, und die gute Katrin ist die personifizierte Gute-Laune-Korrektheit ohne Überraschungswert. Sind ja auch landesübliche alte Hüte, die da Woche für Woche verbraten werden, wie die Frage – gähn, gähn! – nach dem „Bayern-Jäger“.

    Bei dem Spiel gestern kam es nur zu Kurzeinsätzen der Neuen. Ich habe, vom Gefühl her, grosse Hoffnungen, was Fabio Silva angeht, der viel von Europa gesehen hat als Leihspieler der „Wolves“, und zuletzt bei Mallorca seine spielerische Klasse bewies, mit Toren und technischer Rafinesse. Vielleicht wird er bei „uns“ endlich heimisch. Anselmino zwickt es noch in der Wade, und auch bei diesem Neuen mache ich mir keine Sorgen. Er zeigte bei seinem bislang einzigen Auftritt allerfeinste Grätschen, wie man sie von ambitionierten argentinischen Innenverteidigern kennt. Leider ist seine Leihe am Ende der Saison beendet, und er wird zu Chelseas Spielerbasar zurückkehren.

    Chukwuemeka hat alles drauf, was ihn in meinen Augen zu meinem nächsten „favourite player“ machen könnte: einen Blick für die Tiefe des Raumes, spieltaktisches Knowhow und geniale Einfälle. Leider ist seine Vita von permanenten Verletzungen begleitet, deren Ursache man im weiten Feld von „Wachstumsstörungen“ ausmachte. In seinen wenigen Einsätzen konnte man ahnen – und sehen, was in ihm steckt.

    Geduld ist das Zauberwort bei Jobe Bellingham. In einer souveränen Pressekonferenz vor Saisonbeginn zeigte er sich so klug wie selbstbewusst und tat kund, er wolle einer der besten Mittelfeldspieler Europas werden. Derzeit kommt er nicht einmal an Sabitzer und dem leider politisch komplett verpeilten Mnecha vorbei. „Erst kürzlich war der 24-Jährige auf einem Tiktok-Video mit einem Buch vor sich zu sehen, in dem ein evangelikalen Prediger über die Rolle der Frau, wie sie Gott ihr angeblich zugedacht hat, schreibt. Es ist – wenig überraschend – eine untergeordnete Rolle“ (taz)- Frau Hohenstein, da hätten sie mal nachharken können! Ich schweife ab: Jobe und Jude. Ich bezweifle, dass Jobe wie Bruder Jude beim BVB gross Geschichte schreiben wird (und das war ja auch nur eine Kurzgeschichte). Im Moment sehe ich in ihm das Potential eines guten Box-To-Box-Spielers, der in diesem Jahr wohl kein einziges Mal eine 1 oder 1,5 vom „Kicker“ bekommen wird.

    Es hatte jedenfalls riesig Spass gemacht, mal wieder bei einem BVB-Spiel auswärts dabei zu sein. Auf der Rückfahrt, nach gewohnt langer Stauzeit bei solchen „events“ , lief neben den Live-Schaltungen aus Gladbach auch die dritte der drei CDs von Jeff Tweedys zauberhaftem „Twilight Override“. Dreissig Songs – nur einer gefällt mir gar nicht, mit einer kleinen Überdosis Chorgesang. Selten höre ich in Stadien gute Musik – da gibt die übliche Folklore den Ton der „Stimmungsmusik“ an. Unvergesslich jene fünf Minuten vor Jahrzehnten, in denen einst im Westfalenstadion ein Song erschallte, der uns allen etwas über das Leben mitteilt, und damals dermassen in die Bein ging, dass ich nur zu gern dazu getanzt hätte: „Road To Nowhere“ von den Talking Heads. Jetzt gegen Bilbao und Leipzig zwei anspruchsvolle Heimspiele, und dann zu den Bayern. Danach ist wohl erst mal Schluss mit dem „Jägerlatein“ – leider, sagt der Fan in mir!


  • Liebe Villa Sonnenschein!

    Ich weiss noch, wie wir vor Monaten zusammensassen bei eurer Hauspizza Neapolitana, und du eine Jugenderinnerung ausgrubst, Tobi, an diesen einen hypermelodischen Song von Velvet Underground, als Assoziation zu „Suddenly“ von Beatie Wolfe und Brian Eno – und tags später erzählte Beatie mit was von genau diesem Lied über einen magischen Sonntagmorgen.

    Musik hat nie eine Hauptrolle in eurem Leben gespielt – dabei traf ich genau ins Schwarze, als dir, Ulrike ganz warm uns Herz wurde als ich dir, auch schon wieder länger her, eine Ballade aus John Coltranes „Ballads“ vorspielte.

    Hier also eine Art Gebrauchsanweisung meiner gestrigen „Klanghorizonte“. Ich bin zuversichtlich: wenn ihr sie gelesen habt, werdet ihr beim Wiederhören die Musik nicht mehr in melodisch / eingängig und wild / schwierig einorden.

    Es begann alles damit, als ich in „Electronic Sounds“ eine kleine Besprechung von Ludwig Bergers „Crying Glacier“ las, und Jan Bang mir Wochen später die erste aus dem Presswerk angekommen Schallplatte seiner neuen Arbeit, „After The Wildfire“, schickte. Es war völlig klar, dass diese beiden Alben den ersten Teil der „Klanghorizonte“ bilden würden.

    Ein Unheil nach dem anderen. Die Feuerbrünste in Mazedonien, in Griechenland: als Brian und Roger Eno in der Akropolis spielten, war die Hitze bis zur Bühne hin erlebbar. Jan und Arve befassten sich mit dem Danach, der Trauerarbeit, aber auch mit unbändigem Widerstandsgeist. Die alten Gesänge bleiben unverwüstbar, niemand verlernt das Tanzen auf Dauer. Manchmal, in dem Stück das ich spielte, kracht es kurz, das ist die „Schattengitarre“ von Eivind Aarset.

    Mit einem Augenzwinkern könnte man übrigens die „Feldaufnahmen“ aus den Schweizer Alpen für den Soundtrack eines Abenteuerfilms halten: „Indiana Jones im Vadret De Morteratsch“. Aber rasch wird aus humoriger Abwehr ein ungewohnter Ernst. Beim zweiten Hören fremdelt man nicht mehr mit dieser Musik der Natur. Staunen und Erschauern setzen ein.


    Und so bekam die Erzählung der Stunde, mit allen ihren „field recordings“, eine klare Form: von dem „weinenden Gletscher hin zu einer anderen grünen Welt“. Es ist das gute alte „Prinzip Hoffnung“ meines deutschen Lieblingsphilosophen des 20. Jahrhunderts Ernst Bloch, das hier im Handlungsgefüge der Klanghorizonte zum Tragen kommt:

    „Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen. Seine Arbeit entsagt nicht, sie ist ins Gelingen verliebt statt ins Scheitern. Hoffen, über dem Fürchten gelegen, ist weder passiv wie dieses, noch gar in ein Nichts gesperrt.“

    Lässt man diese Sätze etwas länger auf sich wirken, gewinnen sie an Klarheit. Brian Enos „Another Green World“ bietet solche utopischen Räume, die wir sterblichen Wesen in Angriff nehmen können, die Übergänge zwischen Traum und Wirklichkeit sind fliessender als wir gemeinhin denken.

    Und so beginnt der dritte und letzte Teil der Stunde, zwar sehr unheimlich, in einem Niemandsland aus Yorkshire, aber es sind auch solche Randzonen, in denen sich unsere Welt abbildet. Natur und Zivilisation treffen aufeinander, elektronische Sounds grundieren das Gewebe aus Vogelstimmen, Zuggeräuschen und anderen Seltsamkeiten. Im Nachhinein hätte ich vielleicht ein sanfteres Stück aus der Philip Jeck Anthologie nehmen sollen.

    Fliessender Übergang in andere Randzone: die Finka von Alfreda Benge und Robert Wyatt, ihr Sommerunterschlupf in den 1980er Jahren: das Album „Dondestan“ ruft diese „thin places“ wach, auch hier öffnen sich Zonen zwischen Traum und Wirklichkeit: ein imaginäres Kinderbuch beschwört ein eigenständiges Palästina, eine Mülltüte fliegt in sanfter Konkurrenz zu einem Zeitungspapier von gestern über den Strand.

    Es sind solche Zwischenzonen und Randgebiete, die Jürgen Becker schon früh in seiner Lyrik aufgriff, Orte der Erosion, lange, bevor Die Grünen ihr erstes Grundsatzpapier verfassten.

    Hier ein Screenshot der Playlist der Stunde. Im kommenden Jahr plane ich, themenzentriert, Art von Radio, öffentlich aufzuführen. Wie einst bei den „lectures“ in Kristiansand.

    Es folgt ein Song aus dem dritten Album „Liminal“ von Brian Eno und Beatie Wolfe: gehüllt in pure Traumsphäre, legt der Zeitlupengesang eine ganz andere Ebens frei: unsere Fragilität, die Träume, die zerbrechen. Immer wieder auch ein Memento mori. Dass wir Kinder ohne Sterne seien, verkündet Beatie, und leise gesellt sich Brian Stimme am Ende dazu. Wie war das noch mit den Woodstock-Träumen von Joni Mitchell!?

    Sich in die Dunkelheit fallen lassen, ist auch eine Kunst. Music, the doctor, music, the healer! Heilen in kleinen Dosen, keiner wird übertreiben.

    Und so bleibt das Zentrum dieser Stunde, die beiden neuen Werke von The Necks und Steve Tibbetts, Stammgäste meiner Ausgaben der Klanghorizonte, in einer Stunde voller Stammgäste! Es gehört zu den schönen Zufällen, dass Enos Another Green World in diesem Herbst 50 Jahre alt wird, und somit, neben den Themen dieser Stunde, allemal ein naheliegendes Finale darstellt.

    Wer Steve Tibbetts‘ Werke nicht kennt, wird vielleicht ein zweites, drittes Hören brauchen, bis der berühmte Groschen fällt. Es gibt solche „Kippeffekte“, bei denen etwas, das zuerst seltsam, verstörend, unheimlich wirkt, auf einmal fasziniert und fesselt. Wie bei Bergers Gletschermusik. Das könnte auch für das „warm strömende Sonnenlicht“ der Necks gelten: eine gute Einführung für diese Komposition wäre ein Besuch im Pariser Museum der Impressionisten, und da speziell der Raum mit den riesigen Seerosenbildern von Claude Monet!

    Die Stories, die Steve erzählt (und er zählt zu meinen liebsten Interviewpartnern), sind auf eigene Weise spannend, nehmen sie ums doch mit in den kreativen Prozess des Musikmachens – und Musikhörens!

    In diesem Sinne hoffe ich auf das eine und andere Aha-Erlebnis bei euren „zweiten Hören“, und auf ein baldiges Wiedersehen in der Villa Sonnenschein oder meiner „elektrischen Höhle“.

    In den 80 Welten um den Tag, in welchen wir regelmässig landen, bin ich gerade in jener unterwegs, die mich mit dem Toyota nach Mainz führt, zum Auswärtsspiel des BVB, und zu zwei alten Freunden. Im Gepäck ein alter Lyrikband von Jürgen Becker, „Triple Override“ von Jeff Tweedy, und eine Karte für die Pressetribüne. Thank you, Uli!

    P.S. Die kleine Kiwi hatte was!

  • Gute Reise!

    Click on the following line
    to listen to the radio hour
    with The Necks, Steve Tibbetts, Brian Eno, Robert Wyatt a.o.:


    Part One – Of Ice and Fire
    A form of language
    The more he‘s alive, the more he‘s dying 

    (from Ludwig Berger‘s Crying Glacier) *
    Meridian moon 
    (from Jan Bang / Arve Henriksen: After The Wildfire)

    * the vinyl runs with 45 rpm

    Part Two Twilight Language
    Away 3 (from Steve Tibbetts‘ Close)
    We begin 3 (from Steve Tibbetts‘ Close)*
    Warm running sunlight (from The Necks‘ Disquiet)
    Away 1 (from Steve Tibbetts‘ Close)

    * „a small concert hall inside…“ – my 2018 interview with Steve Tibbetts

    Part Three – Shades Of Blue, Shades of Green
    Saltmarshe (from the Philip Jeck anthology „rpm“)
    Sparrowfall 2 * (from Brian Eno‘s Music For Films, 1978)
    The sight of the wind (from Robert Wyatt‘s Dondestan, 1991)
    Shallow form (from Eno / Wolfe: Liminal) 
    Becalmed (from Brian Eno‘s Another Green World, 1975)

    * click on „Sparrowfall 2“ to listen to Brian Eno‘s memories on „Music For Films“

    Auf‘s erste Hinschauen dachte ich an Fotografien von Gregory Crewdson – auch hier scheint vieles bis ins kleinste Detail arrangiert zu sein. Ist der Sternenhimmel überhaupt echt. Ist er! Der Clou ist, dass es sich um einen klassischen Schnappschuss handelt. Ich habe Steve Tibbetts natürlich auch gefragt nach diesem Bild, und ihm geschrieben, ein hinreissenderes Cover sei mir für diese Musik und ihre „twilight language“ kaum vorstellbar. „Fairytale“, „darkness“, „somewhere“, „anywhere“, „noir“, so flogen meine Assoziationen umher, auch, weil ich, neben den Klängen, schon die „tracklist“ kannte, die, nach dem Hören der Musik, für eine Extraportion Gänsehaut sorgten!

    DIE STORY


    In regards to sequencing: 54 minutes and 38 seconds. To stick faithfully to the most rewarding sequence of tracks, i had to leave out pieces from these fantastic albums, old or new: Jeff Tweedy: Twilight Override / Lucrecia Dalt: A Danger to Ourselves / Meredith Monk: On Behalf Of Nature / David Darling: Cello.

    In regards to Eno / Wolfe (70 seconds of sound / soul / place searching)

    In regards to Jeff Tweedy: „It was novelist and critic John Berger who first posited that “calm is a form of resistance”. Who knows if Jeff Tweedy was channelling that sentiment while creating the gentle behemoth that is Twilight Override, but he has certainly responded to the maelstrom of paranoia and inhumanity unleashed by the second Trump term – what the Wilco frontman has dubbed “a bottomless basket of rock bottom” – with disarming composure, and a big batch of tunes for his fifth solo outing.“ (Fiona Shepherd, Uncut)

    In regards to Steve Tibbetts:

    one) „Steve speaks (1)“ („music philosphy“)

    two) „Steve speaks (2)“ („twilight language“)

    „At times I miss working in a record store. I miss the camaraderie of sullen, sneering record clerks. I miss hearing all the new releases, right out of the box. Closing up the store and going out to see Prince or Motörhead. Tom Smith was part of our crew working at the Wax Museum record store in Minneapolis. My daughter and I go visit Tom at the Electric Fetus record store at the end of every year. Tom has 10 albums ready that he thinks I will like. Laura Marling’s Once I Was an Eagle was in the stack some years ago. It stayed in my CD player for a long time. One long song. The same key. Repeating motifs and melodies. A trance. I could do that.“ (S.T.)

    In regards to Philip Jeck: „Time, and the placement of time, is odd: as I type up this obituary, in a generic chain hotel bedroom, I do so to the sound of the first track from his 2015 album Cardinal album. Titled ‘Fleeing’, it fills the poorly-lit room with colour, anguish, hope and tension. The three minutes and seven seconds of the length feel like they could be both (i) forever and (ii) a mere gust of breeze at the window. On record or in performance, Jeck could juxtapose various emotions and – dare I say it – feelings. I distinctly remember him playing on one occasion and turning to a section which made me think, without warning: “Life can be pretty fucking dark sometimes, huh?” Yet I also recall how I also smiled at how beautiful this passing darkness was.“ (Dale Cornish, taken from his Philip Jeck orbituary, TheQuietus, 2024)

    „Die Zeit und die Einordnung der Zeit sind seltsam: Während ich diesen Nachruf in einem Zimmer einer gewöhnlichen Hotelkette tippe, höre ich den ersten Titel von Philip Jecks Album Cardinal aus dem Jahr 2015. Der Titel „Fleeing“ erfüllt den schlecht beleuchteten Raum mit Farbe, Angst, Hoffnung und Spannung. Die drei Minuten und sieben Sekunden des Songs fühlen sich an, als könnten sie sowohl (i) ewig dauern als auch (ii) nur ein kurzer Windstoß am Fenster sein. Auf Platte oder bei Live-Auftritten konnte Jeck verschiedene Emotionen und – ich wage es zu sagen – Gefühle nebeneinanderstellen. Ich erinnere mich noch genau daran, wie er einmal spielte und zu einem Abschnitt kam, der mich ohne Vorwarnung denken ließ: „Das Leben kann manchmal verdammt düster sein, oder?“ Aber ich erinnere mich auch daran, wie ich darüber lächelte, wie schön diese vorübergehende Dunkelheit war. (Dale Cornish, übersetzt)

    In regards to a certain passage of this hour: „Rejoyce“

    Every album from this hour is a treasure trove. In my ears, and for heaven’s sake not in my ears only. Some have made history, some will make history, or do the „buried treasure game“. Much more important are the „stories“ that these albums “tell” us when we listen to them, mostly without words. Words: why words. East of words. The unspeakable comes into play. The storytellers, too. There’s a lot to rummage around here. There’s no replacement for listening. (m.e.)

    P.S. In regards to more blue hours:

    from left to right: Agharta / Love, Love / Big Map Idea / Ecstasy / Tauhid

  • Red Flag in Sylt

    “History of Silence“

    Ich erinnere mich an einen kleinen Reiseessay in der „Zeit“, in dem ein bekannter Feuilletonist, auf dessen Namen ich gerade nicht komme, zwischen den Jahren ein paar Wochen auf Amrum verweilte. Ist schon ziemlich lange her. Und er überschrieb seinen Text „Stille bis zum Horizont“. Auf Sylt habe ich selbst mal eine ganz besondere „Stille bis zum Horizont“ erlebt, in Coronazeiten. Frühmorgens, in den Dämmerungen, ist das selbst in der Hochsaison möglich, auf Sylt, auf Amrum sowieso.

    Und welche Musik ist ideal für solche stillen Räume? Das ist eine persönliche Sache. Mir fallen Bands ein wie Múm oder Sigur Rós. Die Island-Fraktion der ätherischen Epiker, zwischen Transzendenz und Zerbrechlichkeit, zwischen Horizont und Holzspielzeug. Da waren jeweils die ersten Werke umwerfend, aber mit der Zeit versandeten beide Gruppen in ihren mehr und mehr in Formeln erstarrenden Einzigartigkeiten. Schöne Langeweile.

    Unso erfreulicher, dass Múm nun wieder nach über zehn Jahre Pause ein rundum faszinierendes Album vorlegen. Eine lesenswerte Besprechung in Popmatters, und Frank Sawatzki hat diesen Beitrag hier für den DLF gemacht. Er hat einen feinen Sprachstil, den ich von seinen Rezensionen im Musikexpress kannte. Aber die Hauptsache: Múm sind wieder da!

    Nach der Produktion von „Northern Song“ verbrachte übrigens Steve Tibbetts einige Tage auf Sylt, und sein erstes Album für ECM könnte allemal beitragen zu einer „history of silence“. „Eine lange Radionacht der Stille“ wäre sowieso ein schönes Thema für den Deutschlandfunk. Und als die Manafonisten 2014 ein Treffen auf der Insel planten, hätte ich beinah „The Sheriffs of Nothingness“ eingeladen, vorm Meer vorzuspielen, vor einer komplett imaginären Stille bis zum Horizont! Places you wanna like to be…!

  • California Split

    Endlich erlebte ich wieder California Split, weil der Robert Altman-Film netterweise mal vor wenigen Wochen auf youtube hochgeladen wurde. Ich war begeistert, als ich ihn mit ungefähr 19 und 25 Jahren zweimal im Fernsehen erlebte, und seither geisterte er alle Jahre wieder durch meine Erinnnerung. Ich weiss, wie Filme in ihrer Wucht mit der Zeit nachlassen können, und fragte mich, ob ich zurückspringen könnte in die Wahrnehmung eines jüngeren Ichs, und es klappte relativ gut. Ich konnte im Nachhinein schnell meine Rührung von damals verstehen, warum und wieso. Aber wichtiger war, dass ich wieder mit Elliott Gould und George Segal in der Küche sass (und ich konnte mich fast nur an diese Küche erinnern, und due tollen „vibes“, due der Film bei mir auslöste). Als Elliott dann der Tochter der Frau des Hauses die Sache mit der Zunge eines der letzten grossen Blauwale erzählte, war ich hin und weg – und endgültig dort! Es geht um Freundschaft, Zusammenhalten, Lust am Spielen, und auch darum, dass einem an verlorenen Tagen die besten Lieder durch den Kopf gehen. Letzteres zeigt sich hier nur in ganz kurzen Szenen, aber das waren „meine“ zündenden Funken – neben der Sache mit dem Walfisch.