“fabric collection“ for a playlist in motion
William Tyler: Time Indefinite
Eiko Ishibashi: Antigone
Arve Henriksen et al: Arcanum
Kuunatic: Wheels of Ömon
Bennie Maupin: the Jewel In The Lotus (1973)
Amelia Barrett & Bryan Ferry: Loose Talk
Rebecca Karijord: The Bell Tower
Natural Information Society and Bitchin Bajas: Totality
Angel Bat Dawid & Naima Nefertari: Journey to Nabta Playa
Don Cherry: Relativity Suite (1971)
Jan Bang / Ensemble Modern: With These Hands
Hirsoshi Yashimura: Flora (1987)
Bon Iver: Sabel fAbel
Vic Mars: The Beacons
Cate Brooks: Easel Studies
Labyrinthe des Esprits: The Cosmic Hunt(this list of promising new or forthcoming albums, of reissues and buried treasures, will be continued every once in a while….any ideas?! There may be changes though, and, well, not so much of this „ocean of sound“ will gloom in that radio hour at the end of May („Klanghorizonte“ / Deutschlandfunk). Blame it on a perfect sequence! Peace, Michael Engelbrecht!)
A little story about „sequencing“: in the early years of the „Punktfestival“, composer and percussionist Adam Rudolph sat at my side, in the aeroplane from Amsterdam to Kristiansand. Asked what he will play, he spoke about doing „a little trance thing there“ refering to the music he made under the moniker of „Hu! Vibrational“. The album „Beautiful“ had been released in 2004.
Soon we were talking about one of his heroes, Don Cherry, Don’s years in Scandinavia, his impact on young Jan Garbarek, and (now you will get my point, dear reader, with a look at my brainstorming on possible records to play!) that during the days of that New York production of Bennie Maupin‘s „The Jewel In The Lotus“, little Adam was a curious and „entranced“ witness sitting in the control room while it all happened – experiencing Bennie live while „painting his masterpiece“!
And playing a piece of that album (that will be re-released within the „Luminessence“ vinyl series of ECM soon), it would only natural to give Don Cherry‘s „Relativity Suite“ from 1971 some airplay (an album that is utterly beautiful, and, strange enough, never got a more than well-deserved reissue). And having played a track of that one, maybe „The Dance of the Hobbits“, it would only be natural to contnue with Angel Bat Dawid‘s „Journey To Nabta Playa“ (an album, on which Angel and Naima enthsiastically enter the world of Don Cherry‘s and Moki’s old paradise in Sweden)!
Now look: start with Mr. Maupin, (1)
ask Adam Rudolph about teenage memories,
play Relativity Suite, (2)
tell the story about the journey to Nabta Playa, (3)
followed by „Desireless“ – (4)
and the hour would be over!(Jan Garbarek had his first encounter with „Desireless“ when listening to Cherry‘s „Suite“: there that little gem with an irresistible melody is fucking brilliant 1 minute and 30 seconds short. Jan thought, well, let‘s do it as long that it fills a whole side of vinyl – and it happened on side 2 of „Witchi-Tai-To“.)
Re-Discovery of Something Adventurous
MANAFON ist ein zärtliches Ungetüm. DIED IN THE WOOL – THE MANAFON VARIATIONS spinnt die Fäden fort, die sich da anbahnten, öffnet Räume, schliesst Fenster, lässt alte Gesänge seitwärts treiben, schiebt neue Songs hinterher.
Wer vor MANAFON flüchtete, wird sich auch hier in Sicherheit bringen wollen. Was passiert mit dem Originalstoff: mal verschwindet die Kulisse der frei improvisierte Gespinste, und wird durch den streng modernen Duktus eines japanischen Komponisten ersetzt, mal werden die detailfreudigen Forschungen des „Originals“ subtil variiert.
Das Amalgam funktioniert und nimmt gefangen: ob Arve Henriksens Trompete nordisch uncool die Vertonung eines Gedichts von Emily Dickinson anreichert, ob Samples aus einem Konzert von Skuli Sverisson (Kristiansand 2010) momentlang einen tonalen Untergrund bauen, wo sonst harmoniefreie Klangpartikel ins Offene entschweben, ob die Melange von Ambient Music und Song Herrn Sylvian zu einer Ballade treibt, die den Samen für ein ganzes Werk bilden könnte (I SHOULD NOT DARE)…
Was durchweg verblüfft, ist die Natürlichkeit, mit der hier Neue Kammermusik, Electrionica, Sampling sogenannter Pop- und Klangspuren von manch anderen Welten eins miteinander werden. Geradzu lässig, als ginge all das Unerhörte und Dunkle leicht von der Hand.
Michael Engelbrecht am 12. Mai 2011 auf dem alten Blog, carefully remixed
Für Scotch und Candlelight auf El Hierro und sonstwo
Vorspiel mit einem alten Text: Der vertraute Klang eines Cocktailshakers voller Eis und entfernter Möwen weichen einer einfachen Melodie, einem im Licht sich räkelnden Rhythmus. Wir befinden uns auf einer Zeitreise in ein Japan, das bald eine halbe Ewigkeit zurückliegt. Die Siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts, jene tollkühne Dekade. Wir träumten damals vom Fujiama, der uns auf grossen Briefmarken entgegenblickte, verspielt und majästetisch, als wir baby boomer waren. Japaner träumten anders. Und so befinden wir uns gerade mitten in einer Musik, die deren ausgesuchte Urlaubsparadiese zu damaligen Wirtschaftsblütezeiten heraufbeschwörte. Die südlichen Inseln im Pazifik.
„Pacific“ ist der Titel dieser Langspielplatte. Das Werk entstand 1978. fast alles instrumental, bis auf die eine Zeile, die mit dem „Sommer in ihrem Haar“ alle Träumerei auf den Punkt bringt. Die drei Pazifikforscher: Shugeru Suzuki, Harry Hosono, der bald das Yellow Magic Orchestra mitgründen sollte, und der Dritte, einer der Cracks der japanischen City Pop-Szene, Tatsuro Yamashita. Wir erkennen einen alten Bekannten, der auf dem Album auch mitmischte, Ryuichi Sakamoto. So jung, man glaubt es kaum. Eine Prise früher Synth-Pop, die japanische Variante amerikanischer Exotikträume a la Les Baxter, melodische Funkrhythmen, ein schwebender Horizontöffner, eine Brise New Age, easy peasy, soft and breezy.
Ein gutes Jahrzehnt später. “I follow the peacocks as they sing like wo la la la”. Das Album: OMNI SIGHT SEEING. Anno 1989. . In den Achtzigern war „Weltmusik“ angesagt, aber vieles von diesen globalen Sounds hielt eine geschmäcklerische Sanftheit parat, mal virtuos, mal berechnend, und oft genug war das vollmundige „CROSSOVER“ einfach langweilig wie effekthascherisch.Wenig kam heran an die rohe Wucht und Durchschlagskraft von „My Life In The Bush Of Ghosts“ von Eno und Byrne, an die surreale Magie von Jon Hassell und den drei Codona-Alben auf ECM. Einiges wohl, aber vieles nicht. Und da taucht nun, als Reissue bei Victory Records, diese Platte auf, die diesen Globetrotter-Modus auch noch auf das Cover setzt, als Untertitel in schwarzen Lettern: „recorded in 1988 – 1989 from Showa to Heisen, Tokyo to Paris, Sung in Japanese-English, French and Arabic“. Und was darüber steht, wirkt wie eine touristische Animation: „omni Sight Seeing / the GLOBE WATCH TOUR: conducted by Hosoni Haruomi“. So weit, so gewöhnungsbedürftig.
(Die Fortsetzung mit „der psychoakustischen Erfahrung“ folgt in Kürze, die Platte kann man für erstaunliche 20,99 Euro bei HHV bestellen, Ingo könnte vorbeigehen in dem Berliner Laden und das Porto für die Lieferung einsparen (bei Amazon kostet das Vinyl einer anderen Ausgabe 338 Euro – und so viel vorab, ich gebe der Platte 4 von 5 Sternen und empfehle sie uneingeschränkt, Jan R. wird sie auf Tidal hören, wie er mir mailte. Das white marbled vinyl eine Augenweide.)
Ich besorgte mir das Album, weil ich Haruomis „Pacific“ vor Jahren als Entdeckung empfand, und einmal mehr überzeugt mich auch dieses Werk von Anfang bis Ende, warum, genau, kann ich aber kaum sagen. Es geht ja auf der Rückseite des Albums, im Kleingedruckten, noch weiter, und wenn man da von „Astralreisen“ liest und „spiritueller Reise“, noch dazu in recht plakativer Sprache, fragt man sich, ob der Gute zuviel Kaffee im Nirvana getrunken hat, ein romantischer Schwärmer ist, oder reale Grenzerfahrungen in Klänge übersetzt.
Denn dieses Album ist ein Tollhaus von kreuz und quer purzelnden Einfällen (das Cover passt da schon wunderbar!). hosono Haruomi in einem Samdkasten aus Alphaville. In eine japanische Technovariante mit Härte 8 schmuggelt er Bandoneonistas hinein, marokkanische Herzensgesänge, ein fröhlich aisflippendes Saxofon, um danach in einem wundersam floatenden Ambient Track jeder zerfliessenden Sekunde gewisse underwater vibes unzerzumischen – call it „balearic“! Schön verrückt und erfinderisch seine elektronisch unterfütterte Version von Duke Elllingtons „Caravan“! Alles kommt mit einem ausgeprägten Spieltrieb daher, und könnte leicht als nette multikulturelle Petitesse durchgehen, aber es fesselt mich, sorgt für Heiterkeit, Wundern und schöne Verblüffung. Seltsam.
„One Poem, and one Robert“
Time was away and she was here
And life no longer what it was,
The bell was silent in the air
And all the room one glow because
Time was away and she was here.Ich habe von jemandem gehört, der diese Gedicht von Louis MacNeice zu der Hochzeit eines Freundes las – mit seinen einfachen Bildern, ihrer leise nachhallenden Wucht, hat es auch etwas, das bei Beerdigungen vorgetragen werden könnte. Elementar. Das ging mir heute morgen durch den Kopf, als ich es las, und eine Woche nach der Wiesenbestattung der sterblichen Überreste einer meiner besten Freundinnen.
Würde ich in Louth leben, wäre ich sicher befreundet mit Alfie und Robert, so herzlich und nachhallend waren unsere drei Begegnungen in London. Wie Hansjörg und Gudrun, so sind auch Robert und Alfie ein so unzertrennliches Paar gewesen, und sind es noch, jetzt, wo Robert Wyatt seinen 80. Geburtstag feierte. Olaf (Ost) sandte mir dazu einen feinen Text, HIER nachzulesen. „Wir sind nicht allein.“ ich verspüre gerade unbändige Lust, Robert Wyatts „Cuckooland“ aufzulegen! Eine andere Art von Seelentrost hält „Tocotronic“ bereit, auf ihrem neuen Album „Golden Years“. Alte Bekannte, und lauter offene Türen in dunklen Zeiten! (m.e.)
Die besten Alben der Siebziger Jahre in den Ohren von Norbert Ennen
„Der Clou solcher Listen ist, das dass sie Landkarten gelebten Lebens ausbreiten, und jedes einzelne Album eine Geschichte erzählt, und manchmal zwei. In solchen Listen tauchen diese privaten Stories nicht auf, dabei sind diese so existenziell wie die Schallplatten selbst. Üblicherweise nennt man das auch den „Soundtrack unseres Lebens.“ (M.E.)
Norberts erste Liste
Television – Marquee Moon / Wire – Pink Flag / Wire – Chairs Missing / Wire – 154 / Talking Heads – Fear Of Music / John Cale – Paris 1919 / Devo – Are We Not Men / Specials – Specials /Sex Pistols – Never Mind The Bolocks / Slits – Cut / Pere Ubu – The Modern Dance / Kraftwerk – Die Mensch Maschine / Kraftwerk – Autobahn / Suicide – Suicide / Joy Division – Unknon Pleasures / David Bowie – Station To Station / David Bowie – Low / David Bowie – Heroes / Brian Eno – Another Green World / Brian Eno – Before And After Science / Steve Wonder – Innervisions
Norbert (Jahrgang 1960) hat mir (Jahrgang 1955) eine Doppelliste gesendet mit seinen Lieblingsalben jenes wilden Jahrzehnts. Die erste Liste umfasst die 20 Alben, die er damals, in der Zeit, von der hier die Rede ist, über alles liebte, die zweite Liste enthält jene 20 Alben, die er erst im nachhinein entdeckte, und die ihren Status für die einsame Insel erst mit Verzögerung erlangten. „Ich war ja noch kein Oberchecker wie du“, bemerkt er in Anspielung an unsren Altersunterschied von fünf Jahren, und tatsächlich fallen fünf Jahre „musiksozialisationstechnisch“ ins Gewicht (Leute, die auf Elvis standen, waren für ich schon „Die Alten“, genauso wie Frank Sinatra-Fans): ich würde nur eine einzige Liste präsentieren, denn ich war damals schon so verrückt nach Musik, dass mir wenig entging, und im perfekten Alter für Prägungen des musikalischen Geschmacks. Natürlich studierte ich seine Liste mit grossem Interesse, und konnte rasch Gemeinsamkeiten und Unterschiede ausfindig machen.
Norberts zweite Liste
Can – Ege Bamyasi / Curtis Mayfleld – Curtis / Neu – Neu / Judee Sill – Judee Sill / Annette Peacock – I’m The One / Gil Scott Heron – Pieces Of A Man / Joni Mitchell – Blue / Funkadelic – Maggot Brain / Dadawah – Peace And Love / Linda Perhacs – Parrallelograms / Cluster – Zuckerzeit / Miles Davis – On The Corner / Upsetters – 14 Backboard Jungle Dub / Nick Drake – Pink Moon / Steve Reich – Music For 18 Musicians / Stooges – Fun House / Alice Coltrane – Journey To Satchinanda / Neil Young – On The Beach / Pharoah Sanders – Deaf Dumb Blind / Herbie Hancock – Sextant
Kein Jahrzehnt hat mich so beeinflusst wie die Siebziger Jahre, und jede meiner Listen würde wohl überquellen, ichn mache hier nur den Go-Between für Norbert. Vielleicht eins noch: eine Differenz zwischen uns auf den ersten Blick: in seinen zwei Zwanziger-Listen gab es nur eine ECM-Platte, Steve Reichs „Music For 18 Musicans“ von Steve Reich. Würde ich eine Liste posten (und es wäre eine TOP 40-Liste ohne Ranking), wären etliche ECM-Alben dabei, aber nicht diese zugegeben tolle Scheibe von Steve Reich. Es war ein Jahrzehnt des Überflusses an Magie, und in der Parade absoluter persönlicher Favoriten wären diese ECM-Alben wohl dabei – ich nenne nur die Titel: Sart, Ruta and Daitya, Bremen / Lausanne, The Köln Concert, Solstice, Open To Love, Yellow Fields, The Following Morning, What Comes After (oder doch Odyssey), Diary, Whenever I Seem To Be Far Away, Danca des Cabecas, Nan Madol, The Survivors Suite, Return To Forever, und Witchi-Tai-To. Those were the years, my friend.
„Freigewehtes on air“
Nur zwei Alben veröffentlichte der Pianist und Synthesizerspieler Rainer Brüninghaus als Bandleader, „Freigeweht“ (1981) und „Continuum“ (1984), und sie haben über all die Jahrzehnte hinweg nichts an Ausstrahlung verloren: „Freigeweht“ liegt nun in der ECM-Vinylserie „Luminessence“ mit tadelloser Pressung und Gatefoldcover vor, ergänzt von einem klugen Essay, der dieses kleine Meisterstück im Rückblick einordnet und verschiedene Facetten erhellt, etwa Spuren von Minimalismus in diesem sogenannten „kammermusikalischen Jazz“.
Aber was heisst schon „Kammermusik“ bei so vielen sperrangelweit geöffneten Aussichten!? Vielen wird es so ergehen, dass sie sich diese lyrisch-aufregende Musik wieder und wieder anhören, weniger, um sich wohligen Erinnerungen zu überlassen, oder analytisch den Geistern eines anderen Zeit nachzuspüren (das wären allenfalls Begleiterscheinungen): alle Beteiligten sind schlichtweg „on fire“, von dem Komponisten selbst, der das Understatement jedem virtuosen Fingerzeig vorzieht, über den Meistertrompeter und die Schlagzeuglegende, bis hin zur „wild card“ des Oboisten und Englisch-Horn-Spielers!
Für eine jüngere Generation von Hörern mag dieses Album eine Eintrittskarte sein, andere aussergewöhnliche Alben des ECM-Katalogs kennenzulernen, in denen Brpninghaus als Sideman seine diskret-vielschichtige Magie verströmt, etwa auf Eberhard Webers „The Colours Of Chloe“, „Yellow Fields“ und „The Following Morning“, oder Jan Garbareks „I Took Up The Runes“. „Freigeweht“ reiht sich da, ohne grosses Aufheben, nahtlos ein: einsame Klasse in bester Gesellschaft! (michael engelbrecht) P.S. Das Foto aus meiner „elektrischen Höhle“ zeigt „Freigehweht“ an zweiter Stelle von links.
Niklas Wandts Klanghorizonte sind nun nicht mehr nachzuhören. Das rege Echo rund um „Freigeweht“ spuegelt sich in rund zehn Kommentaren von Ingo, Niklas, Henry, Jan, und mir … (deshalb habe icn diesen Blogeintrag auf den 8. Februar transportiert.)
„Das minimal gehaltene Cover ziert eine Reihe von drei Fotos einer Papiertüte im Wind, eingefrorene zufällige Bewegungen, ausgeleuchtet in dramatischem Kontrast – das grelle Orange der Tüte gegen das strahlende Blau des Horizonts. Die Luftigkeit, die Transparenz kennzeichnet auch den Sound auf dieser Platte, eingespielt in einer recht ungewöhnlichen Quartettbesetzung. der kanadisch-britische Kenny Wheeler an Trompete und Flügelhorn und der Norweger Brynjar Hoff an Oboe und Englischhorn.“ (Niklas, in einem anderen Beitrag zu „Freigeweht“ . Siehe auch „Archive“)„Open, to love“ (in Erinnerung an Gudrun H.S.)
Zuweilen kommt zu einem unvergesslichen und unerschöpflichen Album auch noch ebensolches Cover!Ich werde, wenn dieses Album, das 1973 veröffentlicht wurde, am 7. März innerhalb der „Luminessence“-Vinylserie von ECM neu aufgelegt wird, dazu etwas schreiben. Es wird auch in der Kolumne „Archive“ vom März seinen Platz finden.
Mich erreichte heute schon ein Exemplar, und es ist nicht billig, wenn man es, als Gatefold, und mit einem neuen (und hervorragenden) Begleittext versehen, kauft, für knapp unter vierzig Euro. Aber ich denke, es lohnt sich, lapidar gesagt.
Nicht, weil es ohne Zweifel zu den grössten Solopianoalben aller Zeiten zählt, sondern, weil, ich gerate etwas ins Stocken, ähem, nun, weil es ein Album ist, zu dem der, der sich einmal in dieses Album hat fallen lassen, wohl immer wieder hingezogen fühlen wird. Lebensbegleitend. Wie das Cover.
Manfred Eicher sprach von „Songs“. „Open To Love“ hat etwas dermassen Verlockendes, Entrücktes, In-Aller-Ruhe-Berauschendes! Was er da anstellt mit seinen eigenen Kompositionen, mit denen von Carla Bley und Annette Peacock, ist einzigartig und atemberaubend. Seite 2 endet mit einem Stück vom Annette, das mich mehr als einmal zu Tränen gerührt hat, und einen Titel hat, der auch nachhallt: „Nothing Ever Was, Anyway“. Vom Nachhall könnte man hier noch viel erzählen.
Die Musik von „Open, To Love“ hat mich begleitet von Dortmund nach Münster, nach Würzburg, nach Furth i. Wald und zurück nach Würzburg, zurück nach Dortmund, und Ewigkeiten später von dort nach Aachen. Diese Musik wird nie aufhören, mich gefangen zu nehmen, mich zu fesseln, mich aus Begrenzungen hinaus zu begleiten, offen dafür, zu lieben! Mit dem Album verbinde ich auch das gute alte Wort „surrender“.
Ich frage mich, ob es Leser gibt, die das hier lesen, und das Album nicht kennen.
Ich traf Paul Bley in den noch recht jungen Neunziger Jahren in Bremen, natürlich sprachen wir auch über dieses Werk, und ich werde mal gucken, ob mein Porträt, eine alte Ausgabe der „Studiozeit“, noch irgendwo im Archiv des Deutschlandfunks abgelegt ist. Kleine Anekdote: an dem Tag meines Interviews verkaufte ich ihm mein allerfeinstes Sennheiser Stereo Mikrofon, fair enough, zum Einkaufspreis – es wurde bald ein Sammlerstück.
(m.e.)
Rich und seine Songwerkstatt (3/3)
Heute nun der letzte Teil meiner kleinen „Nacherzählung“ von Toms Begegnung mit Rich anlässlich seines Album „End Of The Middle“. Das ist mal ein Beispiel für einen Songzyklus, bei dem es fast unerlässlich ist, die lyrics zu verstehen. Drum liegen sie dem Album bei, und den Schlusssong „More Than Real“ kann man bei „comment 1“ lesen. Verglichen mit der überbordenen Klangfantasie seiner letzten Alben ist dieses Werk viel mehr Schwarzweiss und Neorealismus als Cinemascope und History Fiction. Dennoch schleicht sich das Element des Fantastischen bei Richard Dawson weiterhin ein, in unerwareteten Sprüngen zwischen Traum und Wirklichkeit in den lyrics, in seinem Gitarrenspiel, den ungewöhnlichen Phrasierungen seiner Stimme, in den amarchischen Beimengungen einer Soloklarinette (ich habe es immer schon geliebt, wenn ein Blasinstrument in einem Lied nicht die gepflegte Melodielinie spielt, sondern Unruhestifter ist statt schmückendes Ornament). Der Wire schreibt, in seiner Märzausgabe zu dem Album folgendes:
Nach ein, zwei Tagen wandert dieser Text im Blog Diary soweit in die Vergangenheit, dass man den Gesamttext in aller Ruhe und Chronologie „von oben nach unten“ lesen kann. Er wird dann im März zu unswrer TALK-Kolumne bei den MONTHLY REVELATIONS stossen. Nichts geht natürlich darüber, sich die UNCUT vom März zu kaufen. Darin, unter anderem, eine „in depth“-Story, über das Album von Wilco, das immer meine Number One war: „A GHOST IS BORN“ – ein Titel, der auch gut zu einem Album von Rich passen würde. (m.e.)
MORE THAN REAL
„More Than Real“ ein überraschend farbenfroher Abschluss des Albums. Es ist ein Duett mit Sally Pilkington, der die ersten Akkorde und die Melodie geschrieben hat. Es ist ein zutiefst emotionaler Blick auf die Entschlossenheit und das Scheitern eines frischgebackenen Vaters, und dann – vielleicht – eine Momentaufnahme der Zukunft, wenn seine Tochter einen Anruf erhält und zu seinem Krankenhausbett eilt, um sich zu verabschieden.
„Sally und ich sprachen, was dieses Finale angeht, über Angelo Badalamenti und die Dokumentarfilme, die man auf BBC sieht, wo die Hintergrundmusik anschwillt, wenn es einen emotionalen Moment gibt,“ erklärt Dawson. „Aber der Song sollte eine seltsame Version davon sein. Ich dachte auch an Tarkovskys Andrei Rublev – der Film ist in Schwarz-Weiß, und am Ende, nachdem ein Junge 25 Minuten lang eine Glocke gemacht hat, wird er plötzlich in Farbe gezeigt. Ich wollte, dass dies der farbige Moment nach einer ziemlich entsättigten Erfahrung ist. Ich habe auch an Neil Youngs ‚Philadelphia‘ gedacht – es ist sirupartig, irgendwie kitschig, aber es hat eine schöne Stimmung.“
„Es war ein Song, den ich schon eine Weile auf der Orgel gespielt hatte und der mir schwer fiel, ihn zu beenden“, fügt Pilkington hinzu. „Richard hatte es im Visier und bat mich schon seit einer Weile darum. Ich habe gezögert, aber ich habe mit ihm verhandelt – er konnte es haben, wenn ich Teil des Tracks sein konnte“. (So verhandelt ein Paar über einen Song – ich musste bei den Schilferungen ihres Alltags manchmal an Robert Wyatt und Alfie denken.)
ALLEINE IM DUNKELN
Rich Dawson hat mehr Grund als die meisten anderen, das Leben auf dem Lande als schwierig zu empfinden: Er ist sehbehindert, und seine Sehkraft wird langsam schlechter. In den letzten Jahren ist es für ihn schwierig geworden, damit umzugehen.
„Ich bin ziemlich auf Sally angewiesen, sie hat mich schon oft mitgenommen“, sagt er, während er ein frisches Pint Village Green (sein Lieblingsbier!) auf dem Tisch stehen hat. „Es ist haarig, von der Bushaltestelle nach Hause zu laufen – der schnellste Weg führt über die Felder, ein kiesiger Weg in der Dunkelheit, schnüffelnde Tiere, und ich kann nichts sehen, verdammt. Ich denke: ‚Ich habe Angst, und ich werde die nächsten 25 Minuten Angst haben. Aber die positiven Seiten des Lebens hier draußen sind so groß.“
Im März 2023 spielte er seine erste amerikanische Headline-Show in New York und reiste dann quer durch die Staaten, um seine Freunde Pigs Pigs Pigs Pigs Pigs Pigs Pigs zu unterstützen. Natürlich ist Amerika kein Ort für öffentliche Verkehrsmittel, und selbst in den Großstädten kann schlechtes Sehvermögen zu einigen Schrammen führen.
„Es war ein bisschen viel für mich, um ehrlich zu sein, da draußen allein zu sein“, seufzt er. „Ich fühlte mich ziemlich gestresst. Die Shows waren alle großartig, aber man muss sich bewusst sein, wer um einen herum ist, und ich konnte nicht genug Informationen [visuell] über die Leute bekommen, so dass ich in ein paar Begegnungen geriet. Einmal war ich in der New Yorker U-Bahn und diese furchterregenden Typen stiegen in Kampfhosen und Stiefeln ein – sie stiegen an jeder Tür ein und fingen an, auf mich loszugehen, es waren Gang-Typen. Es fühlte sich auf jeden Fall gefährlich an. In L.A. habe ich mich dann einfach verlaufen und ein Vermögen ausgegeben, um irgendwo hinzukommen. Ich habe es also nicht geschafft, sagen wir es mal so.“
ENERGY FOOLS THE MAGICIAN
Dawsons jugendliche UFO-Sichtung wird in der ersten Hälfte von „Black Triangle“ aus dem Jahr 2020 erzählt, ein seltenes Stück Autobiografie in einem Lied. „Es war wirklich sonnenklar. Mein Freund und ich sahen beide dieses massive schwarze Dreieck über uns hinweggleiten. Mir ist jetzt klar, was für ein großer Moment das war. Es gibt die Vorstellung, dass ein Song irgendwie autobiografisch sein muss – und das ist er natürlich immer, in gewisser Weise. Aber es war sehr überraschend für mich, dass die Leute nach ‚Jogging‘ dachten, ich würde gerne joggen gehen.
„Wir haben diese enge Vorstellung davon, was ein Song sein sollte, und die haben wir bei anderen Kunstformen nicht. Er muss radiotauglich sein, er muss vier Minuten lang sein, er muss fröhlich sein, er muss uns helfen, zur Arbeit zu fahren, er muss in unseren Tag passen. Und ich glaube nicht, dass das der Ursprung ist. Bevor jeder Zugang zum geschriebenen Wort hatte, war ein Lied für die Menschen eine Möglichkeit, Nachrichten zu teilen und zu verbreiten. Es ist eine Form von Magie.“
Nachspiel: The bizarre history of Dawson’s favourite guitar
“In my early twenties I had to get a loan to pay for backdated council tax, and I had a few hundred left over so I bought this Baby Taylor. Lovely guitar. Then it had a series of mishaps. There was a minor earthquake in the UK and I’d forgotten I’d put it on the floor, and I stood on it, but it was still playable. The second time, I was drunk and I totally caved it in, but it still made a sound of sorts. I thought, ‘Well, I’ll just play the songs the same, the spirit will still be there even if it sounds terrible.’ Then [singersongwriter] Nev Clay stood on it and totally broke it – it was my fault. A luthier, Nigel Forster, put a beautiful curved top on it, and it was vastly improved. Then the neck snapped on the first day of the Peasant tour. I don’t gig with it now, but every song I’ve written since my twenties has been written on that.“
Go down to your radio and trawl the megahertz
Zu den besten Webseiten, das Leben mit Musik, und all die Tangenten ringsum zum Thema haben, zählt neben Richard Williams‘ The Blue Moment, ganz sicher auch eine andere Solo-Seite, Zen Sounds, von Stephan Kunze. Wer genug Geld hat, und Sendungen wie die „Klanghorizonte“ mag, wird dort sehr viel Lesenswertes finden. Heute schreibt er (und wie ich ist er kein Prefab Sprout-Fan), über Paddy McAloons wundersames Soloalbum „I Trawl The Megahertz“, das ich in den Klanghorizonten spielte, rauf und runter, als es erschien, und, bei der Wiederveröffentlichung auch. Sein letzten Absätze lauten (er schreibt in feingearbeiteten kleinen Abschnitten, der Zengartenvergleich ist akkurat):
I Trawl the Megahertz still stands as one of his most personal works. It’s an album with little companions in popular culture, often getting compared to Jon Brion’s soundtrack for Michel Gondry’s film Eternal Sunshine of the Spotless Mind.
McAloon couldn’t have known Brion’s score, as it was written after I Trawl The Megahertz. Instead he mentions Gavin Bryars’ composition “Jesus Blood Never Failed Me Yet” (first released on Brian Eno’s Obscure Records in 1975), which he says he didn’t think of while writing the piece but it might have had a “subconscious influence”.
I Trawl the Megahertz remains totally unique and outstanding. I’ve never even been a huge Prefab Sprout fan, but I return to this brilliant album every so often. Its vague melancholy never fails to move me.
P.S. Mich haben einige Bekannte und Freunde angesprochen, warum ich nicht eine solche Seite eröffne, und damit eine schöne Einnahmequelle öffne. Die Antwort ist einfach: ich möchte über ALLES schreiben können, und da würde ich Abstriche machen müssen: wer will schon dafür bezahlen, dass ich alte Geschichten im Mosaikstil auftische, natürlich auch Fussballgeschichten, Traumdeutungen, monatelang nach meinem Blutsbruder suche, Gedichte, und andere „Abseitigkeiten“. Ausserdem schätze ich, und das zählt noch mehr, Vielstimmigkeit. Solange es sie gibt.
P.P.S. Bald wird Norbert E. eine spannende „Doppelliste“ vorlegen, zu seinen Favoriten der „wilden Siebziger Jahre“. Wieso eine Doppelliste? Ich musste kurz nachfragen, aber, klar, das hätte ich mir auch denken können. Bei mir gäbe es nur eine einfache Liste, ohne Dopplereffekt – das Gavin Bryars‘ „The Sinking of the Titanic“ wäre übrigens dabei, auf dessen Rückseite „Jesus Blood Never Failed Me Yet“ erklingt. (Lieber Norbert, schlage mal ein paar Locations vor für unser Hamburger FlowFlow-Meeting am 1. Mai!)
Clay Pipe Music 1
I am so happy to have discovered this English label. The CEO, Frances Castle, has opened up some gates that offer adventurous worlds. Sometimes tiny in size, sometimes a little ocean of sound. Another blue world. The label will be on our blogroll soon. When I took the vinyl out of the sleeve of Andres Wasylyk‘s wonderful „Hearing The Water Before Seeing The Falls“ (one of the musicians is Angus Fairbairn aka Alabaster dePlume), a little catalogue of Clay Pipe Music landed in my hands, and the words read like this: (m.e.)
Clay Pipe Music is a London based record label run by illustrator Frances Castle. It has released music inspired by: Green Line buses, Muriel Spark ghost stories, Hackney Marches, space travel, the approaching spring, Great Yarmouth, lidos, Welsh mythology, lost streets of London, lighthouses, Heresfordshire and deserted villages.