Kronos meets Hardanger

Ein letzter Besuch in Norwegen für dieses Jahr. Benedicte Maurseth erzählte mir vor einem Jahr, als wir uns zuletzt in Berlin trafen, von einer Anfrage von David „Kronos Quartet“ Harrington, ein 45-minütiges Hardangergeigenwerk fürs Quartett zu schreiben. Er hatte ihr Buch mit Gesprächen mit ihrem Lehrer Knut Hamre gelesen und war davon komplett begeistert. Da sie als Norwegian folk musician das freie Improvisieren (teils auf traditionellen regionalen Melodien, teils aus eigenem Fundus) pflegt, meinte sie direkt, ungeachtet der überaus willkommenen und einmaligen Chance, sie sei doch keine Komponistin, fragte daher bei Kristine Tjøgersen um Rat und letzten Endes Co-Autoren- und Urheberschaft an; sie schreibt nun wiederum die aufgenommenen Improvisationen nieder, collagiert diese neu und arrangiert sie weiter aus, so dass nun letztlich ein Quintett entsteht, mit komplex notierten und frei zu gestaltenden Teilen.

Für das Auftragswerk „Elja“ wurden eigens Instrumente für Kronos gebaut, von einem Hardangergeigenbauer, der jedem, dem ich in Norwegen von dem Projekt erzähle, direkt bekannt ist. „Yes, Ottar! He also built Frida’s fiddle!“ Mit dem Mietwagen fuhr ich zu Ottar Kåsa aufs Land hinaus, um finale Arbeitsschritte an einem der vier Instrumente zu filmen. Für Kronos baute er neben zwei Hardangergeigen auch eine Hardangerviola und ein -cello, jeweils bislang nicht übliche Instrumente, was ihn entsprechend vor spannende neue Herausforderungen stellte.

 

Nachmittags fuhren wir dann in die Hauptstadt, wo wir abends die beiden Co-Urheberinnen des Werks und die zu 50% neue Besetzung des Quartetts treffen, die ungemein enthusiastisch ihre neuen Instrumente begrüßen, die sie später zusätzlich zu ihren bisherigen Instrumenten nach Amerika mitnahmen. Nach 45 Jahren gingen vor wenigen Monaten zwei Quartettmitglieder (John Sherba und Hank Dutt) in Rente, und nun sind zwei junge Frauen (Gabriela Díaz und Ayane Kozasa) zum seit 51 Jahren bestehenden Quartett gestoßen. Ich stelle mir vor, dass das eine kaum zu beschreibende Veränderung im Leben und in der Berufslaufbahn von Gründer David Harrington sein muss – nach so vielen Jahren, nahezu so lange, wie ich auf der Welt bin, im Alter von 75 Jahren mit einer neuen, jungen Band noch einmal wie neu zu beginnen. Die Celloposition hatte bei Kronos über die Jahre immer mal wieder gewechselt; der aktuelle Cellist, Paul Wiancko, ist seit vier oder fünf Jahren dabei.

Ich habe David natürlich auch dazu befragt, und es ist im übrigen interessant zu sehen, wie die jungen Mitglieder ihm nun in einiger Hinsicht neue Energien geben und ihm helfen, mit der Zeit zu gehen. Man merkt ihm seine vielen Lebens- und Berufsjahre durchaus an. Und doch tritt dies in den Hintergrund, wenn er auf der Bühne zum werweißwievielten Mal Purple Haze spielt, als wäre er noch immer Anfang 20. Die aktuelle Besetzung gab in Oslo ihr erst erstes viertes gemeinsames Konzert, aber sowohl auf der Bühne als auch bei den drei Probentagen, bei denen ich die Vier erlebte, machten sie, zu meinem Erstaunen, bereits den Eindruck eines gut zusammenarbeitenden, sich bestens verstehenden Ensembles. Anfang Dezember werden sie in San Francisco zwei neue Alben einspielen. In einem Jahr dann voraussichtlich das neue Werk, das sie nun in Oslo zu proben begannen — es ist aber noch nicht fertig komponiert. 

Auch wenn Kronos höchste Auftrittsgagen bekommt und nach wie vor internationale Kompositionsaufträge vergibt, scheint es leider keine Möglichkeit zu geben, Finanzen für eine filmische Dokumentation ihres Tuns zu finden. Da ich, als Benedicte mir vor rund einem Jahr von der Anfrage erzählte, sofort sagte, ich würde das gerne begleiten [kurzfristig meinte David Harrington wohl zu ihr,  dass eine Freundin von ihm, Sally Potter(!), unter Umständen Interesse daran habe, das hat sich dann wohl aber schnell erledigt], bin ich nun auf eigenen Geldbeutel für die Tage dazugekommen und habe begonnen, das alles zu filmen und zu fotografieren.

Leider weiß ich nicht, wie klug die Entscheidung war, mich da reinzuhängen, denn ich befürchte, wie ich mich kenne, dass ich am Ende einen kompletten Dokumentarfilm über das Ganze machen werde, ohne dass ich irgendwoher Geld zurückbekomme. Ich muss mir das jetzt noch einmal durch den Kopf gehen lassen und überlegen, ob es eine gute Möglichkeit der Quer- oder Nachfinanzierung gibt, da ich doch oftmals mehr Zeit und Geld in solche Projekte reinstecke als andere Leute, die sowas nur machen, wenn sie dafür finanziell normal entlohnt werden … aber einen Dokumentarfilm über das Kronos Quartet zu machen, so lange der legendäre David Harrington noch aktiv ist, ist dann doch auch eine einmalige Chance, scheint mir, zumal es bislang tatsächlich auch keinen gibt. Als nächstes treffen sich alle Anfang Januar für ein Woche hoch in den kanadischen Bergen, um das Ganze gemeinsam auszuarbeiten. Ende März findet dann die offizielle Welturaufführung in der Carnegie Hall statt – und Ende September voraussichtlich die europäische Premiere und Studioaufnahme in Oslo.

8 Kommentare

  • flowworker

    Steve Tibbetts wird sehr gespannt sein. / m.e.

    Eine Doku wäre natürlich toll, aber die Kulturgelder fliessen immer weniger…

  • Jan Reetze

    Eine Kronos-Doku ist doch nun wirklich ein attraktives Angebot. Und da gibt es tatsächlich keinen Sender, der einsteigen will?

  • Ingo J. Biermann

    @Jan

    An Sender kommt man als freiberuflicher (Kunst-)Filmer ohne renommierte Produktionsfirma und bestehende Kontakte zu einschlägigen Redaktionen gar nicht erst ran. (Und wenn man in diesem Pool ist, dauert es auch meist 1-2 Jahre, um etwas finanziert zu bekommen, in Zusammenarbeit mit einer entsprechenden Produktionsfirma, die das dann auch groß und umfangreich budgetiert.)
    Die Sender produzieren sowas gar nicht mehr.
    Eigentlich kann man solche Sachen, speziell in meiner Position, fast nur noch über private Geldgeber realisieren.

  • radiohoerer

    Einen Dokumentarfilm über das Kronos Quartett zu machen, wäre eine lohnende und längst überfällige Aufgabe. Es ist das vielleicht wichtigste Streichquartett der zeitgenössischen Musik. Der Film oder besser die Doku über John Scofield wurde über Kickstarter finanziert. Ich war dabei. Das wird wohl der einzige Weg sein oder Crowdfunding. Das ist leider die Realität.

  • Michael

    Und wenn man sich allein auf Kronos meets Hardanger konzentriert, das wäre doch was für die Kulturfonds der Norweger, die ja auch den landeseigenen. Musikern zugute kommen ….

    Da könnte man natürlich in Tangenten und Stories frühere Kronos Projekte einfließen lassen …

    Just an idea … ask Mr Bang!

    M.E.

  • Ingo J. Biermann

    Ja, stimmt. Crowdfunding wäre eine Idee. (Ist ja letztlich das gleiche wie ich meinte – private Geldgeber)

    Ich hab das mit zwei Projekten in der Vergangenheit schon mal versucht, leider ist man da ohne jemanden, der/die sich damit richtig gut auskennt und ein Händchen für Social Marketing / Social Media hat und vor allem ohne ein paar entscheidende Personen, deren Online-Mitteilungen einen SEHR großen Radius haben, etwas aufgeschmissen. Aber den Gedanken nehme ich mal mit. Ich werde da allerdings vor nächstem Jahr nicht wirklich dazu kommen, d.h. wahrscheinlich in Vorleistung gehen und dann schauen, wie man den Schnitt, die Postproduktion, die Tonbearbeitung etc finanziert, denn das ist erfahrungsgemäß, gerade bei Dokumentarfilm, auch das, was am meisten Zeit erfordert und selten gut finanziert wird. Der Schnitt ist meist mühsam und braucht unbedingt Zeit, und jemand, der Monate lang am Schnitt sitzt, macht das nicht ohne Budget (ich spreche da aus Erfarhung; ich hab noch mindestens zehn un- oder unfertig geschnittene Projekte hier; es zieht sich schnell über die Jahre hin…).

  • Ingo J. Biermann

    Norwegische Kulturfonds geben kein Geld an nicht-norwegische Filmemacher. Haben wir auch schon durch. Bei deutchen Filmförderungen hingegen braucht man deutsche Themen/Stoffe/Protogonisten, idealerweise deutsche Drehorte … oder eben, wie gesagt, einen Produzenten, der ein internationales Renommee hat und sich da zwei, drei, vier Jahre reinhängt.

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