Spätwerke und anderer zeitloser Stoff


„Das Pferd rennt. Was für einen Ritt wir haben. Ich will den Vibe nicht durcheinander bringen.“ (Neil Young) Letzte Dinge sind keine Altersfrage. Der Mythos „Forever Young“, er wird gerne praktiziert auf den Coverbildern meiner geschätzten Musikmagazine UNCUT und MOJO. Oft bekommen wir Porträts alter Lieblinge aus ihren wilden frühen Tagen präsentiert, ein steter Trigger für Erinnerungen, für „Regressionen im Dienste des Ichs“. Sogenannte Spätwerke werden vielleicht für Teile der Hörerschaft verdaulicher, wenn die „vibes of good old times“ mitschwingen. Es gehörte natürlich zu den basics des Rock und anderer Alternativkulturen, ähem, das Bewusstsein zu erweitern (love, sex, politics, friendship, neighbourhood & other worlds)…galoppieren wir hier mal querfeldein durch Dunkelzonen, wenn Zeit sich nur marketingtechnisch nicht mehr endlos dehnt, Fenster kleiner werden, und nicht mehr täglich der Sprung durchs Feuer auf der Agenda steht.

Selbst das Damals ist trügerisch. Neil Young bot uns vor Monaten in UNCUT ein strahlendes Lächeln, das uns aber ratzfatz in seine sehr ungroovigen Jahre 1973 bis 1975 transportierte, wo Scham, Angst, schlechte Träume die Tage und Nächte füllten, und ein Meilenstein wie „On The Beach“ drei Jahre Psychoanalyse auf der klassischen Couch ersetzte. Neben alllem anderem (s.o.) auch den Dämonen des eigenen Lebens kühn zu begegnen, das war, unausgesprochen, ungeplant, eines der unter die Haut gehenden Dinge (in manchen Schlüsselwerken) von Scott Walker, Neil Young, Leonard Cohen, Joni Mitchell und anderen „spirits“, die unser Leben ja auch deshalb stetig begleiten, weil ihre besten Alben nicht bloss gelebtes Leben von „station to station“ aufrollen, sondern auch in unseren dunkelsten und zweitdunkelsten Stunden Trost bereithalten, der nicht platt ist, Sounds, Gesänge, One-Liner, die vieles in Bewegung bringen können. Das Lösen aus Erstarrungen. Lifers. „I’m porous with travel fever / But you know i′m so glad to be on my own / Still somehow the slightest touch of a stranger / Can set up trembling in my bones (…)

Freuen wir uns also auf das, mit leichtem Vorbehalt, was einige unserer LebensbegleiterInnen in den kommenden Monaten bereithalten: Beth Gibbons‘ „Lives Outgrown“ ist da schon mal einsam in meinem Olymp der Nacht angesiedelt, hinreissend, schmerzhaft und unfassbar „beautiful“ – und gespannt sind wir auf das, was Nick Cave im Köcher hat, und auf seine „Wild God“-Tour sowieso. Selbst David Gilmour ist gerüstet für ein Album namens „Luck And Strange“ rund um unser aller Sterblichkeit. Alterswerk – der Begriff ist ohnhein leicht schwammig und dehnbar – es wurde tatsächlich schon Bob Dylans „Time Out Of Mind“ zum definitiven Alterswerk erklärt, arm an tröstlichen Worten, dezent todessehnsüchtelnd, reich an Sollbruch- und Bruchbruchstellten, und dabei war es erst 1998.

Seien wir ehrlich: manche unserer „old heroes“ machen es sich auf der Veranda gemütlich, und lassen ihre Lieder in den Sonnenuntergang reiten (Neil ist eine rühmliche Ausnahme). Das ist dann oft genug, und egal wie sehr ein „memento mori“ mitschwingt, gepflegte Nostagiemucke, fernab von Erschütterungen, rezeptfrei aus jeder Rockotheke. So im Dunklen will sich nun auch David Gilmour umgetan haben, im Angesicht letzter Grenzen und des „big nowhere“, aber ging nicht auch seinen letzten Soloalben ein wildes, verwittertes Etwas ab – war seine Musik nicht sonderbar hochglänzend und elegisch weichgespült!? Die „American Recordings“ von Johnny Cash legten die Latte hoch.

Also, schön wachbleiben! Lasst uns bereit sein für Überraschungen und das Feld der Klänge erweitern: lassen wir die Neubauten wieder einstürzen, auch der gern in den Tiefen einer Raga abtauchende Oded Tzur probt eine wilden Abgang aus Paris, auf seinem nöchsten Opus „My Prophet“. In durchaus ätherischem Gewand, zugleich deep and dancing, lockt uns in entlegene Zonen von Trauer, von flüchtigem Glück, Julia Holter auf ihrem fabelaften Doppelalbum „Something In The Room She Moves“ (das mir mit jedem Hören mehr zu Herzen geht). P. J. Harvey erfand schon 2023 ihre Kindheit neu (und entführt sie aus den Zonen des Hundertmal-Erzählten). Verlassen wir wir die Pfade des viel zu enggefassten „confessional songwriting“, die Liste der vertrauten Namen. Der bekannten Formelhaftigkeiten. Das Abenteuer wartet überall, man muss nur rechtzeitig die Kurve kriegen! „Why, why do these old songs live so vividly now?”, fragt Neil Young in den liner notes des jüngsten wilden Streiches von Crazy Horse. “They do to me. I recognize it. Losing it, finding it, losing it…. Take a chance on love. On love, on love.” Tief durchatmen – und jetzt bitte ein Solo für den Leser, auf der Luftgitarre, Alter!

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