Atempause und Horizonte
six album covers, six sleeves of desire.
six landscapes of sound, six places to be transported to.
six choices, which is the place you wanna live in?

Ich stromere, streife. Ich durchforste und springe hin und her. Ich sitze still. Ich stöbere durch die Seiten des Fotobuches „Time Passes Slowly“, das Teil der edel gefertigten Schatzkiste „Another Self Portrait (1969-1971) – The Bootleg Series Vol. 10“ beiliegt. Bob Dylan zuhause mit Hund und Gitarre, im Studio, quiet days, eine Phase des Driftens, nach einer Serie von „milestones“, nach dem Skandalgriff zur elektrischen Gitarre, nach seinem Motorradunfall. „Self Portrait“ wurde damals meist verrissen, und wie so oft, erkannten viele erst dann eine spezielle Qualität, als es von den riesigen Erwartungen entkoppelt wurde, die mit ihm, schon lange kein „complete unknown“ mehr, einherhergingen. Ich mag einige Lieder mehr, einige weniger, das eine und andere Juweil mischt sich ins Bootleg. Dieses Fotobuch hat es mir besonders angetan, denn da trifft man Dylan in einer Zwischenwelt an, einen Mann, der sich ins Private zurückzieht, Freude empfindet am Alltag jenseits des grossen Geschehens.

„Time passes slowly“ – in den kommenden vier Tagen muss das komplette Skript der Klanghorizonte“ stehen, der Redakteur braucht meinen Stoff zum Redigieren, vor seiner Reise nach Berlin. Ich habe heute noch Jans O-Ton zu „Manafon Variations“ bekommen, zwei Stunden lang aus den frisch eingetroffenen „audio files“ von Marcie Stewart einen OTON für die Stunde zusammengestellt und übersetzt, ich bin eine kleine Bergrunde gelaufen, habe nun unter den ersten Teil des Skript einen Haken gemacht, die Zeitmarker gesetzt, in Dylans „coffee table book“ gestöbert.

Die Zeit vergeht langsam und wie im Flug. Mein Freiraum, mein Herumstöbern, mein „lazy afteroon“, und da fällt mir gleich Mark Doyles toll geschriebenes Buch über die Kinks ein, denen er sich so facettenreich nähert, wie es einem versierten Historiker möglich ist, und der darin der tiefergelegten Dynamik von Ray und seinen Gesellen auf die Spur kommen möchte, in der Welt, die sich ihnen damals auftat. Ich bin noch im Eröffnungskapitel; nach seinem jüngsten Büchlein über John Cales „1919“ ist Mr. Doyle eine echte Entdeckung. Und die Kinks sowieso für mich ein gefundenes Fressen.

Also, wunderliche Stunde des Nichtstuns. Lass mal die Märzhorizonte fallen bis morgen, und beginne mit den ersten freien Assoziationen zum übernächsten Mal, im Mai. Von ECM wird es dann wohl einen Titel geben, für mich das schönste Album, dass Bennie Maupin je als Leader gemacht hat, „The Jewel In The Lotus“. Und morgen landet die neue Scheibe von Geir Sundstol im Postkasten, einmal mehr aus dem Haus Hubro. Unlängst bekam ich zum Streamen und Runterladen ein spannendes Projekt aus dem Reich der langem Schatten, die Don Cherry immer noch wirft. Die Erforschung eines archaischen Steinkreises mit alten Instrumenten von Don und Moki, aus ihren Jahren in Schweden.

Und wie passend es da wäre, auch jene geniale Platten des Taschentrompetenmagiers zu spielen, die nach 1971 nie wieder auf einen Tonträger gepresst wurde, die „Relativity Suite“. Das fügt sich sogar nahtlos ins Umfeld von Bennie Maupins Meisterstück: nie aus dem Kopf ist mir die Erinnerung des Perkussionisten Adam Rudolph gegangen, der als Jugendlicher Zeuge im Schaltraum war, als Bennies Platte in New York aufgenommen wurde, ja, genau, dieser Adam Rudolph von „Hu! Vibrational“, sowieso einer der grössten Fans von Don Cherry unter der Sonne. Atempause und Horizonte. Wer neue Alben entdeckt, die einen besonderen Zauber entfachen, und die zwischen Ende März und Mitte Juni erscheinen, von Drag City bis Nonesuch, von Red Hook bis Punkt Editions, von Intakt bis Clay Pipe Music und Frederiksberg Records, möge Laut geben. No hurry, time passes slowly!

Green Cosmos? Das Besondere dieses mir bislang unbekannten Albums aus dem Jahre 1983, das schon seinerzeit nur privat in kleiner Auflage gepresst und vertrieben wurde, ist keinesfalls eine unerhöre Mischung von Stilen. Manches ist hier vertraut als Anklang von Bill Evans bis MCoy Tyner, und das Quantum Kalimba reicht nicht aus, um der Zeit von damals voraus zu sein. Alle Jungs kannten ihren Coltrane, besonders die Quartett-Alben, und hin und weg waren sie nach eigenen Angaben von John Handys „Indo-Jazz“ namens „Karuna Supreme“, einer schönen Schwarzwald-Produktion des Labels MPS. Das Besondere ist gar nicht leicht auf den Punkt zu bringen, und beruht auf der immensen Spielfreude, die nie überdreht und stets massvoll bleibt, mit einer frappierenden Leichtigkeit des Ausdrucks. Ich hätte damals meine helle Freude gehabt, diesen gesammelten Unaufgeregtheiten zu folgen, und hole das nun gerne nach, dank einer weiteren Ausgrabung der Schatzjäger von Frederiksberg Records: „Abendmusiken“! Die Aufnahmequalität sehr fein, und dass die Jungs hier alles, was sie kennen, in die Stücke hineinlegen, und etwas von dem, was sie nicht kennen, bringt etwas Unerhörtes ins Spiel! Mojo vergibt vier Sterne, Downbeat drei, ich dreidreiviertel – eine wirklich fesselnde Entdeckung!