Einmal Tamla Motown mit einer melancholischen Note

Mit 15, 16 war ich ein Fliegendgewicht und flog mehr am Geländer in das Erdgeschoss hinunter als dass ich sanft herunterglitt. Im Wohnzimmer meiner Eltern legte ich 1971 oder so die einzige Single auf, die ich je von Tamla Motown besass, „Just My Imagination (Running Away With Me)“. Der Titel war auch mein Programm in Sachen Verliebtheit, Sex, und Autosex. Das Wort „Knutschen“ war in regem Umlauf, und das Mädchen, das mir den ersten Zungenkuss erlaubte, war einem jungen, aufstrebenden Briefträger versprochen. Ich dachte, ich trumpfe wild auf mit all meinen Besonderheiten, aber ich war ein blutiger Anfänger und schnurrte beim Küssen wie eine Katze. Jene Single der Temptations lief heiss, als ich von Petra Schmidt-Rimpler träumte (ich war so verliebt). Mit ein paar Zeilen auf Tinte und Papier beendete sie den einseitigen Zauber, während in meinem Kopf diese Single nun erstmal ausgespielt hatte. Keinen Song der Soulgeschichte habe ich mehr geliebt als diesen. Es musste 2025 werden, dass ich erstmals die dazugehörige Langspielplatte auf 140 Gramm Vinyl erwarb, in einer feinen Edition. Meine erste Tamla Motown-Platte ever! Und sie macht mir einen Höllenspass (einerseits): eine perfekte Zeitreise, ein afroamerikanisches Lebensgefühl mitten im Herzschlag der Hippie-Ära, das allen Traumata der Zeit trotzte und die Utopie Titel werden liess: „Sky‘s The Limit“. Sieht man sich das Cover in Ruhe an, ist es schon ein bisschen crazy, woll!? Mit dem Charme von Bravo-Starschnitten besiedeln die einzelnen Temptations einen imaginären Raum zwischen Meeressaum und Wolke Nummer 9. Der vorherrschende Farbton ein rostrot gefilterter Sundowner. Das Traurige an diesen Zeitreisen, dass sich neben einer gewissen Berauschtheit (beim Versinken in den alten Klängen) immer auch die gute alte Tante Wehmut breitmacht. Einen Teil des letzte halben Jahres ging ich auf Kindheitssuche in meiner alten Stadt, und das Resultat war die Nachricht vom Tode meines besten Freundes aus jenem alten magischen Revier zwischen den Lebensjahren fünf und zwölf, dessen Grenzlinien die Kohlenhalde, der Weissdornweg, die Harkortstrasse und das Stadion Rote Erde waren. Das war vielleicht traurig, das war vielleicht eine Scheisse! Und kaum suche und finde ich noch ein paar angeschlagene Recken von damals (Zurli und Klaus W.), ist es nun leider, leider, leider nicht mehr an der Zeit, uns aus gefunden Ästen schicke Schwerter zu schnitzen: wir erzählen uns Stories, die ein halbes Jahrhundert und diverse andere Ewigkeiten zurückliegen. Die Zeit ist ein endlos weisses Band, und völllig ausser Rand und Band, wenn das Träumen beginnt. Man weiss, wieviele Millionen Fäden Marcel Proust gesponnen hat! Aber, ähem, um diesen einen Faden zuendezuspinnen: es gibt auf der Langspielplatte der Temptations einen epischen Song, der knapp die Dreizehn-Minuten-Grenze verfehlt, und (weil die Jungs um Norman Whitfield nun mal keine völlig durchgeknallten Romantiker waren) mit scharfkantigen Bläsersätzen, eine Geschichte kompletter Desillusionierung bereithält: „Smiling Faces Sometimes“, und was sich an Dunkelheit und Gemeinheit und Leere dahinter verbergen kann. Aber du tanzt dich da hindurch, weiter und weiter, Wirbel für Wirbel, und noch eine Runde, please!

8 Kommentare

  • Michael Engelbrecht

    Und hiermit erteile ich Mark Smotroff das Wort:

    THE TEMPTATIONS
    SKY’S THE LIMIT
    140g 1LP (Gordy/Motown/Elemental Music)
    MUSIC: 10
    SOUND: 8

    I forgot just how truly great this Temptations album is, start to finish! Happily, April 1971’s Sky’s the Limit turns out to be one of the better-sounding albums in this reissue series so far! The music is crisp and clean and the high end isn’t harsh, and I’m not hearing disturbing artifacts of a poor digital transfer either. All things considered, this recording sounds warm and round — as one would hope from a 1971 release!

    In fact, while writing this review, I was so pleased with this LP that I actually paused everything, and trundled down into my storage area to dig out my original pressing for a direct comparison. And I’m glad I did, because it confirmed my suspicion — Sky’s the Limit really is a great-sounding album to begin with, and this reissue is quite solid.

    “Just My Imagination (Running Away With Me)” (Side 1, Track 2) sounds perfect, like a balmy summer’s day, with The Temptations’ vocals taking over the soundstage backed by lovely strings and orchestral instrumentation in both channels. It should be no surprise to learn that this song was a No. 1 hit in 1971 on both Billboard’s Hot 100 and R&B charts, as well as on Cash Box’s Top 100.

    The Side 1-closing, and nearly 13-minute-long opus — the original version of “Smiling Faces Sometimes” (Side 1 Track 5), which was also a No. 3 hit just a few months later for The Undisputed Truth — just builds and builds. It starts out slow and slinky, soon evolving into a sexy-trippy soul-funk groove that pre-echos the vibe of vintage Bohannon. Replete with congas and other Latin-tinged percussion and rounded out by a full orchestra, it ends up in a full-blown freak-out meltdown that might have made Frank Zappa proud. In short, this track is truly epic.

    While you may be inclined to play Side 1 endlessly, don’t forget to flip the disc so you can also hear the genuinely ripping hard-rocking guitar intro to „Ungena Za Ulimwengu (Unite the World)” (Side 2, Track 3), another Top 40 hit from this amazing album. This is The Funk Brothers at perhaps their badass finest, I’ll tell ya.

    If I have one nit to pick here, it is simply that the Elemental team didn’t recreate the album’s original Gordy Records label design. Instead, the reissue sports the classic Motown label — but other than that, this reissue of Sky’s the Limit is a pure winner.

  • Michael Engelbrecht

    A voice from a Soul / Motown Insider

    Among the gems in their discography, albums like Sky’s the Limit and All Directions particularly stand out. Sky’s the Limit is a testament to a band at the zenith of their creativity, pushing boundaries while staying true to their soul roots.

    On the other hand, All Directions is a celebration of change and evolution, veering off into new musical landscapes, never explored before.

    In the same vein, The Temptations with a Lot o‘ Soul and The Temptations Wish It Would Rain encapsulate the group’s distinctive sound that resonates with fans.

  • Michael Engelbrecht

    Ich fand damals die Blaxpoitation Movies Klasse, und so nach nach, aber erst nach den Siebzigern, much later, landete die Musik von Curtis Mayfield bei mir. Es war aber nie das Genre, in dem ich mich tummelte. Jetzt lese ich, dass mein zweiter Lieblingssong, Papa was a rolling stone, auf All Directions von den Temptations ist… und Nummer drei ist natürlich der Song „The Word Is A Ghetto“, pure Magie…

  • Olaf Westfeld

    „The World is a Ghetto“ – magic indeed – sind das nicht War?
    Das Album „Masterpiece“ von den Temptations macht seinem Titel alle Ehre.

  • Norbert Ennen

    Hier 20 Picks aus meiner Sammlung. Übliche Verdächtige wie Marvin, Curtis, Isaac, Al, Stevie & Sly sind eine Liga für sich und wurden hier bewusst weggelassen. Ein paar Überschneidungen zu meiner 70er waren nicht zu vermeiden.

    Lou Bond – Same
    Terry Callier – What Colour Is Love
    Cymande – Same
    Betty Davis – They Say I’m Different
    Mitty Collier – Shades Of A Genius
    Roberta Flack – First Take
    Funkadelic – Maggot Brain
    Gil Scott Heron – Pieces Of A Man
    Millie Jackson – Caught Up
    JB’s – Food For Thought
    Syl Johnson – Is It Because I’m Black?
    Eugene Mc. Daniels – Heroes Of The Apocalypse
    Lee Moses – Time And Place
    Shuggy Otis – Inspiration Information
    Ann Peebles – Straight From The Heart
    Esther Philips – From A Whisper To A Scream
    Jill Scott – Who Is Jill Scott?
    Candy Staton – I‘ m Just A Prisoner
    War – The World Is A Ghetto (wurde schon genannt, aber darf hier nicht fehlen)
    O.V. Wright – A Nickel and a Nail and Ace of Spades

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