Der tierische Ernst und der gute Humor von Jazzjournalisten im Einsatz
Bei meinen ersten Besuchen im berühmtesten Jazzkeller Dortmunds, dem Domicil, nah dem Rotlichtmilieu, und nicht zu verwechseln mit dem feinen Jazzclub von heute in der Hansastrasse, war immer ein rothaariger, kurz rasierter, natürlich Brille tragender, Kritiker zugegen namens Werner Panke, ein Kenner der Materie, der schon Gene Krupa in der Nordtstadt zu Nachkriegszeiten erlebt hatte und in Sounds, im Jazzpodium und anderswo seine Urteile kundtat. Als Teenager an der Nordsee war ich begeisterter Zuhörer der Jazzsendungen von Michael Naura. Toll, ihn in seinem letzten Berufsjahrzehnt, den Neunzigern, aktiv begleiten zu können. Irgendwann gehörte ich selber zu dieser Gilde!
Werner Panke sass stets vorne in der ersten Reihe, einigermassen gut zu erkennen, durch dicke Nikotinschwaden hindurch, bei meinem ersten unvergesslichen Erlebnis dort, dem Dave Pike Set, bei dem erstmals ein gewisser Eberhard Weber neben Volker Kriegel Platz nahm und den ganzen Keller in Erstaunen versetzte, zwei Jahre, bevor „The Colours Of Chloe“ das Licht der Welt erblickte, und ungefähr in der Zeit, als Weber mit einem Elektrobass, der noch nicht viel mit seiner bald auftauchenden Spezialkonstruktion gemein hatte, auf Mal Waldrons „The Call“ glänzte, einer frühen, uralten Japo / ECM-Scheibe, in meinen unbestechlichen Ohren ein vergrabener Schatz, eine schon damals viel zu wenig gefeierte Sternstunde der experimentellen Jazz-Rock-Fusion-Ära, deren Wiederveröffentlichung ich wieder und wieder empfehle, auf die Gefahr hin, damit ECM‘s Pressechef Christian Stolberg ganz leicht auf die Nerven zu gehen.
Als ich meine Liebe zum Jazz entdeckte, gab es beim WDR eine spannende Gesprächsrunde: eine kleine Ansammung von Experten sass an einem grossen Tisch, und munter diskutierte man ausgewählte Neuerscheinungen. Ich erinnere mich noch bestens an den Abend, an dem diese drei oder vier Experten (eine Frau war dabei, bingo!) eine MPS-Produktion diskutierten, die „We‘ll Remember Komeda“ hiess, mit rotem Cover – und alle waren gewiss mit guten Gründen begeistert. Ich liebe die Scheibe noch heute.
Worauf ich damit hinauswill, ist die heutige Jazzkritikerrunde im Deutschlandfunk. Um 8.40 Uhr begann unsere Blockzeit im Studio: Thomas Loewner, Odilo Clausnitzer und ich legten los, wir sprachen über unsere drei Favoriten des ausklingenden Jahres. Die beiden sind, wenn ich das richtig einschätze, gute Freunde, ich kenne sie allein aus kollegialen Zusammenkünften. Aber was die berühmten „weichen Faktoren“ angeht, das Zwischenmenschliche, den Ungangston, kann ich nur Gutes über die Zwei berichten, und niemand kann mir schnöde Schmeichelei unterstellen, denn es ist schon lange abgesprochen, dass ich 2025 meine finalen Radiorunden drehe.
Gesundheit vorausgesetzt, gibt es meine letzten vier Ausgaben der „Klanghorizonte“ im März, Mai, Juli, und September 2025, stets am dritten Donnerstag des jeweiligen Monats zwischen 21.05 Uhr und 22.00 Uhr – und, finally, ein knapp einstündiges Porträt, vielleicht über Steve Tibbetts – das perfekte Schliessen eines Kreises wäre das, denn meine allererste Sendung im Oktober 1989 war, im DLF, eine 45-minütige „Studiozeit“ über Steve Tibbetts.
Das heute war schon mal mein Farewell in diesen alljährlichen Rückblicken über persönliche Jazzhighlights – fünfmal war ich nun am Stück mit dabei: einmal mehr waren wir heute oft genug herzlich verschiedener Meinung. All das mit Ernst und Witz und Augenzwinkern vorgetragen, so, dass es letztlich in die Idee mündete, versuchsweise in die Ohren des jeweils andern zu schlüpfen – es wäre eine bewusstseinsverändernde Erfahrung. Humor war auf jeden Fall eine Konstante, und ich bin gespannt, wie Thomas das alles zusammenschneidet.
Ich will nicht vorgreifen, aber möglicherweise kann Thomas eine kleine Schlusspointe gar nicht im finalen Mix unterbringen, drum gebe ich sie hier preis. Situationskomik. Das letzte Werk, ein Favorit von Thomas, stammt von einer norwegischen Ziegenhornspielerin, und Odilo meldete leise Zweifel an, ob die Sache mit dem Ziegenhorn (s. Foto) nach 200 Jahren instrumentaltechnischer Entwicklung noch soviel Sinn mache. Nun, entgegnete ich, und nachdem ich just meine dezenten Ambivalenzen zu Eva Klesses bedeutungsschweren „Stimmen“ (Enja) vorgetragen hatte, das Ziegenhorn wäre tatsächlich die allerbeste Idee für den Ausklang dieser Stunde!
Wie gesagt, die „Ohren des Andern“, das war ein Subtext unserer fröhlichen Diskurse, und auch die beiden handsignierten Exemplare spielten hinein, die meine zwei Kollegen bekommen, von meinem Buch über Shabakas neue Flötenmusik. Am kommenden Donnerstag, dem 19. Dezember um 21.05 Uhr, ist diese Jazzauslese im Deutschlandfunk zu hören, und anschliessend sieben Tage in der Audiothek.
3 Kommentare
Jan Reetze
OK, vorgemerkt.
„Die Ernsthaftigkeit des Jazzkritikers vor der Bühne.“ Das könnte ein Werk Peter Handkes sein.
Michael Engelbrecht
Zwei Bekannte aus dem Norden, Jazzfactshörer aus Passion, baten mich um eine reine Jazzliste 2024, heute Mittag, und da dachte ich, das lässt sich schön koppeln, mit der kleine Story dieser Produktion in aller Hergottsfrühe. Vielleicht stocke ich noch auf 20 auf😉…
Übrigens drei Alben von International Anthem Recordings! Butterss, Parker, und das Trio Kalmer / Chiu / Honer. Also: Label des Jahres… wäre sehr gespannt, ob das deine Tasse Ostfriesentee mit Kluntjes ist, gerade bei Jeff Parkers Quartett könnte ich es mit vorstellen, vielleicht auch bei Butterss… und Bro auch, mit Konitz‘ grossen lyrischen Flügen….
Michael Engelbrecht
… und die Arbeit von Handke würde ich gerne lesen. Ist er Jazzhörer? Ich dachte ja auch nicht, Eno wäre Weinkenner, bis er bei als genau solcher in einem Weinmagazin in Erscheinung trat….