Wim
Zu meinem Kurzbesuch in Bonn kam ich zwar pünktlich nach Zeitplan an, hatte mir dreieinhalb Stunden für die Wenders-Ausstellung in der Bundeskunsthalle eingeplant, stellte dann aber bei meiner Ankunft vor Ort fest, dass direkt gegenüber im Kunstmuseum gerade eine Retrospektive mit Werken von Gregory Crewdson stattfindet (wohl aus Wien herüber gewandert). Dass ich mir das entgehen ließe, stand außer Frage, und sei es nur für einen etwas beschleunigten Besuch. Wie oft kann man diese spektakulären Bilder schon im Original sehen? Und dann gleich noch als Karriere-Überblick!
Nach einer knappen Stunde, natürlich unverschämt kurz für die 70 gezeigten Werke des Bildkünstlers, für dessen Arbeit seit langem eher die Bezeichnung Regisseur als die des Fotografen passt, kam ich nicht umhin, zwei Bildbände zu kaufen, da die überraschend bezahlbar waren. Auch als Recherche für meine weiteren Überlegungen für einen Dokumentarfilm über einen Fotografen sicher von Nutzen.
„Was macht die Qualität eines Filmes aus? Natürlich gibt es objektive Qualitätsmerkmale, die man auch sehen lernen kann. Vor allem aber ist ,Qualität' eine subjektive Wahrnehmung. Ein Film kann den einen begeistern oder berühren und die andere eben gar nicht. Das mag damit zu tun haben, dass wir in Filmen oftmals unser eigenes Leben reflektiert sehen, dass wir uns aus den unterschiedlichsten Gründen mit einzelnen Figuren identifizieren, oder dass Filme Wünsche oder Sehnsüchte in uns wecken können, von deren Existenz wir bis dahin keine Ahnung hatten. Am besten lässt sich erkennen, wie gut ein Film (für uns) war, wenn er noch lange in uns nachklingt, wenn wir uns an den Film oder an Szenen des Films erinnern, als wären es unsere eigenen Erfahrungen, als wäre der Film ein Teil unseres Lebens geworden ..."



Also blieben mir noch zweieinhalb Stunden für Wenders, direkt gegenüber, und das schien mir noch bei den ersten Ausstellungstücken auch eine gut ausreichende Zeit zu sein, doch wird die Ausstellung, je weiter man durch sie hindurchgeht, immer zeitverlangender. Man trifft auf viele sehr gut kuratierte Filmausschnitte und beeindruckend umfangreiche Materialien aus Wims Laufbahn: etliche Gemälde aus seiner Frühzeit, die vielleicht nicht weltbewegend sind und denen man ihre Einflüsse auch deutlich ansieht, die allerdings zumindest ich zuvor aber nie gesehen hatte, unzählige Recherchematerialien von allen möglichen Projekten vom Debütfilm Summer in the City bis zum bisher letzten, Perfect Days, Fotografien in allen vorstellbaren Größen und Qualitäten, Arbeitsfotos, private Stücke und Einblicke in seine Inspirationen und Einflüsse … usw.…. dann gibt es auch ein paar 3D-Filme zu sehen, die man sonst kaum einmal zu Gesicht bekommt und von denen ich nicht einmal wusste… es gibt vier von Wenders eigens für diese Ausstellung editierte Multikanal-Installationen, die vielleicht nichts eigentlich Neues bieten (doch, ich entdeckte unter den vielen verarbeiteten Ausschnitten einen Filmtitel, von dem ich wohl noch nie gehört hatte), aber in der Neuanordnung und vor allem der monumentalen Größe und der dazu editierten Musik doch beeindruckend sind – darunter eine wilde Collage zum Thema Fahrten und Reisen zur Musik von Canned Heat.



Und dann gibt es am Ende auch noch zahlreiche Drehbuch-, und Arbeitsseiten zum Lesen, nebst Briefkorrespondenzen mit Leuten wie Willy Brandt, Nick Cave, Lou Reed… einen Darstellervertrag mit Gorbatschow (In weiter Ferne, so nah), Original-Drehbücher aus Wims Studienzeit, von teils verschollenen Filmen, weitere Nebenwerke wie ungewöhnliche Werbefilme und einen Kurzfilm zum 80. Jahrestag der Kapitulation (auch im „Zeit“-Podcast angesprochen), alles in Form von Bildschirmen mit Kopfhörern, Interviews… und einiges mehr… ich konnte am Ende dann doch nicht mehr alles ordentlich betrachten, durchlesen und anhören, diese vielen Materialien in den unmittelbaren Schreib- und Vorbereitungsprozess konnte ich leider nicht mehr ausreichend betrachen (und mein Smartfon hatte längst keinen Akku mehr, um noch etwas abzufotografieren) und wurde um 18 Uhr als letzter aus den Ausstellungsräumen hinauskomplimentiert. Daher habe ich sogar vergessen, wenigstens einen Blick auf die große Wand mit den Trophäen zu werfen. Nur den Goldenen Löwen habe ich im Vorübergehen gerade so gesehen.



Wenn die Ausstellung in wie auch immer veränderter Form im nächsten Jahr nach Frankfurt wandert, muss ich wohl noch einmal hin. Wie man auch zu diesem oder jenem einzelnen Film von Wenders stehen mag, der unglaubliche Reichtum allein seines Kinoschaffens und der von ihm (und ggf. Kameraleuten) geschaffenen Bilder ist wohl in dieser Form und Fülle ohne Vergleich. Ein großes, vielschichtiges Werk sondergleichen, quer durch die Jahrzehnte und Themenabschnitte auch von Wim selbst kommentiert, so zum Beispiel hier über Orte und Amerika im Speziellen und über das Reisen.