The story behind „Music For Films“
In jenem legendären, einsamen Sommer (oder war es schon Herbst), in dem „Music For Films“ erschien, lebte ich in einer leergeräumten Wohnung, in der die Schatten einer alten Liebe noch an der Wand tanzten. Allmonatlich kaufte ich die „Sounds“, die beste Musikzeitschrift der alten Bundesrepublik. Ich stöberte durch die jüngste Ausgabe, als mein Blick auf eine kleine Werbung der Firma Polydor fiel: „Der Mann im Hintergrund“, war da zu lesen, so flüstert es mir meine Erinnerung ein, ein monochromes graues Cover war abgebildet – Music for Films wurde mit kalkuliertem Understatement verkündet. Sofort bestellte ich die Platte bei einem meiner zwei Dealer, in Unterlüss. Der andere Postversand war Jazz by Post in der Gleichmannstrasse 10 in Pasing, von dort kamen mir über Jahre u. a. viele ECM-Neuheiten ins Haus, die Schatztruhe der 70er Jahre war weit geöffnet. Unterlüss war für die Rockmusik und ihre Ränder zuständig. Zwei, drei Tage später hielt ich Music for Films in Händen. Und hörte sie zum ersten Mal.

Ich habe diese Platte mit ihren flüchtigen und mich auf jede Flucht mitnehmenden Skizzen, ihren vollkommenen Unfertigkeiten, ihren Sehnsuchts- und Angst- und Traumstoffen seither unendlich oft gehört, bewusst, unbewusst, im Hintergrund, im Seitengrund, Im Vordergrund. Beim Wandern (mit Knopf im Ohr), beim Schreiben, beim Einschlafen, Wachwerden, in der Fremde. Und als Alternative für „die Zigarette danach“. Beim ersten Hören wusste ich damals schon, 1978, dass diese Musik lebensbegleitend sein würde. Sie wurde rasch auch eine Medizin, sie half mir, mit den nackten Schatten an der leeren Wand zu tanzen, statt sie zu verscheuchen.
Und als damals ein Riese mich aus dem Bett und meiner Wohnung im 7. Stock schleudern wollte, ich meinen Geist vergeblich mit Kakao zu beruhigen suchte, der Alptraum aber wiederkehrte, und ich mir einen heißen Grog machte mit dem guten alten Pott, mit dem Auto auf einen großen leeren Acker in der Nähe von Würzburg fuhr, dort den Sonnenaufgang erlebte und meine einzige tief anrührende Begegnung mit einer Kantate von Bach aus dem schräpigen Autoradio hatte, und hernach in die Alpdruckwohnung heimkehrte, legte ich Music for Films auf, und erlebte, wie sich die vollkommen irrationalen Glücksgefühle, die sich schon auf dem kühlen Morgenacker aufgetaucht waren, weiter ausbreiteten, und ich mich gar freute auf die nächste Begegnung mit dem Riesen.
(Wer ganz oben auf „The Story“ klickt, hört, was Brian Eno mir vor ein paar Jahren über „Music For Films“ erzählte, und wie eng die Musik mit den Aufnahmesessions von „Another Green World“ verknüpft war. Es ist ein Fakt, dass kein Album öfter in den Klanghorizonten von mir in all den Nächten zwischen 1990 und 2021 gespielt wurde als diese beiden. Es ist ein Fakt, dass ich in meinem Leben kein Album öfter gehört als diese beiden.)

„The passage of time
Is flicking dimly up on the screen
I can’t see the lines
I used to think i could read between
Perhaps my brains have turned to sand“
Ein Kommentar
Alex
Danke für das Interview, Michael, das ist super interessant, was Eno da sagt. „Music for Films“ hat auch mich vom ersten Hören an – das war allerdigs erst ca. 1997 – nicht mehr losgelassen, „Another Green World“ kannte ich schon länger. Die Instrumentalstücke wurden ja als Soundtracks zu (noch) nicht existierenden Filmen beschrieben, ich frage mich, ob jemals ein Film zu einem der Stücke gemacht wurde. Was für eine wilde Phatasie! Dass das Musik ist, die aus einer Reduktion entstanden ist, einem Weglassen der Hauptinstrumente bzw. des Themas, finde ich faszinierend. Dadurch gewinnt die Musik, finde ich. Sie hat so etwas seltsam vage Schwebendes, ist offen und nicht festgelegt. Da kann man nur sagen, weniger ist mal wieder mehr!