Rich und seine Songwerkstatt (1/3)
In der Kleingartenanlage, in der Rich Dawson sein neues Album „End Of The Middle“ sorgfältig pflegt, ist etwas in Bewegung geraten. Das jüngste Werk des Singer-Songwriters erforscht die Dynamik und das Trauma von Familien. Beim Blick in den Polytunnel erfahren wir, wie Blitzeinschläge, Gnome, Andrei Tarkovsky und „zerbrechliche“ Trommeln dazu beigetragen haben, Dawsons neueste musikalische Ernte zu einzifahren. „Ein Lied ist eine Form von Magie“, sagt Rich. Aber fangen wir mit dem Anfang an. Dies ist eine stark bearbeitete, aber relativ wortgetreue, zudem teilweise kommentierte, Nacherzählung von Tim Pinnocks Begegnung mit Rich in drei Akten.

An einem gefrorenen Berghang über dem „Tyne Valley“ zeigt Richard Dawson die Vorzüge einer dezenten Idylle. Grünkohl, Knollensellerie und Knoblauch sind unter einem Netz geschützt, Erdbeeren und Kürbisse im Polytunnel, Kartoffeln sprießen unter durchnässtem Karton und zwei Arten von Artischocken. „Es ist magisch hier oben, nicht wahr?“, sagt er und blickt danei hinaus in die Landschaft. Auf der Hügelkuppe zeichnen sich Pferde ab, und ein dunkelbrauner Vogel kauert auf einem Zaun, während der Tyne unter uns vorbeizieht, ohne dass wir ihn sehen. Doch es ist nicht alles so, wie es scheint.
„Ich hasse den Kleingarten“, sagt er. „Ich habe eine Zeit lang versucht, mir das nicht einzugestehen. Ich hasse alles, was mit Molekülen zu tun hat. Ich hasse es, etwas anzufassen, ich hasse es, einen Körper zu haben, ich hasse es, Kleidung anzuziehen. Das ist alles schrecklich. Ich mag es einfach, mit Worten und Gedanken und Luft zu arbeiten – gasförmiges Zeug, das ist schön, das mag ich.“
Der Kleingarten hat Dawson zumindest die nötige Ruhe verschafft, um seinen gasförmigen Leidenschaften nachzugehen. Dazu gehört auch ein Schuppen, in dem er die Texte für sein neues, achtes Album „End Of The Middle“ geschrieben hat. Darin befinden sich nur ein harter Stuhl, ein winziger Schreibtisch, eine ungeöffnete Flasche Brandy und ein 10er-Pack Boddingtons (acht Dosen unangetastet). Dawson verbrachte dort acht Monate, mit Unterbrechungen, um die Songs zu schreiben. Nicht lange nachdem er fertig war, kippte der Sturm Jocelyn den Schuppen um.
„So zu schreiben ist kein sehr praktischer Prozess“, gibt er zu. „Aber ich weiß nicht, wie ich es sonst machen soll. Pferde kommen und schauen durch das Stallfenster herein, es gibt Raubvögel, herumhuschende Säugetiere und…“ Ein Esel brüllt in der Nähe. „Ein Drache?“
Obwohl Dawson am Tag vor unserem Treffen seinen eigenen Polytunnel reparierte, ist der erste Track von End Of The Middle, „Polytunnel“, nicht autobiografisch. „Das ist die Realität, die die Kunst widerspiegelt“, erklärt er, “nicht umgekehrt.“ Wie viele große Schriftsteller lässt er sich von seinem eigenen Alltag inspirieren, erschafft aber fiktive Charaktere, die sich sehr lebensecht anfühlen. „Alle Figuren sind frisch, sie sind alle sehr präsent“, sagt er.
Einst ein jugendlicher Metalhead, der in ein verlorenes Jahrzehnt abdriftete, hat sich Dawson in den letzten 15 Jahren durch harte Arbeit und Entschlossenheit zu einem Songwriter von außerordentlicher Kraft, einem hervorragenden Gitarristen und einem unglaublichen Sänger entwickelt. Dieser Künstler verbringt fünf lange Wochen damit, einen Song über einen halb verwahrlosten Vater zu schreiben, der seine Tochter vom Fußballtraining abholt, um ihn dann zu verwerfen und einen neuen Text über einen mythischen Oger aus dem sechsten Jahrhundert zu schreiben, der auch eine Parabel auf die heutigen Asylsuchenden sein könnte.
(Fortsetzung folgt)