„End To End“ – eine Erinnerung an Barre Phillips und eine Begegnung mit Ray Davies
I bless the light
I bless the light that shines on you, believe me
And though you’re gone
You’re with me every single day, believe me
(The Kinks, Days)
1981 erschien im österreichischen Bläschke-Verlag mein Lyrikband „Die Landung der fliegenden Teppiche“, in der Zeit, als ich in der Fachklinik Furth i.W. für Alkohol- und Medikamentenabhängige meine erste Stelle als Psychologe antrat, mit jeder Menge Schallplatten als Teil meines survival kit in einer Gegend, die den meisten von uns wie das absolute Hinterland vorkam. Damals lief in meiner Wohnung im Örtchen Bergeinöden auch, neben all dem üblichen Verdächtigen, „Send Me A Lullaby“, die erste raue Platte der Australier, und die Go-Betweens und ich, das war eine Beziehung, die von Dauer war.
In dem Büchlein (der Umschlag war ganz weiss gehalten mit blauen Lettern) war eine Gruppe von Gedichten dem Album „Three Day Moon“ von Barre Phillips gewidmet. Tatsächlich waren die Titel der Stücke dieses umwerfenden Albums auch die Titel der Gedichte, und ich schrieb die einzelnen Texte, während die jeweiligen Stücke liefen. Ich musste also recht oft die Tonnadel auf den jeweiligen Anfang stellen. Leider habe ich kein Exemplar des Buches mehr zur Hand , sonst hätte ich für Flowworker das schönste davon rausgesucht. An die Schönheit der Musik kamen meine Texte nicht wirklich heran, und „Three Day Moon“ wird heute, nach Olafs und Martinas Hamburg- und Zeitreisen, auf den Plattenteller gelegt. In memory of Barre Phillips!
Einem anderen hero meines musikalischen Lebens bin ich heute Nacht im Traum begegnet, Ray Davies. Der Ort war ein Kammermusiksaal in London, dem Purcell Room nicht unähnlich. Dort wurde seine neue Platte gespielt, auf einer Surroundanlage, und sie war bei ECM erschienen. Ich hielt das Album in der Hand: auf der Rückseite stand unten in kleinen Buchstaben der Name Ray Davies, und eine schwarze Linie führte nach oben, wo in dem gleichen Schrifttyp „piano“ stand, keine „vocals“.
Etwas von der Musik bekam ich zu hören, es war strenge elektroakustische Musik, allein die sparsamen Linien dies Klaviers setzten sich mit ihrem meldischen Sound von gelegentlich abrupten Geräuschsalven ab. Sehr seltsam. Ray Davies sass im Hintergrund, ich ging rüber und begrüsste ihn mit freundlichen Worten, und als ich ihm sagte, ich hätte nie damit gerechnet, ihn bei ECM zu erleben, schmunzelte er vielsagend. In einem Bistro nebenan traf ich eine Frau namens Lajla. Kein Witz. (Eine alte Spielregel der Traumdeutung: Träume sind so fantastisch: wenn du sie erzählst, schmücke sie nie aus, erfinde nichts dazu!)
Gestern kam, im realen Leben, mit der Post eine Neuauflage der Platte „Headquarters“ der Monkees, über die Norman Maslow im Internet was erzählt hatte, ich dachte an meinen im September verstorbenen Blutsbruder Matthias, und wunderte mich einmal mehr, wie tief der Schmerz ging, obwohl wir nach der Kindheit ohne jeden Streit andere Wege gingen. Natürlich hatte ich mir das Album als Fahrkarte in die Kindheit besorgt, aus purer Nostalgie. Es ist ein wenig Zeit ins Land gegangen, die Teppiche fliegen wieder, diesmal ins Nirgendwo.
6 Kommentare
Martina Weber
Glücklicherweise gibt es für exakt diese Fälle, dass Bücher nicht mehr auffindbar sind, die Deutsche Nationalbibliothek. Dort habe ich deinen Gedichtband vor längerer Zeit schon gelesen und ein paar Gedichte kopiert. Die Texte changieren zwischen Sinnlichkeit, Surrealem und Traumlogik; sie haben einen ganz eigenen Ton und sind für die frühen 80er sehr bemerkenswert und auf eigenwillige Art authentisch. Hier ist eins der Gedichte, das auch das Thema Kindheit aufgreift, aber weit darüber hinausgeht.
3. Der Häuptlingssohn
Ich war einmal Häuptlingssohn und
hatte eine Hühnerfeder ins Haar gebun-
den; fremdes Land sollte ich erkunden
und, mit heiler Haut davongekommen,
Bericht erstatten. Nichts von dem, was
ich sah, verriet ich; ich hatte nichts
gesehen, nur geträumt im Meer der
undurchdringlichen Fenster.
Michael Engelbrecht
Too kind:)
Dieser Text wäre nicht geschrieben worden, ohne die beiläufige Erwähnung von Olaf, dass er THREE DAY MOON in dem Plattenladen seines Vertrauens habe stehen lassen. Und seine fast beiläufige Anmerkung vom Tod Barre Phillips‚. Das brachte ihn in Gang. Keine drei Stunden zuvor, in der letzten und längsten Traumphase, hatte ich dann meine Begegnung mit dem magus der Kinks. So kam eines zum anderen.
In ein paar Sachen bin ich gut: im Sequencing von Tracks für Radiosendungen, auf dem Gebiet der Traumdeutung, und im Waffelbacken:) . Am 6. Januar startet hier in Aachen eine kleine Traumgruppe, bei der es, neben Traumdeutung und Trauminkubation, um luzide Träume geht. Wie aktuelle Lebensthemen in Träume einfliessen, dafür war dieser ein sehr gutes Beispiel!
An dem Tag, an dem wir unser Flowworkertreffen hatten, in Düsseldorf, bin ich abends winige Höuser in der Hagener Strasse abgegangen, in denen Matthias gewohnt haben soll. Ich liess much entmutigen durch einen Idioten, der meinte, alle Einwohner dieser Höuserzeilezu kennen, und durch mein Empfinden, es nach gefühlten Ewigkeiten mal gut sein zu lassen mit den Räumen der Kindheit. Sie sollten ihr Feuer und ihre Dämmerung behalten. I think I was wrong.
Wie ich mittlerweile herausfand, hatte Matthias nicht nur einen anderen Namen angenommen. Auch schien seine Frau nicht willens, sehr offen für seine alten Kreise zu sein. Das wurde mir zugetragen. Trotzdem war Mattes ein, zwei Monate vor seinem Tod noch mit seinem brandneuen Mottorrad (vielleicht, um dem Tod ein Schnippchen zu schlagen, oder jeden Tage auszukosten) bei Klaus W. zu Besuch. Auch einer aus meiner Volksschulzeit. Den ich nun ebenfalls wieder sah, erstmals, nach so langer Zeit. Trotz allem: ich hätte jede Ernüchterung und die Traurigkeit über seinen Krebs ausgehalten, denn, vielleicht, vielleicht, hätte er sich so gefreut wie ich, über ein Wiedersehen. Wir hätten da was gedreht, und vielleicht wären wir zu zweit zu ein paar alten power spots im Wittener Wald gefahren. Wir hätten und so viel zu erzählen gehabt. Er ist der feine Mensch geblieben, der er immer war, und ich bin so froh, dass er ein erfülltes Leben hatte.
Olaf Westfeld
Nochmal lass ich Three Day Moon nicht stehen…😉
Martina Weber
Es gibt diese Geschichten, die man immer wieder erzählen muss. Und: nichts kommt an die in der Phantasie ausgemalten Erlebnisse heran. Das hat schon der Häuptlingssohn erzählt.
Lajla
Ja das war ich. Ich habe dich sofort erkannt. Ray sagte zu uns: Don’t forget to dance
flowworker
Keine Sorge, Lajla, in gut einer Woche beginnt die Rückengymnastik wieder mit Susanne Rosenkranz und Tamla Motown. ich sag ihr, sie soll ein paar Kinkssongs dazutun, so Richtung All! day and all of the night! Da vibriert der Boden der Tanzhalle 3.