33 1/3: Hounds of Love
(English version see HERE)
Hätte mich bis jetzt jemand gefragt, welches ich für das beste Album von Kate Bush halte, ich hätte immer Hounds of Love genannt, das ich allerdings seit Jahren nicht mehr gehört habe. Nach der Lektüre von Leah Kardos‘ Buch bin ich mir nicht mehr sicher, ob es nicht doch eher The Dreaming ist. Nach ihren ersten beiden Platten hatte sich Kate gerade vom bestimmenden Einfluss der EMI befreit, hatte noch keinen eigenen Fairlight und kein eigenes Studio. Den Sampler hatte sie in der Arbeit an Never For Ever kennengelernt und setzte ihn auf The Dreaming mit viel mehr Neugierde ein. Sie lebte ansonsten von Dope, Schokolade, Kartoffelchips und Rotwein und erforschte, was man mit einem Studio so alles anstellen kann, wenn man sein eigener Produzent ist. Deswegen hat sie dann auf dem Grundstück ihrer Eltern ein eigenes gebaut. Auf The Dreaming, so denke ich, fand sie ihre wirkliche Stimme.
Wobei, damit es kein Missverständnis gibt, klar gesagt sein soll, dass Hounds of Love noch immer ein herausragendes Album ist, das ziemlich konkurrenzlos in der Poplandschaft steht.
Leah Kardos ist Lecturer in Music an der Kingston University in London. Sie kennt sich also aus und kann sachlich korrekt einordnen, worüber sie schreibt (das ist in der Reihe 33 1/3 leider nicht mehr selbstverständlich). Das Buch ist sehr logisch aufgebaut; nach einigen Worten über das Phänomen Kate Bush und ihre Ausnahmeposition im Musikbusiness und die Vorgänger dieses Albums bespricht Kardos die Platte Track für Track. Dabei geht sie auf die textlichen Inhalte ebenso ein wie auf die eingesetzten Instrumente, die Herkunft einiger Samples (etwa das berühmte „It’s in the trees — it’s coming!“ am Beginn von Track 2), die Musiker und die Produktion im Studio.
Das Hauptinstrument ist natürlich der Fairlight. Der, und mit ihm die Sampling-Technik, war damals, als das Album produziert wurde, das Neueste vom Neuen, und Kate war eine der ersten überhaupt, die das Ding konsequent einsetzten. Genau das löst heute meine obengenannten Zweifel aus, denn dieser typische, etwas „hauchige“ Fairlight-Sound, der durch die noch recht niedrige Samplingrate zustandekommt und die ganze erste Seite des Albums dominiert, wirkt heute schlicht etwas angestaubt. Interessant ist aber wiederum, welche Sounds eben nicht aus dem Fairlight stammen, sondern von Musikern gespielt werden — und die sind wieder mal handverlesen. Dabei stößt man auf einige Aha-Effekte, die mir bis dato nie bewusst aufgefallen waren, etwa die Tatsache, dass das Schlagzeug (bzw. die Drummachine) vollständig auf Metall (also Becken und Hi-Hat) verzichtet. Zudem gibt es Infos über den inhaltlichen, stellenweise sehr esoterischen, Hintergrund einiger Tracks, etwa „Cloudbusting“. Aber bei Kate wundert einen das dann wieder nicht, ihre Texte hatten schon immer einen Spin in diese Richtung. Und dafür mag man sie ja schließlich.
Das Album Hounds of Love zerfällt in zwei Teile, die nichts miteinander zu tun haben. Die gesamte Seite 2 wird von dem Songzyklus The Ninth Wave bestimmt, der sowohl instrumental transparenter als auch inhaltlich kohärenter ist als die Seite 1. Auch hier gibt es wieder detaillierte Info sowohl über den Inhalt der einzelnen Songs als auch über die verwendeten Bestandteile. Wo etwa der rettende Hubschrauber herkommt (vom Pink-Floyd-Album The Wall nämlich) hatte ich schon selbst herausgehört, was es aber mit dem unheimlichen Männerchor auf sich hat und was er da eigentlich singt, das war mir neu — ich dachte immer, es sei ein Traditional, aber es ist keines. Dass der Zyklus gelegentlich ein wenig mit Effekten überladen und überproduziert ist, das wird ebenso erwähnt.
Kardos‘ Blick auf das Album ist von großer Sympathie sowohl für das Werk selbst sowie für Kate Bush gekennzeichnet, ihr hoher Kenntnisstand macht die Lektüre aber nicht unbedingt immer einfach. Liest man etwa über „Mother Stands for Comfort“ einen Satz wie
„The verse decends from Am7 to Fmaj9, the temporarily pauses on a hamstrung resolution of Am7 over an E bass. In the reciprocal phrase, it makes a hopeful more to D9 (suggesting dorian mode), then a melancholy pivot to b♭aug4/D, affecting a twisted phrygian modal cadence back to the tonic (Am7) to go around again“,
dann bin ich mir nicht sicher, ob das für die Mehrheit der Leser noch nachvollziehbar ist. Aber man kann nicht alles haben — will man es gründlich, dann geht es nur so; will man es einfacher, wird es oberflächlicher bleiben.
Kardos geht im Anschluss noch ebenso gründlich auf die Live-Version der Ninth Wave ein, die Kate 2014 im Londoner Eventim Apollo (= das frühere Hammersmith Odeon, in dem Kate ihre erste und bislang einzige Tournee 1979 beendete) auf die Bühne stellte. Zunächst sollte das Ganze ein Film werden, doch daraus wurde nichts. Und es mussten alle Konzerte in derselben Arena stattfinden, weil eine sehr aufwendige Tontechnik installiert werden sollte. Als dann die 14 Konzerte angekündigt und aufgrund der Reaktionen sofort auf 22 erweitert wurden, waren die Tickets für alle Abende innerhalb einer halben Stunde weg. Einer der Auftritte wurde gefilmt, aber erschienen ist er bislang nicht, weder im Kino noch auf DVD. Dokumentiert ist das Event nur auf dem 3-CD-Album Before the Dawn. Überhaupt ist Kate Bush ja ein Familienunternehmen. Die Familie war irgendwie mit David Gilmour befreundet, der sie dann seinem Hauslabel EMI empfohlen hat. Und wenn Mr. Pink Floyd jemanden empfiehlt, dann widerspricht man nicht. Und ohne Kates Sohn (Bertie) hätte Before the Dawn nicht stattgefunden — wieder die Familie.
Es folgen am Ende einige Zeilen über die Reaktionen und Meinungen anderer Künstlerinnen (von Tori Amos über Björk bis zu Cat Power) über den Impact von Kate Bush. Dieses himmelhochlobende Kapitel haut mir schlicht zu sehr auf den frauenbewegten Punkt (und das soll Kate Bushs pionierhaftes Wirken nicht schmälern). Dabei geht es mir nicht mal speziell um dieses Buch; ich habe es nie für besonders interessant gehalten, was Künstler A über Künstler B meint. Andy Warhol war gut, weil Andy Warhol gut war, nicht weil er Schulze oder Lehmann beeinflusst hat. Jedes Kunstwerk muss für sich bestehen. Die Werke von Kate Bush können das. Wenn Tori Amos sagt, „the Ninth Wave turned me inside out … It changed my life. I left the man I was living with because of this record“ — dann scheint mir die Beziehung wohl auch schon vorher nicht allzu stabil gewesen zu sein …
Aber der Rest des Buches ist lesenswert.
Leah Kardos:
Hounds of Love
Bloomsbury, 33 1/3, New York, London, Dublin 2024
ISBN 979-8-7651-0699-0
4 Kommentare
Michael Engelbrecht
Was für eine fabelhafte Besprechung, die mich dreimal laut zum Lachen brachte, bei ihren einst bevorzugte Genussmitteln (politisch war die Lady ja mindestens zeitweise verpeilt, in regards to Thatcher etc.), bei dem schön moderierten Textauszug, und deinem Kommentar zu einer Episode von Tori Amos…
Danke für den Januar Prose Text:)
Wie schon vor Jahren diskutiert, bin ich bei Hounds of Love und The Dreaming nicht mit im Chor der Begeisterung gewesen: die beiden Platten haben mich damals beide kalt gelassen. von The Dreaming hatte ich mir soviel erhofft, aber es funkte nicht, warum auch immer. Und später auch.
Aber: The Kick Inside begeiterte mich, obwohl ich es eigentlich nur damals, in der Zeit des Erscheinens, viel gehört habe. Herr Gilmour hat doch auch produziert, woll? Oder war er nur Mentor? Wunderbar überdreht wilde Songs…
Aber: Aerial ist mein absolutes Lieblingsalbum von ihr geworden, und die 50 Wörter für Schnee liebe ich auch, obwohl da einmal Elton John rumtrollt. Ich mag den Typ nicht.
Grüsse aus Dortmund!
Olaf Westfeld
Hab ich gerne gelesen, auch wenn ich diese Hits überhaupt nicht angestaubt finde; erstaunlich zeitlos, besser gealtert als vieles aus der 80ern. Die zweite Seite kenne ich nicht, „Hounds Of Love“ würde ich kaufen, wenn ich sie für nen vernünftigen Preis sehe.
Magst Du verraten, woher das „It’s in the trees …“ Sample kommt?
Jan Reetze
Das Sample stammt aus dem Film „Night of the Demon“ von 1957, Regie: Jacques Tourneur, die Stimme ist von Maurice Denham. Kate hat offenkundig eine große Sympathie für schlechte Horrorfilme; siehe auch ihre Hommage an die Firma Hammer Productions auf ihrem zweiten Album.
flowworker
Where The Lost Interview mit Kate Bush von 2011 sonst noch haben möchte, neben denen, die es schin haben, aaus Uncut 2025, January, möge mir mailen:
micha.engelbrecht@gmx.de