“Another Silence of a Candle“ – Revisting „Oregon“ (Rosato‘s point of view)

Als überzeugter Konstruktivist sehe ich die Welt wie es mir gefällt. Das müssen Leser sich gefallen lassen, vor allem jene, die meine Ansichten über OREGON nicht teilen. Die gibt es. Und hier liefere ich stante pede das erforderliche Beispiel für die Angemessenheit des Konstruktivismus. Der Rezensent Gallatin aus den Vereinigten Staaten schrieb am 17. Juni 2023 bei Amazon über „Music of Another Present Era“: „Some very talented musicians but though my musical taste is eclectic this was too far off the beaten path for me. I found it downright weird with a couple of exceptions.

Ich schreibe am 28. März 2024 über die gleiche Wirklichkeit:  Due to my erkleckly wide musical taste I consider the first by Oregon released album to be a refreshingly new creation in contemporary music.“ Und ich füge hinzu, dass ich schon in den frühen 70er Jahren dies hätte schreiben können.

Es gibt ein paar Platten, die hängenbleiben, die auch nach Jahrzehnten ihre Magie nicht verloren haben. Wer Jan Reetzes Liebeserklärung an ein 50 Jahre altes Album liest, kennt diesen Satz. In seiner Liste finde ich ein paar wenige Alben, die ich in einer nämlichen Liste aufführen würde. Viele, die Jan nennt, sind an mir vorbeigegangen, ich begehe halt nicht jeden Pfad. Ein Album von Oregon hat Jan nicht genannt. Das soll nun wirklich nicht heißen, dass Jan diesen Pfad nicht schätzt!

In meiner Sammlung findet man 12 Alben im CD-Format und 2 Vinyls, als neuestes „OREGON Ludwigsburg 1990“, auf das mich M.E. vor 4 Tagen aufmerksam gemacht hat. Bei OREGON bleibe ich leicht hängen, aber auch bei Monteverdis Viertem Madrigalbuch, bei Beethovens Viertem Klavierkonzert, bei Brahms‘ Vierter Sinfonie, bei VOCES8 After Silence und vielem mehr …

Was macht OREGON so attraktiv für mich? Zunächst muss ich das an der Bandhistorie festmachen. Ich kann nur sehr wenige Gruppen nennen, die über einen Zeitraum von sehr vielen Jahren, gar Jahrzehnten so gut wie keinen Personalwechsel kennen. Mir fallen nur das Dave-Brubeck-Quartet und das Standard Trio von Keith Jarrett ein. Aber nach meiner Wahrnehmung unterscheidet sich OREGON von Brubecks und Jarretts Ensembles doch signifikant. Vertieft man sich in „Music of Another Present Era“, dann hat man den Eindruck, mehrere bzw. verschiedene Bands zu hören, sowohl die Instrumentierung als auch die stilistische Vielfalt betreffend. Irgendwie hat jener US-amerikanische Rezensent namens Gallatin schon recht, wenn er OREGON weit abseits ausgetretener Pfade verortet, die Stücke bis auf ein paar Ausnahmen regelrecht spinnert findet. Bei diesen brüsk abgelehnten Klanggebilden handelt es mit Sicherheit um die drei Gruppenimprovisationen des Albums und weitere sperrige Nummern. Ich gestehe, dass ich bei manchen Alben der Band den freien Kollektivimprovisationen ausgewichen bin, muss aber festhalten, dass mir ausgerechnet die freien, „Opening“ betitelten Stücke des aktuellen Albums „Ludwigsburg 1990“ besonders gefallen. 

Vermutlich sind alle vier „basic members“ von Oregon früh dem Jazz begegnet, haben sich unter dem Einfluss des Paul Winter Consorts dem auf Improvisation beruhenden Musikmachen verschrieben. Drei von ihnen sind also nicht den Spuren ihrer klassisch enkulturierten Lehrer gefolgt. Als Jazzmusiker würde ich sie dennoch nicht klassifizieren. 





Die Dichotomie von E- und U-Musik, welche im 19. Jahrhundert recht gut funktionierte und, in ihrem verblassendem Kondensstreifen, sowohl ästhetisch wie soziologisch und ideologisch immer weniger haltbar wurde, ist ungeeignet, die Musik von Oregon – und nicht nur diese – einzuordnen. Dem Genre Jazz – ein Begriff, der inzwischen die unterschiedlichsten Musiken transportieren muss – ist sie allenfalls als improvisierte Klangwelt eng verbunden. Besser als Thom Jurek kann man anhand der „Music of Another Present Era“ das Wesen, das Wesentliche von OREGON nicht charakterisieren:

Music of Another Present Era remains Oregon’s most enduring masterwork. Achieving a perfect balance of musical traditions from the East and West, ancient to future, they set the stage not only for a new transculturalism in Jazz, but also created a lasting template for the fusion of musics from world traditions that would flower over a decade later. The four participants in Oregon operated on the premise that melodic ideas and expansive harmonies all contributed to a music the didn’t bridge cultures, but erased them and eradicated them. […] This is fusion music, to be sure, but it’s the kind of fusion musicians have been trying unsuccsessfully to emulate for decades.

KRONACH – 19. Oktober 1984

Von 1975 bis 1985 war Kronach das nordbayerische Zentrum für Auftritte der noch jungen ECM Artisten Jarrett, Garbarek, Gismonti, Gary Burton und schlussendlich Oregon. Ralph Towners Prophet 5 erklang leider nicht. Es gab ein Softwareproblem mit dem Laden der Sounds, das in der kurz bemessenen Vorbereitungszeit nicht zu lösen war. OREGON traf relativ spät ein, Collin Walcott erreichte den Kulturraum Kronach eine Viertelstunde vor Konzertbeginn. Es war ein wunderbares Konzert mit vielen neuen Stücken und einigen meiner Favoriten. Auf dem 1985 erschienenen zweiten ECM-Album „Crossing“ ist „Kronach Waltz“ zu hören. Die Band hat meinen Wunsch nach „Waterwheel“ erfüllt und das Stück als Zugabe gespielt. Diese bald 40 Jahre alte Story ist hier geschildert. Mir wurde ein Mitschnitt des Konzerts gestattet. Leider ist das Tonband mit dem zweiten Teil des Konzerts verschollen. Glen Moores „Kronach Waltz“ kann ich leider nicht präsentieren. Man kann es über die bekannten Streaming-Dienste abrufen, nicht jedoch bei YouTube. Dort sind die folgenden beiden Klassiker verfügbar – in den Kronach Versionen: The Silence of A Candle und The Glide.

OREGON hat nach den Platten für Vanguard drei Alben bei ECM veröffenlicht. Aber ECM-Kenner – von denen M.E. spätestens seit seiner hörenswerten aber kaum mehr hörbaren NDR4-ECM-Reihe aus dem Jahr 1997 einer der profundesten ist – wissen, dass die Angehörigen der OREGON-Familie gerne ihre eigenen Wege gingen, als Solisten, oder mit anderen Musici wie Larry Karush, Nancy Bloom, Don Cherry, Meredith Monk – um nur einige zu nennen. Vieles davon ist bei ECM zuhause.  Das Album „Crossing“ ist Collin Walcott gewidmet, der 20 Tage nach dem Kronach Concert bei einem Autounfall nahe Magdeburg ums Leben gekommen ist. Trilok Gurtu folgte ihm und war Mitglied der Gruppe von 1986 bis 1991. Mark Walker ist seit 1997 Percussionist. Damit verschwanden die indischen Farben und Aromen aus Oregons Musik. 

LUDWIGSBURG 1990

OREGON ist eine Band, die sicher mehr Zeit auf Bühnen als in Tonstudios verbracht hat. Ich entdecke in der Diskografie dennoch nur wenige offiziell erschienene Live-Alben (- In Concert – rec. live before an invited audience at Vanguard´s Studio in NY City April 1975; – In Performance – rec. in Quebec, Montreal, NY City 1979; – Live At Yoshi’s – 2002; – 1974 – rec. Radio Bremen 1974; – Ludwigsburg 1990 – rec. SWF).

Live- und Studioaufnahmen unterscheiden sich. Das weiß jeder. Offensichtlich und objektiv dingfest zu machen ist die oft erheblich ausgedehnte Spieldauer. „The Silence of A Candle“ dauert auf dem ersten offiziellen Studioalbum gerade mal 1:48 Minuten, 9:51 dauert es auf „In Concert“. Ein Live-Konzert erlebt man als einer von vielen Mithörern im Konzertsaal anders als medial dargeboten über Lautsprecher für einen einsamen Zuhörer.  Daran muss ich denken, wenn ich dieses Dokument aus dem Jahr 1990 anhöre. Die freien Improvisationen der beiden „Openings“ sind singulär, von ihnen gibt es keine älteren Geschwister, die man schon oft gehört hat. Solche Stücke höre ich unbelastet von Gewöhnung und Erwartung. Sie sind spannend und gefallen mit ihrem Einfallsreichtum unmittelbar.

Dann gibt es die guten Bekannten. „Witchi-Tai-To“ erscheint mir auf „Ludwigsburg“ überlang, da ziehe ich die konzentrierte 3:30 Version vom Album „Winterlight“ (1974) vor. „Yet To Be“ – eines der besten Stücke Ralph Towners – ist atemberaubend dargeboten! Bei „Waterwheel“ musste ich mit dem extrem schnellen Tempo Frieden schließen. Hoher Adrenalinspiegel, geschuldet der Live-Atmosphäre, ist der Treibstoff für Geschwindigkeitsrausch. Ich mag es lieber etwas langsamer, so wie auf dem Album „Out of the Woods“. Aber nach mehrmaligem Hören hat mich die Ludwigsburg-Version doch noch überwältigt. Rätselhaft bleibt mir das drei Minuten dauernde Tabla-Solo von Trilok Gurtu ab Minute 6:00. Die in der Aufnahme räumlich deutlich getrennt abgemischten beiden Tabla-Trommeln sind derart virtuos gespielt, dass man nicht glauben kann, dass das von den Händen einer Person ausgeführt wird. Im Booklet des Albums ist aber nicht die Rede von einem zweiten Tabla-Virtuosen.

Ich würde „LUDWIGSBURG 1990“ gleich hinter meinen Favorit-Alben „Out of the Woods“ und „Roots In The Sky“ platzieren. Das sind drei Alben, die auch audiophiler Klangqualität sehr nahe kommen. „Bremen 1974“ folgt dicht dahinter. Und wenn schon OREGON, dann freilich auch „Musik of Another Present Era“, ein Albumtitel der die Überschrift für das gesamte Phänomen OREGON sein könnte.

(Hans Dieter Klinger)

5 Kommentare

  • flowworker

    Another Fabulous Four:

    Ralph Towner

    Komposition, Gitarren, Klavier, French Horn, Trompete, Flügelhorn, Synthesizer

    Studium des klassischen Gitarrenspiels bei Karl Scheit in Wien in den Jahren 1963 und 1967. Nicht wenige Puristen haben die Integration des Prophet 5 Synthesizers als Sakrileg verdammt. Vor einigen Wochen – noch nicht wissend, dass „Ludwigsburg 1990“ bald erscheinen würde – habe ich OREGONs erstes ECM-Album mit Vergnügen gehört. Besonders genossen habe ich die fantasiereichen, ungewöhnlichen Sounds, die Towner dem Prophet eingepflanzt hatte. Tja, Bereicherung der Klangfarben-Palette war schon immer ein Anliegen dieser Gruppe.

    Paul McCandless

    Komposition, Oboe, Englisch Horn, Saxophon, Klarinetten, Tin Whistles

    Sein Lehrer wurde der Oboist Robert Bloom. Von 1937 bis 1943 war Bloom Solo-Oboist in Arturo Toscaninis NBC Symphony Orchestra. In jungen Jahren spielte Paul McCandless zeitweise aushilfsweise im Pittsburgh Symphony Orchestra. Auf Empfehlung von Robert Bloom trat er dem Paul Winter Consort bei. Dort schloss sich McCandless mit Ralph Towner, Glen Moore und Collin Walcott zur Gruppe Oregon zusammen.

    Glen Moore

    Komposition, Double Bass, Klavier, Violine, Viola

    Einer seiner Basslehrer war Ludwig Streicher, vielen bekannt als ehemaliger Solobassist der Wiener Philharmoniker. Immer wenn ich Glen Moore höre, halte ich ihn für meinen Lieblingsbassisten. Aber das geht mir so ähnlich auch mit Jorge Roeder, Palle Danielsson oder Gary Peacock. Aber von keinem anderen Bassisten habe ich so viele Alben wie von Glen Moore – 6 CDs! und natürlich die Oregon Opera. Er komponierte den wunderschönen „Kronach Waltz“.

    Collin Walcott

    Komposition, Tabla, Sitar, Percussion

    Walcott studierte außereuropäische Musik an der Indiana University in Bloomington. Ferner lernte er Sitar bei Ravi Shankar, Tabla studierte er bei Alla Rakha. Walcott ist also der einzige der Oregon-Künstler, der keinen Lehrer hatte, der in Westlicher Klassischer Musik verwurzelt war.

    (HDK)

  • Brian Whistler

    Well, it’s no secret that Oregon remains one of my favorite bands. And yes, I also acknowledge the longevity of the original lineup, only necessitating a change because of the loss of Colin Walcott, and the retirement of Glen Moore, we still managed to play on every single album except one.

    I think it was the seeming effortlessness of the fusion of various world, cultures and jazz not to mention classical music that made their music so attractive to me. Music of another present era was the first Oregon album I came across, but it was winter light that really captured my imagination. The band never stopped growing. They were blessed by not one, but for composers, the most prolific being Ralph Towner, who never stopped writing amazing music, and still does to this day. It’s a pity that Paul McCandless stopped writing, because he’s also a greatly endowed and gifted composer.

    I don’t have a favorite Oregon album. It would be easier for me to name the ones I don’t like, the steps and throw away, mostly put out when the band was trying to fulfill their Vanguard contract contract while moving to a more supportive label. Yet amongst the contractual filler in Vanguard catalog, are still my favorite Oregon releases. Another present era, Winter Light, Distant Hills, Moon and Mind and In Concert come immediately to mind as representative of the bands best accomplishments. But that being said, I can’t leave out the two amazing Elektra releases, Out of the Woods and roots on he Sky, among the best of their early. And certainly amongst the best recordings in terms of overall audio quality.

    I remain faithful to the end, and as an Oregon completist, I have everything they ever put to disc or vinyl. Not everything is top-notch, and like others before me, I sometimes skip the free pieces, but I love the boldness of those experimental pieces. You know, when they were playing regularly at a loft in the Village in NYC, Karlheinz Stockhausen showed up one evening. Afterwards he came up to the boys and said (and I’m paraphrasing,), „You guys are improvising exactly what I’m trying to compose and doing it better! „

  • Michael Engelbrecht

    Some personal and not so personal comments on these wonderful journeys through the life and times of Oregon by Mr. Klinger and Mr. Rosato

    🎡

    – my first Oregon album was Distant Hills, and for whatever reasons, it stays on number one til today, but i would do these following albums a disservice to not call them out with the same deep breath: – Live (1975), and „Winter Light“. These three became lifelong companions. I might add that one „NON-Oregon“ album „Trios, Solos“ on ECM with three of the four members…

    🥁

    – i bought Music Fron Another Present Era, and the two Elektra albums much later, around ten, fifteen years ago. And still move deeper and deeper into these ones… they are, I think, my numbers 5 to 7 if i add „Trios, Solos“ to my private parade…

    – numbers 8 to 10 are the three ECM albums.

    🚙

    Something broke ( the word is too strong ) in my relationship to the uninhibited love for Oregon with the death of Colin in a car crash in Germany. I loved nearly every album Colin had played on, leading or assisting or co-leading. I loved Meredith Monk’s Dolmen Music (on which Colin was essential), and I remember that in 1991, interviewing Meredith, she broke into tears when she talked about the time of „Dolmen Music“. I loved and a love every of the three Codona albums with Colin, Don, and Nana. And i still believe they had the magic to make ten more Codona albums without losing the fire. These three guys were such a, sorry for the old expression, „match made in heaven“ like the first Oregon line-up.

    🎡

    – when i saw Oregon live many years later in Essen (the name of the man on percussion was Walker, I think), it felt not songood for me, though everybody seemd enthusiastic in the audience. It was perfection, it was firing on all cylinders, but I missed a quantum of magic and searching. (After that gig, i had a wonderful conversation with Paul McCandless, and he told me touching things on the old days with Paul Winter’s Consort).

    – when I studied psychology in Würzburg there was an old guy giving seminars on Alfred Adler’s „Individualpsychologie“. Very, very interesting. And, as i realized a bit later, full of interesting connections with Cognitive Behaviour Therapy. We made first steps into the reading of dreams, and one of my three dreams I noted for that wonderful workshop for the soul, was this one (of course now only to remember in fragments, but they may be revealing):

    I was walking through Würzburg in night time, always looking for windows and shops with a light behind, deep in the night. i knocked on these windows, one after the other, and sometimes someone came out, sometimes not. I asked everybody about the forthcoming Oregon album, but no one had it. The wind was warm, in the night, this thing is unforgettable, it felt like a tropical night with flavours of a distant flaura and fauna. This I remember, too. That’s it.

    These were the days (in reality) of waiting for the vinyl of WINTER LIGHT from Jazz by Post, Gleichmannstrasse 10, and I think I must have seen the cover before. I don’t have a third eye😅 So just look at the cover, and part of the dream reveals itself… I WAS LOOKING TO FIND A WAY INSIDE THE ROOM WHERE IN MY IMAGINATION THE MUSIC PLAYED… i wanted to be INSIDE the music (the warm wind, the exotica of the weather, they all added to my wish of beimg wrapped up in the music)… a kind of melting of the inside and the outside…and, just adding the winter landscape on the cover turned into my summer night reveries….

    🌠

    – the Oregon concert (the other one of the two) that made my heart sing even today when i remember it happened in Münster 1974 or 1975… unspeakable. I still remember the exact place on the floor i was sitting. It must have been a tropical evening (a rare thing in Münster😉) …they made their circling ritual changing places clockwise, playing the instruments of the others. One after the other. It was a game, it was playful, it was deep. Every moment of that evening was like everything what inwas looking for in music being 20 years old.

    🎩

    – now, a lot is going on within in the next seven days, but then I will take my time and travel to Luwigsburg, 1990. Easy peasy. Greetings and all. P.S. today i am in New York and will go the Carnegie Hall, Alice Coltrane will be there with a band of brothers, and Laura Nyro, too. My gosh. Great ladies one after the other. Maybe you want to join me. After midnight there will be a party in my flat on 42nd street. Just sayin‘.

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