„The master of tangents“
Inside the press info paper collection I received from Berlin, shortly before the two vinyls Luminal and Lateral arrived from the press plant factory (with perfectly complementary arranged cover art – thank you, Headquarter from Deutsche Grammofon Gesellschaft) there was a little text from the department of „Let the music speak for itself“. By Fred Armisen. Well, well, I will anyway do some storytelling around the two albums…
In the July edition of UNCUT (which will, in its online format, probably arrive next Tuesday) Eno is in talking mood. „Deep inside his London studio, an uncharacteristically digressive Brian Eno“ (well, actually, Brian is the master of tangents, sidesteps and lateral (!) thinking; Anm. v. M.E.), „he finds time to discuss Scott Walker’s voice, communal living with Harmonia, mid-‘60s ‘happenings’ and his deep enthusiasm to create anew.“ Well, let‘s wait and see.
Some of you will get a nice mail from me next week! Don’t miss your „mailboxes“ in El Hierro, Wennigsen, Leichfelden—Echterdingen, Hamburg, Berlin, Frankfurt, Pittsburgh, Russian River and other places!
Now, here‘s that little text from Mr. Armisen in quick translation:
Zwei Alben. Luminal besteht aus elf Liedern, mit Gesang. Lateral ist ein längeres Instrumentalstück, etwa eine Stunde lang. Der Inhalt dieser Alben nimmt dem Hörer die Last der Verantwortung ab. Das heißt, die Verantwortung, herauszufinden, wer was spielt oder wie es aufgenommen wurde, all diese Informationen, die einen vom reinen Zuhören abhalten. Es ist alles wunderschön und verträumt. Inspirierend und anregend. Nützlich/utilitaristisch. Ich höre Synthesizerklänge, aber das ist schon zu viel gesagt. Man kann darin verschwinden, darüber reden, es immer wieder abspielen oder nur einen Teil davon hören und sich den Rest später noch einmal anhören. Die Noten, die als Melodien hervorstechen, klingen auf eine Weise zielgerichtet, die mich vermuten lässt, dass sie nicht unbedingt zur Meditation gedacht sind. Obwohl ich beim Hören von Lateral Auto gefahren bin, und das könnte man vielleicht als meditativ bezeichnen. Es scheint für jede Art von Ort geeignet zu sein. Ich glaube wirklich, dass es überall funktionieren kann, aus jeder Art von Lautsprechern.
Während ich es hörte, kam mir eine Idee für einen Sketch, in dem die Leute, die diese Musik machen, ganz anders sind als Beatie und Brian. Sozusagen das Gegenteil. Aber dann wurde mir klar, dass diese Charaktere auch perfekt in die Entstehung dieser Alben passen würden. Die Musik setzt sich über jede Vorstellung hinweg, die man von den Komponisten haben könnte. Übrigens, wen haben Sie sich in Ihrem Kopf als Gegenspieler vorgestellt?
Gerade jetzt erinnere ich mich ziemlich deutlich an die Lieder in meinem Kopf. Der Klang des Ganzen. Ich schätze, das macht sie technisch gesehen auch eingängig. Ich hoffe, es ist okay, wenn ich dieses Wort benutze.
Ich werde es jetzt noch einmal auflegen. Ich fange einfach irgendwo in der Mitte an.
Fred Armisen
Amelia & Beatie, Bryan & Brian
Wenn man spoken word-Alben prinzipiell mag, und zudem offen ist für Gedichte mit seltsamen Drehungen zwischen Storytelling und Surrealismus, kann man einen Narren fressen an „Loose Talk“. Die Spannungsfelder sind immens, zwischen Amelia Barratts Gedichten (ihrer ruhigen Darbietung, ihrem Wortlaut, ihren Stories, die sie andeuten, nie ausformulieren) und Bryan Ferrys rohen wie bearbeiteten „Instrumental-Demos“ aus Jahrzehnten mit und ohne Roxy Music ( z.B. verhallte Klaviertöne aus einem verlassenen Ballsaal, flüchtige Überbleibsel seiner Stimme). Malerin ist Amelia auch, hier „Exhaust“ (Öl auf Leinwand, 2023).
Man bleibt, lauschend, hellwach, und neugierig auf die nächste Wendung, und es erhöht die Freude, wenn man die beiliegenden Gedichte als „native speaker“ versteht, oder auch als Englischkundigem lang genug liest, oder mit „Deepl“ übersetzt, um ihnen anschliessend den Feinschliff zu verpassen. Wer aber macht das schon, wenn man nicht einen Narren gefressen hat an ihren Gedichten, und das habe ich. Es sind Erforscnungen unseres Innenlebens in Alltagssituationen, und wie sich im Ansammeln flüchtiger Wahrnehmungen und Gedankenreflexe „Mikro-Stories“ bilden, jenseits des trainiert-vernünftigen Redens. Das Ich ist eine fragiler, unbekannter Faktor in diesen Gedichten. „Dabei lässt ihre präzise Diktion Raum für Witz und Herzschmerz“, wie ich in einer Besprechung (s.u.) lese. Bryan Ferrys Musik ermutigt uns Hörer mit seinen ausgefeilten Demos, die alle ein „gewisses Etwas“ verströmen, zu diesen Trips durch Heimliches wie Unheimliches.Und so bringen also Brian Eno und Bryan Ferry zur fast gleichen Zeit zwei Alben heraus, in denen Frauenstimmen die Hauptrolle spielen. Wonderful! Und durchaus eine zum Schmunzeln anregende Anekdote aus dem Herbst ihrer musikalischen Lebensläufe. Was weit über das Anekdotische hinausgeht, über „small talk“ und „loose talk“, ist die Klasse und Extravaganz und Tiefe beider Werke. „Luminal“ vom Beatie Wolfe und Brian Eno erscheint am 6. Juni, „Loose Talk“ ist schon eine Weile erhältlich.
Wenn alles gutgeht, spricht Lina Lentföhr zwei „song lyrics“ von Beatie Wolfe, und ein Gedicht von Amalia Barrett. Ich wollte sie unbedingt für diese Ausgabe der „Klanghorizonte“ haben, nachdem sie vor Jahr und Tag so fesselnd die Stimme von Rickie Lee Jones im „overvoice“ übernahm, und einen Ausschnitt ihrer Autobiographie.
‘intriguing and impressively original…studded with genuinely haunting moments’ – The Guardian (Album of the Week ****) / ‘interesting and elegant’ – The Sunday Times (Album of The Week ****) / cool, crisp, confident…these pieces have a slender beauty’ – Mail on Sunday (****) / an evocatively haunting masterpiece’ – Buzz Magazine (*****) / Ferry’s struck gold immediately with Barratt, whose precise diction still leaves room for wit and heartbreak’ – Classic Pop (Album of the Month ****½) / a unique and satisfyingly unsettling listen’ – The Arts Desk (****) / it puts a spell on you’ – Music OMH (****) / Barratt sketches arresting vignettes threaded with Lynchian unease…a tightly crafted exploration of lives unmoored’ – Record Collector (****)
Der Genozid
„Seit mehr als einem Jahr erleben wir ein unfassbares Ausmaß an Tod und Zerstörung im von Israel besetzten Gazastreifen. In Reaktion auf Kriegsverbrechen der Hamas und anderer bewaffneter palästinensischer Gruppen bei ihrem Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 hat die israelische Armee eine brutale Militäroffensive begonnen. Israel hat zehntausende Menschen getötet, ganze Familien ausgelöscht, Wohnviertel dem Erdboden gleichgemacht und lebenswichtige Infrastruktur zerstört. 1,9 Millionen Palästinenser*innen, mehr als 90 Prozent der Bevölkerung des Gazastreifens, wurden bisher vertrieben – oft mehrfach. Diese menschengemachte humanitäre Katastrophe ist beispiellos.“
(Amnesty International. Weitere Informationen HIER!)
„Lofoten, Lotus, Luminal“ – immortal tracks for an imaginary jukebox
„If this month‘s „horizons of sound“ at Deutschlandfunk, May 29, 9.05 p.m., is brimming with life, with the usual suspects from Eno to ECM, the „Klanghorizonte“ at the end of July will bring you – incl. sound, vision & interviews – some voices of Clay Pipe Music, label owner Frances Castle and electronic wizzard Cate Anne Brooks, and much more, for example the forthcoming solo album „Solace Of The Mind“ by Amina Claudine Myers.
Nach einem aufregenden Wochenende mit dem BVB (vielleicht hat mich der eine oder andere gesehen, als die Kamera von Sky kurz auf Freddie Röckenhaus, andere Kollegen des Sportjournalismus und meine Wenigkeit („special guest“) kurz nach Sabitzers trockenem Schuss zum 2:0 auf die Pressetribüne zoomte (so erzählte es mir jedenfalls einer der vielen, diesen Blog lesenden Olafs) erhielt ich von unserem Ratefuchs Lorenz aus Leichfelden-Echterdingen folgende Mail:
Hallo Micha, dein Päckchen ist wohlbehalten angekommen mit den 3 tollen CDs. Jede auf ihre Art klasse.Loose Talk erinnert mich an Laurie Anderson und auch Brian Eno (the Drop Phase). Wunderbare Geschichten, die sie erzählt. Joe Hendersons „Multiple“ hat absolut tolle Grooves und Überraschendes, wie den Gesang im ersten Stück oder auch immer wieder seltsame Keyboard sounds. Danke für diese super Entdeckung. Wie Joe Lovano und das Trio zusammen sind, auseinander driften und sich dann irgendwo anders wieder finden ist schon fast wie ein Jazzhörspiel. Großes Ohrenkino. Ja, und der Kaufbefehl für die Zwillingsalben mit Brian Eno stößt auf offene Ohren … Wenn nicht sogar noch Robert Foster dazu kommt, denn die Besprechung aus MOJO (5 stars) liest sich sehr interessant. Viele Grüße und lieben Dank! (und viel Spaß in der Champions League) Lorenz
Mittlerweile verweile ich bei den Moderationen der Klanghorizonte für den 29. Juli. Die Stunde beginnt und endet mit grossartige „Ambient Music“ aus Japan und England von Hiroshi Yoshimura sowie Brian Eno & Beatie Wolfe. Zum Kaufbefehl für Lorenz gehört eben auch „Big Empty Country“. An zweiter und vorletzter Stelle meiner „blue hour with female lead vocals only“ gibt es zwei Uraufführungen zweier Songs der „electric country dream music“ von Beatie Wolfe & Brian Eno (der andere Kaufbefehl, natürlich auch für Leser dieser Zeilen).
An dritter und drittletzter Stelle der Playlist finden sich zwei weitere Songalben, einmal von Eiko Isobashi und ihrem Album „Antigone“ (produced by Jim O‘Rourke) sowie (das drittletzte Album der Playlist meiner drittletzten Klanghorizonte ist die einzig verbliebene offene Frage) von Julee Cruise oder Annette Peacock oder Amelia Barrett. Im zeitlichen Zentrum gibt es einen Song aus dem brandneuen Album von Stereolab, flankiert von zwei ECM-Alben, „New Vienna“ von Keith Jarrett (ein weiteres Dokument seiner letzten Europareise von 2016), und „The Jewel In The Lotus“ (ein Klassiker des sog. „spirituellen“ oder „Fusion Jazz“ von 1974).
Am 27. Juni erscheint das Album aus dem Hause Clay Pipe Music, das mich gestern erreicht hat, und das ich in den Klanghorizonten Ende Juli ganz sicher vorstellen werde, „Lofoten“ von Cate Anne Brooks. Das Hauptquartier dieses feinen „independant labels“ aus London vermeldet folgendes dazu (der Kaufbefehl wird beizeiten ausgeprochen und das Teil könnte sich in der heimischen Albensammlung finben neben „Flora“ und „Lateral“):There are imagined landscapes we all carry within us—dreamed, half-remembered, or just beyond reach. Lofoten, the new album by Cate Francesca Brooks on Clay Pipe Music, is a musical reflection on one such place. Located above the Arctic Circle, Norway’s Lofoten Islands are known for their dramatic peaks, open seascapes, and distinctive red fishing cabins dotting the shoreline. Though Brooks has never visited this remote northern region, it became an unexpected source of inspiration.
The project began when Cate listened to a narrated „sleep story“ set in the islands. Intrigued, she researched the region and found herself drawn to its stark beauty. „I fell in love with creating an impression of somewhere I would probably never visit, but felt a real affinity with,“ she explains.
This ambitious album translates that connection into sound. Through carefully crafted electronics, melodic themes, richly layered textures and big production, Brooks captures the essence of Lofoten—its icy light, vast horizons, and profound quiet.
„The other thing that happened around the same time was the first lockdown here in the UK. I had taken the opportunity of having some extra time to learn a new (to me) method of synthesis; that of the Synclavier, which uses one aluminium wheel and an array of buttons to control every parameter of the sound.
„I took to it with intrigue and before I knew it, I had built up hundreds of original sounds, many of which were perfect for the textures I could hear in my head for Lofoten. So that (along with a Prophet synth and a TR-808) became the sound world.“
Lofoten stands as an evocative testament to how music can transport us to distant places, transforming geographical limitations into imagined creative possibilities.
canariasjazz.com
My song of the morning: „The Zoological Gardens“ by The Dubliners. Als ich vor 5 Jahren auf El Hierro landete, gab mir Uli Koch (former manafonisto) den Tipp mit: dort gibt es alljährlich im Sommer ein internationales Jazzfestival. Inzwischen gibt es auf allen 8 kanarischen Inseln durchaus vorzeigbare Jazzfestivals.
Bist du auf List
Mach dir ne List
Hast du’s mit Inselgrammar
Hier ein paar wordshämmer
die List
listen
listig
listvoll
Listo Lista Listu
mi ListeDEE DEE Bridgewater Quartet 4.7.25 Teneriffa(US)
Alain Perez y la Orchestra 4.7.25 Gran Canaria(Kuba)
Gonzalo Rubalcaba with Matt Brewer y Eric Harland Gran Canaria(Kuba)
Take 6 y Orchestra Philharmonica(US)
Aimée Nuviola (Kuba)
Vijay Iver Trio (US)
Melissa Aldana Quartet (Chile)
Lakecia Benjamin (US)
Kennedy Administration (US)
Rita Payes (Spain)
Ariel Bringuez Quintet (Kuba)
Kristof Kobylinski (Polen)
Matteo Mancuso (Italien) (da geh ich hin!)
Espen Berg Trio meets Villu Veski (Scandinavia)
Giovane Orchestra( Sizilien)
The Bamboos (Australien)
Arin Keshishi Quintet (Armenien/Iran)
Ellister van der Molen (NL)
Zuco103 (NL)
Dahoud Salim Quintett (NL)
und viele Jazzmusiker von den Kanaren…Ich werde mir Esther Ovejero am 4.7. auf La Graciosa anhören.
VAMOS!
Der letzte Spieltag
Aus unserem „Europasong“ versuche ich immer noch ein Haiku zu machen – schwierig! Es ist wohl eine alte Tradition, in der Hafenkneipe meines Vertrauens alte BBC-Kassetten aufzulegen (an Tagen, an denen der BVB Grosses und Kleines zu feiern hat), in denen der grandiose Bandleader von The Clash eigene Lieblingsplatten erzählend und auflegend Revue passieren lässt, und dann ziehen die Stimmen von Nina Simone, Bob Dylan, und Jacques Brel seltsam zeitlos ihre Kreise, wie heute, als der der BVB nach einer lange Zeit grottigen Saison in einem furiosen Endspurt unter dem neuen Publkumsliebling Niko Kovac noch auf den lukrativen Platz 4 sprang. Wo läuft denn gerade Rod Stewarts „Hymne“? Eine ausgelassene Stimmung herrschte zwischen Kreuz- und Hafenviertel nach 17.30 Uhr, und so tauchte ich im „Sub Rosa“ mitten in eine Geprächsrunde ein, in der Ronald Rengs wunderbares Fussballbuch „Spieltage“ verhandelt wurde: Fussball und gute Musik, das passt hier zusammen, Sprünge über Generationen, glücklich erschöpfte Gesichter. (m.e.)„Luminal“, or: „turn the light down low!“
„What We Are“ is written by Brian Eno and Beatie Wolfe
Backing Vocal, Guitar, Synths, Keys: Brian Eno
Lead Vocal, Guitar, Synths, Keys: Beatie Wolfe
Backing Vocal: Melanie Pappenheim
Produced by Brian Eno & Beatie WolfeDem Wunsch, auf die Veröffentlichung von Lyrics aus „Luminal“ bis kurz vor dem Veröffentlichungstermin zu verzichten, komme ich gerne nach. Ausgenommen davon sind natürlich die Texte zu den „official videos“. Drehten sich die Worte von „Foreverandevernomore“ um Zukunftsräume, die bei allem Dystopisch-Dunklem auch, zum Ende hin, eine Spur von Hoffnung verströmten, ist die Songlyrik“ auf „Luminal“, im Rahmen dieser „dream music“, durchaus „sinnstiftend“, so wie Träume eben Deutungen erlauben.
Das Feld ist immens, zwischen Visionen, Tagträumen, Erschütterungen, und Bestandsaufnahmen einer düsteren Welt. Die Lyrik ist in keinem Moment „message“-lastig oder bedeutungsschwanger, und enthält genug Atem und Zwischenraum für eine faszinierende Balance von Text und Textur, von Klang und Wort. Martina fand schon zwei der Übersetzungen ins Deutsche beeindruckend – und was geht da nicht alles verloren?! Die Lyrics sind subtil, detailfreudig, überraschend, und wenn sie schon beim bewussten langsamen Lesen (als wären es Gedichte) Mal um Mal berühren und fesseln können, wie ergeht es dann erst Hörern, die an warmen Juniabenden das Licht löschen und die Musik auflegen?!
Ich nenne die Begegnung dieser Zwei einen Glücksfall, HIER das Interview aus ihrer Radiosendung (es findet sich da auch ein Link zum kompletten Transkript der Unterhaltung). Ich freue mich, wie hier, angesichts der von den beiden ausgerufenen „dream music“, mein von früh an bestehendes Interesse an Lyrikinterpretion und Traumdeutung auf besondere Weise zusammenfindet. Ein wenig mehr dazu, in den Klanghorizonten des Deutschlandfunks am 29. Mai um 21.05 Uhr, in einer, Stand heute, Oton-freien Stunde mit den üblichen Verdächtigen! (m.e.)
„Thursday Afternoon in Paris“
A dream story with an album you’ve never heard of. Once again you are there, in your beloved little park called „Le Jardin du Luxembourg“, not far away from that old time jazz club, „Le Chat Noir“, Robert Wyatt once sang about, a smoky club with wooden walls that is long gone, with all its long stories, told and told again. Or never told. You still have a Sony walkman from the past that works fine, except for some stutter in winter. You put in that cassette a friend gave you as a gift and a sweet reminder of hot love and the best galettes in town. You never knew about this album to exist. Pretend, it is 1998. For reasons hard to explain you keep playing this one track again and again on a warm afternoon in Paris. A sentimental journey, and this piece HERE calls you by your name.Die Stunde der wahren Empfindung
Es ist kein Problem, hier mal einen Titel von Peter Handke zu klauen. Wir haben viel zu wenig über Arthur Russell gesprochen. Rasch werden da die einschlägigen Fakten abgegriffen, die unterschlage ich einfach, oder lass sie nebenbei einfliessen. Sein Nachlass wird akribisch aufbereitet von Audika Records, und die Musik dieses „outsiders“ teilt die Lager. A love it or leave it (or love it sometimes)-affair. „Worlds Of Echo“, „Another Thought“ und das frühe Opus „Instrumentals“ sind meine gern genannten Favoriten. Sein Werk so facettenreich – als allererstes springt sein seltsam verletzlicher, weltoffener wie intimer Gesang vors innere Ohr, umgeben von Echos und seltsam brüchigen Celloklängen. Zuletzt erschienen, neu gebündelt, diese zwei Liveaufnahmen aus den Jahren 1984 und 1985, ein verwegenes Doppelalbum. Wie bei Thelonious Monk kommen immer wieder die gleiche Titel ins Spiel, und wie bei Monk ist das ganz egal und sowiesoso immer anders. Beth Gibbons, die Tindersticks und Lambchop lassen Arthur gerne stückweise vor ihren Konzerten laufen, ich hörte ohn da stets heraus. Er hat also ein paar verdammt gute Fürsprecher. Seit ich irgendwann einen Text von David Toop im Wire über Arthur Russell las, lang ist es her, komme ich auf ihn zurück, wieder und wieder, und nicht aus Chronistenpflicht. Manche bleiben dabei, dass da einer hilflos im Nebel stochere, ich spreche lieber von der Stunde der wahren Empfindung. Und dieses Doppelalbum aus alter Zeit ist zweierlei: eine ideale Einführung in seine Musik, und Stoff zum Versinken. Nicht nur die zwei Alben von Beatie und Brian bieten „space music“ und „dream music“. Er würde auch, anders als ich hier, keine grosse Welle machen, und einfach aus dem Stegreif „Go Swimming“ vortragen, mit einem Cello, das die halbe Welt für beschädigt hält. It‘s a miracle! A dream from the dance floor!
Jonas Engelmann: Gesellschaftstanz
Sein Interesse gilt den Außenseitern des Musikgeschäfts. Denen widmet sich Jonas Engelmann mit viel Kenntnis und Sympathie. Dabei geht es ihm nie nur um Musik, sondern immer auch um ihre Einordnung in soziale, politische und wirtschaftliche Hintergründe.
Ein Beispiel gefällig? Ich habe bislang immer geglaubt, in einem Musikstück ein Sample einer anderen Platte unterzubringen, sei eine Art Statement: Das Sample soll wiedererkannt werden und dient so dazu, dass der Künstler X seine Verehrung für den Künstler Y zum Ausdruck bringt, oder — die spannendere Variante — sich ein Statement Ys zu eigen macht, im Sinne von: Ich, X, teile das, wofür Y steht.
So war das wohl auch mal. Aber wussten Sie, dass Sampling mittlerweile zu einem blühenden Geschäftszweig geworden ist? Dass es sich für Plattenfirmen mittlerweile lohnt, Leute speziell fürs „Clearing“ von Samples zu beschäftigen, um ihren Einsatz rechtlich und kaufmännisch korrekt abzuwickeln? Dass für ein Sample berühmter Künstler, etwa James Brown, Marvin Gaye, Otis Redding oder auch Barry White (richtig, dem „Walrus of Love“) fünf- bis sechsstellige Dollarbeträge über den Tisch gereicht werden?
So krass war mir das nicht bekannt. Mir scheint mit dem Sample-Handel inzwischen eine Form der Zweitauswertung entstanden zu sein, die oft schon mehr Umsatz generieren dürfte als der Verkauf der ursprünglichen Platte (wobei das Sampling natürlich auch zur Vermarktung des Originals beiträgt).
Was tut sich da für ein merkwürdiger Widerspruch auf zwischen einerseits einem sozialen oder politischen Anliegen der Künstler und andererseits ungebremstem Kapitalismus? Oder ist es gar kein Widerspruch? Man schätzt da vieles falsch ein. Denn war nicht der ungebremste Kapitalismus schon immer Teil der Szene? Sollte jemand gedacht haben, ein Grandmaster Flash sei mal aus irgendeinem armen New Yorker Schwarzenghetto hervorgegangen, so entspricht das sicherlich dem damals in den Medien vermittelten Image. Weiß man jedoch, dass der Grandmaster schon früh über einen Fairlight verfügte, stellt sich seine soziale Situation doch ein wenig anders dar. Offenkundig gab es einen Riss zwischen dem projizierten Image und der Wirklichkeit. Und was ist heute von gerappten Anklagen, Empörungstexten und der damit angestrebten Street Credibility zu halten, wenn der Rapper (oder sein Produzent) in der Lage ist, Summen wie die obengenannten für ein simples Sample zu zahlen? — Ein interessanter Aspekt übrigens auch im Hinblick auf aktuellste Entwicklungen der Black Music.
Die weltanschauliche Theorie ist offenkundig das eine, aber wichtig ist aufm Platz. Da sind wir mitten drin in Jonas Engelmanns Themen und Thesen. Seine Positionen sind eindeutig, nicht immer leicht zu schlucken, aber meist wohlbegründet. Er untersucht Felder wie Außenseiter-Jazz (Sun Ra Arkestra, Matana Roberts, June Tyson), HipHop, Avantgarde (John Zorn, Public Enemy u.a.), die politischen Lieder eines Woody Guthrie, ein Konzert (oder sollte man sagen: das Konzert) von Aretha Franklin.
Alles dies nimmt Engelmann als kulturelle Statements ernst. Er schreibt, wie der Untertitel des Buches verrät, über Klangverhältnisse und Außenseiter-Sounds. Auf 130 Seiten bietet das Bändchen eine Sammlung von insgesamt 19 Artikeln, die zwischen 2012 und 2024 erstveröffentlicht wurden. Ein Blick ins Verzeichnis ihrer Herkunft lässt Rückschlüsse auf ihre Perspektive zu: Neues Deutschland, Jungle World, Freitag, taz, Ventil-Verlag (dessen Co-Verleger Engelmann ist), außerdem ist er Mitherausgeber der testcard-Buchreihe.
Jonas Engelmann geht an die musikalischen Wurzeln, er benennt gesellschaftliche Entstehungshintergründe, er spricht über Rassismus, Queerfeindlichkeit, Praktiken der Musikindustrie, er checkt die Quellen musikalischer Phänomene. Sein Buch ist voller Anregungen, denen nachzugehen sich lohnt (man staunt manchmal, was man im Web mittlerweile alles finden kann, wenn man einmal über die einfache Googlesuche hinausgeht). Und weil er zu argumentieren versteht, macht es Spaß, sich mit seinen Schlüssen auseinanderzusetzen, auch wenn man nicht jeden einzelnen unterschreiben möchte.
Jonas Engelmann:
Gesellschaftstanz — Klangverhältnisse und Außenseiter-Sounds
Verlag Andreas Reiffer, edition kopfkiosk Bd. 12
Meine 2025
ISBN 978-3-910335-12-7