• monthly revelations (december)

    (albums) Roberto Bonati – Chironomic Orchestra: The Gesture of Sound, The Gesture of Colour (film) Kronos Meets Hardanger – notes of an imaginary documentary (prose) Ulrike Sabine Maier: Manchmal das Glück (talk) Danish guitarist and composer Jakob Bro speaking about the first release of his fabulous 2014 album „Taking Turns“ (poetry) Daniela Seel: Nach Eden (binge) Monsieur Spade (archive) Peter Thomas: The Tape Masters, Vol. 1 & Günter Schickert: Samtvogel (Jan R. and Michael E. travel old Bundesrepublik)

  • Frühmorgens in der Kantine

    Kurz nach acht, in einer nahezu menschenleeren Kantine, sehe ich zum ersten Mal in diesem Jahr, bewusst, einen Weihnachtsbaum. Da ich ewige Zeiten nachts durch einzelne Stockwerke schlich, und angenehm einsame Nächt am Mikrofon kenne, mit zuweilen sehr netten NachrichtensprecherInnen ein paar Zimmer weiter, kenne ich mich mit solchen stillen Räumen in Radioanstalten gut aus. Es hat dann meist was von Vorbereitung. Auf dem Hinweg habe ich auf der Autobahn in Ruhe Jakob Bros „Taking Turns“ laufen lassen, und mir jetzt tatsächlich mit der Melodie von „Mar Del Plata“ einen Ohrwurm gefangen.

  • Im Club der Fische


    Es gibt ein paar Dinge in meinem Leben, die machen mich derzeit dezent traurig. Alles brach einmal heraus, als ich auf einer Autobahn wieder und wieder „Vitamin C“ hörte, in der Fassung von 1973, die Can damals in Paris aufführte. Man mag eines dieser Felder der Melancholie für leicht absurd halten, aber ich spielte schon immer gerne Detektiv, und nicht mal mein alter Kumpel und Ex-Polizist fand eine heisse Spur zu meinem besten Freund in Volksschul- und Blutsbrüderzeiten. Aber ich fand sein Geburtsdstum heraus, fünf Tage vor meinem (wir sind im Club der Fische), seinen ersten Wohnort vergesse ich eh nie (Weissdornweg 9), und nun werde ich im Dezember im Einwohnermeldeamt von Dortmund auflaufen, und angeblich erfährt man dort für 40 Euro seinen derzeitigen Aufenthaltsort. Und ich will nicht auf einen Scheissfriedhof geschickt werden! Es gibt eine Verbindung zu Matthes, die über reine Erinnerungsseligkeiten und das gemeinsame Singen von „Sunshine Superman“ weit hinausgehen! (m.e.)

  • “Mar Del Plata“

    „Taking Turns requires close listening. These musicians are certainly listening to each other. Call it a conspiracy of beauty.“ (Jazzwise)

    „Keines dieser Stücke auf „Taking Turns“ endete so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Und das halte ich generell für eine meiner größten Freuden als Komponist. Manchmal denke ich darüber nach, ein Soloalbum zu machen, auf dem ich versuche, der ursprünglich beabsichtigten Vorstellung ganz nah zu kommen. Darüber habe ich oft   nachgedacht. „Mar del Plata“ kam als einfaches Lied daher, ich habe es mit Klavier und etwas Gesang gemacht – wer weiß, vielleicht werde  ich es eines Tages solo aufnehmen, aber solange  die Musik mich immer wieder neu und positiv überrascht, gibt es  keinen wirklichen Grund, andere Wege zu gehen. Lieber geniesse ich die Freiheit der Reise, einfach zu erleben, wie sich diese Lieder entwickeln.“  (Jakob Bro im Interview mit Michael Engelbrecht)

    „The less-is-more approach and a penchant for pedal-driven atmospherics that Frisell has said owes something his admiration for the ambient recordings of Brian Eno and Robert Fripp, are significant features here, heard to superb effect on the final track, ‘Mar Del Plata’. It’s a gorgeous tune led by the sound of two sinuously entwining electric guitars.“ (Phil Johnson über „Mar Del Plata“

  • SART

    Es gibt ein paar Tricks, nie die Verbindung zum inneren Kind zu verlieren. Oder zum „teenager under fire“. Ein paar dieser Kniffe funktionieren nur, wenn man sie schon als Kind einsetzt. Du springst auf kleine Mauern, und es macht dir so viel Freude, neben dem Bürgersteig zu balancieren, dass deine innere Stimme dir deutlich zuflüstert: das machst du auch, wenn du gross bist! Es ist bekannt, dass manche Prägung in Sachen Musik zwischen 12 und 18 stattfindet, und man ist natürlich ein Glükskeks, wenn diese Zeit auf die Jahre 1967 bis 1973 zutrifft. So wurde bei mir damals ein Feuer entfacht, das hiess Kinks und Beatles, eines, das hiess Soft Machine („Third“), und eines, das hiess „SART“, das zweite Album von Jan Garbarek, produced by Manfred Eicher, und die Zauberer Terje Rypdal, Bobo Stenson, Jon Christensen und Arild Andersen waren mit von der Partie. Ausser einem radikalen Umgang mit Raum, hat es wenig mit den späteren Ingredienzien des nordischen Jazz zu tun. Ein elektrisches, ekstatisches Album, dessen Stillstände mich genauso begeisterten wie die Ausbrüche. Ich war wie vom Donner gerührt, als ich das Album das erste Mal hörte, und ich rede nicht von fernen Erinnerungen, wenn ich die Platte über die Jahre wieder und wieder auflegte. Fire Music! „Speaking of fire….“ (m.e.)

  • kurze randnotizen, haltbar einen tag, vielleicht viel länger, und einmalig wie wir alle

    SONG FOR CHE. das ist mal wieder ein ecm-cover nach meinem geschmack und erinnert mich an die atmosphären einiger neuerer skandniavischer landschaftsfotos von ingo. zwei dinge (eigentlich viel mehr), zum einen erscheinen heute ein paar vielversprechende musikalben von father john misty (wirklich heisser scheiss!), michael kiwanuka und jeff parkers ETA IVtet, die einige plätze unserer jahresendlisten durcheinanderwirbeln könnten (die traumhafte neue arbeit taking turns von jakob bro kommt erst in einer woche raus, übrigens im verbund mit einem tollen solobassalbum, seinem ersten, von altmeister arild andersen, das mit einer unwiderstehlichen verschmelzung der zwei klassiker „song for che“ und „lonely woman“ ausklingt) – jedenfalls bei denen, die dieses spiel gerne spielen.

    WENN DER TEE IM KREIS RUMGEHT. und dann möchte ich, das ist das zweite ding, auf eine platte hinweisen, die genau das geschafft hat, nämlich meine top six aufzumischen, und das sage ich hundert pro ohne jene flüchtige anfangseuphorie, die wir alle kennen, und die sich dann auch wieder rasch legt – ich stiess auf das album durch ein foto und eine frage von henning, und dann waren jan bang und henning ratzfatz dabei, ihre begeisterung zu teilen und mit eigenen live-erfahrungen anzureichern. nun können die beiden gerne viel erzählen, wenn der tag lang ist, und der tee im kreis rumgeht, deshalb muss so ein feuer lange nicht überspringen, aber dann fand icn bei discogs dieses opus als doppelalbum vor, auf vinyl, zu einem erschwinglichen preis (ich möchte mit diesen satzbauten die spannung etwas steigern, das kann schon nerven kosten) also, wo war ich, ähem, das teil kam dann gestern abends bei schnee und eis an, und, wie am vortag, bei meiner entdeckung einer 50 jahre alten „krautgitarrenscheibe mit echoplex“ namens „samtvogel“, legte ich die erste hälfte des doppelalbums im dunkeln auf, und dachte, allerdings im rundum geflashten sinne: was ist denn hier los!?

    PRODUCED BY SHABAKA HUTCHINGS. erst danach entdeckte ich das kleingedruckte, dass das teil nämlich auf native rebel recordings rausgekommen ist, schon im märz, wie auch das wunderdyabhingiwerk von ank anum, und noch dazu wurde es von einem gewissen shabaka hutchings produziert, und wer da alles dabei ist, leute wie leafcutter john, tom herbert, floating points…. aber namen sind hall und brauch, und allein der impact zählt, und das teil hat mich auf anhieb umgehauen, ergriffen, und allein mit verweis auf meinen status als „redaktör“ dieser veranstaltung – 😂 – mache ich von meinem schweigerecht gebrauch – 😅- und verweigere die auskunft, ob ich auf meiner petrolcouch eine klassische yogilevitation erlebt habe. like the sky i‘ve beeen too quiet von ganavya ist wahrlich ein hammerteil, und neben arroj aftab eine weitere hochspannende stimme aus indien, die sehr eigene dinge macht, mit fabelhaft sich drumherum ausbreitenden landschaften, weit weg von der urindischen tradition, dafür nicht minder (lieblingswort jetzt), archaisch. m.e.

  • All We Imagine As Light (Kinostart: 19. Dezember)

    Wahrscheinlich ist das nicht nur in meiner kleinen Welt einer der berührendsten Filme des Jahres 2024, den niemand von uns bislang gesehen hat. Sicher war ich mir darin, nicht allein durch das Lesen der nachfolgenden Besprechung von Stephen Trousée, sondern bereits durch die Betonung der Rolle der Filmmusik, die von einer meiner Favoritinnen aus der Ethiopiques-Reihe gespielt wird: eher selten, dass ich der Musik von Nonnen andächtig lausche. HIER eine feine Besprechung ihres Vermächtnisses „Souvenirs“ bei Pitchfork. Rein intuitiv glaube ich, dass All We Imagine As Light sich schwebend leicht Henning Boltes alles anderes als bloss „hingekritzelter“ Filmliste zugesellen könnte. (m.e.) 

    Die außergewöhnliche Musik von Emahoy Tsegué-Maryam Guèbrou entstand aus einem akuten Heimweh heraus. 

    Aufgewachsen in einer wohlhabenden Familie im Addis Abeba der 1920er Jahre, wurde sie zunächst von den italienischen Faschisten und dann von den revolutionären Unruhen in den 1970er und 80er Jahren aus Äthiopien vertrieben. Die zweite Hälfte ihres langen Lebens verbrachte sie im Exil, als Nonne in einem Jerusalemer Kloster.

    Werbetreibende haben das schon lange erkannt, und jeder, von Walmart bis Amazon, nutzt ihre unheimliche Fähigkeit, die mystischen Akkorde der Erinnerung zu spielen. 

    Aber ihre Musik hat noch nie ein so sympathisches Zuhause gefunden wie auf dem Soundtrack zu Payal Kapadias glorreichem Debütfilm. 

    Kapadia machte sich einen Namen als Regisseurin von verträumten Dokumentarfilmen, die in sehr realen Kämpfen wurzeln (sie gewann 2021 in Cannes für A Night Of Knowing Nothing, einen Film über Anti-Modi-Studentenproteste, der wie ein Liebesbrief der jungen Agnès Varda an Chris Marker wirkte).

    Ihr neuer Film beginnt im Dokumentarstil – die Kamera streift durch die wimmelnden Straßen von Mumbai, während die Bürger im Voice-over über die Reize und Herausforderungen der verführerischen, aber flüchtigen Freiheiten der Stadt sprechen. In aller Ruhe konzentriert sich der Film auf die Beziehung zwischen drei Frauen, die in einem innerstädtischen Krankenhaus arbeiten.

    Anu ist eine junge malaiische Krankenschwester, die sich bei der Arbeit langweilt und die Stunden bis zu ihrer nächsten Verabredung mit ihrem muslimischen Freund mit einer SMS verbringt. Prabha ist ihre ernste, wehmütige Mitbewohnerin und Kollegin in den Dreißigern. 

    Sie ist verheiratet, aber ihr Mann arbeitet in Deutschland und hat seit mehr als einem Jahr weder geschrieben noch angerufen. Parvaty ist eine angeschlagene Krankenhausköchin, verwitwet und steht kurz vor der Zwangsräumung ihres Hauses durch Bauunternehmer.

    Der Film folgt den beiden durch die Monsunzeit bis zum Ganesh Chaturthi-Fest und zeigt eine Stadt und ihre Bewohner, in der es von schillerndem, vielfältigem und einsamem Leben nur so wimmelt. Anu ist frustriert bei ihren Versuchen, ein Stelldichein mit ihrem Freund zu arrangieren. 


    Prabha wird von einem verliebten, dichtenden Arzt umworben, sitzt aber bis spät in die Nacht in ihrer Küche und umarmt den Reiskocher, das letzte Andenken an ihren entfremdeten Ehemann. Und Parvaty findet keine Hilfe in ihrem Kampf gegen die Bauunternehmer und ist gezwungen, ihre Sachen zu packen und in ihre Heimat in der Nähe von Ratnagiri, einem kleinen Dorf an der Küste von Mumbai, zurückzukehren.

    Anu und Prabha helfen ihr beim Umzug, und weit weg von den verregneten Straßen Mumbais, in der Sonne, der Brandung und den wilden Wäldern, hat jede der Frauen ihre eigene persönliche Offenbarung. 

    Es fühlt sich an wie ein Traum, und ihr verwunschenes Arden am Meer könnte einen an Satyajit Rays Klassiker Days And Nights In The Forest von 1969 denken lassen . 


    Aber Kapadia hat eine ganz eigene Welt geschaffen, mit Figuren, die so reichhaltig und glaubwürdig sind wie die Frauen von George Eliot oder Sally Rooney. Durch all ihre hoffnungsvollen Wanderungen schlängeln sich die Klavierlinien von Emahoy Tsegué-Maryam, endlich zu Hause.

  • „jeff parker and the way out of easy“

    Jeff Parker ist kein auffälliger, ausgeflippter Gitarrist. Alles, was er tut, hat einen Hauch von Metheny’scher Virtuosität, aber in der Regel spielt er nach einer rücksichtslosen harmonischen Logik, die sich aus dem genauen Hinhören auf das ergibt, was seine Bandkollegen tun. 

    “Late Autumn“

    In seiner Arbeit geht es oft um den kreativen Einsatz von Wiederholungen, und das ist auch die Art und Weise, wie dieses Ensemble als Einheit auftritt. Die Musiker beginnen jedes Stück mit einem einfachen Riff, das wiederholt, imitiert und verändert wird, bis es die Initialzündung für nachdenkliche Improvisationen liefert.

    Was manchmal schwer zu glauben ist, ist, dass es sich um ein reines Live-Album handelt, das von Tontechniker Bryce Gonzales aufgenommen wurde, der vier Mikrofone aufstellte und sie in ein Zwei-Spur-Mischpult einspeiste, um die Band in Echtzeit zu mischen. Alle vier Musiker verwenden Effektgeräte, aber keines wurde in der Nachbearbeitung oder im Mix eingesetzt – alle werden in Echtzeit eingesetzt. 

    (John Lewis, Uncut)

  • Fairouz: Maarifti Feek


    Fairouz is a very famous Lebanese singer and I’ve been listening to lots of different tracks of hers over the past few years. But there’s some really great ones on this album, and it inspired my most recent record – not in a direct way, just that when you listen to something a lot, it gets in your head. This record took on a funky sound, which I think was a shift for Fairouz, as she started working with her son. The song “Li Beirut” is very moving to me right now, because of what’s going on in Lebanon. It’s like her love song to Beirut, written during the civil war, and it’s kind of devastating.

    Julia Holter

    (After the interview with her, thanks to Olaf for support, I looked out for this album, and though it cannot measure it with an immaculate Western production, such little limititations are easily transcended by the beauty and the power of the music.)

  • From Silverado (No. 5/10)

    • (Kevin Kline) „You’re wearing my hat. What else you got that’s mine?“ 
    • (Hat Thief) „Mister, I don’t know what you’re talking about.“ 
    • (Kevin Kline) „I hope your fingers aren’t tickling my ivory handled Colt. You stand up real slow and let me see and you might live through this night.“ 
    • (Hat Thief) „Sure“