Beth, Jessica & Julia

Nun ist es endlich soweit, am Freitag erscheint mein Album des Jahres, Beth Gibbons‘ „Lives Outgrown“. Und da alle Wahrnehmung voller Filter ist und nichts mit den Dingen und Klängen an sich zu tun hat, mag jeder seinen eigenen Reim zu meiner Begeisterung finden. Oder kühne Gegenrede. Es geht mir auch nicht um Superlative, wenn ich hier mit meiner Pflegetochter im morgenkühlen Wartezimmer hocke und wir auf eine sanfte Therapie ihrer Sonnenallergie hoffen (obwohl sie aus Afghanistan kommt, 17 Lenze jung ist, liebt sie schon ein, zwei Alben von Keith Jarrett und Lee Perry, und das ohne pädagogische Tricks). Es geht um die Wucht, mit der mich Musik erreicht, und in dieser Hinsicht bilden auch die beiden Alben von Jessica Pratt und Julia Holter („Here In The Room She Moves“) kein Spalier für eine Meisterin aus England, sondern liefern seelenverwandte Kraft, eine Tiefe voller Abgründe, und Finesse jenseits des Geläufigen.

Die Juli-Ausgabe von Mojo erreichte mich heute morgen, und ich freue mich auf die Lektüre von Ted Kesslers Begegnung. Man kann ein Interview kaum trefflicher ankündigen als in den ganz oben als Screenshot angegbildeten Zeilen. „Are you ready for the singer-songwriter who finds Leonard Cohen upbeat?“ Wunderbar. So aussergewöhnlich die Klangfelder der Arbeiten von Julia und Beth sind (und Olaf und ich hatten das Vergnügen, mit beiden Alben schon eine Weile zu leben, und auf einem Blog, der absichtlich unter dem Radar existiert, die ersten Besprechungen netzweltweit zu verfassen), so sehr mag das flüchtige Hören von Jessicas „Here In The Pitch“ Stirnrunzeln provozieren und die Frage nahelegen: „was ist denn hier bitteschön das So-Besondere, in diesem Zeitlupenpastell, alten Zeiten abgelauscht?!“ Allein, manche Hörerin wird schon beim ersten Mal spüren, dass die stille Wucht, die diese erstmal seltsam verhuscht wirkenden Songs entfalten, nicht auf einen schnellen Spruch warten, oder griffige Analyse. Der magische Faktor X rauscht halt mitunter noch duch das allerfeinste Sieb unserer einordnenden, rubrizierenden Sprache. Bleibt die Poesie! Bleibt die Sprachlosigkeit! Bleibt das Gespräch, das voller Stories ist und das Unaussprechliche voller Anmutungen und Witz umkreist! (m.e.)

4 Kommentare

  • Olaf Westfeld

    Beth und Julia – beides tolle Alben!
    Die Songs von „Lives Outgrown“ habe ich bisher nur einmal gehört und dabei zugesehen, wie es langsam dunkel wurde. Am Wochenende werde ich mich da tiefer rein versenken, wenn denn hoffentlich die LP ankommt.

  • flowworker

    Ich kannte Jessica Pratt bislang nicht wirklich, und das war dann doch eine spezielle Entdeckung. Bei City Sling befindet sie sich in guter Nachbarschaft von Kurt Wagner / Lambchop.

  • Michael Engelbrecht

    Die Schallplatte von Beth kam vor einer Stunde, und so am Stück, in formidabler Klangqualität, habe ich sie natürlich noch nicht gehört. Mit gefütterter Hülle, Pressung 4 von 5, und diese Musik, oh my god. In meiner Welt geht es kaum deeper.

    Da wir hier unter uns sind … und mittlerweile kann ich die Texte fast mitsingen – wie oft hörte ich einzelne Tracks im Auto wieder und wieder auf gebrannter CD (legal, vom waterproof download)…

    …hier und da und dort eine Träne, das Rinnsal zieht eine Spur: die Ergriffenheit, die ich hier erlebe, trifft den hauchdünnen Raum zwischen einem süssem Schmerz der Melancholie, und absolutem Sich-Lebendig-Fühlen. Auch wenn es sich seltsam anhört angesichts der sich tummelnden Verlustmeldungen in diesen zehn Liedern: ein Trank des Lebens… Leben heisst sterben lernen, dieser alte Aphorismus von einen andern Michel…here we go..here we live!…

    Gestern Abend sah / hörte ich mit mickrigen Sound auf dem ipad das jüngste Songvideo, Lost Changesm ein im Grunde erschütterndes Lied, und Marjan kam aus der Küche gerannt und sagte: wunderschön.

    Zum Video, laut Rolling Stone: Photographer Juno Calypso made the video for Lost Changes, her directorial debut. The clip deals explicitly with nostalgia as scenes of childhood flicker on the TV in the back of a pink-lined limousine and a couple has an argument in front of a subway map.

    Ich selbst bin nur sehr selten an Videos zu Songs interessiert, weil mich da s Sehen vom Hören ablenkt. Das war bei diesem Video nicht anders. Ich mag, wenns den sein soll, karge lyric videos, mit dem sich entwickelnden, lesbaren Text und kargen visuellem Input.

  • Michael Pilz

    Ee ist wie immer wenn Beth Gibbons in ihrem Element ist: ungeschminkt, Pullover, Jeans. Und auch wenn sie vom Alter singt, von Abschied, später Mutterschaft und Wechseljahren, klingen ihre Lieder völlig neu und wie nichts anderes. Das Schlagwerk spielt zwischen den Takten: Pappkartons und Tupperdosen, Holzschubladen, Kuchenbleche und Kisten voller Gardinen. Hackbrett, Ukulelenbass und Kinderlaute, Blockflöten und Tierstimmen machen aus ihren Liedern etwas, was man so noch nie gehört hat und nie wieder hören wird. „Auf einer Reise dorthin, wo die Lebenden nie waren“, singt Beth Gibbons.

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