• Talking Triage – Erik Honoré‘s fantastic album (1)

    The Bone Setter 
    Erik Honoré: live sampling, samples, synthesizer 
    Sidsel Endresen: voice 
    Jan Bang: live sampling 
    Kirke Karja: piano samples 
    Eivind Aarset: guitar and electronics 
    Text from ”Early Care Of Gunshot Wounds” (US Surgeon General’s Office), read by Mary Ann Spiegel 

    In einer Station der Métro. Die Erscheinung dieser Gesichter in der Menge. Blüten auf einem nassen schwarzen Stamm.“ So ungefähr lässt sich der berühmte Dreizeiler von Ezra Pound ins Deutsche übersetzen, der mir nach den Lyrikinterpretation meines Lehrers Dr. Egon Werlich, unlängst neu begegnete, in der Verarbeitung von Erik Honoré, auf seinem dritten Soloalbum „Triage“. Folgendes erzählte er mir dazu (aber ich werde noch eine Geschichte anzufügen haben, die, so hoffe ich, deutlich machen wird, wieso „Triage“ zu meinen fünf Alben des Jahres 2024 zählen wird, neben denen von Beth Gibbons, Shabaka, Fred Hersch, und vielleicht Eric Chenaux) …

    Prague 
    Erik Honoré: samples, live sampling, synthesizer 
    Nils Petter Molvær: trumpet 
    Bjørn Charles Dreyer: guitar 
    Mats Eilertsen: double bass samples 
    Ingar Zach: percussion samples 
    Honoré/Molvær recorded live in Prague by Johnny Skalleberg 

    „Ich betrachte „Triage“ als dritten Teil einer losen Trilogie, die mit den Alben  „Heliographs“  und  „Unrest“ begann. Dieses dritte Album befasst sich mit Themen, die ich schon zuvor erforscht habe. Für mich ist diese Arbeit eine Reise durch dunkle Zeiten, durch Erfahrungen, Atmosphären und Stimmungen in turbulenten Jahren von politischem, sozialem, und persönlichem Aufruhr.  Ich denke, das Album ist ein Versuch, verschiedene Themen  miteinander zu verweben, bestimmte Muster zu erkennen, und das Drängende vom Weniger Drängenden zu trennen.

    Hope Is The Thing With Feathers  
    Erik Honoré: samples, live sampling, synthesizer, synth bass 
    David Toop: flutes, flute samples 
    Jan Bang: live sampling 
    Eivind Aarset: guitar and electronics 
    Mats Eilertsen: double bass 
    Anders Engen: drums 
    Sidsel Endresen: voice samples 
    Basic tracks recorded live at Punkt 2017 by Sven Persson 
    Text by Emily Dickinson, read by Maryan Karwan 

    Das genau ist ja auch die Bedeutung des Wortes „Triage“, dass man hochproblematischen  Dingen gegenüber weniger wichtigen den Vorrang geben muss, vor allem im Angesicht von Chaos. Und dieser thematische Fokus auf Dringlichkeit und Entscheidungsfindung unter schwierigen Umständen… ich denke, das bildet das Rückgrat des Albums, neben der Art und Weise, wie ich die Texte ausgewählt habe.

    Ich habe Literatur als Ausgangspunkt für die Kompositionen von „Triage“ gewählt. Einige dieser Texte sind als Spoken-Word-Passagen auf dem Album geblieben, während andere verschwunden sind, nachdem sie als Inspiration und Auslöser für die Musik gedient hatten. Ezra Pounds Gedicht „In A Station Of The Metro“ ist faszinierend, genauso wie sein Werk und sein turbulentes Leben sind, auch wenn seine Politik später eine schreckliche Wendung zum italienischen Faschismus genommen hat. 

    In A Station Of The Metro 
    Erik Honoré: live sampling, synthesizer, field recordings 
    Sidsel Endresen: voice 
    Arve Henriksen: trumpet 
    Jan Bang: live sampling 
    Kirke Karja: piano samples 
    Text by Ezra Pound, read by Tim Nelson 

    Das Gedicht „In a station of the metro“ ist ein dreizeiliges Meisterwerk, das mir ein perfekter Ausgangspunkt für ein Stück zu sein schien, das eine Vielzahl von scheinbar unverbundenen musikalischen Elementen integriert. Pounds Gedicht fängt die flüchtigen, ephemeren Momente menschlicher Verbundenheit in der belebten städtischen Umgebung einer Pariser Metrostation ein. 

    Auch wenn das Stück keine tatsächlichen Samples aus einer Metrostation enthält, hoffe ich, dass es dennoch die Atmosphäre eines solchen Ortes vermittelt. Die Klanglandschaft ist so aufgebaut, dass sie das mannigfaltige Gefühl der Metro widerspiegelt, diese Mischung aus Chaos und Ordnung, Bewegung und Stille – und das wird nicht zuletzt durch den Einsatz von Sidsel Endresens Stimme und Arve Henriksens Trompete erreicht. 

    Beide, Sidsel und Arve, wurden ursprünglich in ganz anderen Zusammenhängen gesampelt, aber diese Fundstücke wurden nun als zentrale Elemente der Komposition verwendet. So entsteht eine eigne Atmosphäre durch die Verflechtung ganz verschiedener Ebenen, was vielleicht die Art und Weise widerspiegelt, in der Ezra Pounds Gedicht das Alltägliche und das Tiefgründige einander gegenüberstellt.

    (Fortsetzung folgt / To be continued in a silent hour, incl. the English translation)


  • Taking Turns

    “I’m Not Really so Impressed by the Guitar Playing; I’m More Interested in Hearing People Talking to Each Other on Their Instruments” (Jakob Bro)


    Es begann alles auf dem Flowworker-Blog mit einem Gedankenaustausch zu dem Schlagzeuger Paul Motian. Und nun: ein Traum. Alle sechs sind sich vorher oder nachher begegnet, live, in Studios, als Duo, Trio, privat, wie auch immer, aber in dieser Zusammensetzung nie wieder in Erscheinung getreten. Bei aller Vertrautheit, zwischen Respekt und Freundschaft, untereinander: mit „business as usual“ hat „Taking Turns“ nichts zu schaffen. Ein oder zwei Tage in den Avatar Studios. Magie ist nicht programmierbar. Um dem Betriebsgeheimnis dieses zum Jahresende hin erscheinendes Albums nahezukommen, könnte man sich getrost auf die Bildersprache von Träumen einlassen. Tatsächlich stand ich in einem alten Plattenladen in Amsterdam, und sah Henning in einem Fach wühlen, das den Namen „Dream on“ trug. Statt geläufiger Rubriken fanden sich, Fach für Fach, Anweisungen von poetischer Schärfe und Ungenauigkeit. Der Besitzer des Ladens, Greg Fisch, sorgte für ein wenig Unruhe, als er mit Wucht gegen eine Jukebox trat, die sich seinen reparierenden Griffen widersetzte und auf Teufel komm raus nicht „Take Five“ spielen wollte. Lajla liess sich davon nicht aus der Ruhe bringen, und war unter dem Kopfhörer ohnehin in einer anderen Welt anwesend, in der Lucinda Williams von den Geistern eines Highways sang. Auf Wunsch von Rosato lief Jakob Bros „Taking Turns“ auf einem in die Jahre gekommenen Technics-Plattenspieler, und er schien hin und weg. Ich hatte ihn lange nicht gesehen. Wenn ich seine Worte im Dämmerlicht richig verstand, sagte er: „…ganz stark, was diese Sechs an feinen Linien zeichnen. So eine wunderbare melodische und klangfarbige Polyphonie bewegt mich…“ Allmählich übertrug sich die kaum fassbare Stimmung des Albums auf alle, die zuhörten. „Hammer“, sagte ich zu Rosato, „Hammer!“ Ich war zudem noch nie zuvor in einem Plattenladen, in dem nach 18 Uhr Kerzen das verschwindenden Tageslicht ersetzen. Wie gesagt, ein Traum. Wie anders lässt es sich erklären, dass die Musik zehn Jahre in einem Archiv ruhte. (m.e.)

  • Live zählt

    Ganz früher kündeten Bilder, Texte und mündliche Erzählungen von groBartigen, verrückten, merkwürdigen usw. Ereignissen. Tondokumente? Für tausende von Jahren: Fehlanzeige. Nun hat es sich seit 150 Jahren beinahe umgekehrt. Ton und Bild vereint in Bewegung suggerieren ein aktuelles Dabeisein. Vergangene Zeit eingefroren, Gegenwart beliebig wiederholbar. Was noch fehlt, ist das reale Energiefeld, der Geruch, die Temperatur, der soziale Vibe, das Wetter. Das muss Lauschende(r) selbst schaffen.

    Live demnext … Trygve Seim speaking:

    Looking forward to create music in the moment again, together with my heroes Arve Henriksen, Anders Jormin and Markku Ounaskari, at concert venue Stadtgarten in Köln (Cologne), Germany, this coming saturday, October 12th at 8pm.

    I hope to see y’all ( … ) there

  • Breaking The Shell

    „Throughout Breaking the Shell, the trio demonstrates a constant fascination with sound and texture, creating a transcendental work of experimental jazz that is as bewildering as it is exhilarating. It’s a must-listen for anyone who seeks fresh vibes in creative music“ (from Jazztrail, and right so)

    „Und ja, ich bin zwar „für Dreharbeiten“ hier, dokumentiere gerade eine Kollaboration von Kit Downes mit Bill Frisell und drei Streichmusiker/innen. Und in gut zwei Wochen zwei Aufnahmen von Sun in New York. Dazwischen kann man das „Urlaub“ nennen… aber ich nenne es eher Reisen zum Fotografieren und Gespräche führen. Und mal schauen, was ich noch filme.“ (Ingo J. Biermann, Notes from Minnesota)

    So weit ihr Gedächtnis auch reicht, es schwingt ein beträchtliches Quantum Unerkundetes bei den Improvisationen mit, die in New York entstanden sind, in der „St. Luke In The Fields“-Kirche.  Über das Üblich-Unvorhersehbare hinaus, das Improvsationen zueigen ist. Wann hat man schon je  Pfeifenorgel, E-Gitarre und Schlagzeug im Zusammenspiel gehört, noch dazu in einer Klangwelt, die sich jeder Idee  von „Groove“ und „Power Trio“ widersetzt!? Für den Pianisten Kit Downes sind Kirchenräume schon fast eine  vertraute  Herausforderung, hat er solch hallfreudige Räumlichkeiten schon des öfteren bespielt, mit psychedelischer  Klanglust und purer Introspektion. Mit Andrew  Cyrille haben Downes und Frisell zudem einen Meister flirrender Perkussion  an ihrer Seite. In dem exzellenten Film „Music For Black Pigeons“ spricht Bill Frisell darüber, dass, aucb nach all den Jahrzehnten, jeder Griff zur Gitarre wie ein neuer Anfang erscheine. Nun kommen bei dieser Geisteshaltung des „steten Anfangens“, die jeden Zen-Schüler auszeichnen würde, auch durchaus routinierte Klänge zustande, aber hier in einer Kirche, die vom Namen eher an eine schottische Wald- und Wiesenkirche erinnert, darf durchaus von „Pionierarbeit der meditativen Sorte“ geprochen werden.

    Feinste Schwingungen sind Programm. Keine vertraute Rhythmik, kein sakrales Liedgut, kein Feuerwerk der Instrumente, die ja, alle für sich genommen, laut und wild auftrumpfen könnten.  „In-Den-Klängen-Aufgehen“, neudeutsch „deep listening“,  genau das ist empfohlen. Akribisch auch die Vorbereitung der Produktion: der Produzent Sun Chung hatte 30 Kirchen und Kapellen auf ihre Tauglichkeit getestet. Bill Frisell und Kit Downes erinnern sich an die Produktion, und ich habe ihre Aussagen Ingos bewegten Bildern entnommen.

    Als wir zu spielen begannen, war alles so einfach“, erinnert sich Bill Frisell. „Und das überraschte mich schon. Diese riesige Orgel nimmt Raum ein, aber zur gleichen Zeit gibt sie mir an der Gitarre und Andrew jede Menge Platz, uns um sie herum oder in sie hinein zu bewegen. Zuerst dachte ich, sie könnte überwältigen, und alles zudecken. Aber so war es nicht. Die Art, wie die Sounds da im Raum wandern, nun, das ist schon das Gegenstück von einem normalen Tonstudio.“

    Und Kit Downes ergänzte: „Bei der Aufnahme musste man sich durch bestimmte  Puzzlestücke navigieren, aber genau das war Teil der Freude bei  diesem Prozess, den perfekten Ort zu finden, an dem etwa das Schlagzeug präsent ist  „voll da“ ist,  und nicht in der Weite des Raums verloren geht. Und ich kann mit der Orgel  ein rhythmisches Empfinden beisteuern, ohne dass es zu wabernd klingt. Es gilt also, mit all diesen Parametern ein wenig zu spielen.“

    „Breaking The Shell“ ist eines dieser Alben, die nicht auf Anhieb fesseln. Dem Unerhörten gilt es Zeit zu geben. Dann finden sich die überraschendsten Entdeckungen, wie die von zwei Hörern, die mich nach der letzten Ausgabe der JazzFacts unabhängig voneinander auf gewisse Momente hinwiesen, in denen der „spirit“ der Doors spürbar gewesen sei. Ein „Ray Manzarek memory vibe“ – und das hörte ich dann auch.*

    HIER Ingos Kurzfilm zum Album, und hier „Sjung Herte Sjung“, das auf einem alten Folksong basierende Stück des Trios, das ich in den JazzFacts spielte. „Breaking The Shell“ ist als LP, CD, und DL verfügbar, und gehört in meine Liste der 10 besten Jazzalben des Jahres.

  • Fasten mit Anna und Chet und Co.

    1 – Visualize yourself in the studio with the band. In meiner, über drei Tage andauernden, kleinen „Höhlenmeditation mit Traumtagebuch“, eine freundliche Umschreibung für eine „Kurzfastenkur“, hörte ich gestern, am ersten Tag, Chet Baker, eine tolle Aufnahme aus dem Hause „Jazz Detective“. Martin Wieland und das Tonstudio Bauer (ECM-Meriten!) hätten den Sound des Trompeters und Sängers Ende der Siebziger Jahre nicht transparenter einfangen können. Dieses Doppelalbum namens „Blue Room“ stelle ich gleich neben die damaligen traumhaften Aufnahmen von Chet Baker für das dänische Label Steeplechase. „Blue Room is one of those recordings that sounds great when you turn up the volume on your amp, close your eyes, and visualize yourself in the studio with the band.“ Sagt Mark Smotroff.

    2 – Ein Paar voller Gegensätze. Vor dieser Zeit des kontrollierten Rückzugs hielt ich nach sechs Alben Ausschau, auf die ich totale Lust verspürte, zwei für jeden Tag. Und nach einer Ersatzplatte, falls ich einmal völlig falsch liegen sollte. Jedes bewusste Fasten sollte mit gezieltem Überfluss einhergehen, aus Gründen der Balance. Wunderbare Musik kreiert so einen „overflow“. Für den ersten Tag bildete „HYbr:ID III“ von Alva Noto den Abschluss, ich schrieb gestern darüber. Alle sechs Werke sollten aus recht verschiedenen Welten stammen (was ich nicht durchweg einhalten konnte), für heute ist allerdings ein ganz spezielles und kontrastreiches Paar vorgesehen – für den späten Abend (und Scotch & Candlelight) liegt „Bleed“ von den Necks parat. Endlich ist die Cd angekommen. Den Download hörte ich schon vor Wochen auf kleinen Lautsprechern, ich erinnere mich an ein Gespür für „decay & breath“, ein Spiel mit „dissolving patterns“: eine Klangstudie, die eher wie geträumt daherkommt, als mit Muskeln in Szene gesetzt.



    3 – Easy listening with twists and turns. Grosse Freude bereitete mir am Vormittag ein echtes Highlight dieses Jahres aus dem Hause „International Anthem Records“, „Mighty Vertebrate“, von der Bassistin Anna Butterss (s. Cover). Eine Prise Lalo Schifrin hier, ein Hauch von Labradford da – kann das gutgehen? Meinen Toast kriegt Anna: ein Hoch auf den heiteren Tiefgang des Post-Rock-Jazz aus Chicago und Umgebung! Das Album brachte mich wahlweise zum Schmunzeln und Schweben – der Groove steht im Mittelpunkt dieser durchweg heiter-tiefsinnigen Musik, und die Methoden, dorthin zu gelangen, sind alles andere als didaktisch. Dermassen entspannt-fesselnd, dass ich das ganze Teil zweimal hintereinander hörte und immer noch nicht genug bekam von diesem „easy deep listening with twists“!

    4 – Die Ersatzplatte. Und für das Finale morgen habe ich aus meinem Archiv zwei Alben hervorgekramt, an denen die Zeit nicht spurlos vorüber gegangen ist: „Distant Hills“ von Oregon (Rosato und Brian sind nicht die einzigen aus unseren Kreisen, die diese Scheibe lieben!) – und „Under The Sun“ vom Human Arts Ensemble. Mit Lester Bowie und einem besonderen, west-östlichen Klangrausch. Bei diesen zwei „Klassikern“ werde ich nicht falsch liegen, und darum wird die „Ersatzplatte“ nicht zum Einsatz kommen, die ich ein Vierteljahrhundert nicht mehr gehört habe: „Lift“ von Volker Kriegel. Aus dem Hause MPS. Ich glaube, jeder , der bis hierhin gelesen hat, wird unter diesen sechs / sieben Alben die eine oder andere neue / alte Lieblingsplatte ausfindig machen.

  • Alva Noto: HYbr:ID III

    Meine kleine Hörgeschichte mit Alva Noto alias Carsten Nicolai begann, als ich seine erste Zusammenarbeit mit Ryuichi Sakamoto hörte. Über viele Jahre hat er eine unverwechselbare Klangsprache geschaffen, die so reichhaltig ist, dass ich bei jedem Album, das mir begegnete, eine Art Vorfreude verspürte. Enttäuscht wurde ich nie. Und, wiederkehrend, die Frage: wie kann eine Musik, wie mit dem Skalpell gefertigt, so tief rühren? Nun also HYbr:ID III. Inspiriert von der uralten Tradition des japanischen Noh-Theaters, mit seiner Kunst kleiner Gesten. Es braucht keine fernöstliche Quellenforschung, um diese Musik auf sich wirken zu lassen, die sich, einmal mehr, kleinsten Motiven verschreibt, und daraus maximale Wirkung schöpft. Jedem vertraut, der einmal an diesen Sounds teilgenommen hat, sie als Rätsel begreift, Verlockung, stillen Tanz. Du kannst dazu, mit Augenzwinkern, deine kleine Teezeremonie beisteuern. Beiliegend, alle Graphiken für jede einzelne Komposition, raumgreifend. Eine Art Bilderbuch.

  • Wilco in Dortmund am 25. Juni 2025

    Wer Lust hat, besorge sich umgehend bei Eventim oder sonstwo die Tickets für Wilco. Dortmund ist meine Heimatstadt, und ich freue mich, wenn ein paar unserer Leser und Flowworker/innen nach Ostwestfalen kommen, am besten einen oder zwei Tage vorher… ich gebe den Animateur im Westfalenpark, bei Strobels, in der Hafenkneipe, in der Bolmke, und sonstwo. Anfang Juni führen die Flaming Lips in Köln ihr grossartiges „Yoshimi“-Album auf: zwei meiner Lieblingsbands in einem Monat erleben zu können – fabelhaft! Wer Dortmunder Stadtluft schnuppern möchte, sei daran erinnert, dass in genau zwei Monaten, am 4.12.24, zwei Tage vor unseren berüchtigten „Nikolauslisten“, Jakob Bro im Domicil spielt, mit Arve Henriksen und Jorge Rossy. Auch da werde ich vor Ort sein. Wahrscheinlich Jakob interviewen zu seinen Brüsseler Konzerten 2024, aus denen ein weiteres Bro-Opus entstehej wird. Wie sieht‘s aus, Norbert, Lorenz. Toni, Anonymus, Michael Z., und Co.?! Bislang war mein Dortmunder Rockkonzert forever and a day, das Doppeltrio von King Crimson in dem Neunzigern (ein heisser Sommertag im Park).

  • A(n) (not so) imaginary radio hour for Steve T.

    Unionen: Unionen (WeJazz) * 
    Steve Tibbetts: Life Of
    Underworld: Strawberry Hotel
    Arild Andersen: Landloper (ECM)

    Laura Cannell: The Rituals of Hildegard Reimagined 
    Hayden Thorpe: Ness 
    Rachel Musson: Lludw A Llwch, Daear A Nef

    Danish String Quartet: Keel Road (ECM)
    Tindersticks: Soft Tissue
    Steve Tibbetts: Life Of
    Downes / Frisell / Cyrille: Breaking The Shell (Red Hook) 

    * Unionen  is: Per „Texas“ Johansson; tenor saxophone, clarinet, contrabass clarinet, cor anglais & flute  / Ståle Størlokken; grand piano, fender rhodes & synths / Petter Eldh; double bass, electric bass & mpc / Gard Nilssen; drums & percussion

  • Visiting the Midwest

    Auf meiner Fahrt von Chicago durch Wisconsin ins linke Minneapolis beobachtete ich an mir selbst, wie ich immer ins gedankliche Kopfschütteln über „die leichtgläubigen, gern für dumm verkauften Amis“ kam, wenn am Straßenrand „Trump / Vance 2024 — Take America back“-Schilder standen. Dann aber auch immer wieder innerlich aufatmete, als ich sah, dass es auch Schilder mit „Harris Walz — Ein neuer Anfang“ (oder so ähnlich) gibt. Steve, den ich in St Paul besuchte und der in Wisconsin aufgewachsen ist, meinte gleichwohl, dass der Staat zum größten Teil Trump Country sei, allenfalls Madison und zum Teil Milwaukee seien blauer eingestellt. Ebenso sähe es eben in Minnesota aus, bekanntlich aktuelle Arbeitsstätte von Tim Walz. Und man sieht es sofort in den Cafés und auf den Straßen, dass die Menschen hier alle recht offen wirken und sehr für Kamala Harris sind. Schilder vor jedem Haus.

    Ich bin wie immer mit einem Mietwagen unterwegs; diesmal zum ersten Mal mit einem „EV“, einem electric vehicle, und zwar einem der Gefährte aus dem Hause von Trump-Fan Elon Musk. Ein zwiespältiges Vergnügen also, doch bin ich durchaus erstaunt, wie weiterverbreitet EVs hier schon sind; es gibt überall Ladestationen — die beiden Midwesterner (inkl. Steve), die ich länger gesprochen habe und die auch nicht mehr die jüngsten sind, haben zu meiner Überraschung schon eine eigene Ladestation am Eigentumshaus, und die Leute, die diese Autos fahren (ich sehe sie an den Ladestationen), sind die unterschiedlichsten Personen, sicherlich keine, die in die „grüne“ Klischeekiste passen. Nur der Typ bei der Autovermietung wollte mich partout dazu überreden, doch besser einen Benziner zu nehmen.

    Ich selbst bin mit einem Roter-Nagellack-Gefährt unterwegs, und habe nach einiger Herausforderung (absolut niemand bei Hertz hat mich instruiert, wie das alles geht und worauf man achten muss) mittlerweile ein ganz gutes Gefühl für dieses Auto bekommen. Man muss nur wissen, dass es niemals weiter als 256 Meilen reicht, was im Mittleren Westen vielleicht eine kleine Challenge sein kann. Mal sehen. Ich hoffe, ich werde nicht irgendwo liegen bleiben.

    Zufällig komme ich in meinem Motelzimmer in Minneapolis just in dem Moment an, als gerade die „Vice Presidential Debate“ beginnt. Ich hatte keine Ahnung, dass das an diesem Abend stattfindet, und ich habe auch nur aus einer spontanen Laune heraus den Fernseher eingeschaltet, als ich das Zimmer betrat, denn manchmal finde ich das ganz angenehm, bei einem Aufenthalt in einer fremden Stadt, in einem fremden Land ein Grundgefühl für die Welt, in der ich mich gerade bewege, mit Hilfe des lokalen Fernsehens zu bekommen, selbst wenn das dann nur atmosphärisch den Raum füllt, während ich andere Dinge tue.

    Der Debatte hätte ich nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt, wäre ich nicht zufällig live draufgestoßen, und hier, zur passenden Abendzeit dabei zu sein, hilft natürlich, da ich sicher nicht nachts um drei oder vier Uhr vor der Live-Übertragung sitzen würde. Der Schlagabtausch war dann unerwartet fesselnd, und mir scheint, dass J.D. Vance da weitaus mehr Gewinne eingefahren hat als Tim Walz, da er wirklich unglaublich redegewandt rüberkam, sich ausgesprochen bürgernah präsentieren konnte und sich wirklich bei jedem Thema aus dem FF (Effeff?) so äußern konnte, als habe er, im Gegensatz zu Trump, durchweg fundiertes Wissen und eine sehr klare Haltung (selbst ein Hauch von Selbstkritik gelang ihm unangreifbarer als Tim Walz), blieb dabei aber jederzeit politisch „slick“, er wusste den Trump-Fans und Trump-Zugeneigten hervorragend in die Karten zu spielen und blieb enorm vehement, selbst wenn ich einiges, was er sagte, echt überzogen fand und inhaltlich sicher nicht teile. Er wirkte souveräner und zupackender als Walz, ließ sich nie die Butter vom Brot nehmen und sprach seinen Kontrahenten wiederholt direkt — und mit Vornamen! — an, im Gegensatz zu Walz, der oft eher in der Defensive wirkte, auch weil er eben nicht so auf Angriff ging wie Vance. Die Berichterstattung hier, etwas bei Politico, deckt sich mit diesen Eindrücken. Vance dürfte ein paar Fans gewonnen haben, auch wenn er die Wahrheit als recht biegsames Gut verwendet, und dürfte Wähler, die wegen Trumps Eskapaden noch zögerlich sind, rübergezogen haben; Walz vermutlich kaum. Vance ließ keine Gelegenheit aus, um über Trumps viele tolle Errungenschaften als Präsident und Harris’ entsetzliche Arbeit während der letzten drei Jahre zu sprechen, was vor den Bildschirmgeräten sicherlich auf fruchtbaren Boden fiel – und von Tim Walz fast gar nicht erwidert wurde.

    Die US-amerikanische Wählerschaft ist nach wie vor 50:50 geteilt, was mann wohl auch nur vor dem Hintergrund unserer eigenen Geschichte (von der NSdAP bis zur AfD) nachvollziehen kann. Die Menschheit wird halt leider nicht klüger und lässt sich nur zu gerne von einem con artist jeden Quatsch verkaufen. Auf dem Weg hierher habe ich diesen NPR-Podcast mit Terry Gross gehört – „How Trump Created The Illusion Of Success“.

    Pulitzer Prize-winning reporters Susanne Craig and Russ Buettner spent years investigating the former president’s finances and various businesses. They dispel Trump’s myth of being a self-made billionaire, and trace the missteps he made, squandering his father’s fortune. Their book is Lucky Loser.

    Sehr zu empfehlen, aber natürlich auch frustrierend zu hören.