„Rock Bottom“ (1974)
Wir hatten uns verabredet, zwei Freunde, und Ingrid U., die Frau, die mich einst bei einem Lagerfeuer mit vielen jungen Hippies und Gitarrengeklampfe, küsste, und es hinterher bereute, weil ich noch nicht reif genug sei, und sie sich nicht wirklich einlassen wolle. Marokko war von zuhause ausgezogen, zwei Strassen weiter, Singerhoffstrasse. Er gab mir ein paar Flugblätter, auf denen stand, dass Robert Wyatt im „Underground“ spielen würde. Wie bitte?! Robert Wyatt?! Ich musste sofort los. Eine riesige Wendeltreppe führte in eine unterirdische Kelleranlage, und ich staunte nicht schlecht, Alan Bangs, Winfrid Trenkler und Klaus Schäfer anzutreffen. – Alan Bangs, okay, Radio, Winfried, okay, Radio… aber wie kommst du hierhin, Klaus? Mein Klassenkamerad vom Max Planck. Ich kannte seine Vorlieben, The Byrds, Leonard Cohen, deshalb wunderte ich mich.
Er lachte nur und sagte, Robert Wyatt und seine Freunde würden ja nicht jedes Mal die Sterne vom Himmel rocken. Soso. Ich ging zu den „Bullaugen“, durch die ich auf eine Art See schauen konnte, von welcher die Musik zu uns herüberströmte. Es störte mich nicht, dass ich die Musiker gar nicht sah, es erklangen Versionen von „Sea Song“ und „Last Straw“, die ich so noch nie gehört hatte. Zwischendurch fragte ich mich, wo der Saxofonist Gary Windo sei. Von Klaus bekam ich noch ein Papier in die Hand gedrückt, mit der „Playlist“. Man würde hier das Album „Rock Bottom“ erarbeiten, hiess es. Ich war wie weggetreten, und erwachte gegen 1.15 Uhr, nach der ersten Traumphase. Das war ein Traum aus dem Jahre 2018, ich machte mir einen Kakao, und schrieb den Traumtext auf. Nichts ausgeschmückt, nichts erfunden. Winfrid Trenkler habe ich übrgens nie persönlich getroffen. Aber ich sah sie schon, die vielen dünnen Fäden auf der Suche nach der alten Zeit….
Ich war noch neunzehn Jahre, als ich „Rock Bottom“ in einem der zwei relevanten Dortmunder Plattenläden stehen sah. Vielleicht war es am offiziellen Erscheinungstag, am 26. Juli 1974, vielleicht etwas später. Neben mir stand ein anderer Musiknarr, etwas füllig, den ich öfter in der „Schallplatte“ sah. Er brachte mich auf den neuesten Stand. Dass Robert Im Jahr zuvor betrunken aus einem hochgelegenen Fenster in London gestürzt war, dass er lange Zeit im Krankenhaus, all das wusste ich aus dem „Melody Maker“, aber völlig unvorbereitet traf mich dieses erste Werk danach. Das blässlich-weisse Cover (nicht unbedingt ein „eye catcher“, Dekaden später tauchte das Album auch mal mit einem farbigen Cover auf). Ich flog bestimmt über die Namen (Gary Windo, Ivor Cutler…). Daheim angekommen, legte ich „Rock Bottom“ sofort auf. Ich war im Himmel, und Robert am „Felsgrund“, am „Nullpunkt“. Ganz nah am Tod, an der Selbstaufgabe. Und er war zurückgekehrt…..
Was er da sang, wie er sang, hauchte, mit der papierdünnen Stimme, umschlang mich. Alle Klänge umrauschten mich. Irgendeiner schrieb in „Sounds“, das wäre halt ein ganz gutes Jazzrockalbum, würde den Stand des Jazzrock in England gut repräseentieren. Was für ein Unsinn. Dieses Album war so, so, so viel mehr. Das ging nicht allein im blidlichen Sinne in tiefste Tiefen. Es dauerte nicht lange, da hatte „Rock Bottom“ sich auf meinem Plattenspieler eingenistet, und bald hatte ich es so oft (und am Stück) gehört wie das fantastische Doppelalbum „Third“ von Soft Machine, mit jener magischen Seite 3, die allein Roberts Song „Moon In June“ gehörte. Ich kehre bis heute zu dem Album zurück, wurde es nie satt. Kann nicht passieren. Seitdem kaufe ich mir so ziemlich jede Platte von und mit Robert Wyatt. Ihn später mit Alfie in London zu treffen, zu wunderbar langen Gesprächen – das waren Sternstunden. Aber nicht im Sinn einer Verehrung, sondern im Sinne einer Verbundenheit. Gegen Ende des letzten Interviews (nach drei Londonreisen „nur“ ein Telefonat) fragte ich ihn nach seiner Version von Federico Lorcas „Cancion Del Julietta“ (aus Comic Opera), einem dunklen Text voller Weltabgeschiedenheit.
„Diese dunklen Träume sind nicht immer nur alptraumhaft, sie öffnen auch eine neue Landschaft aus verstörenden Bildern. Und das macht Lorca oft. Oft sind seine Motive gleichsam unter Wassser angesiedelt, in einem Leben unter der Oberfläche des Ozeans. Tief unten. Das spricht mich sehr an, denn diese Zonen stelle ich mir oft vor, seit der Zeit, in der mein Album „Rock Bottom“ entstand. Mit meinem Geist scheine ich einmal dort gewesen zu sein, auf eine Weise, die ich nicht weiter erklären kann.“
(ein Live-Remix aus alten Mana-Texten, zu dem ich im Hintergrund „Shades of Blue“ von Madlib, und „Second Toughtest of the Infance“ von Underground auflegte. Jaja, 1974…. Jan Reetze veröffentlichte vor Monate seine Liebeserklärung an ein 50 Jahre altes Album, Kraftwerks „Autobahn“. Aus jenem Jahr kämen für mich, sollte mich jemand sponsern, zuallererst folgende zwei Album gewordene „Lebensbegleiter“ in Frage: „Rock Bottom“ und „Taking Tiger Mountain (By Strategy)“. Robert hat auch seinen Auftritt auf Enos zweitem Songalbum – und, falls es jemand nicht weiss, er spielt auch die Pianotöne auf Music For Airports. Erstmals las ich von diesem Ambient – Album etliche Wochen, bevor ich es in die Hände bekam, im „Montanus“ in Würzburg, wo ein Scharfrichter kein gutes Haar an der Platte lies – allerdings konnte er das Teil niedermachen wie er wollte, immerhin erfuhr ich von dem Punkpuristen, dass Mr. Wyatt das Klavier beisteuerte, und da ich schon „Evening Star“ (die sanfte Seite) und „Discreet Music“ liebte, war ich von dem Moment an in fiebriger Erwartung:).