Frühmorgens in der Kantine
Kurz nach acht, in einer nahezu menschenleeren Kantine, sehe ich zum ersten Mal in diesem Jahr, bewusst, einen Weihnachtsbaum. Da ich ewige Zeiten nachts durch einzelne Stockwerke schlich, und angenehm einsame Nächt am Mikrofon kenne, mit zuweilen sehr netten NachrichtensprecherInnen ein paar Zimmer weiter, kenne ich mich mit solchen stillen Räumen in Radioanstalten gut aus. Es hat dann meist was von Vorbereitung. Auf dem Hinweg habe ich auf der Autobahn in Ruhe Jakob Bros „Taking Turns“ laufen lassen, und mir jetzt tatsächlich mit der Melodie von „Mar Del Plata“ einen Ohrwurm gefangen.
Neues zum Nikolaus (2) (mit Jakob Bro, Jeff Parker und Rachel Musson)
Neulich erzählte ich, dass ich keine 20 oder 30 Lieblingsalben mehr ranken werde, sondern nur noch eine überschaubare Zahl von 10 oder 12 („the magic dozen“, all five stars, each of them – here‘s the hopefully unreadable screenshot of my Jakob Bro feature for DLF – mit dem Honorar finanziere ich die Schatzkiste „G stands for Go-Betweens, Vol. 3). Aber was mit dem „Rest vom Fest“, mit dem, was da sonst noch aus Riesenstiefeln rausschaut?
Das werde ich, ohne irgend ein Werk zu doppeln, ganz speziell listen, zB „three magic live albums“. Ihr merkt, Leute, es wird „kleinlich“, und ich habe schon geistvolleres Zeug geschrieben. Trotzdem, ihr könnt es ja machen wie die Dachdecker, vielleicht aber ist das eine Anregung. Und, eine kleine Lektion aus meinem Seninar zum „creative blog writing“: was immer du an banalen Sachen auftischt, kleine Ideen fürs Ranking, fünf Gründe, warum du dich nicht die Bohne für Kendrick Lamar oder The Cure interessierst (8.8. bekommen The Cure im Schnitt bei anydecentmusic für ihr neues Album), zehn Gründe, warum man der Musik von Rachel Musson vielleicht mal lauschen sollte etc., sorgen dafür, dass der Leser mindestens einmal aufhorcht.
In diesem Sinne sähe meine Unterabteilung mit den three magischen Live-Alben also so aus: 1) Jeff Parker: The Way Out Of Easy 2) Sidsel Endresen: Punkt Live Remixes Vol. 3 3) Can: Live in Paris 1973. Alles schön und gut, aber jetzt kommt die eine kleine Information, die, solltet ihr zuweilen meine Einschätzungen teilen, „eure Ohren sperrangelweit öffnen wie Scheunentore“, um meinen Lieblingsaufruf des Free Jazz-Zauberers Karl Berger zum zwanzigsten Mal in dreissig Jahren zu zitieren (und von Free Jazz wird hier gar nicht die Rede sein)….
The Way Out Of Easy vom Jeff Parker ETA IVtet hat mich, trotz des etwas anstrengenden Bandnamens, dermassen ungehauen und bezaubert, von Anfang bis Ende (Toni Nee, du wirst es lieben!), und ich es, auch wenn er schon mal ein ähnlich strukturiertes Live-Album gemacht hat, zu seinem besten Album ever erkläre (das will was heissen bei vier langen Stücken!): kurzerhand: es landet definitiv in meiner „12 shining favourite albums of 2024“, und darf dann (Spielregel!) nicht noch mal gedoppelt auftauchen. Sic: nun lautet mein trio magico der Live-Alben vermutlich wiefolgt: 1) Sidsel Endresen: Punkt Live Remixes, Vol. 2 2) Can: Live At Paris 1973 3) Keith Jarrett / Gary Peacock / Paul Motian: The Old Country.
Und die andere homöopathisch eingeflossene message dieses Textes ist: schaut doch mal, ob Rachel Mussons „Ashes And Dust, Earth And Sky“ euer Gehör findet, die entweder in meiner Top 12 auftaucht oder in er der begleitenden Unterabteilungen, vielleicht in der Rubrik „three magic albums with field recordings and other instruments“ (thanks to Richard Williams). Als ich mir die Cd bei der Künstlerin in England bestellte, lag sie ca. sechs Wochen beim Zoll in Aachen, der ein nicht billiges Wertermittlungserfahren einleiten wollte, schliesslich meinen Besuch anforderte. Ich ignorierte den ganzen Blödsinn, und entnervt schickte man mir das Teil jetzt ohne Extragebühren.
Im Club der Fische
Es gibt ein paar Dinge in meinem Leben, die machen mich derzeit dezent traurig. Alles brach einmal heraus, als ich auf einer Autobahn wieder und wieder „Vitamin C“ hörte, in der Fassung von 1973, die Can damals in Paris aufführte. Man mag eines dieser Felder der Melancholie für leicht absurd halten, aber ich spielte schon immer gerne Detektiv, und nicht mal mein alter Kumpel und Ex-Polizist fand eine heisse Spur zu meinem besten Freund in Volksschul- und Blutsbrüderzeiten. Aber ich fand sein Geburtsdstum heraus, fünf Tage vor meinem (wir sind im Club der Fische), seinen ersten Wohnort vergesse ich eh nie (Weissdornweg 9), und nun werde ich im Dezember im Einwohnermeldeamt von Dortmund auflaufen, und angeblich erfährt man dort für 40 Euro seinen derzeitigen Aufenthaltsort. Und ich will nicht auf einen Scheissfriedhof geschickt werden! Es gibt eine Verbindung zu Matthes, die über reine Erinnerungsseligkeiten und das gemeinsame Singen von „Sunshine Superman“ weit hinausgehen! (m.e.)“Mar Del Plata“
„Taking Turns requires close listening. These musicians are certainly listening to each other. Call it a conspiracy of beauty.“ (Jazzwise)
„Keines dieser Stücke auf „Taking Turns“ endete so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Und das halte ich generell für eine meiner größten Freuden als Komponist. Manchmal denke ich darüber nach, ein Soloalbum zu machen, auf dem ich versuche, der ursprünglich beabsichtigten Vorstellung ganz nah zu kommen. Darüber habe ich oft nachgedacht. „Mar del Plata“ kam als einfaches Lied daher, ich habe es mit Klavier und etwas Gesang gemacht – wer weiß, vielleicht werde ich es eines Tages solo aufnehmen, aber solange die Musik mich immer wieder neu und positiv überrascht, gibt es keinen wirklichen Grund, andere Wege zu gehen. Lieber geniesse ich die Freiheit der Reise, einfach zu erleben, wie sich diese Lieder entwickeln.“ (Jakob Bro im Interview mit Michael Engelbrecht)
„The less-is-more approach and a penchant for pedal-driven atmospherics that Frisell has said owes something his admiration for the ambient recordings of Brian Eno and Robert Fripp, are significant features here, heard to superb effect on the final track, ‘Mar Del Plata’. It’s a gorgeous tune led by the sound of two sinuously entwining electric guitars.“ (Phil Johnson über „Mar Del Plata“
Neues zum Nikolaus
Es gibt Neues zum Nikolausfest und den ab dann langsam hereinschneienden Jahresendlisten der üblichen Verdächtigen. Besonders ein etliche Jahre alter Gedanke von Ingo hat mich zum Umdenken bewogen. Es ist zwar leicht, wenn man so einem Beruf nachgeht wie ich, 20, 25, 30, 33, 50 ziemlich grossartige Musikalben zu listen. Aber ab einer bestimmten Zahl kann man nicht wirklich mehr glaubhaft vermitteln, dass einem Platz 18 besser gefällt als Platz 19. Das nivelliert, das changiert. Aber: zehn, zwölf meiner absolute favourite albums zu listen, das kriege ich hin. Was da alles vom Feld muss – ach, du meine Güte!! Aber so wird es kommen: nur noch meine zehn oder zwölf Favoriten, bei denen ich genau weiss, wieso Nummer 5 vor Nummer 6 liegt (was natürlich allein für mich von Bedeutung ist). Und was den Rest betrifft, da habe ich eine kleine Idee. See you later, allligator!
Kronos meets Hardanger
Ein letzter Besuch in Norwegen für dieses Jahr. Benedicte Maurseth erzählte mir vor einem Jahr, als wir uns zuletzt in Berlin trafen, von einer Anfrage von David „Kronos Quartet“ Harrington, ein 45-minütiges Hardangergeigenwerk fürs Quartett zu schreiben. Er hatte ihr Buch mit Gesprächen mit ihrem Lehrer Knut Hamre gelesen und war davon komplett begeistert. Da sie als Norwegian folk musician das freie Improvisieren (teils auf traditionellen regionalen Melodien, teils aus eigenem Fundus) pflegt, meinte sie direkt, ungeachtet der überaus willkommenen und einmaligen Chance, sie sei doch keine Komponistin, fragte daher bei Kristine Tjøgersen um Rat und letzten Endes Co-Autoren- und Urheberschaft an; sie schreibt nun wiederum die aufgenommenen Improvisationen nieder, collagiert diese neu und arrangiert sie weiter aus, so dass nun letztlich ein Quintett entsteht, mit komplex notierten und frei zu gestaltenden Teilen.
Für das Auftragswerk „Elja“ wurden eigens Instrumente für Kronos gebaut, von einem Hardangergeigenbauer, der jedem, dem ich in Norwegen von dem Projekt erzähle, direkt bekannt ist. „Yes, Ottar! He also built Frida’s fiddle!“ Mit dem Mietwagen fuhr ich zu Ottar Kåsa aufs Land hinaus, um finale Arbeitsschritte an einem der vier Instrumente zu filmen. Für Kronos baute er neben zwei Hardangergeigen auch eine Hardangerviola und ein -cello, jeweils bislang nicht übliche Instrumente, was ihn entsprechend vor spannende neue Herausforderungen stellte.
Nachmittags fuhren wir dann in die Hauptstadt, wo wir abends die beiden Co-Urheberinnen des Werks und die zu 50% neue Besetzung des Quartetts treffen, die ungemein enthusiastisch ihre neuen Instrumente begrüßen, die sie später zusätzlich zu ihren bisherigen Instrumenten nach Amerika mitnahmen. Nach 45 Jahren gingen vor wenigen Monaten zwei Quartettmitglieder (John Sherba und Hank Dutt) in Rente, und nun sind zwei junge Frauen (Gabriela Díaz und Ayane Kozasa) zum seit 51 Jahren bestehenden Quartett gestoßen. Ich stelle mir vor, dass das eine kaum zu beschreibende Veränderung im Leben und in der Berufslaufbahn von Gründer David Harrington sein muss – nach so vielen Jahren, nahezu so lange, wie ich auf der Welt bin, im Alter von 75 Jahren mit einer neuen, jungen Band noch einmal wie neu zu beginnen. Die Celloposition hatte bei Kronos über die Jahre immer mal wieder gewechselt; der aktuelle Cellist, Paul Wiancko, ist seit vier oder fünf Jahren dabei.
Ich habe David natürlich auch dazu befragt, und es ist im übrigen interessant zu sehen, wie die jungen Mitglieder ihm nun in einiger Hinsicht neue Energien geben und ihm helfen, mit der Zeit zu gehen. Man merkt ihm seine vielen Lebens- und Berufsjahre durchaus an. Und doch tritt dies in den Hintergrund, wenn er auf der Bühne zum werweißwievielten Mal Purple Haze spielt, als wäre er noch immer Anfang 20. Die aktuelle Besetzung gab in Oslo ihr erst erstes viertes gemeinsames Konzert, aber sowohl auf der Bühne als auch bei den drei Probentagen, bei denen ich die Vier erlebte, machten sie, zu meinem Erstaunen, bereits den Eindruck eines gut zusammenarbeitenden, sich bestens verstehenden Ensembles. Anfang Dezember werden sie in San Francisco zwei neue Alben einspielen. In einem Jahr dann voraussichtlich das neue Werk, das sie nun in Oslo zu proben begannen — es ist aber noch nicht fertig komponiert.
Auch wenn Kronos höchste Auftrittsgagen bekommt und nach wie vor internationale Kompositionsaufträge vergibt, scheint es leider keine Möglichkeit zu geben, Finanzen für eine filmische Dokumentation ihres Tuns zu finden. Da ich, als Benedicte mir vor rund einem Jahr von der Anfrage erzählte, sofort sagte, ich würde das gerne begleiten [kurzfristig meinte David Harrington wohl zu ihr, dass eine Freundin von ihm, Sally Potter(!), unter Umständen Interesse daran habe, das hat sich dann wohl aber schnell erledigt], bin ich nun auf eigenen Geldbeutel für die Tage dazugekommen und habe begonnen, das alles zu filmen und zu fotografieren.
Leider weiß ich nicht, wie klug die Entscheidung war, mich da reinzuhängen, denn ich befürchte, wie ich mich kenne, dass ich am Ende einen kompletten Dokumentarfilm über das Ganze machen werde, ohne dass ich irgendwoher Geld zurückbekomme. Ich muss mir das jetzt noch einmal durch den Kopf gehen lassen und überlegen, ob es eine gute Möglichkeit der Quer- oder Nachfinanzierung gibt, da ich doch oftmals mehr Zeit und Geld in solche Projekte reinstecke als andere Leute, die sowas nur machen, wenn sie dafür finanziell normal entlohnt werden … aber einen Dokumentarfilm über das Kronos Quartet zu machen, so lange der legendäre David Harrington noch aktiv ist, ist dann doch auch eine einmalige Chance, scheint mir, zumal es bislang tatsächlich auch keinen gibt. Als nächstes treffen sich alle Anfang Januar für ein Woche hoch in den kanadischen Bergen, um das Ganze gemeinsam auszuarbeiten. Ende März findet dann die offizielle Welturaufführung in der Carnegie Hall statt – und Ende September voraussichtlich die europäische Premiere und Studioaufnahme in Oslo.
Ein neues Album, und ein Film über Nik Bärtsch und Ronin
„Fast wie ein Wissenschaftler“. Das sagt jemand zu Beginn von Ingredients for Disaster, Julian Phillips‘ neuem 67-minütigen Dokumentarfilm über die Musik des Schweizer Komponisten, Pianisten und Bandleaders Nik Bärtsch. Fast wie ein Wissenschaftler. Nun, ja. Als Bärtsch nach einer Vorführung in London diese Woche sprach, fielen Worte wie „Architektonik“ und „Topographie“. Und Phillips wählt zur Veranschaulichung der polymetrischen Strukturen der Musik ausgeklügelte Computergrafiken, die das Innere der Stücke beleuchten, in denen die vier Spieler meist gleichzeitig in verschiedenen Taktarten arbeiten.
Auf der anderen Seite, überhaupt nicht wie ein Wissenschaftler. Jedenfalls nicht in der Wirkung. Bärtschs Bands zuzuhören, sei es der „Zen-Funk“ von Ronin oder die „rituelle Groove-Musik“ von Mobile, kann eine zutiefst emotionale Erfahrung sein, vor allem, wenn er eines seiner gebrüllten Kommandos gibt und die ganze Band wie ein plötzlicher Adrenalinstoß den Gang wechselt.
So beginnt ein kleiner Text von Richard Williams, nebenan zu lesen in The Blue Moment, über zwei Dinge, auf die wir uns freuen können, so wir dem Zen-Funk von Nik Bärtsch zugewandt sind. Ab 29. November ist die Doku auf amazon prime und/oder apple plus zu sehen – und das neue Album ist auch greifbar nah, das ausnahmsweise mal nicht auf ECM erschien (wirklich nur vorübergehend, wie Nik mir vor Wochen mailte). Es war witziig, dass in Matala an einem Tag die audio files der neuen Ronin- und Underworld-Alben ankamen. Das schönste doppelte „Tanzvergnügen“ des Jahres, wobei ich zum Glück auch ziemlich gut im Sitzen und Liegen und Schwimmen tanzen kann. HIER eine Erinnerung an sein Pianosoloalbum „Entendre“, in Form eines alten DLF-Beitrages. Und HIER Rosatos Geschichte seiner einstigen Entdeckung von Ronin und Co.
Der alte Harry
Harry Bosch ist in die Jahre gekommen, und es ist gut, dass er in Renée Ballard eine jüngere, gleichermasssen rigorose Ermittlerin an seiner Seite hat. „Wüstenstern“ ist ein melancholisches Spätwerk mit und um Harry Bosch herum, aber das hindert Michael Connelly nicht daran, in zwei komplexen wie finsteren Kriminalfällen für enormen Drive zu sorgen, der die zeitweilige „Action“ mitunter zweite Geige sein lässt gegenüber der akribischen Ermittungsarbeit. Darin war er immer schon ein Meister seines Fachs, und hier zieht er einmal mehr all seine Register. Wer die „Bosch“-Serien auf Prime kennt, sieht natürlich stets Titus Welliver vor seiner Nase, so überzeugend, wie er Bosch auf die Leinwand bringt, aber das ist kein Nachteil. Und natürlich lege er daheim immer noch alte Jazzplatten auf. Art Pepper zählt zu seinen Lieblingen. Allein Coltrane, sein Hund und treuer Begleiter, scheint das Zeitliche gesegnet zu haben.
SART
Es gibt ein paar Tricks, nie die Verbindung zum inneren Kind zu verlieren. Oder zum „teenager under fire“. Ein paar dieser Kniffe funktionieren nur, wenn man sie schon als Kind einsetzt. Du springst auf kleine Mauern, und es macht dir so viel Freude, neben dem Bürgersteig zu balancieren, dass deine innere Stimme dir deutlich zuflüstert: das machst du auch, wenn du gross bist! Es ist bekannt, dass manche Prägung in Sachen Musik zwischen 12 und 18 stattfindet, und man ist natürlich ein Glükskeks, wenn diese Zeit auf die Jahre 1967 bis 1973 zutrifft. So wurde bei mir damals ein Feuer entfacht, das hiess Kinks und Beatles, eines, das hiess Soft Machine („Third“), und eines, das hiess „SART“, das zweite Album von Jan Garbarek, produced by Manfred Eicher, und die Zauberer Terje Rypdal, Bobo Stenson, Jon Christensen und Arild Andersen waren mit von der Partie. Ausser einem radikalen Umgang mit Raum, hat es wenig mit den späteren Ingredienzien des nordischen Jazz zu tun. Ein elektrisches, ekstatisches Album, dessen Stillstände mich genauso begeisterten wie die Ausbrüche. Ich war wie vom Donner gerührt, als ich das Album das erste Mal hörte, und ich rede nicht von fernen Erinnerungen, wenn ich die Platte über die Jahre wieder und wieder auflegte. Fire Music! „Speaking of fire….“ (m.e.)
Lagerfeuergeschichten
„Manchmal das Glück“ – unter diesem Titel erschien vor einigen Wochen das literarische Debüt von Ulrike Sabine Maier im PMLakeman Verlag: 17 Kurzgeschichten, die im Zeitraum von 2007 bis 2024 in Anthologien und Literaturzeitschriften erschienen sind und von denen einige Preise erhalten haben, eine davon den Putlizer Preis des Autorenverbandes 42er. Die Sprache ist in allen Geschichten poetisch, bildreich und ausdrucksstark. Die Themen kommen aus dem sozialen Umfeld, der Familie und der eigenen Geschichte der Figuren. Diese schleppen die prägendsten Momente mit sich, sie werden die Gespenster nicht los, verschüttete Erinnerungen, und immer wieder dachte ich an ein Zitat aus dem wunderbaren Film „Magnolia“: „Wir haben mit der Vergangenheit abgeschlossen, aber die Vergangenheit nicht mit uns.“ Und doch kommt der Humor nicht zu kurz. „Was ich in der Hand hielt, war eine Waffe ohne Patronentrommel, die wir auf einem Flohmarkt aufgetrieben hatten. Wider allen Erwartungen funktionierte die Beschaffung des Geldes ohne Verzögerung. Die Frau hinter der Glasscheibe übergab mir mit leerem Blick die Geldscheine, als hätte sie genau das erwartet. Von ihrem Leben. Einen munitionsfreien Überfall. Und nichts anderes.“ Ich stelle mir einen langen Leseabend aus diesem Buch vor, auf einem verwilderten Grundstück, im Herbst, während Holz für ein Lagerfeuer zusammengetragen wird, bis es weithin leuchtet. Es gibt nur wenige Geschichten aus dem Band, die noch bei Dämmerung gelesen werden können. Für andere Stories muss das Feuer brennen. Während wir wiederum anderen Geschichten lauschen, starren wir reglos in die Glut. Und dann gibt es Geschichten, die nur erzählt werden können, wenn es vollkommen dunkel geworden ist. Oder, wie es bei Ulrike Sabine Maier heißt: „Manche Geschichten bedürfen der Dunkelheit, um erzählt zu werden. Manche Geschichten bedürfen der richtigen Zeiten, um angeschaut zu werden. Manche Geschichten haben Wunden gerissen, die nicht bei Licht angeschaut werden können. (…) Das sind die Zeiten der Erzähler, der Dichter, um zu versöhnen, was offen lag.“