• Vom Abseilen eines Engels in Haidhausen

    Meine Hörgeschichte mit Björn Meyer begann lang vor „Provenance“. Schliesslich beteiligte sich seine elektrische Bassgitarre am den Deep-Listening-Trips von Nik Bärtschs „Ronin“. Irgendwann stieg er aus dem Züricher Zen-Funk aus, um eigene Wege zu gehen. Ich überquerte gerade die alte Heimat des Produzenten Manfred Eicher, den Bodensee, als er mich aus München anrief und mir von seiner Produktion von „Provenance“ erzählte. Das hatte was, wie mir der Wind auf dem Deck um die Ohren blies, und Manfred von diesem Werk schwärmte, das bislang nur er selbst und der Toningenieur gehört hatten. Es war ein Spätsommertag des Jahres 2016.

    Ein Jahr später. Kurz vor einem lang vergangenen Nikolausfest, als wir noch gute Freunde waren, anno 2017, spielten Gregor und ich unser Lieblingsspiel: wir listeten unsere liebsten Alben eines Jahrgangs wie eine Hitparade. Damals hatte jeder seine Top 30 zusammengestellt, mit etlichen Überschneidungen. 


    Interessant war auch, als ich vor Jahr und Tag über jene Bestenliste 2017 stolperte, dass mir weit mehr als die Hälfte der Alben nicht mehr so viel bedeutete. Zu welchen würde ich wirklich liebend gern zurückkehren?

    Nun, im November 2025, sieht die Liste wieder anders aus. Mit ganz vorne gelandet ist in meiner „Top Eight of Twenty-Seventeen“ einmal mehr Björn Meyers Soloalbum „Provenance“.  Solomusik für E-Bass und elektrische Bassgitarre. Music to return to ever since!

    Und, wie es ausschaut, erscheint Ende Januar 2026 ein neues Soloalbum des einstigen E-Bassisten von Nik Bärtschs Ronin. Und es kann gut sein, dass ich es in Thomas Loewners JazzFacts Magazin Anfang Februar 2026 vorstellen werde. Im Februar, das nur nebenbei, wird auch ein neues Studioalbum von Bill Callahan erscheinen, „My Days of 58“, auf Drag City natürlich.

    A propos singer / songwriter: der einzige Grund, warum Neil Youngs Hitchhiker nicht mehr dabei ist, liegt darin, dass das Album zwar 2017 erstmals erschien, aber das Resultat einer  Nacht des Jahres 1976 auf seiner kalifornischen Farm war. Also historischer Stoff – ein unfassbar wunderbares Soloalbum mit einer überragenden Aufnahme- und Vinylqualität. David Briggs sat at the controls.

    1. Father John Misty: Pure Comedy (masterpiece with microsdosing lsd)
    2. Ryuichi Sakamoto: async (my number two of all Sakamotos)
    3. The Mountain Goats: Goths (a class of its own – cool AND heartfelt)
    4. Anouar Brahem: Blue Maqam (no words needed)
    5. Björn Meyer: Provenance (deep, ascetic, melodic)
    6. Darren Hayman: Thankful Villages, Vol. 2 (great picture book, too)
    7. Crescent: Resin Pockets (completely under the radar – i love them)
    8. Gas: Narkopop (trance work)

    Und nun eine wahre Geschichte. Eine meiner „klassischen Radiostories“. Aber es gibt immer noch ein paar, die sie nicht kennen. Und ein weiterer Kreis schliesst sich hier.

    In der Nacht von Freitag auf Samstag, am 19. August 2017, tobte ein heftiges Unwetter über dem Münchner Raum. Bäume fielen auf Straßen, Bäume und Äste auf Gehwege, es gab vollgelaufene Keller, Pkws steckten in überschwemmten Straßenunterführungen – das sind nur einige der Einsatzstichworte für die Kräfte der Feuerwehr.

    Niemand nahm körperlich Schaden. Im ganzen Stadtgebiet waren die Einsatzkräfte von Berufsfeuerwehr und Freiwilliger Feuerwehr unterwegs. Durch die Integrierte Leitstelle München wurden zusätzlich zu den Einsätzen im Stadtgebiet noch etwa 80 Einsätze für den Landkreis München disponiert. Das Unwetter beschädigte zudem eine Engelsfigur in Haidhausen. Die Feuerwehr sicherte die Figur auf dem 45-Meter hohen Kirchturm und seilte sie ab.

    In seinem Auto musste auch der Produzent Manfred Eicher ausharren, die Wassermassen zwangen ihn dazu, mehr als eine Stunde auf den Rettungsdienst zu warten. Immerhin funktionierte das Autoradio noch, und so schaltete er gegen 1.15 Uhr den Deutschlandfunk ein. Und so misslich seine Lage war, er musste wohl innerlich schmunzeln, als er rasch eine vertraute Radiostimme erkannte, und nur wenige Minuten vergingen, bis er, in den „Klanghorizonten“, der kleinen Premiere eines Musikstückes aus Björn Meyers Album „Provenance“ lauschte.

  • Percussion Paradise

    “ist das Cover von Niagara von Charles Wilp gestaltet worden, kurz nach seinem berühmten Werbespot für Afri-Cola? (Oder war es für LSD?)“ (youtube comment)

    „The use of electronics and processing throughout the record adds a subtle shimmer. Echo, delay and saturation are used not to distance the listener but to deepen the atmosphere. These effects serve as a kind of golden thread, binding the natural and synthetic, the ancient and the modern, the individual and the collective. Like in Kintsugi, what might have remained separate is made whole, its joins not hidden but celebrated.“ (bandcamp on Simon Popp: Trio)

    Damals, als wir jung und schön waren, und manche noch gar nicht auf der Welt, gab es eine drums only-Platte, die mich jedesmal in wirbelnde Strudel und Rhythmusgewitter hineinzig und über zweimal zwanzig Minuten nicht mehr losliess. Es war das Projekt des Drummers Klaus Weiss, der auch zu Klaus Doldingers Zirkeln zählte. Unter seiner Regie und dem Namen Niagara enstanden drei Alben, und das erste Opus höre ich heute noch gerne: wundervoll melodische Trommelmusik voller raffinierter Brüche, und trancetechnisch unwiderstehlich.

    Was für ein Cover! Aber wieviele reine Perkussionsalben haben uns über die Zeiten in ihren Bann gezogen: bei „Niagara“ blieb es bei diesem ersten grossen Streich, bei dem übrigens ein gewisser Udo Lindenberg mittrommelte – die beiden Nachfolger waren fusion der langweiligsten Art. Gerade die Neue Zeitgenössische Klassik bietet reine Perkussionsensembles in grosser Zahl, aber gerade bei diesem Genre der allgegenwärtigen Trommelei bleibt die grosse Frage: wie tief geht solche Musik auf Dauer, ohne zu ermüden?

    Pierre Favres „Singing Drums“ etwa sind grosse Klasse! Die Gefahr sich schnell abnutzender Effekte ist natürlich gross – der Mensch braucht kein showdrumming. Nun hat sich das Simon Popp Trio aufgemacht, ein reines Perkussionsalbum zu fabrizieren: drei Schlagwerker, jeder Track so kurz wie eine Single. Der erste Eindruck ist: famose Musik. Minimalistisch, nie geschwätzig, ruhig inszeniert. „Trio“ heisst es schlicht. Die Sache mit der Langzeitwirkung wird sich noch weisen müssen. Aber eines haben Simon und seine Gefährten schon mal realisiert: eine wunderbare Luftigkeit! HIER eine stimmlich wie sprachlich gewitzte Besprechung des Vorgängeralbums „Bliss“ von Kristin Amme!

  • Die besten Filme des Jahres, die ich nicht gesehen habe (ranked)

    „Musik hat eine seltsam emotionale Kraft“, schreibt Bettina Dunkel, und fährt fort: „Ein Song kann glücklich und traurig zugleich machen, kann in vergangene Zeiten zurückführen und ein Hörerlebnis zaubern, das niemand sonst auf dieser Welt empfindet – weil es von persönlichen Erinnerungen und Gefühlen geprägt ist. Kein Wunder also, dass manche Menschen alles dafür geben würden, ihre lang aufgelöste Lieblingsband noch einmal live zu hören. So wie Charles, die Hauptfigur der bittersüßen Tragikomödie „The Ballad of Wallis Island“.“

    Es ist leicht, die Liste meiner Lieblingskinofilme des Jahres zu benennen, als da wären „One Battle After Another“ (endlich gesehen, Olaf, auf supergrosser Leinwand!), „“Köln 75“ (eine fein Hommage an eine alte Zeit (die Mitt1970er), und ein paar besondere Typen, und ein tolles Album), „A House Full Of Dynamite“, Christian Petzolds neuen Film. Und, nicht zu vergessen, „The Brutalist“. Der Favorit von allen: das Dylan-Epos „A Complete Unknown“. All diese Filme haben mich mitgerissen, an den Stuhl gefesselt, berührt und / oder tief beeindruckt. Aber wie ist es mit den Filmen, die mir entgangen sind? Ich sah Trailer, huschte über oder verschlang Besprechungen… und here it comes, the strange list of the best movies of 2025 I didn‘t see. (Ich denke, „I‘m still here“ ist der Film hier, auf den sich alle Flussarbeiter einigen könnten, eine Reise in ein von der Junta leidvoll beherrschtes Brasilien! Wo kann ich ihn nur sehen?! Bei dem Plakat könnte man an eine Latino-Version der Waltons denken, aber Freunde des Südens, der Film wird unser Herz brechen.

    1. The Ballad of Wallis Island 
    2. I‘m Still Here 
    3. Steve
    4. When The Light Breaks
    5. Tornado
    6. The Seed Of The Sacred Fig
    7. In die Sonne schauen

    Richard Williams über THE BALLAD OF WALLIS ISLAND (amazon prime, bluray): „Anscheinend hat der Film unter der Regie von James Griffiths etwas mehr als eineinhalb Millionen Dollar gekostet. Es sollte viel mehr Filme dieser Art geben: bescheiden in Umfang und Ausmaß, formal ungewagt, aber intelligent, witzig und gut gemacht, ohne sich an eine bestimmte Nische zu richten.“

  • First Moonbeams of Adulthood

    Neues von Claypipe Music, London. Mit einem Groove, der an Cymande erinnert, und einem E-Gitarren-Motiv, das der goldenen Ära von ECM würdig ist, schimmert „First Moonbeams of Adulthood“ mit vielschichtigen Trompeten, einem Streicherteppich und dem Auftrieb des Sopransaxophons. Subtile Veränderungen in der Textur, gebrochene Melodien und geflüsterte Vocals führen das Stück durch eine Atmosphäre, die sowohl aufregend als auch zart wirkt. Es bietet einen leuchtenden ersten Einblick in Andrew Wasylyks mit Spannung erwartetes neues Album, das im Frühjahr 2026 erscheinen soll.

    The track

    Musik von Andrew Wasylyk wurde in den Klanghorizontem in diesem Jahr gleich zweimal vorgestellt. Die Sphären dieser neuer Komposition liessen mich seltsamerweise von einem perfekten Soundtrack zur Verfilmung von Sherlock Holmes Kurzgeschichten träumen. Als Kind oder gerade in jugendlichen Jahren angekommen, verschlang icb in Grossen Ferien die kleinen Taschenbücher aus dem Heyne-Verlag, in denen über etliche Bände Sir Arthur Conan Doyles‘ Kriminalgeschichten versammelt waren, auf dem Cover immer auch Sherlocks Pfeife, in deren Rauchblasen die Titel der short stories aufleuchteten. Das obige Stück passt wunderbar zu solche Stimmungen, in denen das Unheimliche auf das Scharfsinnige stiess. Träumen und Mitfiebern, Mitdenken waren gleichermassen gegenwärtig. Etwas von diesem, aus Gegensätzen entstehendem Charme, öffnet sich auch in Andrews Musik! (m.e.)

    Radio Hour with Andrew Wasylyk, Paul Bley a.o.: H E A R !

  • Die Fellfarben eines Fuchses (eine Januarstunde 2026 im Deutschlandfunk)

    „Tibbetts morphs from one register to the next, swapping terrains with the ease of a fox changing the color of its fur without even thinking. The seasons are his compass, trudging through the underbrush as winter approaches. The delicate patter of canine footsteps is audible now and then, marking the forest floor with rhythms older than all of us put together.“ (Tyran Grillo on Close)

    Close

    Die frühen Jahre:
    Yr
    Northern Song
    Exploded View

    Ruhepol und Abenteuer:
    Big Map Idea

    Die Wildnis:
    The Fall Of Us All
    A Man About A Horse

    Die Einkehr:
    Natural Causes
    Life Of

    Close

    “Close is like a dark Rothko painting on fire. The love of life, the losses. Honestly, this album breaks my heart.” — Flowworker.org

    Über den Titel kann man noch reden, aber dies sind die fünf Stationen („Kapitel“) meines Steve Tibbetts-Porträts im Januar 2026. Es beginnt und endet mit seinem jüngsten Streich „Close“. in seiner Anthologie „Hellbound Train“ gibt Steve Tibbetts auf zwei Cds einen fesselnden Überblick über seine mal dem Meditativen, mal dem Exstatischen zugewandten Welten. Es gibt nur eine bessere Reiseoption: jedem Album persönlich zu begegenn, ear to ear,, mind to mind. In einer langen Radionacht würde ich all seine Alben vorstellen, in 54 Minuten und 38 Sekunden folge ich allein den ECM-Jahren. Safe journey!

  • Hubert, das I Ging, und „objets trouvés“

    Manchmal begegnet man bei Konzerten oder hier bei den „Flussarbeiten“, Menschen, die einen selbst lange kennen (medial), ohne dass man oder ich in diesem Falle je zuvor von ihnen gehört habe. Einiges brachte mich in der folgenden Mail zum Schmunzeln. Hubert managte mal einen Musikclub im Hinterland, in der Zeit zwischen der zweiten Hälfte meines Studiums in Würzburg, und meiner Zeit als Gruppentherapeut in Furth i.W. – da bin ich aber gespannt, wo dieser Club lag. Meine Lieblingshinterlandclub war das To Act in der Fränkischen Schweiz (Weißenohe), wo ich 1980, unvergessen, Robert Fripp and The Leagug of Gentlemen erlebte.

    Und als ich dann endgültig selber zwei Jahre im deutschen Niemandsland wohnte, in Arnschwang und Bergeinöden, da waren meine treuen Gefährten, neben der Musik als Seelennahrung, und einer Handvoll guter Freunde, die Schafgabenstengel, mit denen ich öfter ein meditatives Ritual durchführte, um Antworten auf ein paar drängenden Fragen zu erhalten. Abseite aller Mystifizierung tat es mir sehr gut denn die Aussagen des alten chinesischen Weisheitsbuches hielten inspirierende Dinge bei, um Blokaden meines Unbewussten auszuhebeln.

    Durchaus ein wenig vergleichbar mit Brian Enos „Oblique Strategies“, ein Kartenspiel, das stets griffbereit lag. Einmal, unendlich verliebt, griff ich in den Stapel und zog die Karte „Into The Impossible“. Wie wahr. Es waren damals die Pionierjahre der Kognitiven Verhaltenstherapie bei der Behandlung von Alkoholkranken und Medikamentenabhängigen. Am Ende meiner Zwit dort war ich einem Liebeskummer verfallen, der dem des jungen Werthers nahekam. Jedes Aufwachen über Wochen eine qualvolle Begegnung mit dem Verlust der Angehimmelten. Der Stoff für eine zweihundertseitige Erzählung (ich suche dafür noch ein sponsoring in Höhe von 30000 Euro, kein Witz.) in dem kleinen Roman würden sie alle Protagonisten vorkommen, und meine damals besten Freunde, Hansjörg, Gudrun, Uwe. Und Ralf im Hintergrund war auch ein Netter (mein ECM-Experte im Nördlichen Ausläufer des Bayerischen Waldes). Hier ein Foto des Hauses, links, mir frischem Weissanstrich, in dem damals die Schafgarben flogen und „Remain In Light“ (nomen est omen) von den Talking Heads zu einem survival kit zählte.

    Hallo Michael,

    ich heiße Hubert Mania, bin Autor und Übersetzer, 71 Jahre alt. Ich kenne deine Sendungen von Anfang an, habe die Manafonistas ein paar Jahre verfolgt und lasse mich nun auch von euch Flussarbeitern zu musikalischen Entdeckungen anregen. Zwischen 1977 und 1982 war ich Mitinhaber eines Jazz- und Rockclubs auf dem Land: ne Dorfkneipe mit Disco und Konzertsaal.

    Neulich erwähntest du in einem Beitrag en passant deine Beschäftigung mit Schafgarbenstengeln, und ich glaube, ich habe da vielleicht eine Anregung für dich. Meine Erlebnisse mit dem I Ging habe ich 1984 aufgeschrieben und dabei den mit objets trouvés funktionierenden Zugang zum Buch der Wandlungen beschrieben. Hier kommt jetzt gleich ein kleiner teaser aus dem sachte redigierten 18seitigen Text, den ich per PDF mitschicke. Kein Stress: Ich werde keinesfalls nachfragen, weil ich mir vorstellen kann, dass du gar keine Zeit für so was hast.

    Herzliche Grüße,

    Hubert

    P.S. Es gibt auch eine poetische Hochrechnung des I Ging zur Bundestagswahl 1980. Franz Josef Strauß war gegen den Eisernen Kanzler angetreten. Als einzige Kneipe im Ort durften wir unsere Landfreak-Disco als Wahllokal zur Verfügung stellen. Während in der ARD der angenehme Bariton von Rudolf Rohlinger die ersten Hochrechnungen bekanntgab, brachte ich den Wahlhelfern gerade eine neue Runde Bier und Kurze. Sie hatten die Stimmen schnell ausgezählt und die Lokalhonoratioren gaben auf den überwältigenden Sieg der CDU im Dorf einen aus.

    Beim Abräumen der nassen Bierdeckel fiel mir als Erster einer in die Hände, auf dem die Zahlenkombination 32/34 stand, vermutlich die inoffizielle Notierung der Erst- und Zweitstimmen für die SPD im Dorf. Ich brauchte nicht im I Ging nachzuschlagen, denn diese Bilder kannte ich: 32 ist die Fortdauer und 34 die Macht des Großen Mannes. Und das gaben auch zwei Stunden später die vorläufig endgültigen Hochrechnungen des Herrn Rohlinger bekannt: Die Fortdauer der Macht des Großen Mannes. Helmut Schmidt blieb Bundeskanzler.

    (Hubert Mania hat mir einen überarbeiteten Text zu „I Ging und objets trouvés“ zur Verfügung gestellt, den ich gerne auf Anfragen zusende. Ausserdem scheint Hubert guten Humor zu besitzen, ein feines Gespür für das Fantastische Im Alltag, und sowieso gut schreiben zu können… bahnt sich hier, neben Bernard aus Limburg, die Ankunft eines weiteren neuer „Flusswerkers“ an. Ich sollte mal wieder die Schafgabenstengel rausholen!)

  • Die Gesänge einer Laute

    „Jeder, der Davy Graham oder Sandy Bull mag, wird daran große Freude haben.“ Das merkt Richard Williams an zu der „Music for archlute and chitarrone“, solo vorgetragen von Rolf Lislevand auf seiner neuen Cd „Libro primo“. Obwohl die „liner notes“ der Historie und den Geschichten dieser Lautenmusik des 16. und 17. Jahrhunderts ausführlich nachgehen, ist ein kleiner „Crashkurs“ in Sachen Lautenmusik gar nicht erforderlich, um sich in dieser Musik zu verlieren. In einer alten, zu einem Studio umgebauten Scheune im Süden Norwegens, ringsum nur Wald, entstand diese fliessende, in-sich-versunkene Musik. Der Trick beim Hören besteht darin, über die flüchtige Wahrnehmung hinauszugelangen, dass diese alten Stücke doch sehr ähnlich klängen. Es gibt den Kipppunkt des Lauschens, an dem einem die immense Vielfalt bewusst wird, der Zauber im Detail, die emotionale Leichtigkeit und Tiefe all dieser Lieder ohne Worte. Kaum ein Song in diesen Wechselspielen von Erzlaute und Chitarrone überschreitet die klassische Kürze einer guten alten Pop-Single: alles erscheint so transparent wie klar umrissen, und schon damals war es eine Kunst, blossen Zierat zu verbannen und strenges Regelwerk auszuhebeln. Es gibt weitere zwei imaginäre Freunde von „Libro primo“, die mir auf Anhieb einfallen: Bert Jansch und John Renbourne!

  • Jack


    A perfect pair, their African „names“ like the title: „Ruta and Daitya“. This was one of my first ECM records, maybe my ver first, and for many it may seem a curiosity, being the only one in Jarrett‘s long story with the German label, where he is touching electric keyboards. It was recorded at the end of Jack’s and Keith’s period with Miles. The album has the looseness of an „after hours“-session with African moods and a quite exotic flair, a million miles away from American songbooks. By, the way, my first album with Jack was Charles Lloyd‘s „Sombrero Sam“, my second Miles „Live at the Filmore“, and then can this!

    Jack DeJohnette‘s melodic feel on drums and percussion makes up for a perfect couple of like-minded spirits. For reasons I cannot explain really, I will love this album forever. It is uncomparable with any other album they did together. There are records you have had a story with, you offer them a good place in the back of your mind without ever revisiting them. This is one of those I return to since my teenager days. Though it got a new cover design at some point in time, I was always happy with the surreal naivety of the original cover. Let‘s speak about music sending you places … because there were so many more with Jack‘s handwriting.

    Wie oft habe ich Jack gehört – bei ECM war er lange Zeit neben Jon Christensen eine Art „Hausdrummer“ (Paul Motion der Dritte im Bunde), und die Viefalt seiner Arbeiten als Leader und Sideman spricht Bände für seine Horitonte, die sich niemals auf Schulen, Moden und Stile festschreiben liessen. Meine Zeit mit ihm – als Hörer – war und ist dermassen erfüllt und stetig, dass nun jeder Blick zurück eine Portion Wehmut erhält. Zeit, auch mal wieder Jack DeJohnette‘s „Oneness“ aus dem Jahre 1997 zu hören: damals begegnete ich ihm in einem Bonner Hotel, und es ging allein um einen kleinen Beitrag für die JazzFacts zu diesem feinen Album. Unvergessen seine strahlende Freundlichkeit.

    Neben den genannten Platten fallen mir als erstes folgende Werke mit Jack als Sideman oder Leader ein, die einen besonderen Wert in meiner „Hörgeschichte“ haben – nur eine gute Handvoll, schliesslich geht es hier um life‘s company! Jack DeJohnette: New Directions, Jan Garbarek: Places, Jack DeJohnette: Dancing With Nature Spirits (a buried treasure!), Jarrett / Peacock / De Johnette: Standards, Vol. 1, Vol.2 & Flying. Abercrombie / Holland / DeJohnette: Gateway (ich erlebte das Trio live in Münster 1974, ein Traum!) / Joe Henderson: Multiple

  • Ich habe es nur hundert Meter zu Abeling


    Das ist der Bäcker um die Ecke in Westerland. Heute morgen ein unerwartetes Naturschauspiel: leicher Nieselregen aus einer dünnen mattgrauen Wolkendecke begleitete mich, während am Horizont, Richtung Festland, eine golden leuchtende Front aufzog, vielleicht die letzte Sonnenglut der kommenden Regenzeit.


    Aber das ist „rain as usual“ auf dieser Insel im Norden: gestern gab es in dem, manchen flowflows bestens bekannten Samoa / Seepferdchen noch einmal ein grosses Sonnnenstelldichein. Und wenn ein Drachen am Hinmel fliegt, steht bei dem Kind in mir die Zeit ohnehin still. Rein kulinarisch bertrachtet, waren der Erbseneintopf und der Blaubeerpfannekuchen weitere Nostalgica (neben dem Drachen, dem einst Sarah Kirsch ein feines Gedicht widmete), ein Fest für die Sinne.

    Ich habe Herrn Dr. Brömmel besucht, der tatsächlich promoviert ist, aber im realen Leben einen anderen Namen trägt, und ihm die neue Platte von Roger Eno mitgebracht: „Der Mann aus Suffolk blüht bei der Deutschen Grammofon Gesellschaft regelrecht auf, und fabriziert Klasselalbum nach Klassealbum“, sagte ich zu ihm, als er seinen alten, mit feiner Ortofon-Nadel bestückten, Dual-Dreher anwarf.

    Und so kam in den letzten vierundzwanzig Stunden alles zusammen, was Menschen wie mich beglückt, und mit leicht dezenter Wehmut ausstattet, die ihre schönsten, eine Dreiviertel Ewigkeit entfernten, Schulferien mit Nordseereisen verbinden: der Drachen unter strahlendem Blau, das dunkle Seemannsgarn von Roger Eno, die sanfte Ermüdung von langen „beach walks“, und, im kleinen „art hues“, eine Runde allerfeinsten Jazz!


    Damals lauschte ich Michael Nauras Moderationen, und liess mich von Ralph Towners „Solstice“ einfangen (das Transistorradio abends vor dem Meeressaum ans Ohr gedrückt) – und immer wieder die tollen Konzerte der NDR-Workshops“, zur frühen Nachmittagszeit, statt in die Nischen der Nacht verdrängt zu sein! Heute spielen, während ich den Kaffee aufbrühe, zwei ältere Herren im Duo. Nehmen sie einmal nach formvollendeten Eröffnungen ihre ruhige wilde Fahrt auf, wird alle technische Brilianz von purem „Feeling“ absorbiert. „Memories of Home“ – ein Fall für Karsten Mützelfeldt!