Die Sprache der Dämmerung

„Das eindrucksvolle Coverbild – die verlassene, vor einem funkelnden Sternhimmel beleuchtete Schaukel – stellt eine fesselnde visuelle Metapher für die Musik auf Close dar. „Musik ist eine Sprache der Dämmerung“, bestätigt Steve Tibbetts. „Die Aufgabe besteht darin, Schatten in Klang zu übersetzen.“ Auf seinem elften ECM-Album setzt der Gitarrist aus Minnesota dieses Streben fort und entwickelt geduldig seine sehnsuchtsvollen improvisierten Melodien über vielschichtige Loops und Drones mit dunkler Percussion. Auch wenn die verwendeten Klangfarben – u.a. von der verzerrten E-Gitarre und einer hellen 12-saitigen Akustikgitarre erzeugt – diese Musik „westlich“ klingen lassen, deutet ihre subtile, fast hypnotische Entfaltung „östliche“ Affinitäten an. „Ich strebe immer noch nach dem bewegenden Klang von Sultan Khan“, sagt Tibbetts und meint damit jenen verstorbenen indischen Sarangi-Meister, dessen Spiel seit langem zu seinen wichtigsten Einflüssen zählt.“
(press info, ECM, VÖ: 17.10.)
Das alte Haus in Bergeinöden
Brian Eno und ich lebten mal in der alten BRD in einer Art „Blase“, Brian 1976 oder 1977 zur Sommerzeit einige Wochen im Weserbergland bei Forst, mit Moebius, Roedelius, und MIchael Rother (bald darauf entstanden nahe Köln „Cluster und Eno“, sowie „After The Heat“, und sogar „Music For Airports“ nahm dort in grossen Teilen Form an. Meine „Blase“ war die Zeit, in der wir „Pioniere“ der Suchttherapie mit dem Inventar der Kognitiven Verhaltenstherapie in Furth i. W. als Gruppentherapeuten aufschlugen, in einem anderen deutschen Niemandsland. Da die Koordinaten dieser Gegend für einen „townie“ wie mich so einzigartig waren wie die Dinge, die sich ergeben sollten, blieb mir vieles, vieles unvergessen zwischen Oktober 1980 und Dezember 1982.
Wie oft kamen, in alten Mana- und neuen flowflow-Zeiten, Erinnerungen und Stories rund um meine Zeit in Bergeinöden / Arnschwang / Furth i.W. in meinen „Posts“ ins Spiel. Und da hier viele Leute diese Sachen lesen, was in der Birne haben, auch empathiemässig, wissen so gut wie alle, dass, wenn ich einen Text beginne mit „Brian Eno und ich“, es nicht um „Selbsterhöhung“ geht, sondern schlicht um einen launigen „Aufhänger“ für zwei parallele Lebensphasen von zwei „humans“ in good old Germany. Brian zog es danach nach Manhattan, wo er aufregende Jahre verbrachte, und mich über Umwege in meine alte Heimat Dortmund.

Ein wenig beklommen fuhr ich am 7. Mai 2022 den alten Weg an den knallgelben Feldern vorbei, jetzt ein kleines Wurmloch, und ich hätte meinen hippiebunten VW in der Einfahrt geparkt. Es ist das Haus, das in aufgeputztem Weiss ganz links erstrahlt.
Das Finale in der Volleyballhalle hatte ich beim Frühstück in kleinerer Runde erzählt, das Drama in kurzen Zügen, auch die Verwünschungen einer Verbitterten – und selbst wenn das eine „Repertoire-Story“ ist, hat meine Erinnerung nie die Kanten geglättet. Es hätte entgleisen können.
Ich fuhr also um das alte Haus, aus dem eine kleine Häuserzeile geworden ist, herum, und machte ein Foto der Rückansicht über den Acker weg. Nichts an diesem Foto ist besonders, weil es schlicht nicht durch die Zeit springen kann. Ich beschäftige mich halt ein wenig, hantiere, gucke rum, während die inneren Bilder ein umso wilderes Tänzchen aufführen.
Dann halte ich vor dem Haus an, in dem ich lebte und liebte – aus einer Garage, in welcher ihr Motorrad immer verschwand, waren drei geworden, und eine leichte Leere beschlich mich, von ferne her, vom Sommer 1982. Der braune Hund sah mich vom gegenüberliegenden Haus, er trottete langsam zu mir, hockte sich vor meine Fahrertür. Ich öffnete das Seitenfenster und streichelte ihm den Kopf: „Alter, ich habe hier mal gelebt. Schön, dass du mir ein bisschen Gesellschaft leistest.“ Das war der Moment, in dem ein paar Tränen flossen. Und noch ein paar. Als ich losfuhr, drehte sich der Hund um und schaute meinem Wagen hinterher. Wir sehen uns im nächsten Leben.warum ich dieses bild von mir aus dem Jahre 1977 poste

Der Farbstich, der Gilb, das Ausbleichen: meine Haare waren braun. 2018 entdeckte ich, erstmals nach ewigkeiten, den dazugehörigen fotoband mit den abenteuern einer schwarzgekleideten frau, meiner damaligen freundin. das bild entstand auf einem grossen feld nahe würzburg. es war auch das feld, zu dem ich später zurückkehrte, als die tränen flossen. aber ich sehe an meinen augen das glück des verliebtseins. der soundtrack unserer liebe (1975-1978), in vier alben zusammengefasst: Desire, Zuma, Yellow Fields, Taking Tiger Mountain (By Strategy)! diese scheiben liefen damals rauf und runter, zuma und desire liefen schon lange, bevor ich für eine weile ihr herz eroberte und nur träumte, träumte und ihr eine einladung zu einem wim wenders film sandte (sie wohnte im gleichen wohnheim). dort im kino sollte es beginnen.Tatsächlich gibt es aus diversen Gründen extrem wenig Bilder aus meinem Leben zwischen dem 12. und 32. Lebensjahr. Dabei waren das bewegte, wilde Jahre. So selten stosse ich auf ein Foto von mir aus jener Zeit, und wenn es passiert, öffnet sich gleiche eine kleine grosse Geschichte dazu voller Gefühle, Empfindungen, flashbacks. Es ist eins, wenn man solche Dinge erzählt, es ist noch etwas anderes, wenn man unverhofft in die Augen eines jüngeren Ichs aus lang vergangenen Sommern blicken kann.
Das Königsallee-Foto, zwei Tage ist es her, hat jetzt auch seine Story erhalten.
Happy / Sad
Es ist lange her, als ich ein Interview mit Tim Buckley las. Er begeisterte sich darin, Mitte der 1970er Jahre, über die Solopianomusik von Keith Jarrett. Anrufungen waren das für ihn, „evocations“ – und als er zu seiner eigenen Freiheit gefunden hatte, etwa auf „Happy Sad“ von 1969, jetzt grossartig aufbereitet von Rhino für das Vinylformat, da konnte man getrost auch von „evocations“ , Beschwörungen sprechen. Das Album war an mir vorübergegangen. Wonderful and deep and floating! Mit jenem „Jazzflirren“, das auch Van Morrisons „Astral Weeks“ durchströmte. Und der Gesang war ebenso einzigartig. Um nicht die anderen Instrumente zu Schattennummern zu machen, hört man seine Stimme zu Beginn von „Gipsy Woman“ wie aus weiter Ferne. Es war eines seiner letzten Interviews. Er hatte kaum noch Zeit. Er starb kurz darauf, im Juni 1975.
„Everything that sinks will float“
Simple instruction for the casual and recurring reader: stroll down this side and see: The Mountain Goats, Brian Eno & Beatie Wolfe, Robert Forster, Steve Tibbetts, Joe Meek, Thomas Pynchon, and „Wayfaring Stranger“. What can one want more? Well, maybe the forthcoming duo album by John Scofield and Dave Holland on ECM. And Rafael Toral! And Roger Eno‘s „Without Wind, Wthout Air“. Letzteres zeigt Bruder Roger einmal mehr auf einem kreativen High, was seine Soloalben aus dem Hause Deutsche Grammofon betriftt, eines so ergreifend wie das amdere, und immerzu findet er neue delikate Einsamkeiten. Erhebend! (m.e.)

Ah, yes, that headline sounds like flowflow’s daily mantra!
Nautical disaster and spiritual redemption in conceptual 23rd. And conceptual they like to go, may I add. i followed the ways of the Mountain Goats from the very beginning in my radio days. One of many hghlights were „The Sunset Tree“, now 20 years backwards in time and appropriately reissued this autumn. But a new album is always worth a look, a listen, an hour in the evening. I do reccommend the bluewater vinyl edition. (M.E.)

In the world but not of it any more
Starving to death down by the shore
Prehistoric insects trapped in ice
Letting the hunger claim its price
Sixteen to three now down to two
Soon it’ll just be youJohn Darnielles umfangreiche Diskografie reicht mittlerweile von DIY-Kassetten bis hin zu diesem geplanten Musical über ein schwindendes Trio von Schiffbrüchigen, komplett mit orchestraler Ouvertüre und Broadway-Star Lin-Manuel Miranda. Es ist eine qualvolle Metapher für die Vergänglichkeit der Menschheit und die kosmische Sterblichkeit. „One day the stars will go out“, singt Darnielles namenloser Erzähler, worüber zukünftige Propheten berichten werden. Aber während sich die Katastrophe für diese unvorbereitete Moderne zuspitzt, gehört das sanfte New-Orleans-Blechbläserensemble der 70er Jahre in „Through This Night“ zu den musikalischen Balsamen. Während die samften Streicher anschwellen, erklingt der Vers, „everything that sinks, will float“. (Nick Hasted, Uncut, December)
I am sitting on the floor of my minimum wage job mindlessly replacing paper price tags with digital price tags it’s 1:42 Am. I am happy to be here I am happy to know that I can listen to this new song even with six hours left on my shift and I’m happy that music like this brings people solace. (Mewziana, youtube comment)
Brian Eno and Beatie Wolfe go „Liminal“
„A quiet life where
We can blend
Hidden thoughts
With sweet lament“
(from Shudder Like Crows)A manageable arsenal of instruments, essentially synthesizer and guitar. Two defining instruments of rock history—and nothing seems to have been told to an end yet. If anything has completely disappeared from the duo’s expeditions, it is tempo, action, and turmoil. Everything, including the vocals, is imbued with slowness, a sense of adventure and the unknown.
But first things first: after their song cycle “Luminal,” a kind of “electric country dream music” in which the private and the political are closely intertwined in dark times; after the purely instrumental large-scale composition “Lateral,” with its subtly eerie prairie spaces, Brian Eno and Beatie Wolfe now present their third coup. “Liminal” is an exciting collection of immensely rich “instrumentals,” songs, song-like pieces, and the thin places in between. Each composition reveals a different sphere: lament, primeval fantasy, dream story, at one time probably the most verbose breakup song in recent pop history, set in a laundromat! Or is the narrator just caught in a dream? “Liminal” surprises at every turn.
„And we know / what it means to be dust / Watch it sleep / In the last part of us“. Although we are confronted time and again with finitude, decay, and darkness, in verses that pose many a riddle and could serve here and there as new koans for Zen students, it is quite an uplifting experience to dive into these breathing things and sounds. With Eno being a kind of nighttime painter with a knack for „the soul in the machine“, the guitar, folksy and meditative, is no miles and moons away from legendary campfire moods: a quiet joy, and more than a quantum of solace.
The voice, close-miked, has an unexpected range of intimacies to offer, but is not really reliable, coming along like an uncanny entity, ghost-like, a figure from a dream, a meditation on human fragility, a delicate splash of colour. What a seamless balance between the moments on the brink, and the almost warm-hearted adventures with „oceanic“ vibes in between! Exit strategies for sheer amazement are hard to find on this visionary, wild and strangely relaxed ride!
Michael Engelbrecht, Deutschlandfunk
„Robert‘s in the building“ – Mr. Forster in Köln
Wie oft schon habe ich die Go-Betweens gesehen, wie oft Robert Forster solo oder mit Band!? Es ging los damals in den frühen 1980er Jahren, als mir ihr früher Garagenrock mit zwei genialen Liedern im Bayerischen Wald zuflog – dann die grandiosen vier Folgealben vor dem ersten „Cut“, von denen mein absoluter Liebling mal „Spring Hill Fair“ heisst, mal „Liberty Belle And The Black Diamond Express“, ab und zu aber auch „Before Hollywood“, und, gerne zur Weihnachtszeit, „16, Lovers Lane“. Und später dann, aber lassen wir das… Gestern Abend erzählte Robert die Geschichte des Rumpelrocksongs „German Farmhouse“, der sicher nur im Text mit der ihm eigenen Subtilität glänzt, und dennoch famos demonstriert, wie man gelebtes, gestrandetes, geglücktes Leben in eine kleine wilde Punk-Nummer verpackt. Die Go-Betweens waren kaputt, erzählte Robert also, und er lebte auf einem deutschen Bauernhof. Es war das „Rock-Haus“ in diesem niederbayerischen Winkel, er fand sein Glück mit Karin, er las über zwei Jahre Marcel Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, nahm in Berlin seim erstes Soloalbum „Danger In The Past“ auf, und kehrte immer wieder zurück zu seinem Glück im Hinterland. „Und es war gut, und nun sind wir 35 Jahre verheiratet!“, verkündete er mit dem Humor und der Nonchalance eines tollen Geschichtenerzählers. Allerbeste Stimmung im Publikum, ein erstklassiger Sound, den seine schwedische Band fabrizierte – Seelennahrung! Allein ich schwächelte nach einer Stunde im dichtgedrängten Saal – das Knie! Man wird halt auch gemeinsam älter, ich träumte von einem Sitzplatz. Marianne und Gerald konnten das nachfühlen, zwei andere in die Jahre gekommene Freunde der Band, die wir vor Ort kennenlernten, Lebensläufe, die sich kreuzen – wir sind halt alle Go-Betweens, und hatten uns ein bisschen was zu erzählen!
(„Strawberries“ heisst das aktuelle Album der Gruppe, bei Tapete Records, Hamburg erschienen, in allen Formaten. Highly recommended. Meine zwei Lieblingssongs daraus, das Titelstück, und „Breakfast On The Train“ waren natürlich Teil der Setlist!)
„Something stranger“ – the ongoing flow of Eno & Wolfe on „Liminal“
Ein überschaubares Arsenal von Instrumenten, im wesentlichen Synthesizer und Gitarre. Zwei prägende Instrumente der Rockhistorie – und nichts ist offenbar zuende erzählt. Wenn etwas aus der Musik des Duos völlig verschwunden ist, dann Tempo, Action, und Aufruhr. Alles, auch der Gesang, macht sich immense Langsamkeit zueigen. Die Ruhe der Ausführung behindert allerdings nicht das, wiederum zu den Zutaten und Mythen der Rockgeschichte zählende, „berauschende Hören“.Aber eins nach dem andern: nach ihrem Liederzyklus „Luminal“, einer Art „electric country dream music“, in der das Private und Politische nah beieinander sind in unseren dunklen Zeiten; nach der rein instrumentalen Grosskomposition „Lateral“, mit ihren subtil unheimlichen Prairieräumen, liegt nun der dritte Streich von Brian Eno und Beatie Wolfe vor. „Liminal“ ist keine harmlose Restesammlung, vielmehr eine spannende Abfolge von immens reichhaltigen „instrumentals“, Songs und Songartigem. Jede der elf Kompositionen enthüllt eine andere Sphäre: mal Lamento, mal urzeitliche Fantasie, mal das in einem Waschsalon angesiedelte, wohl wortreichste Trennungsstück der jüngeren Pophistorie! „Liminal“ überrascht an allen Ecken und Enden.
Obwohl wir hier ein ums andere Mal mit Staub, Endlichkeit, Verfall und Nacht konfrontiert werden, in Versen, die manches Rätsel aufgeben und hier und da als neue Koans für Zen-Schüler dienen könnten, ist es eine seltsam erhebende Erfahrung, diese unbekannten Orte aufzusuchen. Die Gitarre, folkig, meditativ, ist nicht so weit von den alten Lagerfeuern entfernt: eine reine stille Freude, mehr als ein Quantum Trost in den dunklen Räumen ringsum.
Und was für eine seltsame und nahtlose Balance zwischen den Momenten am Abgrund, und beinah warmherzigen Abenteuern mit ozeanischen „vibes“ dazwischen! Die einzige Möglichkeit, aus dem Staunen herauszukommen (wenn man einmal Feuer gefangen hat für diese elementare Klangwelt aus Gitarre und Elektronik und Stimme und wenig mehr), besteht darin, sich der Versuchung zu entziehen, das Album wieder und wieder anzuhören! Aber warum sollte man!?
(Michael Engelbrecht, Deutschlandfunk)

Im folgenden erzählt Beatie Wolfe, gewohnt markant, etwas über ihre gemeinsame Arbeitsweise, und über den Song „Shudder Like Crows“, der ein perfektes, ergreifendes Finale für „Liminal“ abgibt, ein Werk, das alles andere als eine Resteverwertung ist, und in 11 Kompositionen elfmal die Landschaft verwandelt, den Ton, die Stimmung, die Gefühle. Ein Kreis schliesst sich mit „Liminal“ zu dem vor 50 Jahren erschienen Album „Another Green World“, auf dem Eno erstmals Ambient und Song mischte.
Blue (blue by blue, step by step)
“Joni Mitchell’s Blue probably has the same characteristic that I like about Revolver. It has this in-your-face production value. She had written songs like ‘Clouds’ where she had harpsichord on it and all these strings and all that but this album was devoid of all instruments bar the dulcimer, the acoustic guitar and the piano. I don’t even recall a lot of bass on the album but Stephen Stills might have played a bass line on an acoustic guitar. So what you have is ten or twelve knockout songs that she must have spent months crafting. Poetically, these songs are perfect. They speak to women, I know, but they also speak to men as well, about universal and personal challenges we all face in life. Joni Mitchell articulated them so well but as a record producer, how she did it was so important. Again, it’s that dry sound; in-your-face and a kind of minimal recording but every note and every instrument stated something very clearly and very powerfully. There are times when I hear this and I don’t even realise that I’m hearing a piano or a vocal; to me, it sounds orchestral. A good arrangement can make two or three instruments sound huge and a bad arrangement can make a whole orchestra sound puny.” (Tony Visconti, producer of „Low“ and other masterpieces)

Es war vielleicht das letzte magische Weihnachtsfest meines Lebens, an dem Kindheit, mein wirres, verrrücktes, und manchmal ausgefuchstes Teenagerleben, sowie die Ahnung von Zukunft Hand in Hand gingen, Ton in Ton, mit dem allerletzten Adventskalender (einmal noch, Lametta auch!), und Joni Mitchells „Blue“. Die Schallplatte mit einem der wunderbarsten Cover überhaupt lag unter dem elektrischen Funkelllicht des Tannenbaums und verzauberte mein 16-jähriges Ich vom ersten bis zum letzten Ton. Natürlich wurde das Album „ein treuer Begleiter“, und dann irgendwann – Achtung, aufgepasst! – ein Fundus voller Fragmente, ein „Spiel der Erinnerung“. Ich stelle eingermassen verblüfft fest, dass ich das Album vorhin zum ersten Mal seit vielleicht zwanzig, dreissig Jahren „richtig“ gehört habe, so wie damals (natürlich anders!), und später, und viel, viel später wieder und wieder! Und dieses erste Wiederhören hatte es in sich, und das zweite Wiederhören (im neuen Quad-Remix von Rhino, „overseen by Joni Mitchell“), gleich, in ein paar Minuten, wird es auch in sich haben!
(Fortsetzung folgt früher oder später)
Randnotiz
Bislang hatte ich ja nur die audio files zur Verfügung von Steve Tibbetts‘ „Close“, was bedeutete, dass ich die Musik auf kleinen Boxen hörte. Das reicht völlig, um Qualität zu beurteilen, aber es ist was anderes, wenn die Cd in den Player einer grossen Anlage geschoben wird, und das war gestern erstmals der Fall. Die Dämmerung draussen passte zur „twilight language“ der Musik.
In den Klanghorizonten sprach der Mann aus Minneapolis von den 74 Minuten, die das Werk anfangs lang war, und von der Einsicht, es noch einmal verdichten zu müssen. Das ist gelungen, auch wenn ich nicht weiss, wie „Close“ vor den Einschnitten geklungen hat. Jetzt rauschte ich durch das Album hindurch, ohne eine Sekunde der Ermüdung. In meiner Welt (und das Album ist ja jetzt „meins“, um Steve zu zitieren) ist „Close“ ein „instant classic“. Und das „Album des Jahres“.
Ich werde es so machen wie Jan R. jüngst mit einer Band unserer jungen Jahre, und mir nacheinander alle ECM-Alben von Steve Tibbetts anhören. Ys – Northern Song – Safe Journey – Exploded View – Big Map Idea – The Fall Of Us All – A Man About A Horse – Natural Causes – Life of – Close. Aber bevor ich damit beginne, hat „Close“ Vorrang. In diese Musik mit ihrer besonderen Tracklist einer Reise durch Orte und Zeiten eines Lebens (so unbestimmt in den Worten, so scharf umrissen, voller Atem und Verblüffung in den Klängen), werde ich mich vorerst immer wieder fallen lassen.
(Auch wenn er noch andere bedeutende Alben ausserhalb des ECM-Universums gemacht hat, sind diese hier wahrscheinlich die perfekte Playlist für mein Steve Tibbetts-Portrait am 22. Januar 2026 um 21.05 Uhr im Deutschlandfunk. 54 Minuten und 38 Sekunden.)
Zu bestimmten Zeiten des Lebens spielen bestimmte Alben in unser Leben hinein, insofern wir Musik von früh an als Seelennahrung begriffen. Es geht da nicht um den Kanon der Grossartigkeit, sondern um die Schallplatten, die unser Leben mitunter über Nacht veränderten, die Begleiter waren durch Himmel und Hölle. Trost, Medizin, Schutzschild, Selbstverteidigung, Horizont. Manche dieser Alben hatten ihre Zeit, manche verrichten ihr Werk ein Leben lang. In diesem Sinne ist „Close“ das vorläufige Ende einer privaten history of music, die, aus dem Ärmel geschüttelt, eine ganz besondere Perlenschnur freigibt. Die erste Perle trug den Namen Sgt. Pepper.