• Der verwandelte Raum


    So sieht der Speiseraum heute aus. Im Retro Design Hotel. Ein Vergleich spricht Bände. Damals, 1962 sah der Raum exakt so aus wie in dem Prospekt im vorigen Beitrag. Ich war heute vor Ort. Kein Mensch an der Rezeption. Ich nahm mir einen Orangensaft aus der Kühlung, legte drei Euro hin, und wandelte in andächtiger Stille durch den verwandelten Raum. Retro ist nicht gleich retro. Soll das Erlebnisarchitektur sein. Ich kam mit meinen Erinnerungen hierhin. Der Widerhall eines alten Märchens. Ein Song aus jenem Jahr. Der Letzte schaltet das Licht aus.

  • Die wundervolle Frau Sonnabend

    Ich hatte die Zahl der Jahre mitbekommen, die der Insulaner schon auf Langeoog verbracht hatte, 76 nämlich, umd so hellwach, fit und beredsam, wie er wirkte, zögerte ich keine Sekunde, der Gesprächsrunde am Ende des Deichs beizutreten. Und so nahmen die Dinge ihren Lauf, und mein alter, von Gaston Bachelard stammender Lieblingssatz aus den „Klanghorizonten“, dass die Räume der Kindheit ihre Dämmerung behalten sollten, wurde hier ein wenig relativiert, aber sei‘s drum. 

    Der Raum meiner ersten Langeooger Ferien mit 7 Jahren (in der  Folge kamen lange Jahre keine dazu, Borkum wurde der Favorit meiner Eltern) hiess nicht Pension Europa oder Westfalen, sondern Haus Westfalen, die „Westfalen 1“ transportierte uns von Esens zum Fähranleger. Tatsächlich hatte ein Geschäftsmann aus Bielefeld das Hotel 1952 gegründet, das heute Design Hotel Retro heisst und in der Abke Jansen-Strasse, rundum restauriert, von zahllosen Häusern umgeben, die es damals noch gar nicht gab. Ja, die lange Strasse konnte der Herr bestätigen, an dem damals, 1962,  fast einsam gelegenen Hotel, auf der ich junger Knirps mit einem einziger Rollertritt und mächtigem Rückenwind bis zum Bäckerladen, dessen lang verschwundenen Namen er auch noch  aus dem Ärmel schüttelte, rauschte.

    Frau Sonnabend war in dem Hotel für alles zuständig, die Gäste, das Essen. Sie war gar nicht sehr gross gewesen, meinte er, aber ich war so klein, dass ich so und so zu ihr aufschaute. Er verwies mich aufs Inselhaus, um alte Quellen ausfindig zu machen. Er fragte seine Frau, wie die Frau Sonnabend mit Vornamen hiess, aber  daran wusste die ebenso sportliche Dame nicht mehr, für sie sei sie „Tante Sonnabend“ gewesen, und nun halt schon lange tot.  

    Der Name, als ich ihn zum ersten Mal hörte, erfüllte mich: sie war es! Der Name war mir schlagartig so präsent wie damals, und für ein kleinen Moment des Erschauerns, sah ich die junge bildschöne Frau Sonnabend, Anfang 30, wie sie letzte Hand anlegte an die Frühstücksgarnitur, die geriffelten Butterstücke!  Ich bedankte mich bei dem Paar und fuhr sofort zu dem alten Kindheitsraum, (nun also ein Retro Hotel). Alles Leben von einst nurmehr Rauch und  Schatten, aber  ich stand auf den Böden einer in die Jahre gekommenen Wirklichkeit, welche ich  drei Wochen mit dieser Frau mit dem vollklingenden Namen geteilt hatte – die  Verliebtheit eines Kindes, die sicher manches übersah, nicht aber ihren stets klugen , sanftmütigen, einnehmenden Blick. Frau Sonnabend, anno 1962, in einem Sommer, in dem die Beatles nicht weit weg von Langeoog im Hamburger Star-Club spielten. Nicht mehr so lang, und ich würde von ihnen hören.

  • Ein Toter im Froschloch

    So weit ist die Suche nach meinem Blutsbruder Matthes noch nicht gediehen, aber die erste Begegnung mit unserem ehemaligen Klassenkameraden Michael Z. Ist schon mal vielversprechend. Freitag treffe ich mich mit dem Polizisten und Zugführer im Ruhestand in Dortmund wieder im „Gänsemarkt“, und wir bereden weitere Schritte. Ansonsten hält er mich auf dem Laufenden: so erfuhr ich heute, dass just in meinem Lieblingsschwimmbad, dem „Froschloch“, eine Leiche geborgen wurde, und zwar am hellichten Tag. Jetzt findet gleich auf Langeoog das Dünensingen statt, wie ich im „Inselboten“ gelesen habe – ich werde da keineswegs mitmischen, und mich in meinen Strandkorb 1709 begeben, den ich bis zum Sommenuntergang um 21.30 Uhr gemietet habe. Heute traf von Drag City der Download von Bill Callahans Live-Album ein. Passt! Es ist heute, meine Damen und Herren, etwas Interessantes passiert, aber ich lasse das erst mal sacken. So viel sei verraten. Als ich mit Fahrrad unterwegs war, in der frühen Nachmittagshitze, auf einem Deich, stiess ich, kurz vor der Abfahrt in den kleinen Wald, auf ein älteres Ehepaar und eine junge Familie in munterem Gespräch. Als ich einen ganz bestimmten Satz aufschnappte, stieg ich ins Eisen, wartete den passenden Moment ab, und sagte: „Entschuldigen Sie, wenn ich hier so hereinplatze, aber ich habe eine Frage“, und blickte einem vitalen drahtigen Herrn mit schneeweissem Haar in die Augen: „Ich bin gerade als eine Art Inseldetektiv unterwegs. Eigentlich bin ich Psychologe, das ist ja recht nah beieinander….“ Wenn jetzt der Leser meint, ich hätte verdutzte Blicke geerntet – Irrtum! Einige Augen waren auf mich gerichtet.. Und dann gings los. Wir Inseldetektive nennen das, was dann passierte, die Auflösung eines alten Falls.

  • Im Strandkorb 1709 mit Jon Hopkins

    Lale Andersen liegt hier begraben, genauso wie ein, zwei unauffindbare Orte, denen ich, bislang vergebens, nachging. Mit sieben Lenzen war ich auf Langeoog mit meinen Eltern in einer Pension Europa oder vielleicht auch Westfalen, die vom Erdboden verschluckt scheint, vielleicht niedergerissen. Icn hatte geschwärmt von der Pensionsbesitzerin, und trage feine flüchtige Bilder von ihr in mir herum. Was mir nur alle paar Jahre auffiel, natürlich, für einen kurzen Moment. Zum Abschied war sie auf unvergessliche Art freundlich zu mir, weil sie einen diskreten Tip erhalten hatte, dass sie mein Herz in Schwingung versetzt hatte. So sehr sich die Infrastruktur, die Namen, die Häuser, gewandelt haben, die Morphologie der Insel ist eine relative Konstante, und wer sich auf die Suche nach der verlorenen Zeit begibt, wird bestimmte Fixpunkte und andere Wege in die Endlichkeit leicht freilegen: das Cafe Leiss, das nur noch von seinem uralten Ruf der überdimensionierten Wohlstandstorten lebt, der Weg zum Inselende im Osten mit der Meierei und dem alten Wrack, das Wäldchen, das ich früh mit einem dieser Hollandräder rauf und runter querte (viel zu klein, um sich verirren zu können), und der endlose weisse Strand, an dem ich mir heute morgen, in uralter Tradition, einen Standkorb bis zum Sonnenuntergang mietete. Nummer 1709. Lukas, mein Dealer von Domino, hatt mir den Stream von Jon Hopkins Ende August erscheinendem Album „Ritual“ gesendet, und auf meinen Kopfhörern schaute ich zum blauen Himmel, zum blauen Meer, sank etwas tiefer in den Korb, und liess much in das 41 Minuten lange Stück fallen. Gutes Album. Beseelter Trip mit aisgefeilt-rhythmischem Crescendo. Mehr dazu früher oder später. Oder auch nicht. Wer seine letzte Alben sehr mochte, „Immunity“, „Singularity“, und „Music for Psychedelic Therapy“, wird auch hier, bewegt, auf Reisen gehen. Das Album nicht am Stück zu hören, wäre ein Fehler. Jedenfalls im Strandkorb 1709, oder an anderen exquisiten Orten. P.S. Ein nicht weniger hinreissendes Album (in meinen Ohren), welches sich – nicht zuletzt – mit den „power spots“ der frühen Jahre beschäftigt, ist „Muntjac“ von Clevelode aka Paul Newland. Ein Interview ist in Vorbereitung.

  • „Klanghorizonte mit Beth Gibbons, Sussan Deyhim, Richard Horowitz und Ank Anum“ (Sommer 2024)



    Press play to listen to „Klanghorizonte“:


    Nine tracks, three parts, two guests, one DJ. / Erster Teil (DISTANT HILLS): Ank Anum: Song of the Motherland (1985) / Saru l-Qamar: A Lily  / Arushi Jain: Delight // Zweiter Teil (IN A STATION OF THE METRO): Warrington Runcorn New Town Development Plan: Your Community Hub / Erik Honoré: Triage / Pan American & Kramer: Reverberations Of Non-Stop Traffic on Redding Road // Dritter Teil (HEAVENLY MUSIC CORPORATION): Beth Gibbons: Lives Outgrown / William Parker & Ellen Christi: Cereal Music / Richard Horowitz: Eros in Arabia (1981)

    Lange ist es her. So ungefähr sahen die beiden damals aus, als ich, in den „wilden Achtzigern“, das erste Interview meines Lebens mit ihnen führte, noch vor meinen Jazzthetik- und Radiojahren, mit einem guten alten Kassettenrecorder und einem frisch erstandenen Sennheiser-Mikrofon, in einer aus der Hausbesetzer-Szene in Dortmund-Dorstfeld hervorgegangenen Kneipe mit dem herrlich skurrilen Namen. Es war eine mit BDSM-Elementen angereicherte Musik-Performance, die die Magie des Albums einfallsreich auf die kleine Bühne übertrug.

    Leider habe ich die alte Kassette mit dem Interview nicht mehr. Ganz sicher klangen da Jon Hassell und der Begriff „Fourth World Music“ an, und was es für Sussan bedeutete, Anklänge aus uralten Traditionen mit moderner Elektronik und ungewöhlichen Ritualen zu koppeln. Ich erinnere mich daran, dass das Paar ruhig und sachlich Auskünfte gab, hier und da ein Lächeln.

    Als Richard Horowitz sein seltsamerweise einziges Soloalbum seines Lebens 1981 veröffentlichte, „Eros in Arabia“, wählte er dafür sogar eine fremdartig klingenden Künstlernamen (sein realer Name rückwärts!), was erst „korrigiert“ wurde, als das Album 2017 eine remasterte Vinylversion erhielt. Mehr zur Vita des Paares in „comment 1“ – der Pressetext begleitete die „reissue“ von „Desert Equations“, ein Album, das mich damals wie heute gleichermassen gefangennimmt!


    Bei nicht wenigen Lesern dieses Blogs hat die von Marc Hollander und Crammed Discs früh in den Achtziger Jahren ins Leben gerufene Musikreihe „Made To Measure“ dauerhaft Spuren hinterlassen. Kam ein Gepräch auf dieses Brüsseler Label für überwiegend instrumentelle  Musik abseits des Mainstreams, fielen mir zwei Favoriten auf Anhieb ein, MTM 8 und MTM 15. Heiner Goebbels war von dem Album „Desert Equations“ und der Stimme der gebürtigen Iranerin ähnlich begeistert, und so ist Sussan Deyhim auf einem seiner besten Arbeiten zu hören („SHADOW – Landscape with Argonauts“ –  auch Brian Eno ist ein Bewunderer dieses ECM-Albums).

    Richard H. ist auf einigen Alben von Jon Hassell zu hören, etwa auf „Vernal Equinox“ und „Power Spot“. Und hat das betörende Solowerk „Eros In Arabia“ geschaffen, das vor Jahren neu aufgelegt wurde als Vinyl und Download, und aus dem ich heute Abend um 21.05 Uhr in den Klanghorizonten eine Passage spiele, aus der langen Komposition „Elephant Dance“, in memory of Richard Horowitz, der vor kurzem in seiner Wahlheimat Marrakesch starb. Hier das ursprüngliche Cover der Langspielplatte, das mich ein wenig an eine erotische Erzählung aus den „Märchen aus 1001 Nacht“ erinnert.

    „at first skeptical of our interest in eros in arabia, richard was so incredibly kind and inquisitive after we finally met in nyc at a favorite tribeca restaurant so many years ago. he perfectly understood our position and intention, and embraced and enabled our efforts. it was always a lovely, learning experience getting time with him in new york and los angeles, and becoming close with sussan in the process

    we will miss your presence in this physical realm, richard. now you are all around us, reborn in the ultimate dimension. thank you for the incredible gift of music, and allowing us to share ~“ (Aus einer instagram-Mitteilung des Labels „freedom to spent“, das „Eros in Arabia“ wiederveröffentlichte)

    P.S. Zwei Dinge fehlen mir in den Klanghorizonten heute Abend: vor allem eine Passage aus meinem leider verlorenen, uralten Interview mit Richard und Sussan, und (auf die schnelle fand ich die Cd leider nicht und vergass es dann), ein Ausschnitt (den ich im Hintergrund einer Moderation platziert hätte), aus jener alten Platte von Fripp & Eno, die im Königlichen Zirkus vor dem Konzert von Beth Gibbons gespielt wurde, aus ihrem Mixtape.

    (Click on „Fripp & Eno“, penultimate line, to listen to the title track, click on „Beth Gibbons“, last line, to see a film on „Lost Changes“ from her Lives Outgrown tour. The comments are telling, too:))

  • Netanjahu: Kriegsverbrecher

    „It is impossible to ever become desensitised to the horrors that have unfolded in Gaza over the last several months, but sometimes it takes a documentary to really hammer home how unbearable the situation is. Kill Zone: Inside Gaza, made by 12 Palestinian film-makers over 200 days, shows the complete destruction of neighbourhoods, and the families now conditioned to flinch at any loud noise, worried they might end up like their friends or neighbours, or any of the countless others to have died since October. We also meet a number of children for whom a devastating new acronym applies: WCNSF – wounded child, no surviving family. No television programme made this year will be as hard to watch, which is all the more reason to watch it.“ (The Guardian)

  • “Chez Janou“ – meine Begegnung mit Robert Wyatt in Paris vor zehn Jahren


    Paris für ein, zwei Tage, eine kurzfristige Einladung von Robert Wyatt, der dort eine Vokalaufnahme machte, für ein neues Album des Cellisten Vincent Segal. Ich fuhr direkt vom Gare de l’Est zum Tonstudio im jüdischen Viertel. Die Begrüssung war herzlich. Das erste grosse Interview machte ich mit Robert 1991 in einem Londoner Hotel, der Anlass war DONDESTAN. Das zweite Interview fand 1997 in einer relativ ruhigen Ecke der Queen Elizabeth Hall statt, der Anlass war SHLEEP. Das dritte Interview war vom Ambiente, her kaum zu übertreffen: Robert, seine Frau Alfie und ich sassen auf der Bühne im holzvertäfelten Purcell Room (in dem sonst gerne Kammerkonzerte aufgeführt werden), und wir sprachen über CUCKOOLAND. Am heissesten Sommertag des Jahres 2003, abgeschieden von aller Welt, das Publikum bestand aus einem Mann vom Security Service. Jahre später sprachen wir dann am Telefon über sein Album COMIC OPERA. (In aller Bescheidenheit weise ich darauf hin, dass es ein Fehler sein könnte,  solch süsses Gift, solch sinnliche wie gedankliche Tiefe, ungehört an sich vorüberziehen zu lassen.)

    Jetzt also Paris. Die Arbeit am Stück war fertig, es fehlte nur noch die Abmischung. „Chez Janou“ heisst der Song, besser, das Chanson, und schon beim Hören der rohen Fassung schmolz ich dahin: Robert Wyatt singt den französischen Text mit einer Anmut ohnegleichen, und punktgenauer Zerbrechlichkeit. Die schmeichelnde Melodie stammt allerdings vom Cellisten, der offensichtlich die Robert Wyatt’sche Liederwelt gut kennt. Nur Gesang, Segals Cello in zwei Spuren übereinander geschichtet, und im Mittelteil ein paar asketische Farbtupfer von Roberts Trompete – keine Keyboards, keine Perkussion. Der Song erzählt vom Verschwinden des Zeitgefühls, das man erleben kann, wenn man sich eine Weile in diesem alten Bistro, das „Chez Janou“ heisst, einfindet. Die Hauptperson des Liedes beschreibt, wie die Uhren langsamer gehen, sich rückwärts drehen, kurz gesagt: jemand richtet sich in einem geträumten Stillstand der Zeit ein. Robert kennt sich damit aus, einem schwankenden Zeitempfinden nachzuspüren. Unvergessen sein Lied, in dem er den verschwundenen Jazzclubs von Paris nachspürt: „Old Europe“. Wer Vincent Segals Spiel näher kennenlernen möchte, sei auf die Duo-Arbeit CHAMBER MUSIC (mit Ballake Sissoko) hingewiesen.

    Robert und Vincent fanden es eine gute Idee, nach unserem Interview ins selbige Bistro zu gehen. Es findet sich nicht weit vom Studio, in der Rue Roger Verlomme. Die nächstgelegene Metrostation ist „Chemin Vert“. Es ist wirklich ein Bistro, das einem wie ausgedacht oder geträumt vorkommt. Wir tranken erst mal einen Pastis, wofür dieser Ladem berühmt zu sein scheint, schon im Lied erklang der Name dieser Spirituose im Refrain. Dieses Bistro hat 20 Sorten von Pastis auf der Karte, unglaublich. Von den Wänden lachen uns freundlich gesonnene Filmfiguren an, der Patron geht mit einem Bonbonglas von Tisch zu Tisch. Er kennt Vincent Segal seit vielen Jahren und freut sich über die Hommage. Die Speisekarte ist im übrigen sehr südfranzösisch. Mir schmeckt das „Margret de canard au romarin“ köstlich, ein Entenbrustfilet mit Rosmarin. Eine Mousse au chocolat wird immer wieder in einer grossen Glasschüssel vorbei gebracht, jeder kann sich nach Herzenslust bedienen.

    Wir reden über Gott und die Welt. Die Zeit scheint wirklich etwas langsamer zu ticken, und es tut mir in der Seele weh, auf die Uhr zu schauen, und meine Rückfahrt in zwei Stunden in Angriff nehmen zu müssen. Ich rufe in meinem Büro in Köln an, und darf eine weitere Nacht anhängen. Es wurde ein langer Abend voller nachhallender Gespräche. Ohne dass mein Mikrofon eingeschaltet war. In der Erinnerung fallen mir immer wieder andere Momente ein, etwa seine frühe Begegnung mit Thelonious Monk. Zum Abschied schenke ich Robert Wyatt die englische Übersetzung von Julio Cortazars Meisterwerk „Rayuela – Himmel und Hölle“. Leider ist der Song „Chez Janou“ nie erscheinen, die Folge eines Einbruchs in Vincents Tonstudio, bei dem auch drei Songs von Air für immer verloren gingen, die es nicht ganz auf „Moon Safari“ geschafft hatten. Am nächsten Morgen hatte ich noch Zeit, in einem der beinah rund um die Uhr geöffneten Kinos nahe dem Jardin du Luxembourg einen meine Lieblingsfilme von Francois Truffaut zu erleben (zum dritten, zum vierten Mal?), der bei uns in der alten BRD „Liebe auf der Flucht“ hiess, und, en passant, auch ein spannendes Filmexperiment darstellte.

  • In der Pariser Metro, im Keitumer Teekontor, und anderswo


    Es ist wie bei einer Meditation: die richtige Sitzposition hilft, zur Ruhe zu kommen. Der Teekontor in Keitum ist ein Power Spot, dessen bürgerliche Akkuratesse durchaus hilfreich ist für die Verwandlung des eigenen Bewusstseins. Dort nimmt man bei schlechtem Wetter auf der Couch Platz, von der aus das obige Bild geschossen wurde. Noch besser, im vordersten Strandkorb draussen, mit Blick auf die weite Prairie. (In der Regel sind sie anders aufgestellt, nämlich so, dass der Blick allein aufs weite grüne Feld gerichtet ist.) Man bestelle sich eine Kanne mit grünem, weissem, oder schwarzem Tee: die Beschreibungen der Getränkekarte sind verlässlich. Das High stellt sich nach 20 Minuten ein. Und so ist es nun mal beim Teegenuss: die Gedanken werden, mitunter, schärfer, heller, luftiger. Man muss es nicht Meditation nennen, auch „heiteres Verweilen“ macht Sinn. Ich habe dort schon oft über Stunden an dem „Sequencing“ der Stücke für die Klanghorizonte gearbeitet, mit Papier und Bleistift. (Das waren ja auch fünf Stunden in den letzten Jahren, also galt es fünf Spannungsbögen zu basteln.) Diesmal ist die Reihenfolge bei mir daheim entstanden. Jede gelungene Abfolge ein kleiner „Coup“.

    Im Zentrum der „Klanghorizonte“, die „Vertonung“ eines Texts von Ezra Pound. Es gibt Gedichte, die hallen nach seit frühen Jahren. Auf jeden Fall erging es mir so mit dem berühmten Dreizeiler von Ezra Pound, betitelt „In a Station of the Metro“. Wie oft dachte ich an ihn, wenn ich in London mit der Underground fuhr, Richtung Epping Forest, Picadilly Circus, oder Angel Station. Die zwei Zeilen unter der Überschrift: „The apparition of these faces in the crowd: / Petals on a wet, black bough.“ Zuweilen, wenn der Blick ins Leere ging, oder in Sekundenschnelle fremde Gesichter zu lesen versuchte, schwebte diese Vorstellung einher, diese Röhren der unterirdischen Räume als nasse kalte Baumstämme wahrzunehmen. Dann sprach ich die Zeilen leise aus, wie jenes andere Mantra in Londoner U-Bahnschächten: Mind the gap, mind the gap, mind the gap. Lauschen Sie, in den Klanghorizonten, der Vertonung von Erik Honoré. An seiner Seite Sidsel Endresen, Arve Henriksen, Jan Bang, Kirke Karja und Tim Nelson. Das Album „Triage“ wird beim diesjährigen Punktfestival in Kristiansand uraufgeführt. Es erscheint auf „Punkt Editions“. als LP, CD, und DL.

  • Tiramisu, Jazz, und Ank Anum (Nachklapp)

    Restaurant Robert. Am Rheinufer. 17. Juli, 11.50 Uhr. / The Flowflows: Toni, bcl, Lajla, Irish flute, Norbert, dr, Ulrike, spoken words, Olaf, spoken words, Michael, spoken words, Martina, spoken words. Das Wetter vor Ort: 21 Grad, vereinzelte Wolken.

    …. und hier der „Nachklapp“… das Beste war, dass es ein guter Mix war, und sich manche gar nicht kannten. Das galt sowohl für Blogger wie Blogleser. Radiohörer sind alle. Als hinterher ein paar Blogthemen zu in kleiner Runde behandelt wurden, war klar, dass technisches Knowhow und der Blogmacher Nevzat gefragt sind. Immerhin sollten bald Fotos passend in Texte eingefügt werden können. Undundund. Spätestens, wenn Nevzat aus dem Urlaub ist. Auch möchte ich wissen, wer an einem Zoom interessiert ist. Ich schicke noch eine Rundmail, und sende die Antworten dann, bearbeitet, an Nevzat. Lasst uns das nicht hier in den comments klären. Viel interessanter waren die „good vibes“ zwischen uns. Zwischen allen. Für mich war es eine besondere Freude, Toni und Norbert kennenzulernen. Und ich freue mich, bald einmal oder zweimal in dem Tornadostädtchen in Ostfriesland haltzumachen, und nicht minder, mal wieder in Hamburg rumzustromern. Mein letzten Konzerte dort, in der Fabrik, lange her, David Byrne und Lambchop. Toni hat mir Lust auf den Bremer Sendesaal gemacht, wo übrigens Florian Weber seine demnächst bei ECM erscheinende Arbeit aufgenommen hat. Nd die hat es in sich. Wir kamen von Hölzchen auf Stöckchen… ein calvinoeskes Treffen, lauter schöne Zufälle! (A propos: meinen Blutsbruder Matthias konnte ich nicht ausfindig machen, aber mein alter Schulkamerad und Polizist im Ruhestand, Michael Z., folgt einer Spur im „Gänsemarkt“.)

  • Das Juwel im Lotus



    Wenn man mit 18 das Downbeat Jazzmagazin abonniert hat, ist man als Musiklover identifiziert. Dort entdeckte ich 1974 eine 4 1/2 oder 5-Sterne-Besprechung dieser Schallplatte, und das las sich so spannend, dass ich als ECM follower der frühen Jahre sofort zugriff, via jazz by post oder sonstwo. Das wilde, oft impressionistische Flirren der Klänge packte mich mit dem ersten Ton, nie hat Bennie ein feineres Album als leader gemacht. Als sideman war er bei manchem hot shit dabei, von Herbie Hancock, Miles Davis und anderen Gesellen. Das Cover hat den spirituellen Charme der frühen Siebziger. Später erfuhr ich, dass Adam Rudolph als kleiner Knirps im New Yorker Studio mit dabei: sowas prägt, eines von Adams späteren Alben hiess Hu Vibrational. Gleich fahre ich mit der Bennies Meisterstück nach Köln, um die Playlist der Klanghorizonte (26.7., 21.05 Uhr) in den Computer mit dem wohlklingenden Namen Web Merlin reinzustellen. Die Fahrzeit von 50 Minuten wird komplett von Bennie Maupin und etwas Stille stadtauswärts und stadteinwärts begleitet. Bennie Maupin. Herbie Hancock. Buster Williams. Frederick Waits. Billy Hart. Bill Summers. Charles Sullivan. Ein Traum. Bennies Weggefährte bei Herbie Hancock, Posaunist Julian Priester, brachte nahezu zeitgleich bei ECM sein Album LOVE, LOVE raus, ein weiterer Meilenstein der Fusion-Ära. Wie die erste RETURN TO FOREVER Scheibe von Chick Corea. Oder die noch immer in den ECM Archiven schlummerne Arbeit THE CALL (ECM / Japo 6001) mit Mal Waldron, Eberhard Weber und zwei weiteren Zauberern.