Die Sache mit der Stunde Null (eine Frage)
Oft wurde der Minimalismus als Stunde Null der Amerikanischen Klassik gesehen. Ein Neuanfang in den USA, von Reich, Glass, Riley und Co. Ein Strukturprinzip: Repetition. Oft wird auch die Krautrockära in der BRD als eine Art Stunde Null gesehen: die Abkehr von anglo-amerikanischen Idolen der Rockmusik, und Beginn eines neuen Weges, bei Kraftwerk, Can, Neu, Cluster et al. Ein Strukturprinzip: Repetition. Haben all die „Krautrocker“ die amerikanischen Minimalisten als Inspiration gewählt?
Ab und zu hatte ich über die Jahre die Vorstellung, dass Holger Czukay, Jaki Liebezeit, Ralf Hütter, Michael Rother, Florian Schneider, die Zwei von Cluster und andere, zuhause, wieder und wieder, Klassiker des Amerikanischen Minimalismus gehört haben (Drumming, In C, Rainbow In Curved Air) und davon träumten, solche Repetitionen herzunehmen und damit Eigensinniges anzustellen.
Jüngst kam ich auf die Idee, in den Klanghorizonten am Anfang, in der Mitte und am Ende, drei tolle Werke des „Minimalismus“ ausschnittweise zu spielen, die sehr repetitiv sind, mit Delay und Tonbandgeräten arbeiten, und, eine gemeinsames Merkmal der drei Platten, allesamt mit einer Reizüberflutung agieren: das eigene Bewusstsein wird dermassen mit akustischen Ereignissen „überladen“, dass eine andere Art von Hören erforderlich ist, um sich dem „hingeben“ zu können: die Rede ist von Steve Reichs „It‘s Gonna Rain“, Terry Rileys „Shri Camel“, und – einem Album, das ich mal einen lang vergrabenen Schatz der Krautrockära nenne – Günter Schickerts „Samtvogel“.
Dec 6 until Mar 25 – my favourites and a lesson in escapism
(Erste Viereljahresliste) Okay, das ist der Job des Musikjournalisten, die Zukunft ein wenig anzugraben. Und nun also die Alben, die mich voll gepackt haben, ohne Ranking, ohne Umschweife, ohne „Listenlook“. Icn hoffe, ich habe etwas verpasst, sonst wäre diese Sammlung ja nahezu perfekt. Alabaster DePlumes Meditationen über das Paradoxon der Klinge sind schon auf den ersten fünf Plätzen meiner nächsten Nilkolausliste gebucht. Burner! Diese skandinavische „Super Group“ namens Unionen bescherte WeJazz Records am Nikolaustag 2024 einen Blick in jene Zukunft des Jazz, in der es noch Unberechenbares und Wundersames gibt. Lange keine Platte mehr im Dämmerlicht dreimal hintereinander gehört. Jon Balkes „Skrifum“ ist das erste Fünf-Sterne-Album des Jahre von ECM. Richard Dawsons „End Of The Middle“ ist ein umwerfend raues Meisterstück über den Alltag unserer Tage im All, aber es fordert Hörgewohnheiten heraus und verlangt gutes Englisch. Anouar Brahems „Last Days Of Sky“ ist in Besetzung und Ausführung eine Klasse für sich, mit all den dunklen Himmeln, die das mitschwingen. Wer Dave Holland dort Bass spielen hört, möge seine uralte Schallplatte „Conference Of The Birds“ rauskramen und mit ein kleines Dankeschön schicken. (Aber nicht dieses Meisterstück vom Dave Hollands Quartet escheint als übernächste „Ausgrabung“ in der Luminessence-Reihe, sondern Bennie Maupins Sternstunde „The Jewel In The Lotus“. Im Mai.) Und zum Schluss dieser Plattenschau ein wenig Eskapismus. Wie, was? Ja, die Platte mit dem verboten bunten Cover da oben habe ich mir heute aus Berlin bestellt, nie gehört, aber neugierig – schliesslich besitze ich den janpanisch-balearischen Klangtraum namens „Pacific“ auf Vinyl, von eben diesem Herrn Haruomi und einigen seiner Gefährten aus fernen Zeiten.
Eno on Ibiza, 1977
The day before yesterday Brian gave his last lecture on school of songs. Here is one story he told, and I‘ve never heard it before. And after that, listen to the song he has been hunting down fourteen years. Not long ago, WeWantSounds reissued the album containing that track. By the way, it was 1977 when he heard the song for the first time, a time where „global music“ was not yet somthing for everyday. The records that were mirroring music from far away places were not so many … after Tom Scott’s Music For Zen Meditation, after Don Cherry’s Brown Rice, after Yusef Lateef‘s Eastern Sounds, all reflecting north african, arabic style musics or sounds from the far east, it took a time til, at the end of the 70‘s, at the begnning of the 80‘s that thing called „world music“ entered Western cinsciousness, and the market became, after quite some time, a big one: from originals to creative fusion, and pure mainstream on the other end of the spectrum.looking back on eno‘s seminar on songwriting
I even wrote one song in these weeks, a spoken-word piece with a bit of singing – 😉 – called „Ein kleiner Strand“. I like it enough to post it here one day… in case, Tommy Perman and Jan Bang add their magic! It was a great experience to come together with people from all over the world. Hello, Tom Boon! But, I am so familiar with Brian‘s thoughts, and not really planning to write songs in the future, that it had a kind of nostalgic vibe. Brian is in the years now, as we all are who grew up with his music from the 70‘s onwards. And, apart from his clear and humourous ways of lecturing, the Brian who keeps surprising me most, is the Brian putting out new albums. Secretly, I am hoping fo another song album. What he did on „Foreverandevernomore“ was definitely a fantastic late work, opening new gates of perception with a voice and vocals that have aged well. The song he created for Eno, the documentary, „All I Remember“ showed clearly that he can still write songs that are more connected with a sensual and visceral memory, instead of the dark time travel songs of a distant future (the near future yesterday threw some dark shadows on politics in Germany with fucking right wing fascists and a future Kanzler counting on their voices). And it was a very personal song. Why not do a whole work of such sophisticated, sentimental torch songs!? An artist who regularly refuses to write confessional songs would surprise us one more time. By the way, my song „Ein kleiner Strand“ has a distant echo of Seven Regener‘s songs, but it is not a love song, and will have, in its final version (that probably never sees the light of day) more electronics inside.
Die neuen Rechten in deiner Strasse
Es ist nicht nur so, dass die politische Sozialisation allein auf Plattformen stattfindet, die politische Wahrheiten Lügen strafen und so eine junge Generation Halbgebildeter der AfD zutreiben.
Es ist auch so, dass man einer, zugegeben sehr kleinen Gruppe von sog. Intellektuellen, die man eher beim linken Flügel der SPD (gibt es den noch?) oder bei den Grünen vermutet, neuerdings Sympathien für die Rechtspopulisten der AfD feststellt. Manche sagen dies offen, manche zögerlich. Manche schwafeln dumm herum. Manche halten die Partei tatsächlich für eine wählbare Alternative, etwa, wenn sie sich von ihrer rechtsradikalen Jugendorganisation trennen. Nun, das ist jetzt geschehen. Oder, wenn Höcke nicht ihr Kanzlerkandidat ist. Nun: so sieht es aus.
Mit solchen verkappten Sympathiebekundungen konfrontiert, rudern sie nur halbherzig zurück. In zwei Fällen, bei mir in der der Nähe, besuchen solche „neuen Sympathisanten“ öffentlich Kundgebungen der Partei von Weidel, Höcke und Co., und sie sparen nicht mit Beifall, wenn sie sich unter ihresgleichen bewegen. Herr Wallraff, wäre er noch im Einsatz, hätte eine Menge zu berichten, undercover. Ich stellte einen zur Rede, freundlich, aber deutlich, und seine sonst immer nette Fassade wechselte in den Hassjargon: „Kümmer dich um deinen eigenen Dreck.“ „Das ist erbärmlich“, entgegenete ich, „zuletzt sprachen wir noch über unseren Sommerurlaub“, aber da hatte er schon abgedreht.
Die 21 Millionen plus/minus kommen aus allen Ecken der Gesellschaft. Wir können es in diesem Winter in Deutschland, vor der Bundestagswahl, es nicht bei moralischer Entrüstung oder Resignation belassen. Wer die AfD verhindern will, tut gut daran, im kleinen Kreis die Empörten, Gefrusteten anzusprechen, die leichtfertig ihre Stimme der AfD geben wollen. Die meisten von uns kennen solche „Kandidaten“. Ich bin kein Freund der Israelpolitik der Grünen, und ihrer bloss mahnenden Worten an offiziell anerkannte Kriegsverbrecher, aber ich sehe keine Alternative. Simpel, aber wahr: jede Stimme zählt! In der Auseinandersetzung mit der AfD darf es keine Restsympathien geben, kein „vielleicht“, nur klare Kante!
Wer etwas Geld hat, könnte zum Beispiel Campact unterstützen, die demokratischen Widerstand gegen die Neue Rechte leisten. Die Unterstützung klug organisierter Aktionen gegen die AfD ist bedeutsam in diesen Wochen vor der Bundestagswahl, in denen der designierte Kanzlerkandidat Merz gerade den Trump gibt, und die Brandmauer gegen die AfD zu bröckeln droht. Eine ganz gefährliche Entwicklung.“Sei erschütterbar und widersteh“, so textete einst Peter Rühmkorf, und als ich jüngst sein ECM-Album „Kein Apolloprogramm für Lyrik“ wieder mal hörte, konnte ich es leicht als Resonanz auf unsere Jetztzeit in deutschen Landen erleben. „Haltbar bis Ende 1999“ lautete der Titel meines Lieblingsbandes von ihm, den ich damals, in der alten BRD, auf Langeoog in einer Buchhandlung nah am Strand erwarb. Auf dem Cover ein überquellender Aschenbecher.
Einmal, im April des letzten Jahres, brachte ich ein, zwei Strophen aus einem Rühmkorf-Gedicht zu Gehör, in den letzten sieben Minuten der damaligen Ausgabe der JazzFacts: HIER nachzuhören!
Antifaschistische Grüsse!
Rich und seine Songwerkstatt (2/3)
Nach Enos „Songwebinar“ stiess ich auf einen sehr, sehr langen Artikel von Tom Pinnock in der Märzausgabe von Uncut über Richard Dawson. Und dieser Artikel ist preisverdächtig. Rich ist ein dankbarer Gesprächspartner, ein Füllhorn des Exzentrischen, privat, und in seiner Musik, aber diesen Mix aus Biographie, Songanalyse, Erfahrungsbericht, Storytelling und Interview muss man erst mal so hinkriegen. Nicht jeder wird sich mit Dawsons neuem Album „End Of Middle“ auf Anhieb anfreunden, dessen Kernthemen das Ungewöhnliche am sog. „gewöhnlichen Leben“ sowie die Weitergabe von Traumata von einer Generation zur nächsten sind. Sehr, sehr selten wurde da bis heute in einem Songalbum abgehandelt.
Und gerne verdichte ich das alles ein wenig in meiner kommentierten Nacherzählung. Er wollte sich in diesem Werk gar nicht so weit wie sonst in kühne Soundwelten begeben, sondern möglichst normale Songs schaffen, mit Melodie, Text, den basics, und „ohne die zusätzlichen Kameraschwenks“. Und das er bei den fernen Echoräumen dieses Konzeptalbums auch bei Neil Youngs Album „Zuma“ landet, ist eine Pointe des zweiten Akts dieses Dreiteilers. Und dass der Schuppen, in dem er all die Songs dieses neuen Werks geschrieben hatte, von einem Sturm zerstört wurde, kurze Zeit nach der Fertigstellung des letzten Stückes, gehört zu den surrealen Bestandteilen dieses Porträts.
Noch ist es mir nicht gelungen, einen Song des Albums an einer perfekten Stelle meiner März-Klanghorizonte unterzubringen (siehe „monthly revelations“ – RADIO), aber ist ja noch viel Zeit bis dahin.
Wir stapfen durch vereiste Gassen zurück zu Richs Haus, einem Reihenhaus aus dem 19. Jahrhundert, in das er und Sally im Jahr 2020 eingezogen sind. Bis dahin hatte er sein ganzes Leben in Newcastle verbracht, ihr Auto, das auf den Namen Naomi getauft wurde, steht auf der Rückseite des Hauses, während der Garten einen Apfelbaum, eine kompakte Sauna und eine Schar von Gnomen beherbergt. Während sich die beiden drinnen Tee und selbstgebackenen Apfelkuchen holen, ruht ihre schwarze Katze Trouble auf gemusterten Decken auf dem Sofa. An der Wand hängt Dawsons Lieblingsgitarre, eine modifizierte Baby Taylor. „Ich spiele sie jeden Tag“, erklärt er. „Von ihr kommen alle Songs. Sie ist eine Tür, eine Rettungsinsel, ein Spiegel. Es ist ein Zauberstab.“
Eine Reihe von Schallplatten repräsentiert Dawsons vielfältigen Geschmack: Es gibt große Abteilungen für The Fall, Sun Ra, Rajasthani Straßenmusik, Laurie Spiegel, Eliane Radigue, Guy Klucevsek Gas, Sonny Sharrock und John Coltrane, unter anderem. „60 Horses In My Herd“ von Huun-Huur-Tu, das ist eine Schlüsselplatte für mich“, schwärmt er. „Ich habe so viel darüber gelernt, wie ich singen will, vor allem bei diesem einen Stück. Es wird nie alt.“ Diese Einflüsse ermöglichten es ihm, einen kaleidoskopischen Stil zu entwickeln, der an die Avantgarde und unzählige globale Musiken ebenso anknüpft wie an seine „Open-Tuned“-Gitarre, britischen Folk oder transatlantischen Rock. Sein Produzent Sam Grant sah ihn zum ersten Mal ein oder zwei Jahre vor dem 2011 in einem italienischen Restaurant in Newcastle, das experimentelle Performances veranstaltete; er war bereits dabei, die Grenzen zu erweitern.
„Wir waren alle beeindruckt“, erinnert sich Grant. „Er hatte die Gabe, einen Raum völlig zum Schweigen zu bringen. Wenn er anfing, gab es ein lautes Gerede im Raum, und dann wurden die Leute nach und nach von der Musik angezogen. Am Ende des Liedes hörte er auf und der Raum war völlig still. Nicht ein Atemzug! Es war immer bemerkenswert.“
Alkohol spielt für die Charaktere auf End Of The Middle eine große Rolle: die Oma, die sich in „Gondola“ durch den Blossom Hill quält; der labile Erzähler von „Knot“, der auf einer Hochzeit einen Geistesblitz hat; der arbeitslose Vater in „Removals Van“, der seine Sorgen in Dosenbier ertränkt. Auf dem Vorgänger The Ruby Cord von 2022 sind die Charaktere schräg, ganz im Sinne des Einflusses von VR-Welten und Pynchon-Romanen. End Of The Middle hingegen präsentiert seine Spieler in grellem Scheinwerferlicht, ihre alltägliche Plackerei beleuchtet komplexe Innenwelten.
„Ich wollte, dass es wie ein Buch von Alain Robbe-Grillet oder Georges Perec ist – ganze Romane, die nur Räume und Zimmer beschreiben. Natürlich wird ein Album anders, als man es sich vorgestellt hat, wenn man anfängt, sich darauf einzulassen. Das Unkraut nimmt überhand. Ich habe dieses Ding hier gepflanzt, aber dann ist es gewachsen und wurde von meinem ganzen Mist erstickt.“
Das Ergebnis lässt tief in die Dynamik und das Trauma von Familien blicken, wobei wiederkehrende Namen eine Kontinuität suggerieren, der Dawson gerne ausweicht. Der Sound des Albums passt zu den alltäglichen Themen: Wo Peasant and The Ruby Cord mit schwingender Geige und manischer Harfe schwirrte und 2020 von E-Gitarren, Drumcomputern und Synthesizern auf einen kantigen Punkt geschliffen wurde, besteht End Of The Middle hauptsächlich aus genau diesem Baby Taylor und Andrew Cheethams zaghaftem Schlagzeug. Dawson erwähnt den frühen Neil Young als Einfluss, ebenso wie Michael Hurley: „Es gibt so viel an Michael Hurleys Platten, das das verkörpert, was ich an der Musik anderer Leute liebe – den Raum zu hören, das Klebeband, wo die Nägel eingeschlagen wurden.“
„Wir wollten, dass es so klingt, als würde Richard in einem Wohnzimmer für alle und niemanden spielen“, sagt Grant. „Es gibt keine Fanfaren, nur eine Bescheidenheit und einen sehr exponierten Sound, der dem Song selbst keinen Raum für Selbstgefälligkeit lässt.“
„Richard wollte, dass es wirklich einfach ist“, fügt Schlagzeuger Andrew Cheetham hinzu. „Er bat mich immer wieder, das Schlagzeug ’schwach‘ und ‚zerbrechlich‘ klingen zu lassen, ein bisschen pathetisch. Wir haben es zusammen aufgenommen, den Gesang danach – er wollte dieses Zusammengehörigkeitsgefühl, das man zum Beispiel bei Neil Youngs Zuma hat, dieses entspannte Gefühl.“
Auf dem gesamten Album blitzt immer wieder die Free-Improvisations-Klarinette von Faye MacCalman auf. „Sie spielt eine ähnliche Rolle wie die Geige von Angharad Davies auf Peasant – als eine Schicht aus Frost, gefrierendem Nebel oder Nieselregen“, sinniert Dawson. „Das Album beginnt mit ‚Bolt‘, wo ein Blitz in die Ecken des Hauses leuchtet. Die Klarinette ist wie der Blitz, der in bestimmten Momenten in jedem Song wieder auftaucht, um uns einen Schubs zu geben – ‚Wake up!‘ Als ich ein Kind war, schlug der Blitz tatsächlich in das Haus meiner Familie ein: Mein Vater hatte 10 Sekunden vorher aufgelegt und dann war das Telefon braun und verkohlt. Das war wirklich knapp – etwa 10 Menschen sterben jedes Jahr, weil sie vom Blitz getroffen werden.
Die Düsternis von Dawsons Material wird durch absurden Humor konterkariert, wie in „Bullies“, wo ein Elternteil einen Anruf wegen des Mobbingverhaltens seines Kindes erhält:
“I was in the middle of a Zoom / With one of our most important clients / Majestic Wine…”
„Er hat eine unheimliche Fähigkeit, das Leichte mit dem Schweren zu verbinden“, sagt Grant. „Ich denke, dass die Wachsamkeit oft durch etwas scheinbar Leichtes und Verspieltes gesenkt wird, was es der Musik und den gewichtigen Themen erlaubt, noch ein bisschen härter zuzuschlagen.“
Rich und seine Songwerkstatt (1/3)
In der Kleingartenanlage, in der Rich Dawson sein neues Album „End Of The Middle“ sorgfältig pflegt, ist etwas in Bewegung geraten. Das jüngste Werk des Singer-Songwriters erforscht die Dynamik und das Trauma von Familien. Beim Blick in den Polytunnel erfahren wir, wie Blitzeinschläge, Gnome, Andrei Tarkovsky und „zerbrechliche“ Trommeln dazu beigetragen haben, Dawsons neueste musikalische Ernte zu einzifahren. „Ein Lied ist eine Form von Magie“, sagt Rich. Aber fangen wir mit dem Anfang an. Dies ist eine stark bearbeitete, aber relativ wortgetreue, zudem teilweise kommentierte, Nacherzählung von Tim Pinnocks Begegnung mit Rich in drei Akten.
An einem gefrorenen Berghang über dem „Tyne Valley“ zeigt Richard Dawson die Vorzüge einer dezenten Idylle. Grünkohl, Knollensellerie und Knoblauch sind unter einem Netz geschützt, Erdbeeren und Kürbisse im Polytunnel, Kartoffeln sprießen unter durchnässtem Karton und zwei Arten von Artischocken. „Es ist magisch hier oben, nicht wahr?“, sagt er und blickt danei hinaus in die Landschaft. Auf der Hügelkuppe zeichnen sich Pferde ab, und ein dunkelbrauner Vogel kauert auf einem Zaun, während der Tyne unter uns vorbeizieht, ohne dass wir ihn sehen. Doch es ist nicht alles so, wie es scheint.
„Ich hasse den Kleingarten“, sagt er. „Ich habe eine Zeit lang versucht, mir das nicht einzugestehen. Ich hasse alles, was mit Molekülen zu tun hat. Ich hasse es, etwas anzufassen, ich hasse es, einen Körper zu haben, ich hasse es, Kleidung anzuziehen. Das ist alles schrecklich. Ich mag es einfach, mit Worten und Gedanken und Luft zu arbeiten – gasförmiges Zeug, das ist schön, das mag ich.“
Der Kleingarten hat Dawson zumindest die nötige Ruhe verschafft, um seinen gasförmigen Leidenschaften nachzugehen. Dazu gehört auch ein Schuppen, in dem er die Texte für sein neues, achtes Album „End Of The Middle“ geschrieben hat. Darin befinden sich nur ein harter Stuhl, ein winziger Schreibtisch, eine ungeöffnete Flasche Brandy und ein 10er-Pack Boddingtons (acht Dosen unangetastet). Dawson verbrachte dort acht Monate, mit Unterbrechungen, um die Songs zu schreiben. Nicht lange nachdem er fertig war, kippte der Sturm Jocelyn den Schuppen um.
„So zu schreiben ist kein sehr praktischer Prozess“, gibt er zu. „Aber ich weiß nicht, wie ich es sonst machen soll. Pferde kommen und schauen durch das Stallfenster herein, es gibt Raubvögel, herumhuschende Säugetiere und…“ Ein Esel brüllt in der Nähe. „Ein Drache?“
Obwohl Dawson am Tag vor unserem Treffen seinen eigenen Polytunnel reparierte, ist der erste Track von End Of The Middle, „Polytunnel“, nicht autobiografisch. „Das ist die Realität, die die Kunst widerspiegelt“, erklärt er, “nicht umgekehrt.“ Wie viele große Schriftsteller lässt er sich von seinem eigenen Alltag inspirieren, erschafft aber fiktive Charaktere, die sich sehr lebensecht anfühlen. „Alle Figuren sind frisch, sie sind alle sehr präsent“, sagt er.
Einst ein jugendlicher Metalhead, der in ein verlorenes Jahrzehnt abdriftete, hat sich Dawson in den letzten 15 Jahren durch harte Arbeit und Entschlossenheit zu einem Songwriter von außerordentlicher Kraft, einem hervorragenden Gitarristen und einem unglaublichen Sänger entwickelt. Dieser Künstler verbringt fünf lange Wochen damit, einen Song über einen halb verwahrlosten Vater zu schreiben, der seine Tochter vom Fußballtraining abholt, um ihn dann zu verwerfen und einen neuen Text über einen mythischen Oger aus dem sechsten Jahrhundert zu schreiben, der auch eine Parabel auf die heutigen Asylsuchenden sein könnte.
(Fortsetzung folgt)
„in memory of elizabeth reed“
Wie oft habe ich dieses Instrumentalstück gehört. Ich fragte mich immer, wer Elizabeth Reed gewesen war. Die unfassbare Kraft dieses Songs ohne Worte kommt mir in den Sinn, wenn, ich jetzt an G.denke. A celebration of life lived, and yearning.
Lieber U!
Das ist so bestürzend. Der Tod von G.
Ich seh uns alle zusammensitzen wie in besten Zeiten,
noch vor so wenigen Wochen.
Wir kommen zur Bestattung und bleiben. Wir übernachten in dem guten Hotel nahbei, Brauers Landart oder so ähnlich, die Beiden kannten die Chefin gut…
Ich hustete wie verrückt, du sagtest, du wärst in 15 Jahren tot, und keiner von uns hat sowas für möglich gehalten… in meiner Fantasie gehörte dieses „Quartett alter Freunde“ einfach zu meinem Bild von der Zeit vor uns dazu, unverrückbar.Und die Zeit hinter uns: einmal, als ich die Unzertrennlichen besuchte, 2023, da holte sie ein altes Foto raus, auf dem ich, im Jahr 1982 zu sehen war, in Arnschwang, mit einer grünen Strähne im Haar, die G. mir gemacht hatte, und die so gut zu meinem knallbunten Käfer passte, der wie eine Hommage an Jackson Pollock aussah, oder wie „Herbie auf LSD“. Ausgelassene Freude gehörte zu ihr, wie seelenvoller, beschwingter Ernst. Empathie musste sie nie lernen.
G. was from the loving kind.
So long, my friend from old and new days.
MichaelDas Muschelhorn und die Philosophie
Meine erste Philosophievorlesung in Würzburg fand ein einem prunkvollen Raum der Residenz statt. Der Professor, tatsächlich mit wallend weissem Haar, warf Bilder an die Wand aus der Zeit der Höhlenmalerei und wollte an ihnen aufzeigen, wie man sich damals in die Empfindungswelt von Tieren einfühlte, um den Jagdsinn zu schulen. Ein wenig kam ich mir wie bei Jules Verne vor. 1931 entdeckten Forscher in Südfrankreich am Eingang einer Höhle eine große Muschel. Auf den ersten Blick unscheinbar, schlummerte sie jahrzehntelang in den Sammlungen eines nahe gelegenen Naturkundemuseums. Hier schien nun eine andere Art des Kreativen zu wirken. 2020 wurde diese rund einen Meter lange Muschelschale nämlich mit moderner Bildgebungstechnologie neu analysiert, und man kam zu dem Schluss, dass die Muschel absichtlich zerkleinert und durchlöchert wurde, um sie in ein Musikinstrument zu verwandeln. Es scheint sich also um ein extrem seltenes Beispiel eines „Muschelhorns“ aus dem Paläolithikum zu handeln. Und es funktioniert immer noch – ein Musiker entlockte der 17.000 Jahre alten Muschel kürzlich drei Töne. Das ist doch fast unglaublich.
“Ash Grey And The Gull Glides On“ – moments of a little conversation about falling in love with this and that
Listening to this album from the label „Clay Pipe Music“, I fell in love with it on first sight and sound. I sent Tommy Perman some questions, he sent them to Andrew Wasylyk. And what you read now are some of their written answers. I skipped my questions and edited the stuff a little bit. At the end Tommy added the lyrics from the only song of the album, „Be The Hammer“, the closer, the final piece, written and performed by Aidan John Moffatt. Now this little talk starts with the lyrics. My proposal: read them carefully before listening to the whole album in a row.
We sign our names on walls, across grand hall and malls; we shout in silence, we whisper loud. We fight our foes unseen, well-mannered and well mean; we are not precious, we’re not proud. With all this noise around us, no one has seen or found us. They scoff, and scorn and fear us; we just want some ears to hear us. We steal your time, your air; you wash us out your hair. We are the dead, the disavowed. We live in cracks and corners, we are the merry mourners. We are the raindrops, not the cloud.
Tommy: „Ash Grey And The Gull Glides On“ is centred around the upright piano in Andrew’s studio. The first project that Andrew and I collaborated on was a music video for his song “Mariner’s Hymn” some years ago. The simple idea for the video was to beam footage of the North Sea and the East Coast of Scotland onto the piano as Andrew played. During the making of the video I became quite fascinated with the mechanical workings of the upright piano. Slowly an idea for a musical collaboration began to form in my head. I started thinking of the prepared piano of John Cage but also the more contemporary uses by German composer Hauscka where he makes electronic-sounding music from a prepared piano. I thought of these inspirations as starting points. At the time I was experimenting with unusual electronic production techniques, searching for ways of fusing Andrew’s piano-playing with unconventional sounds. Then just before the first coronavirus lockdown in the UK I designed a set of recording instruction cards for Andrew and mailed them to him.
Andrew: Given half the chance, Tommy overflows with great ideas. Early on in our collaboration he designed some beautiful instruction cards and posted them to me. Sets of ‘Recording Instructions’, ‘Chord’ and ‘Tempo’ cards. On them printed instructions, like: “Slap the back of the piano with the palm of your hand. Repeat 10 times in different places.” And “If it’s dark outside: 130bpm. If it’s light: 90 bpm.” I found them inspiring and ended up with a load of recordings with a wide range of noises from my upright; knocks, clangs, creeks and scrapes of the piano strings. Tommy manipulated these, diced them up, passing them through numerous effects and processes to shape our approach for the album.
Tommy: I think both of us had lots of different inspirations for each track on the album. But a few artists who frequently come to mind for me are Arthur Russell, Charles Stepney and Kaitlyn Aurelia Smith. All three I admire for their playfulness and studio innovations but also because their music is catchy and accessible.
Andrew: Balearic, Suzanne Ciani, ‘Pet Sounds’, and everything in between.
Tommy: I love that you are hearing these references to Cluster, to Moebius and Roedelius on our album. It’s an honour to be compared to such great musicians but they weren’t consciously on my mind while working on this collaboration. I particularly enjoy the „Cluster & Eno“ album and „Zuckerzeit“. I don’t know much about the solo albums of Moebius and Roedelius – can you recommend some things for me to listen to? Where is a good place to start?
Michael: My first choice would be Roedelius‘ „Durch die Wüste“, and „Rastakraut Pasta“ by Moebius & Plank, both with the magic of Conny Plank in it.
Tommy: Andrew’s willingness to experiment musically! It has been such a fun musical conversation. I approached our collaboration in quite a playful manner and created some pretty weird music sketches to share with Andrew and I’m so in awe of how he responded. It was always such a treat to hear his ideas.
Tommy: The album is largely instrumental but many of the tracks feature subtle vocalisations, wordless sung choruses and words used as almost ritualistic chants. To me it felt like the album was building towards a finale that should include a full vocal. While Andrew and I are both huge fans of instrumental music we also share a love of poetry and spoken word. We are huge fans of Aidan Moffat from the band Arab Strap. I have been lucky enough to get to work with Aidan a few times before, but it was Andrew’s idea to send the instrumental of Be The Hammer to him…
Andrew: It was a real thrill collaborating with Aidan and Tommy on this. I’ve followed Arab Strap since about „Monday At The Hug And Pint“. Aidan’s record with Bill Wells, „Everything’s Getting Older“, is really special. As the melodic structure grew for this track, I began to imagine a story weaving through it and thought I’d chance my luck and knock on Aidan’s door. I think he may have partly written the lyrics while away on tour with Arab Strap.
Andrew: To me it feels like the label Clay Pipe have created a world you can consistently invest your emotions in. Much of that stems from the identity and magic in Frances Castle’s artwork (the Clay Pipe founder), as well as her generosity, support and encouragement. In a very male-dominated industry it’s important to acknowledge how female leadership, such as Frances’, is successfully making a culture of creativity and a change for good.
Tommy: Frances Castle runs the label on her own and does such an amazing job. She has built up such a distinctive character for the record label through her careful curation of music and her individual visual style across all the album covers. I’m so happy that our album is part of the Clay Pipe catalogue! The cover for this one… it’s a memorable and eye-catching design. I love the bold geometric cover she created. It works great digitally but even better printed as a 12” album sleeve.
Michael: Indeed. The cover of Andrew’s last solo album on Clay Pipe Music looks promising, too. Waiting now for the music inside of „Hearing The Water Before Seeing The Falls“. A freshly pulsating, new English underground, kind of. Some call it „Grassroots Electronica“.Tommy: Recently fell in love with Daisy Rickman‘s „Howl“. Daisy’s songs have the right mix of catchy vocal hooks and transcendental arrangements to get lost in. Her music is reminiscent of many of my favourite artists but with a freshness that really appeals to me. The entire album is written, performed and produced by Rickman at home. She even did the cover artwork, designed the sleeve and released the vinyl herself. It’s a very impressive piece of work. And then there was „My Noise Is Nothing“ by Lord Of The Isles & Ellen Renton. Although this came out at the end of 2023 I didn’t properly listen to it until quite recently. „Lord of the Isles“ is the moniker of Scottish electronic producer Neil McDonald. His collaboration with Edinburgh-based poet Ellen Renton works so well. Ellen’s words and delivery are a perfect match for Neil’s soundscapes and electronic rhythms.
Tommy: Speaking of three desert island albums, there is, at first, Nina Simone’s „Tell Me More“. My mum used to review records for a newspaper and so I grew up with lots of great albums in our house. This album really caught my attention as a moody teenager and I often listened to Sinnerman and Strange Fruit before going to sleep. I know lots of people prefer Billie Holliday’s version of Strange Fruit but the way Nina Simone sings it sends shivers down my spine. I find her voice so full of emotion, it affects me deeply.
Tommy: Then John Martyn’s „Solid Air“. I can’t even guess at how many times I’ve listened to this album and I don’t think I’ll ever tire of it. Everything about it, the songwriting, John’s liquid vocal performance, the combination of instruments and incredible musicianship make it a near perfect record for me. Danny Thompson’s double-bass and Tristan Fry’s vibraphone are so good. I find it a deeply comforting album to listen to.
Tommy: As number three William Onyeabor‘s „Who is William Onyeabor?“ pops up. If these really are my only three albums to listen to on a desert island then I need something uptempo to stop me from wallowing. I discovered William Onyeabor’s music shortly before this compilation on Luaka Bop was released. All of the music is so joyful and the grooves are so infectious that it never fails to brighten my mood.