• Die Verweigerung des amerikanischen Traums (Teil 2)

    „More than any other American film of that time, Medium Cool learned from John-Luc Godard how to blur the line between fact and fiction and how to interrogate the film-making process in the course of making a movie, though Wexler, in his commentary, cites Peter Watkins’s Punishment Park as a potent influence.“ (P. French, The Guardian)


    „Medium Cool“, dachte ich anfangs, vor Jahren, nie gehört, mal sehen, und dann: reines Staunen! Die grosse Leinwand bietet auch beim zweiten Sehen einen Film, bei dem es mir nicht leicht fällt, eine sachdienliche Distanz zu wahren

    Medium Cool“ ist für mich einer der ganz grossen Filme jener Ära des sog. „New Hollywood“. Und überhaupt. Mich packt er ein ums andere Mal, und ich bedaure, ihn nicht schon damals, 1969, als Teenager gesehen, besser, erlebt zu haben. 

    So was von fesselnd, zum Nachdenken anregend sowieso,  und vor allem eine einzigartige Aufzeichnung eines wichtigen Ortes und einer wichtigen Zeit! 

    Es ist 1968, ein Kongress der Demokraten. USA. Eine harte politische Zeit im Land. Für einige, die diesen Film nicht kennen, könnte er eine Art Offenbarung sein, wie die Jahre der Gegenkultur in Szene gesetzt wird. 

    Zunächst einmal ist es eine ziemlich gute, wenn auch etwas unzusammenhängende Geschichte: zwei „weltgewandte“ Nachrichtenreporter aus der Mittelschicht werden geschickt, um den Parteitag der Demokraten  in Chicago zu filmen und werden unwissentlich in die politischen Demonstrationen, und die innerstädtischen Probleme, die sie ausgelöst haben, verwickelt, obendrein noch in das Leben einer alleinerziehenden Mutter und ihres kleinen Sohnes in dieser rauen, verwirrenden und stark unterprivilegierten Welt! 

    Die schauspielerischen Leistungen sind hervorragend und manchmal so wirkungsvoll, dass es schwerfällt, sich bewusst zu machen, dass es sich um keine Sozialdokumentation handelt. Darüber hinaus wird der Film, mit seinen atemberaubenden Bildsequenzen, von einem perfekt abgestimmten Soundtrack aus den späten 60er Jahren untermalt. Die Psychedelik ist ein Teil davon und enthüllt einen weiteren Subtext dieser Ära.

    So weit so gut, aber das ist nur der Anfang. Hinzu kommen die umfangreichen Live-Aufnahmen von den Straßen Chicagos, während sich die Unruhen entwickeln, die von dem Kamerateam des Films gemacht wurden, als sie selbst in ein sehr „echtes“ politisches Drama verwickelt waren.

    Was für eine  bedrohliche Abfolge der Ereignisse, von einem lustigen „Tag im Park“ für die Hippies bis hin zu ernsthafter „Polizeistaats“-Gewalt! Dann sind da, ich komme schon beim  Nacherzählen aussser Atem, die ebenso beunruhigenden Bilder dessen, was in der Kongresshalle vor sich ging, alles parallel – und dann noch die klugen und beunruhigenden Szenen der verzweifelten Suche der Mutter nach ihrem verlorenen Sohn, während Wexler sie inmitten der zunehmend anarchischen Menge von Demonstranten und Truppen filmt, die sich zu dieser Zeit tatsächlich auf den Straßen befanden, und schon hat man, wie kann ich es sagen, etwas ganz Besonderes. Ein wahrlich atemraubender, tief berührender und erschütternder Film! 

    Nachklapp 1: Der Idiotenpräsident befiehtl im Juni 2025 die Nationalgarde nach Los Angeles. Eine brutale, menschenverachtende Ausweisungspolitik wird durchgezogen. Ich sehe Nachrichten. Einzelne Szenen erinern mich an „Medium Cool“. Wieviel hässlicher kann es noch werden!?

    Nachklapp 2: Update, 9.30 Uhr: Der australische Premierminister Anthony Albanese hat mit der US-Regierung über die bei den Protesten in Los Angeles von der Polizei verletzte Journalistin Lauren Tomasi gesprochen. Das berichtete die New York Times. Auf einer Videoaufnahme ist zu sehen, wie ein Polizist auf die Journalisten zielt und Tomasi mit einem Gummigeschoss am Bein trifft. Albanese habe den Vorfall auf einer Pressekonferenz als „schrecklich“ bezeichnet. Er habe hinzugefügt: „Wir finden das nicht akzeptabel.“

  • Das kurze Ende eines langen Traums

    „We’ll say, that was just another time, 
    One day, we will put it all behind,
    We’ll say, that was just another day on Earth“
    – Brian Eno, Just Another Day


    1 – Radio und Tagesrest

    Heute früh, in meiner letzten Traumphase, war ich wieder halbwegs in der Wirklichkeit angekommen. Mit dem Radiokollegen Karsten M.  sass ich zusammen und erzählte unserem einstigen Chef Harald, wie oft ich schon meine letzte Sendung in Angriff genommen hätte, und das Loslassen geübt. Aber es standen natürlich noch eine und noch eine Sendung an, ich war in der Redaktion, und Martina B. öffnete den Computer, damit ich letzte Änderungen der Playlist vornehmen könnte. 

    Etwas früher in der Nacht ging es wilder zu, und daran ist auch Martina Weber und ihr Text zu Monte Hellmans Film „Two-Lane Blacktop“ schuld, obwohl ich ihn noch gar nicht gelesen habe. Aber ich plante eine Art „parallel watching“ und bestellte mir ein kleines Paket mit dem Film. Der Film war 1971 komplett an mir vorübergegangen, und bis vor zwei Tagen wusste ich nicht mal was von seiner Existenz. Gestern Abend huschte ich, vorm Einschlafen, über die ersten zwei Absätze eines längeren, beiliegenden  Essays, und erfuhr, dass der Film, in der Blüte meiner jungen Hippiejahre (in dem Jahr, als ich Joni Mitchell und Miles Davis entdeckte) gar nicht in Deutschland in den Kinos lief. Hollywoods schräges Filmbusiness! Über den Inhalt las ich nichts.

    2 – A Day In The Life

    Und gestern sorgte noch etwas anderes dafür, dass ich einen besonderen Traum von alten Zeiten erleben sollte. Ein Blogtext von Richard Williams und seinem 16. Lebensjahr, er ist sieben Jahre älter als ich, und er beschreibt etwas, das aus einer Ära und einer Stadt stammt, in die mich meine allererste Zeitreise in einer Zeitmaschine wohl hinführen würde.

    „Als ich neulich ausräumte, stieß ich auf einen kurzen Versuch, im Winter 1963/64 ein erzählendes Tagebuch zu führen. Ich war 16 Jahre alt und ein paar Monate davon entfernt, die Schule verlassen zu dürfen, um es höflich auszudrücken. Der größte Teil des Tagebuchs handelte von Mädchen, und zwar so sehr, dass es direkt in den Schredder wanderte. Aber eine Seite schien mir erhaltenswert. Sie beschreibt einen Schulausflug von Nottingham nach London, der von einem unserer Englischlehrer organisiert worden war, um Joan Littlewoods neues Musical „Oh, What a Lovely War!“ zu sehen, das gerade von seiner ersten Aufführung im Theatre Royal Stratford East ins Wyndham’s Theatre in der Charing Cross Road an der östlichen Grenze von Soho verlegt worden war. Wie im Tagebucheintrag beschrieben, kamen wir in Soho an und waren auf uns allein gestellt. Samuel Pepys ist es nicht, aber es ist ein kleiner Schnappschuss von etwas Besonderem.  Wie Sie sehen werden, schwänzte ich am Tag vor der Reise die Probe des Schulorchesters, besuchte ein lokales Café, das mit vollem Namen „Don Juan“ hieß, nahm Kontrabassunterricht und kaufte eine Beatle-Jacke (braun, Rundhalsausschnitt, irgendwelche Zierknöpfe, bei C&A, glaube ich). An diesem Abend gingen ein Freund und ich in die Rainbow Rooms, wo gelegentlich Beatgruppen auftraten, um die Renegades, eine Band aus Birmingham, und die Rocking Vulcans, eine lokale Gruppe, zu sehen und mit einem Mädchenpaar namens Anne und Jean zu tanzen. 

    In Soho angekommen, schien es das Ziel zu sein, so viele Cafés wie möglich zu besuchen, insbesondere das 2i’s und das Heaven & Hell, die nebeneinander in der Old Compton Street lagen. Ich erinnere mich (habe es aber nicht aufgeschrieben), dass, als wir draußen standen, ein Pärchen mit minestens nacktem Oberkörper den Kopf aus einem Fenster im ersten Stock steckte, um mit jemandem auf der anderen Straßenseite zu plaudern; das muss das Leben sein, dachte ich. Wir besuchten auch Act 1 – Scene 1, direkt auf der anderen Straßenseite, und Le Macabre in der Meard Street, wo die Kunden auf Särgen saßen.

    Und es gab Plattenläden, darunter das kurzlebige Ronnie Scott’s in der Moor Street und zwangsläufig Dobell’s. Im Harlequin in der Berwick Street (das zwei Jahre zuvor eröffnet worden war) kaufte ich eine Prince Buster 45 auf dem Blue Beat Label (das dem später als Ska bekannten Idiom seinen Namen gab) und „Orange Street“ b/w „JA Blues“ von den Blue Flames. Das war auf dem R&B-Label, von dem ich heute weiß, dass es nach seinen Gründern Rita und Benny King (früher Isen oder Issel) benannt wurde, die einen Plattenladen in Stamford Hill betrieben und nebenbei ein Label hatten, um die vielen Westinder zu versorgen, die sich in der Gegend niedergelassen hatten.

    Nach der brillanten und sehr bewegenden Show im Wyndham’s, die von der Originalbesetzung, darunter Barbara Windsor und Victor Spinetti, aufgeführt wurde, schlenderten wir zum unteren Ende der Wardour Street, wo wir feststellen mussten, dass das Whisky A Go-Go und der Flamingo’s All Nighter außerhalb unserer Preisklasse lagen. Aber irgendwo namens Meg’s gab es den „besten Hamburger, den ich je gegessen habe“ – mit ziemlicher Sicherheit den ersten, der kein Wimpy war.

    Der „Jeff“, der mich bei diesen kleinen Abenteuern begleitete, war Jeffrey Minson, ein weiteres Mitglied unseres Folk-Trios und schließlich der Autor von Genealogies of Moral: Nietzsche, Foucault, Donzelot and the Eccentricity of Ethics. Ich wünschte nur, ich könnte mich daran erinnern, welche beiden Mitglieder der Rolling Stones wir an diesem Nachmittag in Akt 1 – Szene 1 gesehen hatten; ihre zweite Single, „I Wanna Be Your Man“, war am Tag zuvor veröffentlicht worden.

    3 – Ein Chevy und andere Tagesreste

    So weit, so gut, Richard! Meine Tageserlebnisse hatten genug Stoff angesammelt, um meine Traumerlebnisse in eine gewisse Richtung zu lenken, das Zauberwort der Traumforscher ist hier „Trauminkubation“. Aber hier kommt nun (für mich) die leichte Ernüchterung vor der wilden Pointe meines „amerikanischen Traums“: als ich um 4.30 Uhr daraus erwachte, stand ich auf und machte ein paar Notizen, aber merkte schon  da, wie viel mir aus einem epischen Traum entglitten war. Gerne würde ich die Traumerzählung in voller Länge ausbreiten, so detailfreudig wie Richards Tagebucherinnerung, aber ich bekam nur einen Zipfel davon zu fassen, das dezent-skurrile, melodramatische Ende. 

    Zum Rest des gestrigen Tages und Abends zählten übrigens noch folgende Dinge: die Nacherzählung besonders „musikalischer Weihnachten 1971“ im Rahmen des dritten Teils meiner „Gospel-Story“, die Frau auf einem Filmfoto von „Two Lane Blacktop“, die wohl die „heisse Braut“ in dem Film zu sein scheint, an der Seite von James Taylor. Und das Auto, das eine besondere Rolle in dem Kinofilm aus der „Easy Rider“-Phase des „New Hollywood“ stammte, ein umgebauter Chevrolet, Baujahr 1955, wie ich. Und ich fand gestern das nun 20 Jahre alte, Berliner Interview mit Brian Eno, wo es um das Album „Another Day On Earth“ ging. Insbesondere suchte ich darin nach seiner bewegenden „Gospelgeschichte“!

    4 – Ende eines Traums

    Ich war vielleicht Mitte 20 und mitten im bunten Treiben, in einer amerikanischen Stadt. Früh in den Siebzigern, keine Frage. Es gab viel zu tun, und ich wollte Hippiefreunden aus der Patsche helfen, mit knapp unter 1000 Dollar. Die Einzelsummen schrieb ich auf ein grosses Zeitungsblatt mit einem dicken Filzstift und zählte sie im Kopf zusammen. Meine Freundin sass neben mir – mein Gott, wie schön sie war! Bevor ich zum Hotel am anderen Ende der Stadt aufbrach, in einem alten Volkswagen (!), sagte ich ihr, sie solle in fünf Minuten nachkommen, ich würde die Sache mit dem Geld rasch regeln. Das tat ich auch. Ratzfatz war ich dort, und das Hotel sah aus, wie ich mir ein altes amerikansiches Hippie-Hotel vorstellte, aus einzelnen Fenstern ertönte Rockmusik, ich war in meinem Element. Zügig wickelte ich die Geldsache ab und kam zum ersten Mal zur Ruhe. Ich setzte mich ans Ende eines langen Flurs, es war recht dunkel, spärliches Sonnenlicht fiel durch ein schmales Fenster allein. Und dann kam meine Traumfreundin, vom andern Ende des Flurs. Sie ging langsam auf mich zu, und die Tränen schossen mir aus den Augen, es gab kein Halten. „Was ist los?“, fragte sie mich besorgt, als meine stillen Tränen in lautes Schluchzen übergegangen waren. Ich sagte ihr, nachdem ich etwas zu Atem gekommen war, mir sei bewusst geworden, wie sehr ich sie liebe , und sie schloss ihre Arme um mich und bedeckte mich mit Küssen.

    NACHKLAPP: Zu „amerikanisch“?! Nein, einfach der Traumtext. Um von meinen zu deinen endlos gezählten Tagen überzugehen, zum Tanz von Liebe, Glück, und Flüchtigkeit, klicke am besten auf den Songtitel „Just Another Day“ in der vierten Zeile, nach dem Lyrikzitat, und hör dir das Lied an. Nur eine Idee! Richard Williams Tagebucherinenrung findet sich auf seinem Musikblog „The Blue Moment“. Ich hatte heute Nacht meinen „blue moment“! „Aftermath“ war meine erste und einzige Stones-Platte (HIER das ganze Album zu Anhören!), die ich mir als Teenager besorgte. Und „Late For The Sky“ fiel mir zu dieser Geschichte als ideales Cover ein (und ziemlich guter Soundtrack) – sowieso mein Lieblingsalbum des Amerikaners! Nachklapp 2 enthält ein paar Zeilen aus „What We Are“ von Beatie Wolfe und Brian Eno, for all the good reasons!

    Nachklapp 2:

    Here
    In the stars
    Can you trace
    What we are

    Where
    Is the line
    That divides
    You and I 

    Nights
    Fading fast
    Made to live
    Made to last

  • Annie and The Caldwells (Teil 3)

    „Eighty years ago, in April 1945, Sister Rosetta Tharpe was Number 2 on the Billboard “race records” chart with Strange Things Happening Every Day – fair comment for the month in which Franklin D Roosevelt, Mussolini and Hitler all died. There were also several noteworthy musical events: Richard Strauss completed Metamorphosen; Rodgers and Hammerstein’s Carousel opened; the audience at a hometown performance by the Berlin Philharmonic were offered cyanide as they left the auditorium; and Tharpe’s hit was the first gospel record to reach that Billboard countdown.“ (David Hutcheon, Mojo, 4/2025)

    Jetzt wird‘s persönlich, und weihnachtlich, einen Tag vor Pfingsten. Eine meiner „Repertoire-Stories“, aber „mit Butter bei den Fischen“. Die schönsten Weihnachtsgeschenke bekam ich 1970 oder 71, als ich 14 oder 15 war. Ich hatte mir vier Schallplatten gewünscht, und bekam sie in meiner materiell erfüllten Kindheit (die auf anderen Ebenen pure Alpträume bereithielt): Miles Davis Live At Fillmore, Joni Mitchells Blue, Live At Fillmore East von den Allman Brothers, und, nicht lachen, Live At Filmore von Aretha Franklin.

    Heimlich schlich ich mich vor den Festtagen in das Schlafzimmer meiner Eltern, und entführte „Blue“ in mein Kinderzimmer: verboten jung und grün hinter den Ohren, wie ich war, ist es erstaunlich, wie sehr manche Kids wie ich (die wohl schon im Mutterleib der schönsten „Musik des Gurgelns und Rauschens“ lauschten), so früh Schätze fürs Leben entdeckten.

    Natürlich hatte ich nicht ansatzweise den Erfahrungsschatz von Joni Mitchell, und es war wohl Intuition, viel Vorahnung im Spiel, aber auch das Erleben purer Magie, als ich „Blue“ auflegte und am liebsten in die Lautsprecher gekrochen wäre vor Glück! Ähnlich erging es mir mit den Allmans, und mit dem „elektrischen Miles“. Aber, bei allem Respekt, die grosse Aretha Franklin und ihr Soul lieseen mich eher kalt zurück, genauso wie der Moment, als Ray Charles auf die Bühne sprang. Soul und Gospel liessen mich meistens unberührt. Oder lösten Widerstände aus. Was war da los? Aufklärung im folgenden und finalen vierten Teil, zuvor aber die Fortsetzung von Alexs Besprechung:

    Annie & The Caldwells: Wrong

    „Der Gesang ist rau, aber perfekt abgestimmt; es gibt eine Art telepathisches Zusammenspiel zwischen Annie Caldwells Gesang und den Harmonien ihrer Töchter während der improvisierten Abschnitte des langen Titeltracks und Don’t You Hear Me Calling. Das gilt auch für die Band, die es irgendwie schafft, sowohl extrem tight als auch spontan zu klingen: Wenn die Band, wie Deborah Caldwell behauptet hat, „nicht übt“, dann sind ihre Auftritte hier eine Werbung für den Verfeinerungseffekt, den das Spielen in der Kirche jeden zweiten Sonntag hat.

    Es sind großartige, kraftvolle, bewegende Songs, die durch die Tatsache, dass sie live, ohne Publikum, in einer Kirche in der Heimatstadt der Band, West Point, Mississippi, aufgenommen wurden, noch stärker wirken. Die schlichte Produktion gibt Can’t Lose My (Soul) das Gefühl, als würde es direkt vor Ihren Augen passieren, und verleiht den Songs Lebendigkeit und Dringlichkeit, besonders in den extemporalen Momenten. Erfreulicherweise wird die Art von Fake-Antiquitäten vermieden, die oft auf Soulmusik des 21. Jahrhunderts angewandt werden, die in der Vergangenheit verwurzelt ist, als ob sie versuchen würden, den Hörer davon zu überzeugen, dass er ein lange verschollenes Album hört.“

    (Finale folgt bald)

    Ein Wort zu Alex Petridis: ich lese gerne seine Besprechungen im Guardian, sofern mich die besprochenen acts interessieren. Ich stimme des öfteren nicht mit seinen Bewertungen überein, was ja wohl normal ist (richtig Ärger bekommt er wenn er LUMINAL nur drei Sterne gäbe – ein Witz😉!) aber ich mag seine Schreibe, seinen Witz, und seine profunden Kenntnisse. Meine Lieblingsmusikjournalisten (neben Richard W.), was Interviews und grosse Musikfeatures angeht, sind Laura Barton und Sam Phillips, die vorzugsweise in Mojo und Uncut veröffentlichen. Sie bringen Musiker dazu, sich zu öffnen, und sind selbst gute Storyteller!

  • Annie and The Caldwells (Teil 2)

    Erinnere dich: auf der 2019er Compilation des englischen Gospelnerds war ein Song aus alter Zeit, „Gospel Music About Us“. Und so geht‘s weiter im Text von Alex: „Die Autorin des Liedes, Annie Caldwell, erinnerte sich daran, dass sie „einen Anruf von einem Mann, ich glaube, er hieß David“ erhielt. Es handelte sich um den ehemaligen Talking-Heads-Frontmann David Byrne, dessen Label Luaka Bop die Compilation und anschließend das einzige Album der Staples Jr Singers veröffentlichte. Caldwells Überraschung darüber, dass sie wegen ihrer Platten aus ihrer Jugendzeit kontaktiert wurde, hielt sie nicht davon ab, vorzuschlagen, dass Byrnes Label auch an der Band interessiert sein könnte, die sie in den letzten 40 Jahren geleitet hatte und die aus ihrem Ehemann, ihren Kindern und ihrer Patentochter bestand. Sie waren es, und man kann erkennen, warum. Dennoch ist eine Band, die nach 40 Jahren ihr Debütalbum veröffentlicht und auf angesagten europäischen Festivals spielt, zweifelsohne etwas Besonderes. Das Klima mag einladend sein, aber das wäre nicht passiert, wenn Annie and the Caldwells nicht außergewöhnlich gut wären in dem, was sie tun, und Can’t Lose My (Soul) unterstreicht, wie gut das ist.“ Soweit, so gut.

    Die Frage bleibt, was hat mich so für eine Musik eingenommen, die prinzipiell nie mein Genre war? Ein ganz kleiner Teil der Antwort ist das Cover, das mich unmittelbar fasziniert hat. Ein weiterer Teil der Antwort ist, dass ich trotz meiner Reserviertheiten gegenüber Gospel immer die Hoffnung hatte, ab und zu ein besonderes Album aus dieser afroamerikansichen Kultir zu finden, ähnlich wie es mir beim Blues ergangen ist: nie einen Narren gefressen an diesem grossartigen Genre, aber ein paar Lieblingsplatten, die ich immer hören kann, und die mich immer begeistern wie John Lee Hookers einzige Platte für das Jazzlabel Impulse und Muddy Waters „Folk Singer“. Bei beiden Platten gibt es ein Quantum Radikalität, oder einen besonderen Sound / Horizont. Hier auch, bei Annie And The Caldwells.

    (Fortsetzung folgt)

  • Annie and The Caldwells (Teil 1)

    „Die Geschichte des Debütalbums von Annie and the Caldwells ist langwierig und verworren. Die Platte hätte es wahrscheinlich gar nicht gegeben, wenn Sammler nicht auf „Waiting for the Trumpet to Sound“ gestoßen wären, eine Single der Gospelgruppe „The Staples Jr Singers“ aus dem Jahr 1974, die auf einem so obskuren Label in Mississippi veröffentlicht wurde, dass nur ein einziges Exemplar jemals auf Discogs verkauft wurde. Greg Belson, ein in Großbritannien geborener und in Los Angeles ansässiger Soul-DJ, wurde darauf aufmerksam. Er hat sich eine Nische geschaffen, in der er tanzflächenfreundliche Gospelmusik spielt (wenn Sie das Lob des Herrn in der schweißtreibenden, hedonistischen Umgebung des Schwulenclubs NYC Downlow in Glastonbury hören wollen, sind Sie bei ihm genau richtig). Die B-Seite des Songs ist auf der 2019 erscheinenden Kompilation „The Time for Peace is Now“ enthalten: „Gospel Music About Us.“ Soweit Alex Petridis vor einiger Zeit im Guardian. Dass dieses Album bei mir stets von der ersten bis zur letzten Rille läuft, ist interessant, denn bei allem Respekt ist Gospel einfach nie meine Musik gewesen. Was also ist passiert?

    (Fortsetzung folgt)

  • My favourite 20 albums 2025 etc. (so far, and unranked, Halbjahresliste)

    Eine Halbjahresliste persönlicher Favoriten, und eine Antwort auf die alte Jon Hassell-Frage „What is it what you really love“. Keine Rangliste, kein Nachschauen, kein Schielen auf die Konsensplatten, und angereichert mit ein paar brandneuen Überraschungen, die mir unlängst aus der nahen Zukunft ins Haus kamen. Dem Meer der Neuerscheinungen steht eine Unzahl an „reissues“ gegenüber: zu meinen grösste Entdeckungen darunter gehören zwei mir bislang völlig verborgen gebliebene Alben von Haruomi Hosono (s. Foto, Wire, July 2025 – wird wohl Zeit, ihn mal zu bringen, in den Juli-Horizonten), und, von Rhino in Kürze neu aufgelgegt in Vinyl, mein Lieblingsalbum der Talking Heads (wenn es denn eines geben muss), „More Songs About Buildings And Food“! Das Teil liebe ich ungefähr so wie das „weisse Album“ der Beatles! Und Bennie Maupin wäre meine Number 2, unter den reissues!

    Beatie Wolfe & Brian Eno: Luminal
    Anouar Brahem: After The Last Skies
    Jon Balke: Skrifum
    Brian Eno & Beatie Wolfe: Lateral
    Alabaster DePlume: A Blade Because A Blade Is Whole
    Eiko Isobashi: Antigone
    James Brandon-Lewis Quartet: Abstraction Is Deliverance
    Modern Nature: The Heat Warps
    Lucrecia Dalt: A Danger To Ourselves


    Rich Dawson: End Of The Middle
    Annie & The Caldwells: Can‘t Lose My (Soul)*
    Arve Henriksen / Trygve Seim et al: Arcanum
    Amelia Barratt and Bryan Ferry: Loose Talk
    Cate Francesca Brooks: Lofoten
    Modern Nature: The Heat Warps
    Amina Claudine Myers: Solace of the Mind
    Stereolab: Instant Holograms On Metal Film
    Keith Jarrett: New Vienna
    Ambrose Akinmusire: Honey From A Winter Stone
    Robert Forster: Strawberries

    * „…great, powerful, moving songs, made all the more potent by the fact that they’re recorded live, without an audience, in a church in the band’s hometown of West Point, Mississippi. The plain production makes Can’t Lose My (Soul) feel as if it’s happening before your eyes, adding a vividness and urgency, particularly in extempore moments. Mercifully, it steers clear of the kind of faux-antiquing that’s often applied to 21st-century soul music rooted in the past, as if trying to convince you that you’re listening to a long-lost album.“

    Lieblingsbuch – Liz Moore: Der Gott des Waldes
    Lieblingsfilm – Like A Complete Unknown
    Lieblingsdoku – Coastal
    Lieblingsserie – Familes Like Ours
    Lieblingssong – Play On
    Lieblingssurround – Flaming Lips: Yoshimi Battles The Pink Robots



  • “the lateral and luminal surrender experience“


    In regards to „Luminal“, surely one the most beautiful albums of 2025, there is only one reason I don‘t come up with the minor quibble that Brian Eno isn‘t doing the lead vocals, and that is the voice of Beatie Wolfe! (Michael Engelbrecht, Deutschlandfunk)

    Warum ich noch nicht über das Büchlein „What Art Does“ von Brian Eno und Bette A. geschrieben habe, ist rasch erzählt: ich bin allzu vertraut mit all den Gedanken über Kunst, Feelings, Surrender, Play, etc. die Brian in dieser „unfinished theory“ ausbreitet, nach seinem Anspruch so verständlich, dass es auch nicht auf den Kopf gefallene Teenager verstehen können, und herrlich bunt bebildert ist es zudem! Wäre ich Kunstlehrer, wäre das Stammlektüre in meinen Klassen. Ab und zu schmökere ich mit Vergnügen in dem Bändchen. Viel lieber aber begegne ich der Kunst ohne Metaebene, lasse die Feelings durch mich hindurch strömen und rauschen, wenn ich „Luminal“ oder „Lateral“ auflege, Brian Enos famose neuen Alben mit Beatie Wolfe, und erlebe da, ungefiltert, Surrender, Play, etc., in allen Schattierungen zwischen dem Unerhörten und dem Unheimlichen, zwischen dem Fest und den Erschütterungen des Lebens. Denn all das dringt hier durch, und viel zu fesselnd, in diesen Wochen, um kluge Worte darüber verlieren zu wollen. Das Erlebnis der Tiefe spielt sich stets im Zwischenraum von Sender und Empfänger ab, und hier, bei den elf Songs von „Luminal“ etwa, bringe ich es schlicht und ergreifend so auf den Punkt, dass mein mutmassliches Songalbum des Jahres 2025 mich so tief erwischt, berührt, umfängt, umgarnt, verführt, auf gut deutsch „haunted“, dass es seinen Platz findet neben meinen Songalben der letzten beiden Jahre von Beth Gibbons und P.J. Harvey. „Luminal“ ist ein Album, das Tore öffnet, tief taucht und, mich jedenfalls. einfach mitreißt!


    Why I haven’t yet written about the little book ‘What Art Does’ by Brian Eno and Bette A. is easy to explain: I am – after so many interviews and lectures – all too familiar with all the thoughts about art, feelings, surrender, play, etc. that Brian expounds in this ‘unfinished theory’, which he claims is so comprehensible that even teenagers who haven’t fallen on their heads can understand it, and it is also wonderfully colourfully illustrated! If I were an art teacher, this would be standard reading in my classes. I enjoy browsing through the book from time to time. But I much prefer to encounter art without a meta-level, to let the feelings flow and rush through me when I put on ‘Luminal’ or ‘Lateral’, Brian Eno’s famous new albums with Beatie Wolfe, and experience there, unfiltered, Surrender, Play, etc., in all shades between the unheard and the uncanny, between the celebration and the darker waves of life. Because all of this comes through here, and far too captivating, to want to lose clever words about it. In the moment. The experience of the profundity of art always takes place in the space between sender and receiver, and here, with the eleven songs of ‘Luminal’, for example, I simply get to the heart of the matter in such a way that my presumed song album of the year 2025 catches me so deeply, touches, embraces, ensnares, seduces, haunts, that it finds its place alongside my song albums of the last two years by Beth Gibbons and P.J. Harvey. „Luminal“ is an album that opens gates, dives deep, and simply elevates! At least that happens to me!

  • „Fall we may, sail we must“

    HERE comes a song.
    Just listen.

    It’s rare to hear a recording of a band playing in a room together,” says Modern Nature’s Jack Cooper. „And that interaction, the discrepancies in timing, synergy, in pitch, that’s where the magic really is, I think, and that’s what we wanted to capture.” 

    One additional (and slightly unlikely) influence on the forthcoming record named „The Heat Warps“ was Andrew Weatherall. Before he passed away, he’d played Modern Nature on his NTS show and Cooper was thrilled that he liked them. He made it an aim to make a record Weatherall might have played to his friends late at night. His motto “Fail we may, sail we must” is what the Can-esque track Pharaoh is about. 

  • Radio on

    Listen now! (Ein Klick genügt hier)

    klanghorizonteplaylist in sequence: Flora / Luminal / The Jewel In The Lotus / Loose Talk / New Vienna / Luminal / Lateral (Big Empty Country) / special guest: Beatie Wolfe / Sprecherinnen: Christiane Nothofer & Nina Lentföhr / Tontechnik: Malte Wiegert / Redaktion: Thomas Loewner /

    Beatie Wolfe‘s „Notting Hill solo talk“ can now be heard in the column TALK as part of our Monthly Revelations (June). Music of „Klanghorizonte“ by Beatie Wolfe & Brian Eno, Hisroshi Yoshimura, Bennie Maupin, Amelia Barratt & Bryan Ferry, and Keith Jarrett