• Eine Woche Kalabrien

    Dank Ingar Zach gerade eine Woche zu Besuch in Kalabrien. Lange Zugfahrten durch den Süden Italiens. Für den Umstieg in Rom hatte ich mir vorausschauend zwei, drei Stunden eingeplant, um ein paar Schritte durch die Stadt gehen zu können – und damit ich nicht weiterhin sagen muss, dass ich noch nie dort war. Einmal zum Colosseo und zurück zum Bahnhof. Natürlich ein Abstecher in eine Gelateria, fior di latte genießen. Auch der Kaffee, im Besonderen der Espresso, ist unglaublich gut dort unten. Ich könnte den ganzen Tag nichts anderes trinken, würde mein Magen das mitmachen. Auch der tägliche katalanische Weißwein bescherte mir nicht die üblichen Magen- oder Kopfbeschwerden. Und das Essen! Es ist für mich jedes Mal von Neuem unglaublich, wie unbeschreiblich gut und vielfältig das italienische Essen ist, selbst die einfachsten Gerichte. Im Hotel Kennedy in Roccella gab es zu jedem Mittag- und jedem Abendessen jeweils drei Antipasti, drei Primi und drei Secondi zur Auswahl  — und die Wahl fiel tagtäglich schwer. 

    Für mich, der ich schon einige Male im nördlichsten Norwegen umhergefahren bin, strahlt Kalabrien eine ähnliche Attraktivität aus: Oftmals faszinieren mich Grenz- und Randgebiete. Das südliche Ende vom europäischen Festland und das nördliche Ende haben allerdings nicht wirklich viel gemein, die Menschen schon gar nicht, von einer gewissen Grundfreundlichkeit und Neugier auf Besuchende mal abgesehen. Aufgefallen ist mir, dass nahezu niemand englisch spricht, maximal ein paar Bruchstücke. Anders als viele Leute in meinem Bekanntenkreis war ich nie in Südamerika (einige von ihnen stammen aus Chile, Argentinien, Brasilien …), ein Grund ist, dass ich weder spanisch noch portugiesisch spreche und entsprechend ziemlichen Respekt davor habe, mich in einem Kontinent fortzubewegen, wo ich die Menschen nicht verstehen und mich im Ernstfall nicht verständlich machen kann. Die Woche in Kalabrien bestärkte solche Bedenken. Wenn ich in einem kleinen Lokal (als einziger Gast) keinem einzigen der dort Arbeitenden verständlich machen kann, dass die Wartezeit zu lang geworden ist, und da mein Bus (auf den ich 90 Minuten gewartet habe) in fünf Minuten ein paar hundert Meter entfernt abfährt und ich das bestellte Essen daher bitte eingepackt haben möchte, bekomme ich ein Gefühl dafür, wie es mir in Südamerika ergehen dürfte.

    Kaum jemand, egal ob jung oder alt, verstand irgendwas von dem, was ich in gebrochenem Englisch zu vermitteln versuchte. Und andersrum musste ich einsehen, dass auch Jahrzehnte langes Studium des Gesamtwerks von Gianna Nannini dabei nahezu nahezu keinen Nutzen bringt. Ich war ganz aus dem Konzept, als auf dem Zwischenstopp der Rückfahrt der junge Angestellte in der Gelateria in Rom direkt auf englisch rückfragte, ob ich das Eis in einer Waffel möchte.

    Ich muss gleichwohl gestehen, dass eine Woche Dauerbeschallung einer Gruppe italienisch sprechender Musiker(innen) [genauer gesagt sind Ingar Zach und Frances-Marie Uitti norwegisch bzw. US-amerikanisch, beide aber seit Jahrzehnten außerhalb ihres Geburtslandes zu Hause und aus persönlichen Gründen fließend italienisch sprechend], wovon ich als einziger nicht der italienischen Sprache Mächtiger zumeist nicht mehr als Bahnhof und Castello verstand, mir am Ende wirklich die Ohren klingeln ließen. Irgendwie bin ich doch ganz froh, dass ich diesem extrem exaltierten Sprachgestus nicht tagtäglich ausgesetzt bin. Wenn ich Leuten erzähle, dass ich schon mein Leben lang mit großer Begeisterung Gianna Nannini und ihre mittlerweile rund 30 Alben höre, ernte ich nicht selten eine Prise Fragezeichen – nicht nur weil die meisten Westdeutschen ihr enorm vielseitiges Werk auf eine Handvoll Radiohits reduzieren, sondern auch, weil es gerne mal heißt, sie würde ja immer so „rumschreien“. Gegen den gefühlt immer gleichen überkandidelten Ton, den viele  Menschen hier, bevorzugt Frauen, an den Tag legen, ist das ja gar nichts!

    Apropos, lustige Zufallsbegegnung, der Musiker, der dieses Residenzfestival („Locrian Department Festival“) ins Leben gerufen hat und kuratiert, Tommaso (unten auf zwei Fotos zu sehen), hat 1986, als junger Mann von 18 Jahren, Nannini in Conny Planks Studio kennengelernt und später auf ein paar ihrer Alben Gitarre gespielt und an Songs mitgeschrieben, unter anderem der Filmmusik zum Zeichentrickfilm „Momo“ Ende der 1990er, an dem zufälligerweise auch meine Wenigkeit Mitarbeiter war (bedauerlicherweise ohne G.N. in diesem Zuge kennenlernen zu können). Tommaso freute sich zu hören, dass ich sein Gitarrenspiel bereits in meiner gut achtstündigen G.N.-iTunes-Zusammenstellung auf meinem Taschencomputertelefon habe und damit immer bei mir trage, da diese rund 100 sorgsam ausgewählten Lieblingslieder des Œuvres mir zu fast jedem Zeitpunkt, sei es auf Autofahrten, in Warteschlangen an Bahnhöfen und Flughäfen oder beim Tippen eines solchen Texts, zuverlässig Freude zu bereiten vermögen.

    Anbei noch ein paar Fotos von der Arbeitsstimmung in Roccella, die ich in Stand- und Bewegtbild dokumentierte. 

  • Alte und neue Musik

    Diese Woche beim „Warm-Up“ der Einstürzenden Neubauten in Potsdam, einem kleinen Vorabkonzert vor der offiziellen großen Tournee. Das Programm des Abends (und vermutlich auch der Tournee) setzt sich zum größten Teil aus Stücken der letzten beiden Alben zusammen. Ganz wenige Ausreißer: Drei Stücke von Silence is sexy (2000), dem ersten Album der aktuellen Besetzung mit Moser und Arbeit, Susej von 2007 und How did I die? vom Erster-Weltkrieg-Jahrestagalbum Lament (2014).

    Wie schon im Frühjahr berichtet: es ist beeindruckend, mit welcher Meisterschaft die älteren Herren die Vielzahl an unorthodoxen Instrumenten (Einkaufswagen, Turbine, Plastikrohre, Metall usw.) einzusetzen vermögen und man niemals auch nur das Gefühl bekommt, dass hier etwas rein zum Spektakel oder in Beliebigkeit benutzt wird. Zwar bestärkte sich mein Eindruck, dass die Stücke auf dem neuen Album oftmals zu ähnliche Crescendo-Dramaturgien und auch teils sogar recht ähnliche Texte und Textkompositionswege einsetzt – daher wäre etwas mehr Abwechslung etwa durch mehr Titel früherer Phasen der Band sicher nicht verkehrt gewesen; auf der anderen Seite kann man es den Herren hoch anrechnen, dass sich sie mit Mitte 60 nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen und vor allem die schon sehr häufig gespielten Sachen einfach weiterspielen, sondern sich auf das neue Material des mittlerweile fünften Bandjahrzehnts fokussieren. Und ihr ganz eigenes, unvergleichliches Ding machen. Ich meine, das tun viel zu wenig Musiker/innen dieser Generation.

    Darüber hinaus habe ich gerade eine CD wieder gekauft, die ich vor zwanzig Jahren schon einmal gekauft habe. 2004 wurde ich erstmals so richtig auf Mark Lanegan aufmerksam, als ich die Besprechungen seines Albums Bubblegum las – damals sein erstes nach fünf Jahren Veröffentlichungspause; und es wurde zu dem Zeitpunkt auch viel über den selbstdestruktiven Lebenswandel des Ende-30-Jährigen geschrieben. Ich kannte Lanegan nicht, auch weil ich die mit ihm assoziierten Bands Queens of the Stone Age und Screaming Trees nie gehört hatte. „Bubblegum“ hat mich in seiner Kantigkeit und mit der rauen Stimme und der durchdringenden Energie sehr angesprochen, ich habe die 15 Songs oft gehört, ein bluesiger Trip mit einem ungewöhnlichen, episodenhaften, latent heterogenen Charakter und ist doch eine absolut runde Sache.

    In der Folge habe ich mir die meisten seiner Alben zulegt und gerne gehört. Schlechtes oder Mittelmäßiges kenne ich von ihm nicht, wenngleich mir die Duoalben mit Isobel Campbell (ehemals Belle and Sebastian) eher etwas zu nett waren. Bis kurz vor seinem frühen Tod mit 57 vor zweieinhalb Jahren blieb Lanegan rastlos und kreativ, schrieb auch ein empfehlenswertes autobiografisches Buch (Sing Backwards and Weep), entschuldigte sich persönlich später bei einstigen Freunden und Bandkollegen dafür, wie er über sie geschrieben hatte. Leider habe ich die Gelegenheit versäumt, ihn mal live zu erleben; nach Berichten von Bekannten muss er ein sehr freundlicher Zeitgenosse gewesen sein, der nach Konzerten gerne mit Fans geplaudert hat.

    Zum zwanzigsten Geburtstag erschien Bubblegum jetzt als 3-CD-Set als Jubiläumsausgabe Bubblegum XX. Und es ist der seltene Fall, dass die beiden Zusatz-CDs (12 Songs der einer „EP“ auf CD2, und 13 „unreleased songs and demos“ auf CD3) durchweg hörenswert sind, auch in der Gesamtheit. Unter dem Zusatzmaterial ist keinerlei Ramsch oder beliebige Liveversionen anzutreffen. Und das Wiederhören bekräftigte meinen seit zwanzig Jahren bestehenden Eindruck, dass Bubblegum womöglich der Höhepunkt von Mark Lanegans Werk ist. Zumindest ist es nach wie vor mein liebstes Album von ihm. Einige andere kann ich gleichwohl auch empfehlen.

    „It’s a fantastic album, and definitely up there as one of Mark’s best in his entire discography. The reissue is a brilliant way to commemorate how much of a force he was. His songwriting was second to none, and he took his love of music and discovering artists and used it to forge a legacy that spanned decades. Influencing so many artists and genres to this day.“Adam Reeve (deadgoodmusic), August 28, 2024

  • Kunst in Norwegen

    Frisch zurück gekommen in Berlin war ich gestern, quasi nebenan, bei einer langen, sehr tollen Konzertveranstaltung mit Dell-Lillinger-Westergaard und vielen Gästen. Enorm beeindruckend vor allem Christian Lillinger. Zwar kannte ich ihn schon, aber nicht in diesem Umfang. Unfassbar, was der so alles auf dem Schlagzeug anstellt.

    Am Freitag wollte ich auf dem Blog eigentlich mein neu geschnittenes ECM-Interview zu John Surmans Achtzigstem posten, aber hab’s zeitlich einfach nicht hinbekommen bzw. wusste nicht genau, was ich da noch an Blogeintrag hinzufügen sollte. Nicht alle Beiträge der letzten Tage gelesen, gerade nur mal überflogen, aber es scheint, niemand hat zu diesem Anlass an Surman erinnert..? Daher hier ohne weitere Ausführungen mein Gespräch mit ihm, schon vor einiger Zeit in seinem Heimstudio aufgezeichnet, und nun pünktlich zum runden Geburtstag editiert.

    In Norwegen haben wir aufgrund des unablässigen Regenwetters und der teils einstelligen Temperaturen leider wenig Zeit in der Natur verbracht, dafür umso mehr in beheizten Innenräumen und Museen. Zum Abschluss der Reise endlich mal im Nasjonalmuseet in Oslo: Das neue Gebäude hatte ich bislang nur immer von außen gesehen, während der Bauzeit und seit der Fertigstellung 2022. Was könnte es da Besseres geben als eine Doppelretrospektive mit Mark Rothko und Anna-Eva Bergman? Das geht großartig zusammen. Aber es fällt dabei auf: Retrospektiven können den Kunstwerken gegenüber auch ungerecht werden, selbst wenn die Auswahl und Präsentation hervorragend ist und man daran nichts aussetzen kann. Rothkos Werke verlangen eigentlich viel Raum und Zeit. Sieht man so ein großes Lebenswerk im Schnelldurchlauf, stellen sich plötzlich einzelne, große, Intensive Gemälde kleiner dar, als sie eigentlich sind. Die Bilder verschiedener Jahre schnurren zu einem über-intensiven Farbkosmos zusammen und stehen plötzlich in ein und derselben Zeitebene unmittelbar nebeneinander, wie in einer Zeitreise sich begegnend. Diese persönlichen Werke, in denen so viel Emotionalität festgehalten wurde, scheinen sich auf die Füße zu treten, in der Gegenwart gefangene Zeugen verschiedener Vergangenheiten.


    Man kann eigentlich nicht genug Zeit in diesen Räumlichkeiten verbringen, um dem emotionalen Gehalt dieser Bilder gerecht zu werden. Fast aus Überforderung kaufte ich den Ausstellungskatalog, obwohl ich weiß, dass die Bilder darin nicht ansatzweise so lebendig sind wie in echt. Aber wie oft kann man sie in real life sehen? Und erinnern und die Erfahrung im Kopf reproduzieren kann ich sie vielleicht mit Hilfe dieses tollen Buchs. Daneben seine Zeitgenossin Anna-Eva Bergman. Kannten sich die beiden? Bei aller Unterschiedlichkeit treten hier auf einmal erstaunliche Parallelen zutage. Einige Bilder hatte ich im alten Gebäude vor einigen Jahren schon gesehen. In drei Wochen komme ich wieder her, und dann nehme ich mir noch einmal etwas mehr Zeit für die beiden Ausstellungen. (Nachdrückliche Empfehlung, die oben verlinkten Videobeiträge zu den Ausstellungen anzuschauen, wer es bis in drei Wochen nicht nach Oslo schafft.)

    Einige Tage zuvor besuchten wir, Empfehlung von Benedicte Maurseth, das Astruptunet in Jølster: Wohnhäuser, Ateliers und Gärten, einst von Nikolai Astrup und seiner Familie bewohnt und bewirtschaftet, nun wieder in einen Zustand versetzt, der dem nahekommt, wie er zu deren Lebzeiten war. Dazu ein Haus mit einem soliden Querschnitt durch Werk und Werkzeug der Astrups, Malerei, Drucke, Textilkunst. Eindrucksvoll. Besonders gut: Die typischen norwegischen Sonntagswaffeln und Sveler (dicke Pfannkuchen). Auch im Regen einen Besuch wert. 

  • Inseln in atlantischem Regenwetter und Abendstimmung

    Wie ich sehe, werden hier gerade „Inselalben“ von verschiedenen Autor/innen und Gästen kundgetan. Da ich mich aktuell selbst auf einer Insel befinde, am südlichen Ende einer kleinen Insel, die zu einer größeren kleinen Insel am südlichen Ende des westnorwegischen Hardangerfjords gehört (Skorpo gehört mit der größeren Insel Tysnesøy zur Kommune Tysnes), und es hier so ein typisch westnorwegisches Regenwetter hat, passt die Idee von „Inselalben“ eigentlich ganz zu unserem Aufenthaltsort.

    Der aktuelle Abendstimmungsblick aus unserem Apartment auf den Hardangerfjord, Richtung Osten:

    Meine Empfehlungen für zehn Inselalben sind offenkundig mehr geprägt von meiner Präferenz für hervorragende Songwriter/innen als von instrumentaler oder improvisierter Musik:

    The Notwist: Shrink
    Sidsel Endresen: Undertow
    Phillip Boa: Lord Garbage
    R.E.M.: New Adventures in Hi-Fi
    Sinéad O’Connor: I do not want what I haven’t got
    Patti Smith: Gone Again
    Bob Dylan: Highway 61 Revisited
    Lucinda Williams: The Ghosts of Highway 20
    Lambchop: Is A Woman
    U2: The Joshua Tree

    Und von vorwiegend Alben meiner Lebenszeit; Meister Dylan bildet wie immer die große Ausnahme. Passend zu dieser Wetterlage sind immerhin die Alben von Sidsel Endresen und Lambchop. Gerade höre ich allerdings Musik von Annette Peacock, interpretiert von Marilyn Crispell, Paul Motian und Gary Peacock (Nothing Ever Was, Anyway), die ich auch ohne Frage in diese Liste einfügen würde und die natürlich auch hervorragend zu diesem Wetter passt.

    Tagsüber waren wir am nördlichen Ende der Kommune, bei Tysnes auf einer anderen kleinen Insel, auf der man für 600 Euro pro Nacht Kronprins Olavs Villa mit sieben Schlafzimmern mieten kann. Drumherum befinden sich seit Jahren verlassene, langsam von Natur überwucherte Anlagen für Feierlichkeiten und Sommerfeste und dergleichen sowie einige Anlegestellen. Offenbar sollte hier einmal eine größere Ferienanlage (Fjordhotell Godøysund) etabliert werden, doch das Unternehmen muss vor nicht allzu langer Zeit aufgegeben worden sein. Neben diesen verfallenden, verbarrikadierten Gebäuden und Anlagen bietet Spaziergang aber auch so manche idyllische Stimmung:

    Am morgigen Mittwoch fahren wir via Tunnels (die tiefsten Untersee-Straßentunnels, 300 Meter unter dem Meeresspiegel, befinden sich hier) und Fähren zum südlicher gelegenen Lysefjord. Das Wetter ist zumindest als trocken und damit als geeignet für Wanderungen angekündigt. Ende der Woche geht die Reise dann in nördlicher Richtung, nach Bergen, zum Sognefjord und darüber hinaus weiter.

  • Tatami

    Ein unerwartet intensiver Kinobesuch: „Tatami“ von Zar Amir und Guy Nattiv. Fantastisch guter Film, klarer 5-Sterne-Film; ich wüsste gesagt nichts, was ich daran auszusetzen fände. Perfekt erzählt, in sagenhaft tollen Bildern (Kamera: Todd Martin) und von exzellenter Regie mit grandiosen Schauspielerinnen inszeniert. Auch in der epd film gibt es die Höchstwertung – „ein politischer Thriller um strukturelle Unterdrückung und individuelle Freiheit“. Die Kampfszenen wirken so eindringlich wie einst jene in „Raging Bull“.

    Iranische Filme, die bei uns im Kino oder auf Festivals laufen, sind eigentlich zuverlässig sehenswert, oft hervorragend, seit ich Kinogänger bin, und so wollte ich eigentlich schon schreiben, „Tatami“ dürfte ein sicherer Kandidat für den „Oscar für den besten internationalen Film“ sein – und dann sah ich, dass es eine US-Produktion ist. Ob die so mutig sind, so einen kleinen Film mit relativ unbekannten Schauspielerinnen für den „nationalen“ Oscar zu nominieren…? Kann ich mir kaum vorstellen, auch wenn in den letzten Jahren ja immer mal wieder auch Filme mit nicht-englischsprachigen Dialogen für die großen Preise nominiert worden sind. Aber vor allem hat Guy Nattiv derzeit ja noch einen anderen, weitaus größer vermarkteten Film mit Helen Mirren als „Golda“ im Oscar-Rennen, für den die Hauptdarstellerin als Nominierte quasi gesetzt ist. Den hab ich allerdings nicht angeschaut: mir sah das zu sehr nach musealem Austattungs-Geschichtsstundenkino aus. Sicher inhaltlich und schauspielerisch interessant, ästhetisch oder künstlerisch allerdings eher nicht so relevant.

    „Tatami“ sieht man an, dass die Leute hinter der Kamera Ahnung vom emotional ausgelegten großen Kino haben, und der Film ist auch klar als Genrestoff als hochspannender Thriller im Sportmilieu erzählt; es gibt auch einige Kamerakniffe, die verraten, dass das Ganze nicht super-billig und super-indie gewesen sein kann, doch die Geschichte wird immer sehr präzise, sehr klar und ganz nah an den Charakteren erzählt. Für mich ein wichtiger Faktor. Die Komponistin der eindrucksvollen, die Spannung hervorragend zuspitzenden Filmmusik, Dascha Dauenhauer, ist übrigens Deutsche (wenn auch in Moskau geboren) und hat nach ihrem Studium in Berlin und Potsdam in kürzester Zeit eine internationale Karriere hingelegt. Vor drei oder vier Jahren hat sie noch Musik für kleine deutsche Filme geschrieben, war allerdings in einem Jahr gleich für drei Deutsche Filmpreise nominiert, bevor sie, noch als Filmmusik-Studentin in Potsdam, für mehrere, auch international wahrgenommene große Serien die Musik schrieb. Aufgefallen ist sie mir wohl erstmals in der ebenfalls außerordentlich gelungenen und bewegenden Miniserie „Deutsches Haus“, die meisterlich inszeniert war.

    Hier ein aktueller kleiner Text über aktuelle iranische Filme: „Wenn Filme Widerstand sind„. In der Frankfurter Allgemeine gab’s letztens auch ein überaus lesenswertes Interview mit den beiden Regieführenden:

    Frau Amir, identifizieren Sie sich als Künstlerin mit dem Schicksal der Sportlerin?

    Zar Amir: Unbedingt. Die Geschichte, die der Judoka zustößt, ist mir fast genau so zugestoßen, auch Kollegen und Regisseuren. In einem Land wie in Iran verstehen wir die Athleten sehr, sehr gut. Ich verstehe nur nichts von Judo.

    Warum war das Milieu dieses Sports so relevant für die Story?

    Guy Nattiv: Judo ist ein Sport mit Würde, Ehre und Regeln. Die Wichtigste ist, den Gegner zu respektieren. Wenn man ihn nicht ehrt, ehrt man den Sport nicht. Die iranische und die israelische Judoka, die eventuell gegeneinander antreten müssen, ehren beide diesen Sport und können das Politikgeschachere ihrer Regierungen nicht respektieren.

    (Ein weiteres Interview mit Guy Nattiv hält epd film bereit.)

  • Ladies Night

    »Gordon opened her set with “BYE BYE,” the first song on The Collective, in which she proves something fans have known for years: She could read the phone book or a grocery list (or, in this case, a tally of items to pack for a trip) and make it sound cool.« – Rolling Stone (Fotos)

    Samstag Abend bei Kim Gordon im „Festsaal Kreuzberg“.

    Zu meiner Überraschung war der Support von Gudrun Gut richtig, nun ja, gut. Auch der Sound super. Ich hatte befürchtet, das würde so eine Berliner „Professionelle Dilettanten“-Nummer… Gudrun Gut begrüßte zur „Ladies Night“ und spielte dann etwa eine Dreiviertelstunde lang rein elektronisches Zeug, sehr rhythmisch, man könnte es als minimalistisch-brachialen Elektro-Pop bezeichnen, zwischendurch auch mal atmosphärisch, aber alles sehr druckvoll und gar nicht altbacken. Ihre minimalistischen Pop-Art-Texte sind sicher Geschmackssache (mein Geschmack ist es eher nicht), ist halt wohl so ne Ur-NDW- oder Berliner-Stil-Sache, aber die Musik überzeugte. Großer Jubel für die ältere Dame – sie selbst sagte vor ihrem letzten Stück (Garten) auch: „In meinem Alter ist das ganz schön anstrengend.“ Sehr unterhaltsam, wie sie Laurie-Anderson-like ihre Stimme bei jedem Stück anders verfremdete, einmal als AutoTune-Popsängerin. Richtig gut, das Ganze, ein absolut angemessener „Support Act“. Und tatsächlich gab es etliche Gudrun-Gut-Alben am Merch-Stand zu kaufen – auch wenn ich mir das zu Hause wahrscheinlich eher nicht anhören würde, vor allem, glaube ich, wegen der Texte. Aber ich konnte gut sehen, warum Gudrun Gut von vielen als so eine wichtige, einflussreiche Künstlerin gesehen wird – und was viele jüngere (Elektronik-)Interpretinnen an ihr finden.

    Nochmal ein paar Jahre älter ist ja schon Kim Gordon; ihre Liveband sind drei sehr viel jüngere Frauen (oder möglicherweise nonbinäre Musiker*innen). Und da ging es richtig gut ab. Für Fans ein Fest! Klasse, wie da nichts wie eine Sonic-Youth-Gedächtnis-Show anmutete, sondern frischer, wilder und kantiger als jede vergleichbar alte (oder auch ältere) Band oder „Ikone“ der Ü70-Rockmusik daherkommt (bzw. auch Ü50- und Ü60-Interpreten, wenn ich mir die aktuell tourenden Rockbands so ansehe). Die Band fantastisch gut: Die Schlagzeugerin Madi Vogt hat Charisma und mitreißende Power (kam hinterher sympathisch zum Publikum und verschenkte viele Drumsticks und Setlists), auch die superjunge Bassistin Camilla Charlesworth fand ich beeindruckend gut, im Wechsel oder parallel prägte sie das Klangbild entscheidend auch an einem Synthesizer, und die zweite Gitarristin Sarah Register hatte offenbar ein bisschen was von der Meisterin gelernt und tobte sich an Effekten und Noise/Feedback aus (war leider manchmal ein wenig zu leise im Vergleich, fand ich), und Kim Gordon selbst souverän (und gewohnt wortkarg) vorne am Bühnenrand.

    Gespielt wurde das tolle neue Album The Collective quasi eins zu eins, zumal in großartig. Nach weniger als einer Dreiviertelstunde ging die Band schon von der Bühne – kam dann nochmal für fünf Stücke zurück – vier vom vorigen Album No Home Record und eine Single(?) namens Grass Jeans, wohl der konventionellste Rocksong des Abends – aber ebenfalls stark! Und klar, die eine oder andere tolle Gitarren-Noise/Feedback-Passage gab’s übrigens auch zwischendurch. Aber die elektronischen Elemente waren doch das Bestimmende, es gab bei weitem nicht so viel Gitarrenkrach wie bei Sonic Youth (die ich zwei Mal live in Berlin sah, einmal bei der „Daydream Nation“-Jubiläumstour, einmal bei der Tour zu Murray Street).

    Hinterher, nachdem schon das komplette Equipment von den Bühnenarbeitern rausgeräumt worden war, wartete eine kleine Gruppe beinharter Fans (zwei oder drei Männer zwischen 30 und 40 und ca. 10 Frauen zwischen 20 und 40) noch ewig (bis nach Mitternacht) drauf, ihre Platten und Bücher signiert zu bekommen. Frau Gordon schien hinter der Ausgangstür auf die Fahrt zum Hotel zu warten; als das Taxi vor der Tür stand, wollte sie schnell (mit Baseball Cap) an den Fans vorbei zum bereitstehenden Gefährt eilen („I have to check-in at my hotel“), ließ sich dann aber doch von den jungen Frauen erweichen, noch ganz flott auf jede/s Platte/CD/Buch ihre drei Kreuze zu kritzeln. So waren am Ende alle glücklich.

  • The Straight Horn of Rudi Mahall

    Bei Two Nineteen Records gibt es immer wieder packende Alben mit Größen der Berliner Jazzszene, aber das kleine, leidenschaftlich geführte Label ist bislang weitestgehend unter dem Radar geblieben, trotz Namen wie Alexander von Schlippenbach, Henrik Walsdorff  und Sven-Åke Johansson. (Vor nicht allzu langer Zeit habe ich eine der Aufnahmen mit der Kamera im Studio begleitet, für Christian von der Glotz’ Sextettplatte Limbo.) Einige der Namen tauchen immer wieder auf, gerade auch, wenn man eine Weile hier in der Stadt lebt, etwa Rudi Mahall. Gestern gab’s hier im Viertel die „Record Release Party“ zur LP The Straight Horn of Rudi Mahall (gepresst in goldenem Vinyl); es wurde das komplette Album gespielt, mit größerer Begeisterung noch als auf dem kurzweiligen Album. 

    Das ganze ist natürlich eine heitere Hommage an den Klassiker The Straight Horn Of Steve Lacy, auf dem der Sopransaxophonist 1960 im Quartett mit Charles Davis, John Ore und Roy Haynes Stücke von von Monk, Taylor und Parker spielte. Mahall spielt allerdings die B-Klarinette (sonst derzeit häufig die Bassklarinette), die übrigen drei bilden sonst das Trio Oùat – der schwedische Berliner Joel Grip am Kontrabass, der Franzose Simon Sieger, der hier nicht nur in die Tasten haut, sondern auch zur Posaune greift, und der seit Ewigkeiten in Berlin lebende Schlagzeuger Michael Griener. Letzterer schrieb auch die Liner Notes auf der LP und zitiert eingangs Rudi Mahall: „Jeder hasst die Klarinette. Sie war damals und ist auch heute noch ein ziemlich unbeliebtes Instrument in der Jazzmusik. Mit Klarinette kannst du nichts erreichen.“ Einige inspirierende Zeilen über die Platte schrieben letzte Woche schon Eyal Hareuveni und Peter Margasak; ich nahm die Gelegenheit wahr und wollte von Rudi nach dem Konzert ein paar Worte hören.

    ijb: Unser gemeinsamer Freund Robert [der bei der Platte nominell als Produzent fungiert und sie auf seinem Label Two Nineteen Records herausbringt] wird auch nach Jahren nicht müde, als großer Fan von dir zu aufzutreten. Wann immer er über dich redet, ist er immer total begeistert. Glaubst du, dass diese Platte jetzt das rüberbringt, was Robert an dir so toll findet?

    Rudi: [Diese Platte] war erst gar so geplant. Wir haben das eigentlich ins Blaue aufgenommen. Und dann habe ich mir das angehört, und fand das gut – sehr gut sogar, eigentlich so veröffentlichungswert, wie es war. Und dann hatte Michael Griener diese witzige Coveridee. Ich habe mir das als CD vorgestellt, und dann haben wir Robert gefragt. Der hat sich das angehört, war total begeistert und stand riesig drauf. Ja, das ist, glaube ich, sein Ding … 

    ijb: … ja, er liebt ja auch diese Art Standards aus dieser Zeit …

    Rudi: Ja, solche Stücke mag er – und wenn man so ein bisschen was damit macht. Da steht er drauf. Und dann hat er gleich gesagt: „Nee, das muss jetzt eine Schallplatte werden, damit es was Besonderes wird.“

    ijb: Hast du das Projekt angefangen – oder eher Michael?

    Rudi: Nein, Michael. Der hatte die Idee, und wir haben es dann gemeinsam durchgezogen.

    ijb: Aber es steht ja dein Name vorne drauf. Man denkt, das ist deine Platte.

    Rudi: Na ja, gut, weil ich das straight horn spiele … Ja, es ist ja immer so, dass der Bläser vorne ist, und der bestimmt, wo es langgeht. Daher denkt immer so schön, da gäbe es jetzt einen Bandleader … gerade auch, wenn ein Name so groß drüber steht. Aber nein, das ist in dem Fall nicht so.

    ijb: Diese Stücke sind ja eigentlich alles Standards. Da habt ihr Jimmy Giuffre, Gillespie, Bechet, Dolphy, Ellington, aber dann auch mal Verschiedenes in einem Stück zusammengemischt. Wie seid ihr die Auswahl angegangen?

    Rudi: Michael hat zwei Stücke rausgesucht und ein bisschen arrangiert. Und den Rest habe ich rausgesucht, im Wesentlichen alles Stücke, die ich sonst auch gerne spiele. Das war ja ne ganz lockere Sache: Wir haben uns hier getroffen, eine Stunde geprobt, und dann haben wir aufgenommen. Ich habe mir ein paar Sachen ausgedacht, was man damit machen kann, so head arrangements; bei In-stable mates zum Beispiel: Der Bass und die Klarinette spielen das Thema, und dann werden die von den anderen beiden immer wieder unterbrochen. Die lassen uns nicht ausreden, wir lassen sie nicht ausreden. So ganz einfache Ideen.

    ijb: Total super, diese Auswahl der Stücke – eigenwillige Zusammenstellung mit total unterschiedlichen Namen. Du bist ja in sehr, sehr vielen Projekten aktiv. Ich sehe deinen Namen dauernd auf irgendeinem Veranstaltungshinweis.

    Rudi: Ist ja ein Beruf. Wenn man das so als Beruf hat, dann spielt man möglichst viel, damit das Geld reinkommt. Wenn die Band eine gute ist, kann die auch mal ein paar Jahre nicht spielen. Ich habe da einige Beispiele, wo es schon seit 30 Jahren so geht, wo immer mal wieder was passiert, und dann wieder ne Weile lang gar nichts. Mit der Enttäuschung– bzw. jetzt mit „Monk’s Casino“ („Die Enttäuschung“ plus Alexander von Schlippenbach) – läuft es eben genauso: Da bemüht sich jeder. Jeder schreibt Stücke, und die spielt man zusammen, und dadurch hat es immer was Frisches, was Abwechslungsreiches, weil das ja oft alles überhaupt nicht zusammen passt.

    ijb: Ich habe dich ja letzthin mit Schlippenbach, Barry Altschul und Joe Fonda gesehen. Wie kam das zustande?

    Rudi: Schlippenbach und Altschul haben mal miteinander gespielt, und ich glaube, die haben auch mal zu dritt mit Joe Fonda gespielt. Der Schlippenbach wollte eine Band mit den beiden und Evan Parker machen, aber der hatte keine Lust zu verreisen. Schlippenbach hat dann halt mich gefragt.

    ijb: Aber die Band gibt es nicht weiter? Das war nur das eine Mal?

    Rudi: Doch wir spielen sogar in Amerika nächstes Jahr. Joe Fonda hat das irgendwie geplant. 

    ijb: Okay, wenn ihr das macht, dann komme ich mit. Ich nehm die Kamera und mache einen Tourfilm mit euch.

  • Beschte Gedanken von letschter Woche

    Frage mich oft, woher eigentlich die Mode kommt, dass E-mails, Forumskommentare und dergleichen gerne ohne Subjekt verfasst werden. Kann ja nichts mit Zeitersparnis oder praktischen Gründen zu tun haben, da diese Nachrichten meistens nicht durch Kürze bestechen. Habe dies vor vielen Jahren erstmals bei einem Bekannten wahrgenommen, der in der DDR geboren wurde [neudeutsch: ist] und aufgewachsen ist [wurde?]. Schrieb sehr häufig Mails und andere Nachrichten ohne „Ich“. Nahm selbiges später auch bei anderen Menschen aus der ehemaligen DDR wahr, dachte daher, es handle sich dabei vielleicht um ein Produkt kommunistischer Sozialisation: „Ich“ soll keinen so großen Raum bekommen. Aus meiner (süd-)westdeutschen Sozialisation war mir diese Angewohnheit vollkommen unbekannt. 


    Beobachte diese Gewohnheit seither stetig, in den Folgejahren allerdings auch bei vielen anderen Menschen, die nicht sozialismussozialisiert waren [sind?], sondern im Kapitalismus aufwuchsen. Nahm seither sehr häufig auch wahr, dass viele Menschen diese Praxis auch bei „wir“ und „sie“ (Plural) anwenden, was nicht selten zu eigenartig verwirrenden Formulierungen führt, wo man manchmal erstmal gar nicht versteht, ob nun von der ersten Person Plural oder anderen die Rede ist. Muss als Leser dann erst mal nachdenken, von wem da gerade die Rede ist. Passiert in Folge von Weglassen des „Ich“ ja häufig auch, dass man einen Satz erstmal als Aufforderung/Ansprache missversteht. Ist mir schon häufiger passiert, dass ich erst nicht wusste, was der oder die Schreibende sagen wollte. Wäre doch einfacher, da ganz banal ein „Wir“ oder „Ich“ zu schreiben, bevor man seine Leser unnötig vor Denksportaufgaben stellt, denk ich mir. Überleg dann und wann, ob es nicht eigentlich ein normales Zeichen von Höflichkeit ist, wenn ein Schreiberling beim Schreiben, will sagen beim Kommunizieren, zumindest so viel Mühe investiert, dass man dem Gegenüber das Verständnis nicht unnötig verkompliziert, wenn es doch ganz einfache Sprach- und Kommunikationsregeln gibt. Aber ja, klar: jeder, wie er mag. Oder wie sie mag natürlich. 


    Weglassen des Subjekts ist allerdings nicht die einzige Skurilität, die ich an Satzanfängen beobachte. Oft, dass Menschen auch andere Wörter am Satzanfang einfach so weglassen. Mal nur eines, manchmal aber auch mehr. 
    Paar Beispiele aus meinem Archiv. Füttere dieses gelegentlich, wenn ich mich in Online-Foren herumtreibe:

    „Ganzen Tag putze ich.“ / „ganzen Tag bin ich draussen unterwegs.“ / „Ursprüngliche Satz stimmt so.“ / „Teuerste Schild war Littering mit 1000 $“ / „Zweite Jahr in Folge das Radisson ausgewählt.“ / „Beste Kommentar seit langem.“ / „Problem ist, persönliche Erfahrungen sind, so schrecklich diese auch tatsächlich sind, nichts mehr als persönliche Erfahrungen.“ / „Freund von mir war auch in Riga und kann das so bestätigen.“ / „Größte Problem sind die Akkus.“ / „Als Kind darin gespielt und sogar einen Helm gefunden.“ / „Gute ist ich habe gar keinen Sohn, Nachteil ich hab ne Tochter die irgendwann mit sowas Konfrontiert wird.“ / „Neuesten beide Alben nicht gehört, (…)“ / „Sweet Harmony fand ich das Video immer eklig irgendwie als Teenager, (…)“ / „Vieles interessantes durch ihn entdeckt.“ / „Metal hab ich einiges dabei.“

    Besondere Kurzform dieser Weglassen-Laune ist dann die Formulierung „Beste!“, wahlweise auch „Beschte“. Online-Foren nicht selten anzutreffen. Es um Tonträger oder Filme geht beispielsweise. Bis heute nicht herausgefunden, woher diese Formulierung eigentlich kommt und frage mich dann im Geheimen immer: „Beschte was?“ – Beschte Film, beschte Flughafen, beschte Monat, beschte Katzenfutter? Beschte Reschpecktsbekundung vermutlich. Habe nämlich auch mit Fragezeichen im Kopf unzählige Male beobachtet, dass „Reschpeckt“ ja auch so ein lustiges Ding ist: Wird von recht vielen Menschen, die sonscht koi Wort schwäbisch schwätze täte, so schwäbisch ausgesprochen. Au do han i bis heit net rausgfonda, wo des herkommt. Viele Menschen sprechen astreines Hochdeutsch, finden Schwäbisch sogar luschtich, aber würden selber niemals „Veschper“, „Kaschper“, „reschpektive“, „Knuschpern“, „Inschpektor“, „Geschpenst“, „Dischpokredit“, „Inschtanthaltung“, „Inschtitution“, „Kaschtration“, „deschpektierlich“ und so weiter sagen. 

    Irgendeinem Grund hat es sich nur bei „Räschpeckt“ eingebürgert. Zeitlang dachte ich, es wär nur ein Gag.

    Gag ist es vielleicht tatsächlich. Sich irgendwann verselbständigt. 

  • Die Achtziger

    Für eine Musiknerds-Liste („100 Alben der 80er für die Ewigkeit“) in einem Musiknerds-Forum in diesem Internet habe ich zuletzt mal darüber nachgedacht, was denn meine persönlichen „Top 100“-Alben der Achtziger wären. Am Ende hatte ich fast 200 Alben zusammen, die ich wirklich sehr gut finde; zum Teil habe ich sicherheitshalber nochmal reingehört, um zu überprüfen, ob ich das immer noch gut finde oder ob es vielleicht eher doch nicht so der Hammer ist … Point in Case: Phil Collins; fast immer hat der gute Phil ja keinen allzu positiven Ruf (und ich kann ohne Probleme gestehen, dass ich auch nie so wirklich Fan war), allenfalls geht ja sein Debüt Face Value als nicht schlechtes Album durch. Da ich mal für n Appel und n Ei die Komplettbox mit allen acht oder neun Phil-Alben in mein Regal gestellt hab, habe ich da unlängst nochmal reingehört, um zu schauen, wie das eigentlich dem Test of Time standhält und muss sagen (da täuschte mich meine Erinnerung nicht): Den Nachfolger Hello, I Must Be Going! finde ich tatsächlich besser (auf dem Debüt stechen eigentlich nur „In The Air Tonight“ und das lockere „I’m not moving“ heraus). Und wiederum den Megaseller No Jacket Required finde ich ganz gut, aber weitaus stärker finde ich tatsächlich das weithin abgewunkene …But Seriously.

    Ich stellte auch mal wieder fest, was für ein fantastisches Album Synchronicity (The Police) ist. Selbstredend hab ich nicht alle 200 Alben jetzt aktuell durchgehört. Zu einigen kehre ich eh oft genug zurück (Patti Smiths Dream of Life etwa, das sicher kaum jemand auf dem Schirm hat, wenn es um die besten LPs der Achtziger geht). Ich teile hier mal die oberen 25 mit euch. Ab dann wird es ein bisschen schwierig zu entscheiden, ob nun Michael Nymans The Cook, the Thief, his Wife & her Lover echt besser ist als Bill Frisells Lookout for Hope oder ob es irgendwie angemessen ist, Actually (Pet Shop Boys) höher zu stellen als irgendwas vom Art Ensemble of Chicago oder Laurie Anderson oder Tom Waits oder Stevie Nicks oder Arthur Russell. Dazu muss man vielleicht auch sagen: Anders als viele hier hab ich die Achtziger ja als Kind erlebt, nicht als ausgewachsener Musikhörer. ECM und The Cure kamen bei mir halt erst viel später überhaupt ins Bewusstsein. „Road to Nowhere“ von den Talking Heads ist in meiner Kindheit weitaus präsenter und prägender gewesen als Remain in Light oder sonstwas von Brian Eno (von dem ich auch eine Handvoll Alben in die Liste genommen habe). 1989 kaufte ich Sleeping with the Past (das m.E. tatsächlich auch heute noch bestehen kann und Elton Johns bestes oder maximal zweitbestes Album der 80er ist) und natürlich nicht Salome Dances for Peace (1989) – das Kronos Quartet spielt Terry Riley, auch wenn ich die beide heute gleichauf nennen würde.

    Dies wären aber mit heutigem Stand meine 25 persönlichen Lieblingsalben, die von 1980 bis 1989 veröffentlicht wurden:

    1. David Bowie: Scary Monsters (And Super Creeps) (1980)
    2. Sinéad O’Connor: The Lion and the Cobra (1987)
    3. Dexys Midnight Runners: Don’t stand me down (1986)
    4. U2: The Joshua Tree (1987)
    5. Gianna Nannnini: Latin Lover (1982)
    6. Talk Talk: Spirit of Eden (1988)
    7. Eurythmics: Savage (1987)
    8. Joy Division: Closer (1980)
    9. Einstürzende Neubauten: ½ Mensch (1985)
    10. Bill Frisell: Rambler (1985)
    11. The Rolling Stones: Tattoo You (1981)
    12. The Police: Synchronicity (1983)
    13. Pulp: Freaks (1987)
    14. John Cale: Music for A New Society (1982)
    15. The Cure: Pornography (1982)
    16. Patti Smith: Dream of Life (1987)
    17. David Torn: Cloud About Mercury (1986)
    18. Arvo Pärt: Tabula Rasa (1984)
    19. New Order: Substance (1987)
    20. Lou Reed: New York (1989)
    21. Laurie Spiegel: The Expanding Universe (1980)
    22. Talking Heads: Remain in Light (1980)
    23. Grace Jones: Nightclubbing (1981)
    24. Sonic Youth: Daydream Nation (1987)
    25. Prince: Sign o’ the Times (1987)
  • Von Faust zu Wal

    Vor über 15 Jahren drehten wir „Faust“, nach Goethe, als Béla Tarr noch regelmäßig an der DFFB Dozent war. Ich glaube, es muss seine letzte Regiedozentur an der DFFB gewesen sein. Katharina Rivilis war als Margarethe die heimliche Hauptfigur; gerade hat sie als DFFB-Regiestudentin ihren Debütfilm, ihren ersten Langfilm, abgedreht, in New Mexico und Texas, mit Produzent Wim Wenders. Seit Monaten postet sie in sozialen Medien über diese Arbeit. Für den Film hatten sie unglaubliche 52 Drehtage. Für einen Abschlussfilm! Unsere im Winter in München an der Bayrischen Staatsoper gedrehte Produktion (mein ca. zehnter Langfilm), die in ein paar Wochen Premiere hat, hatte 12 Drehtage, darunter auch dokumentarische und improvisierte und aus dem Stegreif geänderte Szenen, für ein Filmprojekt von 90 Minuten. Ich frage mich: Was dreht man 52 Tage lang, und wie bekommt man für einen Abschlussfilm so viel Geld zusammen?

    Robert Gwisdek spielte in unserem „Faust“ den Mephisto. Er war Kommilitone von Katharina, als sie Schauspiel studierte, an der HFF Potsdam, damals, 2008. Robert hat gerade seinen ersten eigenen Langfilm als Regisseur veröffentlicht, nach zahlreichen fantasievollen No-Budget-Musikvideos für eigene Musik (und zwei wahnsinnig teuren Musikvideos, die er 2022 für Rammstein als Regisseur und Produzent verantwortete). Seinen Film „Der Junge dem die Welt gehört“ hat er ohne Fördergelder und Fernsehredaktionen aus eigener Tasche finanziert, gedreht mit Geld, das er als Schauspieler und Rammstein-Regisseur verdient hatte. Für seine letzte Rolle in „3 Tage in Quiberon“ war er mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet worden (das Preisgeld (€10.000) dann vermutlich Startkapital für den eigenen Film), seither war er sechs Jahre lang nicht mehr als Schauspieler in Erscheinung getreten, bis jetzt, in „Sterben“, für den er wieder für den Deutschen Filmpreis nominiert war.

    „Der Junge dem die Welt gehört“ entstand als kleine familiäre Produktion in Italien und auf seinem eigenen Dachboden in dem kleinen Dorf in Brandenburg, wo er mit seiner Frau (die den Film produziert hat), deren Tochter Chiara (die einer der Hauptrollen in dem Film spielt) und mehreren (?Stief-)Kindern lebt. Lustigerweise spielt auch Denis Lavant mit, der in dem Film genau so aussieht wie Robert Gwisdek. Und auch so agiert. Ebenso erkennt jeder, der Robert kennt, ihn in der männlichen Hauptfigur wieder, gespielt vom Schweizer Singer-Songwriter Faber. In dem Film wechselt er flüssig zwischen deutsch und italienisch. Und Roberts Mutter Corinna Harfouch spielt auch mit. Chiara spielt gleich vier oder fünf Mal die gleiche Figur in verschiedenen Facetten, sehr Gwisdek-typisch. 

    Sehe ich Denis Lavant, so denke ich sofort an einen der für mich prägendsten Filme „Mauvais Sang“ von Leos Carax, aus den tiefen Achtzigern. Ein Film, wie es ihn kein zweites Mal gibt, nicht mal von Carax. Er scheint mir überhaupt einige Gemeinsamkeiten mit Robert Gwisdeks Film zu haben. Man müsste die beiden als Double Feature zeigen. Denis Lavant ist heute fast 40 älter als in diesem Film, sieht aus wie ein alter Mann, macht indes allerlei verrückte Sachen, und immer, wenn ich ihn in irgendeinem Film sehe, springt er so jung wie eng und je herum, macht seine Faxen. Denis Lavant und Robert Gwisdek — zwei Brüder im Herzen. Oder im Geiste, je nachdem. Man hätte es sich nicht besser ausdenken können. 

    Und wann immer ich Denis Lavant in einem Film gesehen habe, habe ich hinterher David Bowie im Ohr – „Modern Love“. Jeder, der einmal „Mauvais Sang“ gesehen hat, weiß warum. Eine unvergessliche Sequenz. Noah Baumbach hat den Film auch gesehen und in „Frances Ha“ diese geniale Szene schamlos kopiert, mit seiner damals neuen Partnerin Greta Gerwig als Denis-Lavant-Ersatz. Nichts gegen Noah Baumbauch, aber leider ist „Frances Ha“ nicht so eigensinnig und gelungen wie „Mauvais Sang“. Mich ärgert nur, dass er die Hommage nicht kenntlich gemacht hat. Noah Baumbach hat aber auch bessere Filme gemacht, letztens schaute ich seinen Debütfilm „The Squid and the Whale“. Sehr lustig, Jesse Eisenberg in seiner wohl ersten Filmrolle als Teenie-Alter-Ego von Noah Baumbach zu sehen. Und irritierend zu sehen, dass Baumbach in dem Film in vielen Teilen genau die gleiche Geschichte erzählt wie 15 Jahre später wieder in „Marriage Story“ (nur eben aus anderer Perspektive) – dort spielte dann Adam Driver sein Alter Ego. Die Geschichte wiederholt sich; in „The Squid and the Whale“ erzählt er 2004 von der Trennung seiner Eltern 1986 in Brooklyn, aus der Perspektive des Jugendlichen Noah/Jesse/Walt, in „Marriage Story“ 15 Jahre später dann seine eigene Trennungsgeschichte von Jennifer Jason Leigh, die als „Nicole“ von Scarlett Johannsson verkörpert wird. Die Parallelen sind unübersehbar. Mit den Frauenfiguren tut sich Baumbach in seinen Filmen üblicherweise schwerer als mit den Alter Egos. Laura Linney geht aus „The Squid and the Whale“ allerdings als die stärkste Figur hervor. Erstaunlicherweise, muss man fast sagen.