• Solo

    Gestern hatte ich noch davon geschrieben, dass so ein „just Elton and his piano“-Album bis heute bedauerlicher Weise fehlt. Vor ein paar Jahren gab es, zuerst anlässlich eines „Record Store Days“, das hörenswerte Livealbum Live from Moscow 1979, von einer Tournee mit Perkussionist Ray Cooper. Die beiden spielten bereits zwei Jahre zuvor einige Konzerte gemeinsam, von denen nun, wiederum zum heutigen „Record Store Day“ eine Zusammenstellung als limitierte LP: Live At The Rainbow Theatre 1977. Und gerade so, als hätte man auf meinen Blogeintrag von damals reagiert, bietet diese ganz famose Scheibe nun gar keine der unzählige Male auf Livealben und in Konzertfilmen vertretenen Hits, sondern ausschließlich 12 „Deep Cuts“, die die meisten Gelegenheitshörer vermutlich nicht einmal kennen.

    So unmittelbar auf die 48 Jahre später veröffentlichten neuen Aufnahmen des Endsiebzigers ist diese LP durchaus ein ganz besonderes Fest. Die Aufnahmen präsentieren zwar nominell den selben Interpreten, doch liegen Welten zwischen diesen beiden Männern.

    Größtenteils bietet diese Konzert-LP aus der ersten Maiwoche des Jahres 1977 Elton John solo, bei ein paar Songs stößt Ray Cooper dazu. Für die allermeisten Songs ist es der erste Auftritt auf einem Livealbum; diese Stücke waren nie in einer anderen Version als der auf dem jeweiligen Album zu hören, vor allem jene von Rock of the Westies (1975) und Blue Moves (1976) – Alben, von denen (bislang) nicht einmal irgendwelche special editions mit Demo-Versionen o.ä. erschienen. 

    „The Greatest Discovery“ und „Tonight“ gab es zehn Jahre später auf dem Orchester-Livealbum aus Australien der 86er-Tour (die Studioversionen von 1970 bzw. 1976 sind ebenfalls mit Orchester, so auch „Sweet Painted Lady“ vom 73er Goodbye Yellow Brick Road), doch diese vollkommen reduzierten Versionen sind nun eine ganz neue Erfahrung. Ebenso der Gospel „Border Song“, die untypischen Chanson- und Jazz-Nummern von Blue Moves, „Cage the Songbird“ (für Edith Piaf) und „Idol“ und den Fast-Country von „Roy Rogers“ und „I Feel Like A Bullet (In The Gun Of Robert Ford)“ sowie das kaum bekannte „Dan Dare (Pilot Of The Future)“. 

    Obwohl die 12 Songs von ganz unterschiedlichen Alben stammen, ergeben sie auf dieser LP ein wunderbares Ganzes, ein überaus eindrucksvolles rundes Album. Für mich vermutlich die Archivveröffentlichung des Jahres!

  • Elton und Brandi

    Zu den Musikern, deren Oeuvre mich schon seit meiner Kindheit begleiten und zu jenen, deren veröffentlichtes Werk ich in der Gänze kenne, zählt Elton John. Seit ich denken kann, rief das bei vielen Leuten immer wieder verwunderte Blicke und irritierte Kommentare hervor, zumal ich sonst ja oft auch eher recht radikale und experimentelle Sachen genieße und verteidige, die vielen Leuten eher Kopfschmerzen als Freunde schenken. Ich hatte wohl, was Pop- und Rockmusik betrifft, schon in meiner Jugend eher eine Neigung zu jenen, die trotz irgendwelcher Widerhaken (wie z.B. dass sie nicht in die Erwartungen passten) einen erfolgreichen Weg im Pop gegangen sind — Elton John, Freddie Mercury, Gianna Nannini, Patti Smith, David Bowie, Björk, Annie Lennox, Fiona Apple sprachen mich damals weit mehr als die typischen Macho- und Testosteronrocker (und -Rapper), die (nicht nur aber natürlich auch) in meiner Jugendzeit überaus beliebt waren, oder die glatten Sängerinnen, die Millionen Platten verkauften.

    Bis heute kann ich viele von Eltons Meisterwerk-Alben jederzeit hören (und mitsingen) – und nach wie vor verteidigen. Und es gibt doch viele davon. Auch wenn der bald 80-Jährige über die Jahrzehnte immer wieder mal auch Sachen aufgenommen oder verzapft hat, bei denen ich auch beim wiederholten Hörversuch „Was für ein Käse“ denke (beispielsweise das komplette „Aida“-Album) und die Qualität immer wieder auch schwankend ist, freue ich mich nach wie vor jedes Mal, wenn’s alle paar Jahre mal ein neues Album gibt. Häufig wird es die Gelegenheit nicht mehr geben, dass ich eine neue CD von Elton John auspacke und zum ersten Mal anhöre. 

    Die letzte Platte The Lockdown Sessions war eine extrem heterogene Kollektion von Duetten, darunter ein paar „Hits“, die songwritingmäßig deutlich unter dem Niveau selbst vieler seiner durchschnittlicheren Nummern sind. Auf der CD hörte ich allerdings erstmals Brandi Carlile und wurde neugierig auf ihr damals neues Album In these Silent Days, ein großartiges Songwriteralbum (das ich erst auf CD kaufte und dann später passend auch noch als LP), nicht nur sehr stark von den Großen der Siebziger beeinflusst – im Wesentlichen von Elton und Joni, die Brandi als ihre „Eltern im Geiste bezeichnet“ – sondern klingt erstaunlicherweise auch total so, als wäre es Mitte der Siebziger entstanden. Und Brandi Carlile hat nicht nur ein tolles Händchen für hervorragendes classic songwriting, sondern obendrein eine beeindruckende Präsenz in ihren Performances, anders als einige andere der Kollaborateure der The Lockdown Sessions . 

    Nun haben Brandi und Elton ein komplettes gemeinsames Album aufgenommen, das heute in meinem Briefkasten landete, und nicht überraschend ist es eine Kollektion von Songs, die ebenfalls an die Siebziger anknüpfen und – anders als die enorm unterschiedlichen Elton-Alben der letzten 25 Jahre (zuletzt wohl Songs from the West Coast, 2001), die ich größtenteils sehr schätze – streckenweise tatsächlich auf erfrischende Weise altmodisch. Hier und da ein bisschen (unnötiger) Bombast, andererseits aber auch ein paar subtile, charmante Sachen. Dass das visuelle Design, wie schon bei den Alben der letzten zehn Jahre (speziell The Lockdown Sessions und Wonderful Crazy Night) haarsträubend albern ist – geschenkt. Nicht hinschauen… Ein sensibles Design wie bei Brandi Carliles Alben wäre weitaus passender gewesen. Die vielen persönlichen und berührenden Momente dieses Albums sind nun ein bisschen unter dem knalligen Camp dieser aufgedrehten „Gay Theatrics“ vergraben. 

    Das letzte Elton-Album, das wirklich grandiose Songs hatte, The Diving Board, 2013 erschienen, hatte leider den Haken, dass es als „just Elton and his piano“ angekündigt worden war, aber dann doch eine Spur zu viele weitere Gastmusiker drauf hatte. Dieses neue endet mit einem sehr bewegenden, sehr persönlichen Solo, das eben dort anknüpft, und es bleibt zu hoffen, dass es nicht sein letztes Album ist und er an diesem Faden noch einmal weiterspinnt. Eine kraftvolle Stimme hat er noch, das muss man ihm lassen, zumal sie sich über die Jahrzehnte hin extrem gewandelt hat. Wenn es wieder vier Jahre dauert, bis er ein Album rausbringt, ist er immerhin schon 82. Wie viele (Rock-)Musiker bzw. Songwriter liefern als (über) 80-Jährige noch was ab, geschweige denn was Interessantes? Johnny Cash, Lou Reed, David Bowie haben gerade so (oder gerade so nicht mehr) die 70 erreicht und ihr reifes Spätwerk entsprechend deutlich früher abgelegt. Patti Smith hat sich seit 2012 leider vom Veröffentlichen neuer Songs komplett verabschiedet, auch wenn sie auf Tour noch immer große Kraft hat (im Sommer gehe ich wieder hin, vielleicht auch mehrmals). John Cale immerhin hat letztens mit knapp 83 noch ein gar nicht unspannendes, gar nicht lahmes Album rausgebracht. Das letzte von den Stones fand ich auch überraschend stark; ich höre es nach wie vor sehr gerne. Witzig auch, dass sie dort, nachdem Charlie Watts nur noch auf zwei Songs mitspielen konnte, Bill Wyman einmalig aus dem Ruhestand zurückgeholt haben und nochmal alle fünf zusammenkamen — sogar in diesem einen Fall mit Elton John an den Tasten!

  • Ein vollkommen Unbekannter?

    Eben auf der großen Kinoleinwand James Mangolds A Complete Unknown angeschaut (in deutschen Kinos hat er albernerweise den „deutschen“ Titel Like A Complete Unknown). Der Film ist bzw. hat mir deutlich besser gefallen, als ich erwartet hatte. James Mangold ist im Allgemeinen nicht als großer Künstler bekannt, auch nicht als Autorenfilmer, eher als solider Handwerker, der jeden Stoff auf eine zugängliche bis gefällige Weise publikumsfreundlich zubereitet – und damit regelmäßig für die Oscar-Saison fit macht. Und auch A Complete Unknown ist erwartungsgemäß durch und durch konventionell und zudem ein solider Historienfilm – zwei Aspekte, die ich sonst nicht besonders mag, wenn ich ins Kino gehe. Doch davon abgesehen ist das Ganze sogar bemerkenswert weniger gefällig, als ich befürchtet hatte. Vor allem wird doch ein großer Fokus auf die Musik, auf die Songs gelegt, anfangs von Pete Seeger, Joan Baez und Woody Guthrie, dann aber auch auf den frühen Dylan. (Im Fall des Maria-Callas-Films Maria von Pablo Larraín hatte irgendeine Zuschauermeinung, die ich las, einen solchen erzählerischen Fokus auf gut ausgewählte Musikstücke letztlich als nachteilig ausgelegt, absurderweise.) Und sowohl damit als auch mit der inszenatorisch und schauspielerisch dann doch bemerkenswert und überraschend unsympathischen Darstellung der Filmhauptfigur Dylan macht der Film bei einer zweieinhalbstündigen Laufzeit keine großen Zugeständnisse an ein Mainstream-Publikum. Andererseits erklärt eben das auch ein wenig, warum Dylan selbst dem Film seinen „Segen“ gegeben hat, da er bekanntlich kein großer Fan von freundlichen Huldigungen seiner Person ist. Wenn man Dylan als Person vorher nicht mochte, wird man ihn nach dem Kinobesuch garantiert nicht sympathisch finden: Das macht der Film auf jeden Fall sozusagen richtig und wird dem Enigma damit gerecht.

    Zudem werden etliche Figuren und Umstände, die heutigen jungen Menschen, zumal außerdem der Vereinigten Staaten, sicher kein Begriff sind, ausführlich erzählt: Die Figur Joan Baez hat ein wenig die etwas undankbare Rolle als attraktive Stichwortgeberin und Anhimmlerin der Hauptfigur; letztlich ist sie sogar die sympathischere Figur als Dylan; ihr Charisma vermittelt die Schauspielerin sehr gut, wenn die echte Joan sicher komplexer und weniger „nice“ war (wie man auch aus dem jüngsten autobiografischen, überaus sehenswerten Dokumentarfilm Joan Baez – I am a Noise entnehmen kann). Auch die Dylan-Freundin „Sylvie Rosso“, der man klugerweise nicht den echten Namen Suzie Rotolo gegeben hat, bleibt ein wenig unterkomplex als Dylans frühe große Liebe und wichtiger Einfluss in der New Yorker Kunstszene, wobei letzteres aber nur für Aufmerksame wirklich erzählt wird. Edward Norton allerdings füllt die in den USA bis heute kulturgeschichtlich legendär relevante Figur Pete Seeger oscar-reif mit Leben. Und Timothée Chalamet ist tatsächlich auch wirklich stark in der Hauptrolle, wie ich ihn bisher in keinem Film gesehen habe. Es ist sicherlich eine exzellente Regie-/ Besetzungsentscheidung, einen allgemeinen Sympathieträger in dieser schwierigen Rolle zu besetzen; sonst würde ein unvoreingenommenes Publikum vermutlich so eine Geschichtsstunde nicht knapp 150 Minuten lang durchhalten. Dafür sind viele Details in der Geschichte und der Figurenzeichnung eben doch sehr spezifisch für Musiknerds oder Menschen, die die 1960er noch miterlebt haben, sowie für den kleinen Kreis von Leuten, die sich für das doch recht spezifische Thema einer solchen Künstlerfigur und ihrer Nöte begeistern können. (Ich kann davon ein Lied singen…) Trotz der Laufzeit wurde mir keine Minute langweilig; ich hätte sogar eine ganze Serie mit diesem Material angeschaut, war fast traurig, dass es irgendwann zu Ende war.

    Und dann sind da natürlich diese unfassbar großartigen Lieder, die das Ganze zusammenhalten. Denn der Film ist, ungeachtet des thematischen roten Fadens, der sich doch ganz wunderbar auch in Todd Haynes‘ ungleich kreativeren Dylan-Film I’m not there wiederfindet, dann letztlich eine große Verbeugung vor diesen Songs und ihrer bis heute bleibenden Relevanz, sowohl für die Zeitgeschichte (im Sinne eines Historienfilms über die frühen Sechziger), die Musikgeschichte (in Anbetracht des übergroßen Einflusses bzw. Wertschätzung, den/die Dylan bis heute bei 99% aller Songwriter genießt) als auch für die Kulturgeschichte im größeren Sinn. Große Klasse, wie Chalamet (und im übrigen auch die Tonmischung!) diese Songs zum Leben erweckt. Das ist alles andere als selbstverständlich.

  • Lynch

    Wenige Filme habe ich so häufig gesehen, zumal im Kinosaal, wie einige von David Lynch. Die Todesnachricht las ich, als ich in Banff vom Mittagessen in einem koreanischen Restaurant, wo ich alleine gesessen hatte, in meinen Mietwagen zurück ging, mich reinsetzte und überlegte, was ich als nächstes tun würde. Ich öffnete Facebook, wo ich manchmal am ehesten mitbekomme, wenn was in der Welt passiert ist, und das erste, was erschien, war die Verkündigung von Lynchs Tod über sein Künstlerprofil in meinem „Feed“ (keine Ahnung, wie das heutzutage eigentlich auf deutsch heißt). Mir war nicht mehr bewusst, dass ich „David Lynch“ aus Facebook abonniert hatte, und so erschien mir die Nachricht auf den ersten Blick recht unwirklich, so im tiefen Winter in Kanada, in einem Auto, zumal die Verkündung so sachlich und mit einem recht untypischen Bild (Lynch an der Gitarre) verfasst war. 

    Die Nachricht war zu dem Zeitpunkt etwa drei Stunden alt, und das Weiterscrollen in meinem Facebook-Bekanntenkreis zeigte, dass nahezu jeder diesen Todesfall bereits kommentiert hatte. In den folgenden Tagen bestätigte sich wieder, wie viele, teils extrem unterschiedliche Menschen in meinem weiteren Umfeld eine persönliche Beziehung zu Lynch und seinem Werk hatten. Vermutlich hatte ich seit David Bowies Tod nicht von so vielen Seiten so viele persönlich betroffne Kommentare zu einem verstorbenen Künstler gelesen und gehört. 

    Auch für mich war Lynch sicherlich mit entscheidend für meine Berufs- und Studiumswahl. Und offenbar gilt das auch für unzählige meiner Regiekolleg/innen. Kaum eine/r, der/die das nicht nach dessen Tod noch einmal kundgetan hat. Auch etliche Musiker-Freunde erwähnten das. Mit der Sängerin Mattiel aus Atlanta bspw. habe ich mal eine Weile über Lynch gesprochen; sie hat zwar nicht Film studiert, aber sie hat ihre Musikvideos immer komplett selbst gemacht und mir mal erzählt, dass sie dafür – „learning by doing“ – viel von Lynch gelernt habe.

    Gewissermaßen habe ich Lynchs Werk auch vor meinem eigentlichen Studium schon recht intensiv studiert (u.a. unter Zuhilfenahme des dem Interviewbuchs „Lynch on Lynch“ und anderen Büchern). „Lost Highway“ kam am Ende der Woche meiner Abiturprüfungen raus (und Geburtstag hatte ich in der Woche auch noch) – und hat auch mich enorm geprägt. „Mulholland Drive“ kam schon vor meinem Studium in die Kinos, und ich erinnere mich immer sehr intensiv daran, wie ich nach dem Film, es war eine Spätvorstellung (22 Uhr 45; ich habe letzte Woche die Eintrittskarte in meiner Soundtrack-CD wieder gefunden), nachts um zwei aus dem Kino kam und durch Berlin nach Hause radelte; es war vollkommen überraschend Schnee gefallen, alles war weiß, die Stadt komplett still (Wochentag + Wintereinbruch), und der Himmel war irritierend hell, in surrealen Rottönen. Das war eine bizarre Erfahrung, nach diesem Film, der vieles auf den Kopf stellte. Bis heute ist es wohl der Film, den ich am häufigsten im Kino gesehen habe.

    Nicht selten muss auch ich (wie viele Kolleg/innen), in vielen verschiedenen Zusammenhängen, in meinem beruflichen und künstlerischen Tun an Lynch denken. Auch wenn man selbst natürlich nie etwas Vergleichbares macht.

    Einmal hatten wir an der Filmakademie die seltene und seltsame Chance, dass Lynch für eine Veranstaltung mit den Studierenden kommen wollte. Es wurde dafür ein großer Kinosaal, das Arsenal, bereitgestellt, und alle, die irgendwie davon gehört hatten, kamen vorbei, man erwartete die Chance, von Lynch ein kleines Scheibchen Goldstaub-Inspiration mitzunehmen. Der Saal war über Gebühr voller Studenten, auch bis an die Potsdamer Filmhochschule hatte sich das herumgesprochen. Lynch saß auf der Bühne, neben ihm vier oder fünf seltsame rundliche Herren in Anzügen. Und dann wurde kundgetan, Lynch werde nicht über seine Arbeit sprechen (als Gast an einer Filmhochschule!), sondern über Transzendentale Meditation (TM) – und dazu Fragen gerne beantworten. Das geschah dann auch, und auf alle Anwesenden wirkte das Ganze wie eine Theatershow aus einem Lynch-Film – und der Stargast wirkte auf uns, als sei er einer Gehirnwäsche unterzogen worden. Es war reichlich bizarr. Der damalige Leiter unserer Ausbildungsstätte, Hartmut Bitomsky, entschuldigte sich später, dass er da vorab nicht genauer nachgefragt hatte, was zu erwarten war; die einmalige Gelegenheit, Lynch zu Gast zu haben, sei auch ihm zu verlockend und einmalig genug erschienen. Damals war noch nicht gemeinhin bekannt, dass Lynch ein Anhänger der TM war, die er in höchsten Tönen lobte, und die Herren neben ihm nickten und lächelten immer nur wortlos, während sie da auf der Bühne saßen. Es wirkte so, wie man sich Scientology vorstellte. Lynch sprach sogar vom Weltfrieden via Meditation. Einer der damals anwesenden Studenten, David Sieveking, hat in der Folge den Dokumentarfilm „David wants to fly“ gemacht, über seine Entzauberung von Lynch als so wichtigem Autorenfilmer für ihn und für uns alle. 

    Diese Episode ist lange vergessen, und Lynch hat sich mit den 18 Stunden „Twin Peaks 3“ später auch mehr als rehabilitiert. Zahlreiche Berliner Kinos haben in den letzten Wochen ihr Programm umgestellt, und man konnte das Lynch-Kinogesamtwerk (inklusive des sehr schönen Dokumentarfilms „The Art Life“) überall in Berlin sehen. Wir schauten „Mulholland Drive“, „Lost Highway“ und vorgestern, am Samstag, schließlich „Eraserhead“ – alle drei sah ich nun erstmals in digitalen Vorführkopien. Und zum Glück war die Vorstellung jeweils sehr laut. „Mulholland Drive“ wurde leider komplett asynchron abgespielt, der Ton eine knappe halbe Sekunde verzögert, was mir Kopfschmerzen bescherte. Ich konnte nicht auf die Münder der sprechenden Figuren schauen. Nach dem Film fragte ich nach, ob sich denn niemand beschwert habe, und der Kinomitarbeiter war rasant in seiner Antwort: „Das ist vom Verleih so gewollt.“ Nach ein paar Minuten Diskussion mit dem Herrn meinte ich abschließend: „Naja, interessant zu wissen, dass ich der einzige war, den das gestört hat, dann ist es halt so.“ — und er gab schließlich zu, dass sich doch schon während des Films einige über den asynchronen Ton beschwert hatten.

    Zu „Lost Highway“ nahmen wir ein ganzes Rudel kunstinteressierter Berliner Freunde mit, die den Film allesamt erstaunlicher Weise noch nie gesehen hatten. Die Wiedersichtung dieser drei Filme (plus einer TV-Doku in der Arte-Mediathek) bewies wieder einmal, wie sensationell gut Lynch als Filmemacher, als Filmkünstler war. Dass er mit so wenigen Filmen die Sprache des Kinos so enorm gut beherrschte, beeindruckte mich bei „Lost Highway“ wieder einmal. „Kein Wort zu viel“ meinte eine der mitgekommenen Freundinnen, sie habe sich prächtig amüsiert, wie bei René Pollesch in der Volksbühne. Diese Filme sind – noch immer – einfach phänomenal gut. Und dabei doch so enorm vielschichtig. Die Meisterschaft und Einzigartigkeit der Regiearbeit treibt mir fast die Tränen in die Augen.

    Sonntag Abend in der Volksbühne: Zola Jesus, eine Sängerin aus Wisconsin, von der ich einige Alben habe. Sonst baut sie ihre sehr exaltierte, fast opernhafte Musik mit umfangreicher Instrumentierung, Klangwelten und Elektronik aus. Diesmal solo am Flügel, nahezu ohne elektronische Effekte. Ich war skeptisch, aber es funktionierte erstaunlich gut, war intensiv, auch wenn in der ersten Hälfte sicher 50 bis 80 Zuschauer den Saal zwischen den ersten Stücken verließen. Offenbar hatten sie keine Solo-Show erwartet. Oder fanden den Gesang zu exaltiert. Zum Schluss sang sie, als Verbeugung vor David Lynch, den sie einmal getroffen hatte, „In Heaven (Lady in the Radiator Song)“ aus „Eraserhead“, den ich 24 Stunden zuvor im Kinosaal in der digital restaurierten, klanglich beeindruckend wiedergegebenen Vorführung gesehen hatte. 

  • Die letzten Tage

    Als ich vor 25 Jahren nach Berlin zog, war gerade das „Arsenal“, das in der Stadt jedem Filmmenschen vertraute und enorm wichtige „Kommunale Kino“ an den Potsdamer Platz umgezogen. Der Potsdamer Platz sollte ja, wie die Geschichte es in den 1920ern angefangen hatte, wieder der pulsierend-lebendige Mittelpunkt Berlins werden, an der Schnittstelle von Ost und West, Nord und Süd Berlins. In die 8. und 9. Etage des „Filmhauses“ frisch eingezogen: die Filmhochschule „DFFB“ ein (herübergekommen aus alten Westberliner Gebäuden am Theodor-Heuss-Platz), darunter die „(Freunde der) Deutsche(n) Kinemathek“, seit 1970 verantwortlich für die Sektion „Forum“ bei der Berlinale und eben für das Kino „Arsenal“ mit seinen großen Retrospektiven, Werken der gesamten Filmgeschichte, besonderen Gästen und Premieren und so weiter, darunter über mehrere Etagen das Deutsche Filmmuseum — gemeinsam verwalten die Organisationen auch das Filmarchiv der Deutschen Kinemathek, mit Werken aus allen Epochen des deutschen und internationalen Films. Im Erdgeschoss das Filmbuch-Fachgeschäft (kam später, ich weiß nicht mehr sicher, was in den 2000ern in den Räumen war) und die Bar „Billy Wilder’s“, und im Untergeschoss dann das Kino „Arsenal“ und die Studios der DFFB. Auch die Berlinale sollte vornehmlich am Potsdamer Platz stattfinden; immerhin gab es über Jahre dort die höchste Kinosaaldichte Europas (mit den 8 Sälen des mittlerweile geschlossenen CineStar, den 18 Sälen des Cinemaxx, zwei IMAX-Kinos, dem DFFB-Kinosaal, den beiden Arsenal-Sälen und während der Berlinale auch dem „Berlinale Palast“, während des übrigen Jahres ein Theater).

    Das Arsenal war seit jeher der Ort, wo sich in Berlin die wahrhaft Filminteressierten zusammenfanden; das erzählt dir jeder. Als ich nach Berlin kam, hörte ich laufend Leute sagen, dass das neue Arsenal-Kino keinen Charme mehr habe, zu kühl und steril, man da nicht mehr gerne hingehe. Wie der gesamte Potsdamer Platz ja sowieso unter Berlin-Bewohnern unbeliebt war wie kein anderer Ort. Niemand in Berlin schien ihn je zu mögen – obwohl Berlin-Besucher ihn immer gleich besuchen wollten. Zwischenzeitlich ist von der lebendigen Atmosphäre, die vor 20 Jahren dort alltäglich war, nichts mehr übrig. 

    Schon als ich 2004 als Regiestudent an der DFFB begann und über Jahre tagtäglich in den 8. und 9. Stock des „Filmhaus“ am Potsdamer Platz – mein zweites Zuhause für viele Jahre – ging, war bekannt, dass der Mietvertrag fürs Filmhaus und alle Institutionen nur für 20 Jahre, bis 2020 gelten sollte. Was danach geschehen sollte? Niemand wusste es. 

    2020 war ich schon lange nicht mehr an der Filmakademie, aber sehr viele bleiben dieser Institution lebenslang verbunden, und ich besuche bis heute immer wieder mal die noch immer fast wöchentlich stattfindende Dokumentarfilm-Gruppe von Andres Veiel, der an der DFFB seit fast 20 Jahren der wichtigste und kontinuierlichste Dokumentarfilmregie-, ach was sage ich… der kontinuierlichste Regiementor ist. Und auch wenn das Angebot in erster Linie für die aktuell Studierenden gemeint ist, sind Ehemalige und Freunde jederzeit willkommen, auch um eigene Projekte in verschiedenen Stadien zu zeigen und zur Diskussion zu stellen. Gelegentlich trifft man Leute nach Jahren dort wieder.

    2020 also wurde der Mietvertrag, der die DFFB laut Berichten ein Drittel ihres Jahresbudgets kostete, noch um eine Galgenfrist bis 2024 verlängert, und zwischen zahlreichen Direktorenwechseln wurde nach Wegen gesucht, wohin mit der Akademie. 

    Der Dezember stand im Arsenal ganz im Zeichen des Abschieds. Jeden Tag gab es besonders kuratierte, einmalige Filmvorführungen mit Gästen und Einführungen. Die Berliner Film- und Cineastenwelt traf sich dort. Dirk von Lowtzow, Sänger und Texter von Tocotronic, erwähnt in seinem 2020/2021 verfassten Corona-Tagebuch, das er über 365 Tage von seinem 50. Geburtstag an am 20. März 2020 geschrieben hat, immer wieder das Arsenal-Kino und den Potsdamer Platz. Ein Film, über den er in seinem Buch schrieb, wurde Anfang Dezember noch einmal gezeigt, Dirk las zur Einstimmung die Passage aus seinem Buch. Am vorvergangenen Wochenende wurde Ulrike Ottingers achtstündiger „Taiga“ gezeigt, viele Besucher kamen. In den Pausen gab es mongolisches Essen. Nun hat das Arsenal seine Pforten geschlossen, und alle sind wehmütig. Ob das neue Arsenal, das Anfang 2026 auf dem Gelände eines ehemaligen Krematoriums („Silent Green“) in Wedding eröffnet wird, wieder den Charme haben wird, den das Arsenal am Potsdamer Platz hatte, fragen sich einige.

    Die Institutionen des Filmhauses werden in alle Winde zerstreut. Die DFFB landet in Zwischennutzung im Berliner Außenbezirk Adlershof, wo keiner der Studenten freiwillig hingehen würde. Und auch die Dozenten nicht. Später zieht die DFFB in einen Neubau in Wedding oder Moabit. 

    Letzte Woche der letzte gemeinsame Abend der Veiel-Gruppe im 9. Stock des Potsdamer Platzes. (Die weiteren Treffen finden in der Akademie der Künste statt.) Die Büros sind bereits ausgeräumt, Ende der Woche werden alle Türen verschlossen. Manche der anwesenden Studentinnen hatten 2013 hier zu studieren begonnen und machten noch einmal Fotos von sich vor der Fensterfront, wie damals, bei Studienbeginn. Ein ehemaliger Kommilitone, der gemeinsam mit mir 2004 angefangen hatte und mit dem ich im Winter 2004 einen gemeinsamen Dokumentarfilm im ersten Studienjahr gemacht habe, kam auch vorbei. Auch wir machten ein Foto von uns, wo wir einst Jahren tagtäglich zu mittag aßen, auf der Terrasse der 9. Etage, von der vor zehn Jahren ein depressiver Student in den Tod sprang und auf der einer der Direktoren, so geht die Legende, zur Provokation seinen Hintern entblößte und deshalb rausgeworfen wurde. 

    Ich ging ein letztes Mal die Gänge ab, in denen ich so viel Zeit verbracht habe. Meinen letzten Besuch im Arsenal hatte ich am vorletzten Abend, bei einer Vorführung eines persönlichen Dokumentarfilms eines israelischen Filmemachers, den er 2011 gemeinsam mit einem palästinensischen Freund gedreht hatte. Er bricht beim Publikumsgespräch nach dem Film in Tränen aus, sagt, er hätte nie für möglich gehalten, dass sich sein Land so entwickelt, habe abgewunken, als ihm palästinensische Freunde damals von genau dieser Angst erzählten. Er sagt, er erkenne sein Heimatland nicht wieder. Er lebt seit bald zwei Jahren in Lissabon. Es versteht die Welt nicht mehr. Er hofft, dass er im neuen Arsenal wiederkommen darf und dass sein Besuch als letzter Gast des alten Arsenals kein böses Omen sei.

  • 20 albums that sum up 2024 perfectly

    While I can honestly say that this year I bought dozens of truly great albums to provide me with 50 favorites easily, I found it surprisingly hard to figure out a ranking for a top 10 or a top 20, let alone choose which one might be „the album of 2024“. 

    I enjoyed Vera Sola’s album A LOT this year, and the concert in a tiny club in Berlin for a ticket price that felt almost like they paid us to come (it was maybe 16€) was fantastic. She was very entertaining and having a lot of fun with her five- or six-piece band on that tiny stage. It feels like timeless music. And I really love this intriguing album cover.

    However, I chose Canadian band Big|Brave’s latest album as my album of year, as I feel it not only reflects in a remarkable, even in an outstanding way how current times feel, where the things are moving right now (so quite the extreme opposite of Vera Sola’s sound and also album title, „Peacemaker“ … it does end with a song called „Instrument of War“ though), but also because „A Chaos of Flowers“ is arguably the most unique sound I heard all year. And on top of that the title is great and the cover is also just superb. As a kind of celebration of this album, I finally bought the vinyl, even though it was a bit too expensive for my taste. Unfortunately, I just missed their Berlin concert in spring. I believe I read about it the day after it happened. I hope they’ll be back soon. 

    So for my personal 2024 retrospective I chose the following 20 albums, and while they are stylistically as varied as can be, I also noticed some very fascinating cross-connections and parallels, when I just went to YouTube to look for some links for this blog post. 

    Interestingly, #1 and #20 seem to have in common that they are not only quite dark and uncompromising but both also remind me of Scott Walker’s approach to making music. Big|Brave, however, to me feel like the sum of Sunn 0))), Christian Fennesz, Ian William Craig, Hope Sandoval, Low, the Carter Family and New England folk music or poetry by female writers (as on Erik Honoré’s album, among the lyrics is actually poetry by Emily Dickinson, the 1861 poem “I felt a funeral, in my brain”!) – Scott Walker would love it –, whereas Kee Avil sounds like the lovechild of Scott Walker and Billie Eilish.

    Much of Soap&Skin’s darkly beautiful new album fits seamlessly in this particular realm, as does Kim Gordon’s harsh and uncompromising genre confrontation, Einstürzende Neubautens „Alien Pop Music“, Die Nerven („Dystopian noise rock from Stuttgart“) and Moor Mother’s latest album (that didn’t fit into my list this time, I’m afraid). This collection of albums does feel like it reflects what this year, 2024, was like quite eerily. There’s a strange and gloomy energy in Beak’s restless krautrock update, a nervous pop beauty in Nia Archives‘ drum&bass update, in Alejandro Escovedo updating songs from his immense backcatalogue in an uneasy manner, titled „Echo Dancing“(!), in Marta Sanchez‘ agitated trio music about sleeplessness – and also in Sylvie Courvoisier’s mercurial solo piano pieces as much as in Alva Noto’s nervy Hybrid pieces, reflecting on past, present and future of electronic music. And seemingly unaffected by all of this: The Sky will still be here tomorrow, and Central Park’s Mosaics of Reservoir, Lake, Paths and Gardens, timeless masterpieces, as one would hope to get from any great, wise musician in their 84th or 85th year on earth.

     

  • Echo Dancing

    My personal best of the year list is not yet fully fleshed out, so I am not ready to share one just yet. I don’t have a favourite album of the year yet … am oscillating between Cassandra Jenkins, Vera Sola, Nia Archives and a few others from day to day, but haven’t found „it“ yet. One thing seems quite sure: It’s not going to be one of the old guys. Unless I end up choosing Charles Lloyd or Bill Frisell or even Franck Vigroux, which might easily happen for very personal reasons. I just don’t know yet.

    However, I would like to share my „(Re)Discovered“ section today. As I mentioned a while ago, I was quite intrigued by Alejandro Escovedo’s 2024 album, which is a collection of completely revised re-recordings of songs from across his extensive back-catalogue, going back as far as the distant 1980s. I am not familiar with his work as a member of various rock groups before he started making solo albums in 1992, so that will be one of my next undertakings. For now, I managed to get hold of copies of all his solo albums (a few special projects not included), from Gravity (1992) to The Crossing (2018). And I like all of them quite a lot. I noticed that the music reviews website Allmusic.com rated all those albums with at least 4 or 4.5 stars (and readers/listeners agree, as their ratings prove), so it’s difficult to choose where to start if you’re new to Alejandro Escovedo’s music. So arguably the best place to start might be Marc Maron’s knowledgeable and passionate hour-long podcast episode with Alejandro, traveling through the man’s life and work at some rousing speed.

    Judging from a quick, superficial look at his albums, one might get the wrong impression that all of that was basically about just the same type of music, as it’s mainly some sort of Americana / roots rock with a few folksy or bluesy elements here and there, and even occasional Latin tinges. Nevertheless, his songs are always quite personal and are at times infused by his background as a native Texan with Mexican roots, as well as by his private experience as a single parent, when his first wife died early in the 1990s, not long after they had become parents. Ten years later he almost died from a serious illness, and with insufficient American healthcare he was not able to pay for the treatment, so friends and admirers of his work recorded a double album of their own Escovedo covers to raise money for him. Por Vida: A Tribute To The Songs Of Alejandro Escovedo was released in 2004, containing 32 songs performed by great musicians including Lucinda Williams, John Cale, Vic Chesnutt, Steve Earle, Calexico, Cowboy Junkies, Howe Gelb, Ian Hunter, Ian McLagan (of Small Faces and Faces), M. Ward and even a reunited Son Volt, among many others. So that might also be a nice place to start entering the Escovedo discography … though I guess the originals are always better.

    The first two – and very personal – albums, Gravity (1992) and Thirteen Years (1994), were re-released, with a second disc of nice live recordings, when the original label went out of business; as was the third album, With These Hands (1996), which had been a step up to a more renowned record label, Rykodisc, though that work relationship didn’t end up being as financially successful as expected, leaving him without a label for a few years. While the first three are really intriguing, I guess it’s fair to say that A Man Under the Influence (2001), was another step up, as Mark Deming summarizes: „if love and loss still remain Escovedo’s favorite themes, like Hank Williams or Leonard Cohen he seems to have something new and telling to say about them each time out; each of this album’s 11 songs is worth hearing, and the cumulative effect is nothing less than stunning. No one who’s heard Escovedo’s work doubts his status as one of the finest singer/songwriters of his day, and he’s never been heard to better advantage on disc than on A Man Under the Influence.“

    Continuing to maintain a high level of songwriting, the next album, his first after his near-death illness, was a truly great, versatile and complex collaboration with producer John Cale, The Boxing Mirror (2006), featuring some of Cale’s viola playing [I strongly recommend checking out Thom Yurek’s enthusiastic review („The Boxing Mirror reels and struts, waltzes, and falls down, but always gets back up again. Rock & roll music has been extended in the various articulations of these songs. In the 21st century, this is what singer/songwriter albums are supposed to sound like. The Boxing Mirror is brilliant, and it is his masterpiece.“)], followed by three albums with producer Tony Visconti, Real Animal, Street Songs of Love, and Big Station (2008-2012), all of which are somewhat more straightforward rock music, thought with a lot of diverse stylistic elements, considerate details and great guitar playing. Songs like Sally was a Cop, Too Many Tears, San Antonio Rain and Chelsea Hotel ’78 are even better live in concert and were among the many highlights of the concert I attended in a small bar in rural Texas, halfway between San Antonio and Austin, this past October.

    In 2016 Escovedo released his first solo album on good old vinyl and several earlier albums were released on vinyl for the first time: Co-produced by former R.E.M. guitarist Peter Buck, Burn Something Beautiful gives more room for captivating guitar textures and sounds. Apparently the songs reflect on a number of personal and health issues and a move away from Austin to somewhere either around Houston or Dallas (depending on which information is correct here), together with his second wife, Nancy Rankin.

    Born in San Antonio, Texas, to Mexican parents as one of 13 siblings, and having spent his teenage years in California, where, as he says, he experienced more racism than he had in Texas, before he left the sunny westcoast for a few years in New York City when he started out becoming a punk musician and then lived in Chelsea Hotel during the late seventies, when Sid and Nancy lived and died there, Escovedo has a lot to say about the United States. And he tells a lot of it in his 2018 album, The Crossing, a semi-autobiographical song cycle about two young immigrant boys, one Mexican, one Italian. The music on this album is again quite different from what Escovedo had done before, as it was developed and recorded in Italy in collaboration with Italian Antonio Gramentiere and his band Don Antonio. As often, interesting guests can be discovered on these 17 songs, such as Wayne Kramer(MC5), James Williamson (The Stooges) and Peter Perrett. Two or three years later, Escovedo and Don Antonio recorded a Spanish version of the whole album, La Cruzada.

    For now, I am looking forward very much to the release of the live album Alejandro Escovedo recorded in Austin over three nights in October, with Charlie Sexton and Britt Daniel (singer of the Austin band Spoon) guesting during encores of covers of Neil Young, Velvet Underground, Mickey Newbury and Bowie songs, roughly two weeks after the concert I attended. The newly recorded 14 songs on Echo Dancing provide quite different takes on the originals from across Alejandro’s body of work, but most of the other songs that I heard live in concert also differed in interesting ways from the original studio versions. I remember Sally was a Cop and Dear Head on the Wall and a number of great guitar solos very vividly and have become quite a fan of this man’s work during my trip across the American Midwest this fall.

  • Kronos meets Hardanger

    Ein letzter Besuch in Norwegen für dieses Jahr. Benedicte Maurseth erzählte mir vor einem Jahr, als wir uns zuletzt in Berlin trafen, von einer Anfrage von David „Kronos Quartet“ Harrington, ein 45-minütiges Hardangergeigenwerk fürs Quartett zu schreiben. Er hatte ihr Buch mit Gesprächen mit ihrem Lehrer Knut Hamre gelesen und war davon komplett begeistert. Da sie als Norwegian folk musician das freie Improvisieren (teils auf traditionellen regionalen Melodien, teils aus eigenem Fundus) pflegt, meinte sie direkt, ungeachtet der überaus willkommenen und einmaligen Chance, sie sei doch keine Komponistin, fragte daher bei Kristine Tjøgersen um Rat und letzten Endes Co-Autoren- und Urheberschaft an; sie schreibt nun wiederum die aufgenommenen Improvisationen nieder, collagiert diese neu und arrangiert sie weiter aus, so dass nun letztlich ein Quintett entsteht, mit komplex notierten und frei zu gestaltenden Teilen.

    Für das Auftragswerk „Elja“ wurden eigens Instrumente für Kronos gebaut, von einem Hardangergeigenbauer, der jedem, dem ich in Norwegen von dem Projekt erzähle, direkt bekannt ist. „Yes, Ottar! He also built Frida’s fiddle!“ Mit dem Mietwagen fuhr ich zu Ottar Kåsa aufs Land hinaus, um finale Arbeitsschritte an einem der vier Instrumente zu filmen. Für Kronos baute er neben zwei Hardangergeigen auch eine Hardangerviola und ein -cello, jeweils bislang nicht übliche Instrumente, was ihn entsprechend vor spannende neue Herausforderungen stellte.

     

    Nachmittags fuhren wir dann in die Hauptstadt, wo wir abends die beiden Co-Urheberinnen des Werks und die zu 50% neue Besetzung des Quartetts treffen, die ungemein enthusiastisch ihre neuen Instrumente begrüßen, die sie später zusätzlich zu ihren bisherigen Instrumenten nach Amerika mitnahmen. Nach 45 Jahren gingen vor wenigen Monaten zwei Quartettmitglieder (John Sherba und Hank Dutt) in Rente, und nun sind zwei junge Frauen (Gabriela Díaz und Ayane Kozasa) zum seit 51 Jahren bestehenden Quartett gestoßen. Ich stelle mir vor, dass das eine kaum zu beschreibende Veränderung im Leben und in der Berufslaufbahn von Gründer David Harrington sein muss – nach so vielen Jahren, nahezu so lange, wie ich auf der Welt bin, im Alter von 75 Jahren mit einer neuen, jungen Band noch einmal wie neu zu beginnen. Die Celloposition hatte bei Kronos über die Jahre immer mal wieder gewechselt; der aktuelle Cellist, Paul Wiancko, ist seit vier oder fünf Jahren dabei.

    Ich habe David natürlich auch dazu befragt, und es ist im übrigen interessant zu sehen, wie die jungen Mitglieder ihm nun in einiger Hinsicht neue Energien geben und ihm helfen, mit der Zeit zu gehen. Man merkt ihm seine vielen Lebens- und Berufsjahre durchaus an. Und doch tritt dies in den Hintergrund, wenn er auf der Bühne zum werweißwievielten Mal Purple Haze spielt, als wäre er noch immer Anfang 20. Die aktuelle Besetzung gab in Oslo ihr erst erstes viertes gemeinsames Konzert, aber sowohl auf der Bühne als auch bei den drei Probentagen, bei denen ich die Vier erlebte, machten sie, zu meinem Erstaunen, bereits den Eindruck eines gut zusammenarbeitenden, sich bestens verstehenden Ensembles. Anfang Dezember werden sie in San Francisco zwei neue Alben einspielen. In einem Jahr dann voraussichtlich das neue Werk, das sie nun in Oslo zu proben begannen — es ist aber noch nicht fertig komponiert. 

    Auch wenn Kronos höchste Auftrittsgagen bekommt und nach wie vor internationale Kompositionsaufträge vergibt, scheint es leider keine Möglichkeit zu geben, Finanzen für eine filmische Dokumentation ihres Tuns zu finden. Da ich, als Benedicte mir vor rund einem Jahr von der Anfrage erzählte, sofort sagte, ich würde das gerne begleiten [kurzfristig meinte David Harrington wohl zu ihr,  dass eine Freundin von ihm, Sally Potter(!), unter Umständen Interesse daran habe, das hat sich dann wohl aber schnell erledigt], bin ich nun auf eigenen Geldbeutel für die Tage dazugekommen und habe begonnen, das alles zu filmen und zu fotografieren.

    Leider weiß ich nicht, wie klug die Entscheidung war, mich da reinzuhängen, denn ich befürchte, wie ich mich kenne, dass ich am Ende einen kompletten Dokumentarfilm über das Ganze machen werde, ohne dass ich irgendwoher Geld zurückbekomme. Ich muss mir das jetzt noch einmal durch den Kopf gehen lassen und überlegen, ob es eine gute Möglichkeit der Quer- oder Nachfinanzierung gibt, da ich doch oftmals mehr Zeit und Geld in solche Projekte reinstecke als andere Leute, die sowas nur machen, wenn sie dafür finanziell normal entlohnt werden … aber einen Dokumentarfilm über das Kronos Quartet zu machen, so lange der legendäre David Harrington noch aktiv ist, ist dann doch auch eine einmalige Chance, scheint mir, zumal es bislang tatsächlich auch keinen gibt. Als nächstes treffen sich alle Anfang Januar für ein Woche hoch in den kanadischen Bergen, um das Ganze gemeinsam auszuarbeiten. Ende März findet dann die offizielle Welturaufführung in der Carnegie Hall statt – und Ende September voraussichtlich die europäische Premiere und Studioaufnahme in Oslo.

  • Road Trip with Music

    Als einen der Subplots meiner US-Reise zog sich die Beschäftigung mit Alejandro Escovedo durch. In Deutschland ist er leider nie so richtig bekannt geworden; dabei hat er doch in knapp 50 Jahren einige Projekte und zahlreiche Soloalben zu bieten. Sein jüngstes Album „Echo Dancing“ hat sich langsam aber sicher zu einem meiner 2024-Favoriten gemausert. Und als ich auf seiner Webseite sah, dass er während meiner US-Reise ein Konzert in einer kleinen Kneipe im texanischen Abseits geben würde, habe ich das zu einem der Eckdaten meiner Strecke auserkoren. 

    Fischer, Texas befindet sich zwischen Austin und San Antonio, und die dortige „Devil’s Backbone Tavern“ ist eine uramerikanische Cowboy-Spelunke, wo jeden Tag irgendwer, oft wohl ohne Eintritt, musiziert. Ich fand mich schon am Nachmittag dort ein, hing in der Umgebung ab und fragte Escovedo dann, als er mit seinen beiden Hunden herumspazierte, ob ich ihn mit den beiden fotografieren dürfe.

    Das Konzert war dann, wie man so sagt, „große Klasse“, ein einmaliges Erlebnis, an das ich sicher noch bis an mein Lebensende zurückdenken werde. Escovedo rockte den Laden mit verzerrter Gitarre und auch mal verzerrter Stimme mit seinen beiden Mitmusikern, viele im vorwiegend nicht mehr ganz jungen Publikum tanzten, zwischendurch begaben sich die drei Musiker für ein paar Nummern (und Erzählungen) unverstärkt mit Folk-Instrumentierung an verschiedene Stellen im Raum, bevor die letzten Stücke ausufernd und mit passionierten Soli die geschätzt 150 Gäste begeisterten. 

    Später erzählte Alejandro, dass er leider derzeit kein Booking für Deutschland hätte, aber gerne mal wiederkäme. Auch kündigte er die Aufnahme eines Livealbums an (gerade an den letzten drei Abenden wurde es in Austin eingespielt, laut Setlist.fm mit einigen lokalen Gästen wie Britt Daniel von Spoon und Covers von Bowie, Neil Young und Velvet Underground). 

    Unterwegs hatte ich bereits Podcasts und Radiosendungen mit Alejandro Escovedo angehört (Ich empfehle bei dieser Gelegenheit Marc Marons leidenschaftliche Podcast-Episode mit Alejandro aus dem vergangenen April. Maron ist offensichtlich schon seit vielen Jahrzehnten Fan, und so macht das Gespräch viel Freude.) und in jedem lokalen Plattenladen nach älteren CDs und LPs von ihm gesucht, oftmals allerdings ratlose Gesichter als Antwort auf die Frage erhalten, ob man womöglich etwas von Escovedo im Geschäft habe. Letztlich konnte ich die meisten seiner Alben, die ich noch nicht kannte, in Austin und Denver finden und konnte sie so auch noch signieren lassen.

    Überhaupt habe ich auf der Reise viel zu viele interessante Alben gefunden, musste mich aus Vernunftgründen (irgendwann ist auch der Platz im Gepäck über Gebühr ausgeschöpft, selbst wenn ich alte Kleidung zurücklasse) gegen weitere Einkäufe entscheiden. 

    Weil die Frage aufkam, welche Musik ich auf diesen Fahrten (am Ende wurden es knapp 10.000 km) hörte: tatsächlich diesmal sehr wenig. Zumeist nutze ich die langen Strecken, die teilweise Stunden zwischen einzelnen Orten hin und her gehen, für Podcasts, teilweise drei Stunden lange, über politische Geschichten oder gesellschaftliche Fragen. Häufig sind es auch Gespräche, die zwischendurch auch mal nervig sein können. Zum Beispiel hörte ich lange Gespräche mit Taylor Sheridan, Birgit Minichmair und Jagoda Marinić, Joe Rogan mit Tucker Carlson, Peter Thiel, Russel Crowe, die WTF-Podcasts von Marc Maron mit Schauspieler/innen, Regisseur/innen, Musiker/innenNPR Fresh Air hat auch immer viel Interessantes zu bieten. Die wenigen aktuellen Alben, die ich gehört habe, waren das neue Album von Suuns und von Xiu Xiu. Die habe ich mehrfach gehört, auch wenn sie eher in städtische Gegenden passen und nicht so sehr in die abgelegenen ländlichen Ecken. Ansonsten häufiger R.E.M. und Lucinda Williams, quer durchs Gesamtwerk, auch mal die letzte der Rolling Stones, die immer gute Laune macht, Steve Tibbetts, Stevie Nicks‘ frühe Soloalben, Werner Herzogs autobiografisches (Hör-)Buch, Naima Bock, Nilüfer Yanya, Ani DiFranco, Spoon (in Texas).

    Fährt man auf diesen abgelegenen Straßen, finden sich immer wieder auch überraschende kleine Abwege oder Umwege, Landmarks. Zum Beispiel fand ich in South Dakota in Belle Fourche das „Geographic Center of the United States“ oder fuhr an der Ecke von South Dakota, Wyoming und Montana am „Devil Tower National Monument“ vorbei, traute mich aber nicht, den Umweg dort direkt vorbei zu fahren, weil mein Autocomputer (oder Computerauto) ansagte, dass ich am Ende mit „1%“ Ladung bei der nächsten verzeichneten Ladestation ankäme, und das Risiko war mir nicht ganz geheuer. Hervorragende Fotoausstellungen besuchte ich (wie jedes Mal) im Denver Art Museum und in der National Gallery of Art in Washington.