Exploded View (3/10)
Indeed Tibbetts‘ exotic soundscape is more like prehistory made new – Margaret Mead-meets-Electric Ladyland. (Rolling Stone)

Damals schaltete ECM Records über Jahre Anzeigen in der ZEIT, gerne vier Cover nebeneinander. Als ich dieses Cover dort erstmals sah, erhöhte es meine Vorfreude noch ein wenig mehr – prähistorisch glühendes Gestein. „Safe Journey“ brachte bereits bereits diverse Höhen- und Breitengrade ins Spiel, nicht zuletzt den Fernen Osten – der Name Tibbetts wie ein ein die Wiege gelegtes Omen für Tibet, Nepal, Katmandu.
Exploded View – a perfect name for a recording that detonates like a fission bomb and rebuilds the world in a new form. On this roaring maelstrom of an album, Tibetan monks moan through subharmonic feedback drones. The dervish percussion is like a global drum choir, as Marc Anderson and Marcus Wise play the rhythms of India, Africa, and Morocco with one mind. And through it all is the sound of Steve Tibbetts‘ guitar, a cathartic wail of siren choirs and scorching melodies.
Ich war begeistert. Eine wilde wunderschöne zerrissene Musik. Aber, was ich hier notiere, stammt aus ferner Erinnerung. Ewig habe ich das Album nicht mehr gehört. Was daraus in Steves Anthologie „Hellbound Train“ zu hören war, hat mich auf Anhieb wieder mitgerissen. Es ist wie mit alten Freunden: zuweilen verliert man sich (warum auch immer) aus den Augen, und, sobald man sich wieder begegnet, knüpft man nahtlos an alte gute Zeiten an.
Tibbetts belongs to a lost generation of musicians, the ones who grew up listening to the progressive and underground sounds of the ’60s and early ’70s and were left in the cold when the music went corporate. On Exploded View the guitarist continues to compose a personalized music filtered through his emotions, his guitar pyrotechnics, and his studio experimentation. Playing with the same musicians he’s worked with since his first self-produced recording in 1977, he leaves nothing out, and yet it all works.
Steve Tibbetts und Marc Anderson traf ich erstmals persönlich, als sie in Dortmund, früh in den Neunzigern, live auftraten, in der Live Station am Hauptbahnhof. Lang ist‘s her. „Big Map Idea“ war zwei, drei Jahre zuvor erschienen, und als wir abends beisammen sassen, erzählten sie mir von der Freude, die ihnen „Big Map Idea“ nach wie vor bereitete. Auf „Exploded View“ waren sie nicht so gut zu sprechen: es sei für beide eine Zeit des Aufruhrs gewesen, der Trennungen, der Kümmernisse. Aber, think twice, lieber Leser: wenn Musiker mit den Erinnerungen an ein Album persönliche Wirrungen verbinden, färbt das auf die emotionale Beziehung zur Musik ab. Und auch ihre künstlerische Bewertung.
Unlike the more contemplative meditations of his first two ECM recordings (Northern Song and Safe Journey), Exploded View most recalls Yr, Tibbetts‘ ground-breaking 1979 recording. Like Yr, Exploded View journeys through carefully wrought landscapes, with urgent acoustic guitars giving way to screaming feedback, the steady gurgle and throb of percussion, and the plaintive cry of Claudia Schmidt.
Ich habe vor, in den kommenden Wochen endlich wieder einmal in „Exploded View“ zu versinken. Ich habe hier die Absätze eine Plattenbesprechung aus Steves Homepage eingeflochten, die, wie einst das Cover, beim Lesen meine Lust auf das „wilde Teil“ steigert: Wiederentdeckung ohne Nostalgie! Ich möchte einfach wieder an den Orten herumstreunen, zu denen mich „Exploded View“ transportiert. Ich höre all seine Alben bevorzugt in dunklen Räumen. Safe Journey!
Recording in his home studio, Tibbetts gets an astounding clarity of sound that is well served by this CD. Tablas and congas have never had a more visceral punch, their sharpness defining and punctuating Tibbetts‘ sustained electric lines and the resonance of his acoustic guitar. The only way to listen to this record is loud.
Die Story zum Cover von „Close“
Es gibt einen berühmten amerikanischen Fotografen, auf dessen Namen ich gerade nicht komme, der seine Fotos arrangiert wie Filmszenarios. Man hat jede Menge zu sehen, wenn man eines seiner „one-picture-dramas“ in grossem Format betrachtet. Jedes einzelne hat unzählige Echos, Referenzen, Anspielungen, und ist so durchgestylt, das sowas wie die Idee eines „Schnappschusses“ in einer völlig anderern Welt angesiedelt ist. Als ich erstmals das Cover von „Close“ sah, ein Album, das Mitte Oktober bei ECM erscheint, geschah zweierlei: ich bedauerte erstmal, dass das Album nur als CD und Download erscheint, und vorerst wohl nicht auf Vinyl. Ein wenig traurig für Vinylpuristen, da einige von ihnen sicher meine Begeisterung für die Musik teilen werden, sich aber nun die Begegnung mit „Close“ versagen. Oder nur bei Freunden anhören werden.

Das Cover ist wie gemacht für das Medium Schallplatte, Steves Bevorzugung guter alter analoger Ausrüstung sowieso. Der zweite Gedanke war, dass es mich an die Bilder jenes berühmten Fotografen erinnerte, denn auch hier scheint vieles bis ins kleinste Detail arrangiert zu sein. Ist der Sternenhimmel überhaupt echt. Ist er! Der Clou ist, dass es sich um einen klassischen Schnappschuss handelt. Ich habe Steve natürlich gefragt nach diesem Bild, und ihm geschrieben, ein hinreissenderes Cover sei mir für diese Musik und ihre „twilight language“ kaum vorstellbar. „Fairytale“, „darkness“, „somewhere“, „anywhere“, „noir“, so flogen meines freien Assoziationen umher, auch, weil ich, neben den Klängen, schon die „tracklist“ kannte, die, nach dem Hören der Musik, für eine Extraportion Gänsehaut sorgte.Einfach auf „Die Story“ klicken, das hier ist nur ein PS.:
Ach, guck: der letzte Blogeintrag beginnt mit einem weiteren meiner favourite album covers, Robert Wyatts „Dondestan“. Das Bild hat Roberts Lebensgefährtin Alfie gemalt. Und Martina Weber sitzt gerade daran, einen der Songs für die Klanghorizinte am 25. September zu übersetzen. Der Liedtext ist auch von Alfie und wird in der Sendung von Anna Fuchs gesprochen. Kreise schliessen sich.
Wäre ich Gregory Crewdson (danke, Ingo, für die Erinnerung!), und würde meine Radiosendungen wie Storytelling betrachten (was ich tatsächlich tue), die folgenden drei Kapitel für diese Abendstunde ergäben sich ohne grosses Nachdenken und mit einem Lächeln: ERSTER TEIL: „Geschichten von Eis und Feuer“. ZWEITER TEIL: „Zwielichtsprache und Sonnentanz“. DRITTER TEIL: „Spuren eine anderen grünen Welt“. Roberts Song stammt natürlich aus dem finalen Kapitel, der „Wyatt-Eno“-Ecke. Sie sind alte Freunde, Robert spielte beispielsweise die Klaviertöne auf „Music For Airports“, und Brian besuchte das Paar auch in der spanischen Ferien-Finka, die auf dem Cover von „Dondestan“ zu sehen ist. Aber das ist eine andere, längere Geschichte.
“Safe Journey“ (2/10)
Auf seinem neuen Album „Close“, erzählt Steve Tibbetts, hätten sich die Titel der einzelnen Stücke geradezu von selbst geschrieben, und wirft einen Blick in seine Notizbücher. Ihr könnt Steve hören, wenn ihr auf die ersten zwei Stichwortzeilen „klickt“, unterhalb des Covers. Die dritte Zeile führt zu einem seiner „notebooks“ – old and new titles, so to speak. In other words: old and new dreams!
Ich hatte damals, 1983, nur sein ECM Debut „Northern Song“, das wie ein „klassisches ECM-Album“ produziert wurde, zusammen mit Manfred Eicher und Jan Erik Kongshaug, an zwei, drei Tagen in Oslo. An „Safe Journey“ arbeitete er hingegen, wie bei allen Nachfolgern, kleine Ewigkeiten, tagaus, tagein, in seinem Studio in St. Paul, Minnesota.
Dass die Musik von Steve lebensbegleitend sein würde („lifers“ nannte mein alter Mana-Freund aus Glasgow solche Alben gerne), ahnte ich schon, als „Northern Song“ allzugerne tagelang meinen Plattenspieler in dem Dörfchen Bergeinöden blockierte. Und ich WUSSTE es, als mir „Safe Journey“ via „Jazz By Post“ zukam, meinem Dealer in den Siebziger, Achtziger Jahren für die aufregendste Musik der Welt.„..… eine Art Ambient-Electric Ladyland – es verschmilzt die expressionistischen Pastelltöne des Post-Eno-Art-Rock mit kristallklaren, Oregon-ähnlichen Folk-Impressionen und überraschenden Ausbrüchen von heavy Acid-Wail.…“
Auf kleinen Newslettern fanden sich auch die Neuheiten kleiner amerikanischer „independant labels“. Wochen zuvor hatte ich eine begeisterte Besprechung gelesen, in „Stereo“ oder im „Jazzpodium“ und wartete voller Ungeduld auf die Schallplatte. Those were the days. Ich wünsche mir ein Boxset mit all seinen ECM-Platten. Ungefähr so umfänglich wie die Mammut-Edition von Keith Jarretts „Sun Bear Concerts“.

Im „Downbeat“ stand damals eine Rezension (4 1/2 -Sterne), in der ein paar Vergleiche gezogen wurden, munter und querbeet. Leicht behindern solche „Kontexte“ die Wahrnehmung der unheimlichen Frische und Eigenständigkeit seiner Musik. Ein „Ikonoklast“ sei er, sagte mir neulich ein guter Bekannter, und ich lachte. Wir sprachen über seine Kunst und seine „Stories“. Ganz bestimmt würde ich im Deutschlandfunk nicht sagen, Steve sei ein „Ikonoklast“, und lachte noch mehr, egal, wie sinnig dieser Ausdruck sei. Aber dass das neue Album „Close“ ein „instant classic“ sei, das würde mir leicht und in bestem „Anglodeutsch“ von dem Lippen gehen.
„Close“ ist ein „instant classic“. Just give it some time…😉
Und this is the tracklist from „Close“… and there‘s a rhythm in it, for sure…. in den Klanghorizonten am kommenden Donnerstag spiele ich daraus: Away, Part 3, We Begin, Part 3, sowie Away, Part 1…

Ich schweife ab, egal. Übrigens, ein paar diskret eingestreute „field recordings“ schlichen sich in das Stereopanorama von „Safe Journey“.
„Each piece on Safe Journey is a textural construction, a layering of sounds, rhythms, and ideas. The fundamental concepts are primarily Western – bits of folk music, rock, jazz, and modern classical – but Tibbetts‘ use of repeating figures and cyclic structures brings to mind the Indonesian gamelan music that influenced Steve Reich. Tibbetts‘ guitar playing is rooted in familiar folk and rock techniques. When he chooses to overlay distorted power chords with screaming single-note lines, it is easy to hear the legacy of Jimi Hendrix. His use of space and long sustaining passages, though, suggests early Pink Floyd and Soft Machine, and some of his layering and tape manipulation recalls the experiments of the Beatles (think of Strawberry Fields).“ (downbeat review, excerpt)
My Roy Orbison Day
Wenn der Blutmond morgen Abend am Himmel zu sehen ist, heisst das, dass unser schöner Planet Erde zwischen Sonne und Mond steht. Pirandello’s Wolfsgeschrei gegen den Mond wird nichts ausrichten können, der Mond ist finster, dunkel, unsichtbar. Ich werde dann am Atlantik stehen und mir die reinste, überirdische Stimme von Roy Orbison anhören. LEAH. Roy war schon auf Erden ein Engel. Mit den Traveling Wilburys konnten wir ihn noch unter den Meistermusikern lebendig sehen. Damals wünschte ich mir einen Duettauftritt mit K. D. Lang- Jetzt werde ich mich in die Flamsbahn setzen und END OF THE LINE anhören. Ich träume davon, neben Tom Petty zu stehen, um sein versonnenes Lächeln besser aufnehmen zu können.Ich möchte George umarmen, seiner warmen Stimme wegen. Jeff Lynne, what a Musician, my dear estimato Bobby and then Roy CRYING. When back home BLACK and WHITE all day long.
Without Wind / Without Air

Der britische Komponist und Multiinstrumentalist Roger Eno veröffentlicht Without Wind / Without Air, sein drittes Soloalbum für Deutsche Grammophon. Nach den Erfolgen von The Turning Year (2022) und the skies, they shift like chords(2023) sind auf seinem neuen Album sowohl Klavierstücke zu hören als auch Kompositionen, die für jeweils unterschiedliche Besetzungen aus Klarinette, Gitarre, Bass, Streichern, Synthesizern, Schlagzeug und Elektronik instrumentiert wurden. Eno wird begleitet von der Sopranistin Grace Davidson sowie seinen Töchtern Cecily und Lotti Eno; außerdem singt er selbst The Moon And The Sea. Jonathan Stockhammer dirigiert drei Stücke am Pult der Streicher von Scoring Berlin, während Enos Freund und Produzent Christian Badzura mehrere Werke arrangierte und auch selbst spielt; darüber hinaus komponierte er gemeinsam mit Eno die Eröffnungs- und Abschlusstitel Forgiveness und After Rain. (Press Info)Ich habe das Album gestern in aller Ruhe gehört, und es ist einmal mehr rundum überzeugend. (m.e.)
those were the days, Folge 472
1 – Being There in 1970
Das Problem beim Isle of Wight Festival 1970 war, wie man wieder von dort wegkam. Am Morgen des Montags, dem 31. August, vor genau 55 Jahren, wollten etwa 600.000 Fans versuchen, die Insel zu verlassen. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde die Warteschlange für die Fähre von Ryde nach Portsmouth einer weniger frostigen Version von Napoleons Armee ähneln, die sich aus Moskau zurückzog.

Ich hatte das Festival zusammen mit meinem Freund Geoffrey Cannon besucht, dem damaligen Rockkritiker des Guardian. Ich war einer von drei Melody Maker-Autoren, die über das Festival berichteten; die anderen waren Chris Welch und Michael Watts. Der arme Watts, ein Neuzugang, war zu einem Campingausrüstungsgeschäft in Holborn, gleich um die Ecke vom Büro, geschickt worden und hatte genug Geld bekommen, um sich mit einem kleinen Zelt und einer Schlafrolle auszustatten. Seine Aufgabe war es, die Geschichte aus der Perspektive der Kids auf dem Hügel zu erzählen.
Welch und ich machten uns Notizen in dem relativ komfortablen Bereich, der für VIPs und die Presse vor der Bühne reserviert war, und genossen es, Miles Davis vor mehr als einer halben Million Zuschauern zu sehen, deren Durchschnittsalter wahrscheinlich bei 20 lag. Und dann waren da noch Joni Mitchell, The Who, Richie Havens, John Sebastian und der Rest eines außergewöhnlichen Line-ups.
Geoffrey und ich mussten beide am Montagmittag in unseren jeweiligen Büros sein, und er war es, der eine brillante Lösung fand. Er rief die Flugschule am Flughafen Portsmouth an und fragte, ob sie ein Flugzeug hätten, das uns abholen und über den Solent fliegen könnte.

Die Flugschule konnte seinem Wunsch tatsächlich nachkommen, und wir wurden gebeten, uns um etwa sechs Uhr morgens, vielleicht auch etwas früher, zu melden. Nachdem wir das Festival verlassen hatten und zum nahe gelegenen Flugplatz Bembridge gekommen waren, saßen wir in einer Hütte neben der Graslandebahn und warteten auf die Ankunft unseres Flugzeugs.
Wir waren erst seit ein paar Minuten dort, als eine Limousine vorfuhr. Daraus stieg Jimi Hendrix, immer noch in den bunten Seidengewändern, die er nur drei oder vier Stunden zuvor auf der Bühne getragen hatte, wo er einen Auftritt gegeben hatte, der schlecht begonnen hatte, sich aber schließlich zu etwas entwickelt hatte, das diejenigen, die es gehört hatten, nie vergessen würden (zum Glück wurde der gesamte Set gefilmt).
Auf Jimi wartete ein Hubschrauber. Er stieg ein und verschwand im nebligen Morgengrauen. Achtzehn Tage später, nachdem er von Auftritten in Dänemark und Westdeutschland nach London zurückgekehrt war, war er tot.
Kurz nach seiner Abreise aus Bembridge tauchte unsere einmotorige Cessna auf und wir flogen los. Ich nehme an, wir teilten uns ein Taxi von Portsmouth nach London und setzten es als Spesen ab, ebenso wie die Kosten für das Flugzeug, die sich einschließlich Landegebühren auf neun Pfund und sechs Shilling beliefen. Die Rechnung wurde auf Geoffrey ausgestellt. Irgendwie habe ich es geschafft, sie in den letzten fünfeinhalb Jahrzehnten aufzubewahren.
2 – Listening to Agharta in 2025

(Es gibt nicht viele Berufe in den Medienlandschaften des Radios und der Journaille, die ich mir erfüllender vorstellen kann als gute dreieinhalb Jahrzehnte nach der schönsten Musik der Welt zu suchen und sie sinnlich und geschichtenreich zu präsentieren. Zur Melody Maker-Crew zu zählen zwischen 1967 und 1980 ist einer der Jobs, den ich allerdings, ohne mit der Wimper zu zucken, vorgezogen hätte. – m.e.)
Monthly Revelations (September)

Es liegt nun die Jubiläumsausgabe vor eines Triumphs von John Prine im mittleren Alter. 1991 feierte er nach langer Abwesenheit ein erfolgreiches Comeback, als er sich an Tom Pettys Sideman Howie Epstein wandte, um „The Missing Years“ zu produzieren. Mit Benmont Tench von den Heartbreakers an Bord gewann das Album einen Grammy, und vier Jahre später tat sich das Trio erneut zusammen, diesmal mit Marianne Faithfull als Backgroundsängerin, um „Lost Dogs + Mixed Blessings“ aufzunehmen. Angeführt von dem teilweise gesprochenen „Lake Marie“, das Dylan als seinen Lieblingsmoment von Prine bezeichnete, sind Songs wie „Ain’t Hurtin’ Nobody“, „Quit Hollerin’ At Me” und „Big Fat Love” vielleicht etwas ausgefeilter als seine üblichen Nummern, aber die Wärme, der Witz, der Humor und die Menschlichkeit, die sein Markenzeichen waren, sind hier in Hülle und Fülle vorhanden auf einem Album, das zusammen mit „The Missing Years” zu den Höhepunkten seiner Karriere zählt. Soweit diese kleine Abschweifung zu unserer Buchempfehlung des Monats. Alle weiteren Empfehlungen finden sich in unseren „marginalen Kolumnen“! Schönes Stöbern!
The story behind „Music For Films“
In jenem legendären, einsamen Sommer (oder war es schon Herbst), in dem „Music For Films“ erschien, lebte ich in einer leergeräumten Wohnung, in der die Schatten einer alten Liebe noch an der Wand tanzten. Allmonatlich kaufte ich die „Sounds“, die beste Musikzeitschrift der alten Bundesrepublik. Ich stöberte durch die jüngste Ausgabe, als mein Blick auf eine kleine Werbung der Firma Polydor fiel: „Der Mann im Hintergrund“, war da zu lesen, so flüstert es mir meine Erinnerung ein, ein monochromes graues Cover war abgebildet – Music for Films wurde mit kalkuliertem Understatement verkündet. Sofort bestellte ich die Platte bei einem meiner zwei Dealer, in Unterlüss. Der andere Postversand war Jazz by Post in der Gleichmannstrasse 10 in Pasing, von dort kamen mir über Jahre u. a. viele ECM-Neuheiten ins Haus, die Schatztruhe der 70er Jahre war weit geöffnet. Unterlüss war für die Rockmusik und ihre Ränder zuständig. Zwei, drei Tage später hielt ich Music for Films in Händen. Und hörte sie zum ersten Mal.

Ich habe diese Platte mit ihren flüchtigen und mich auf jede Flucht mitnehmenden Skizzen, ihren vollkommenen Unfertigkeiten, ihren Sehnsuchts- und Angst- und Traumstoffen seither unendlich oft gehört, bewusst, unbewusst, im Hintergrund, im Seitengrund, Im Vordergrund. Beim Wandern (mit Knopf im Ohr), beim Schreiben, beim Einschlafen, Wachwerden, in der Fremde. Und als Alternative für „die Zigarette danach“. Beim ersten Hören wusste ich damals schon, 1978, dass diese Musik lebensbegleitend sein würde. Sie wurde rasch auch eine Medizin, sie half mir, mit den nackten Schatten an der leeren Wand zu tanzen, statt sie zu verscheuchen.
Und als damals ein Riese mich aus dem Bett und meiner Wohnung im 7. Stock schleudern wollte, ich meinen Geist vergeblich mit Kakao zu beruhigen suchte, der Alptraum aber wiederkehrte, und ich mir einen heißen Grog machte mit dem guten alten Pott, mit dem Auto auf einen großen leeren Acker in der Nähe von Würzburg fuhr, dort den Sonnenaufgang erlebte und meine einzige tief anrührende Begegnung mit einer Kantate von Bach aus dem schräpigen Autoradio hatte, und hernach in die Alpdruckwohnung heimkehrte, legte ich Music for Films auf, und erlebte, wie sich die vollkommen irrationalen Glücksgefühle, die sich schon auf dem kühlen Morgenacker aufgetaucht waren, weiter ausbreiteten, und ich mich gar freute auf die nächste Begegnung mit dem Riesen.
(Wer ganz oben auf „The Story“ klickt, hört, was Brian Eno mir vor ein paar Jahren über „Music For Films“ erzählte, und wie eng die Musik mit den Aufnahmesessions von „Another Green World“ verknüpft war. Es ist ein Fakt, dass kein Album öfter in den Klanghorizonten von mir in all den Nächten zwischen 1990 und 2021 gespielt wurde als diese beiden. Es ist ein Fakt, dass ich in meinem Leben kein Album öfter gehört als diese beiden.)

„The passage of time
Is flicking dimly up on the screen
I can’t see the lines
I used to think i could read between
Perhaps my brains have turned to sand“Iskra

I first heard Olga Anna Markowska’s pieces this spring at mi-so, which is a small store and exhibition space that Erik Skodvin of miasmah recordings and his partner Monique Recknagel of the label sonic pieces started a few years ago here in Schöneberg where I have been living for the past 20 years. More recently they have been inviting friends and other musicians they find interesting to perform in their store for an audience of around 15 people.
Erik, or miasmah, now released Olga’s debut album, Iskra, which has a great record cover that doesn’t give away anything. The image is a photo by Olga, transformed into a kind of dream image by Erik who worked as a graphic designer for many years, designing also a huge amount of surreal album covers.
The concert was really fascinating, creating a unique atmosphere, and I could see everyone in the audience being very intrigued and moved by the sounds and energy Olga created with those instruments she brought. While she is first of all a cello player, then a visual artist working with photography and installations, she also uses some additional electronics, and she also bought a kind of zither on a flea market and then taught herself to play it – so it now takes a central role in the unique sound world of her album, opening up a kind of timeless, placeless kind of music. Her sound feels somewhere in a dreamlike, elusive space between acoustic and electronic.
It is very exciting to see how her music relates to her visual work, and it’s been quite inspiring to visit her website and wander through the photographic and installation works she documents there. For example, Iskra seems to communicate really well with the Borderland or 6 Years projects, maybe also some parts of Map of the Memory, all of which you can find on her website. I think Olga’s work invites us into a very personal sphere, and – even though she doesn’t show herself – we are trying to figure out where we can find her in there, and then also ourselves. I am also quite intrigued by how the work draws from specific places and then draws me towards them.
When I talked to Olga, she explained how she worked and lived with the music on this album for quite many years, and through different (even difficult) times of her life, including moving though different periods of her life, …moving from one Polish city to another and also to some residencies in other European countries. I quite loved how she struggled to categorize her music into a genre or style, and the influences or inspirations she mentioned can also be misleading when people cannot hear the music. I am listening to an album by Evgueni Galperine at this moment, Theory of Becoming, which to me feels grounded in a somewhat similar intangible sound world between electronic and acoustic (at least the LP’s A-side), between ancient and avant-garde, between eastern and western sensibility. Some people may think there’s not much to hear there, but then, when you let yourself fall into it, it opens up huge spaces.
Sirāt

Ein Freund sagte vor längerer Zeit einmal, es sei total offensichtlich, meine Filme erzählten immer vom Aufbrechen von Grenzen. Ich bin mir nicht so ganz sicher, wie Recht er damit hat, aber mir gefällt diese thematische Quersumme sehr gut; ich kann mich darin wiederfinden bzw. fühle mich davon angesprochen. Und wenn ich dran denke, nehme ich das auch als konkreten Abstoß für meine inhaltliche Arbeit an Projekten. Sehr fasziniert bin ich bspw. von unterschiedlichsten geografischen Grenzgebieten und nehme sie gerne als Anstoß für Reisen und Recherchen und Fotografien. Und entsprechend ziehen mich im Kino Filme an, die das Thema Grenzen auf die unterschiedlichsten Weisen aufgreifen.
„Sirāt“ wurde beim Filmfestival in Cannes vor zwei Monaten mit großer Begeisterung aufgenommen und hat bei vielen Menschen Eindruck hinterlassen, wurde entsprechend auch als einer der zwei oder drei Favoriten auf die Goldene Palme gehandelt. („In jedem Jahr gibt es mindestens einen Film, der das Festival in Cannes durchschüttelt und auf den Kopf stellt. 2025 war das […] ohne Frage „Sirāt“ von Óliver Laxe.“ beginnt Joachim Kurz eine von zahlreichen 5-Sterne-Besprechungen.) Die Palme ging letztlich an den geschätzten Iraner Jafar Panahi, der seit vielen Jahren trotz enormer Repressalien einfach weiter macht, von seiner Heimat zu erzählen – wieder und wieder wurde er von seinem Heimatland am Filmemachen gehindert, eingesperrt, mit Ausreiseverboten belegt. Aber „Sirāt“, der immerhin mit dem Preis der Jury nach Hause ging, fand in meinem Umfeld größeren Wiederhall. In meinem Facebook-Thread z.B. überboten sich die Leute gegenseitig mit der Aussage, dass dies für sie der beste, eindrücklichste, nachhaltigste und intensivste Filme in Cannes gewesen sei.
Zusätzlich neugierig wurde ich, weil Kangding Ray, ein von mir seit vielen Jahren sehr geschätzter Musiker, der u.a. viele Alben bei Raster/Notonveröffentlicht hat, die einen sehr eigenen Sound haben, in sozialen Medien auch auf den Film hinwies. Denn der Franzose (bürgerlich heißt er David Letellier), seit vielen Jahren in Berlin lebend, hat die Filmmusik gemacht. Passenderweise gab es gerade in Berlin eine Voraufführung bzw. Premiere mit Präsenz und Publikumsgespräch mit „Kangding Ray“ und Regisseur Óliver Laxe — ein Franzose, der 12 Jahre in Marokko lebte, wo er einige Filme gedreht hat; vier seiner Spielfilme wurden bereits in Cannes gezeigt, mehrere Preise erhielt er dort, mit „Sirāt“ zum ersten Mal im Wettbewerb.
„Sirāt“ ist einer dieser Filme, die einen recht gut erwischen, wenn man die Handlung nicht kennt – wenn man es vorab vermeidet, Inhaltsangaben zu lesen. Die Handlung ist ohnehin recht schnell zusammengefasst. Manche Kritiken zogen Parallelen zu „Mad Max“, speziell dem beliebten „Fury Road“; ganz so hysterisch und exzessiv ist der dann auch wieder nicht; aber wenn man andere Orientierungspunkt wie Clouzots Klassiker „Lohn der Angst“ oder Friedkins „Sorcerer“ (bei dem die Tangerine-Dream-Musik an die Filmmusik von Kangding Ray erinnern soll) mit einrechnet, kommt man schon in eine gute Richtung. Auch „The Searchers“ und „Zabriskie Point“ sowie Apichatpong Weerasethakul wurden als Vergleiche herangezogen. Diese an sich unvereinbaren Filmverweise finde ich wiederum enorm spannend, denn einen Film aus der Quersumme dieser vier ergibt gewissermaßen keinen Sinn. Schon früher wurde Laxes Schaffen mit Werner-Herzog-Filmen verglichen. Mir würden auch noch ein paar weitere einfallen.
„Sirāt“, ein vollkommen einzigartiger Film, spielt in der marokkanischen Wüste und erzählt von Grenzen aller Art. Es geht auch um Politik, Kapitalismus, um die Rave-Kultur und um Utopien, und es geht um die Geschichte eines Vaters und der Beziehung zu seiner Tochter, doch bleibt es wie gesagt bei einer sehr einfachen Geschichte, die Óliver Laxe auf manchmal überraschend kantige Weise erzählt. Auch die Genregrenzen sind fließend — mit enorm energetischer Techno-Musik starten wir auf einem illegalen Rave in der Wüste, und bald wird es auch eine Art post-apokalyptisches Roadmovie, mit meditativen Passagen und aufreibenden Trips an verschiedene Grenzen. Hauptdarsteller Sergi López ist zwar ein bekannter Schauspieler, geht aber geradezu dokumentarisch in diesem Werk auf, ebenso wie wir um ihn herum viele vom Leben gezeichnete Personen erleben, mit „Laien“ besetzt und aus der realen Rave-Szene – und alles passt enorm gut zusammen, darf aber auch mal alberne Momente haben. Auch wenn die Handlung sehr eindringlich ist und kaum vorherzusehen, womit man konfrontiert werden wird, erzählt „Sirāt“ nicht auf eine gewöhnliche psychologische Weise – vielmehr öffnet sich ein Erfahrungsraum, in dem wir als Zuschauer eine tiefe Erfahrung mit den Figuren und ihrem Trip an die Grenzen machen. In jedem Fall ist es durch und durch ein Film, wie ich mir gewünscht hätte, ihn gedreht zu haben.
Deutscher Kinostart: 14. August