Don’t Forget To Dance
„No, no, don’t forget to smile.“ Es ist das Lächeln, das hier auf der Insel etwas rar ist. Eine Woche Thailand wäre ein prima Update diesbezüglich.
Nun gab es zu meiner grossen Freude als Tanzfan eine dreitägige MOVE Veranstaltung. Die besten Tänzer trafen sich auf El Hierro. Natürlich bin ich als Düsseldorferin von Martin Schläpfer verwöhnt worden. Natürlich ist die fein ausgesuchte Begleitmusik hier nicht erwartbar. Aber, um es vorwegzunehmen, das Festival hatte Augenblicke von seiner Qualität. Mich hat zum Beispiel bei dem ersten Auftritt die Musik so gepackt, dass ich gleich zum Mischpult ging, um zu fragen, ob die Musik von David Sylvain sei. Fast. Der wunderbare Song I FOLLOW RIVERS ist von Silvain Chauveaux. Die Musik rettet das Tanzstück „Von Blütenblatt zu Blütenblatt“.
Wie wichtig bzw. attraktiv Requisiten sein sollten, zeigte sich bei diesem Tänzer, Daniel Morales. Eine alte Tasche, gefüllt mit Rosenblättern, reicht nicht aus. Noch augenscheinlicher fiel mir das bei Carmen Marias auf, die mit einem 50er Jahre-Outfit und einem alten Garderobenständer nicht glänzte, aber durchaus eine gute Choreografie zeigte und dein Spannungsbogen von Rückzug und Bühne gut darstellte.
Ganz ohne Requisiten kam die ELELEI Kompanie aus. Mit ihrer lockeren entspannten Art interagierte die Tänzerin von Anbeginn mit dem Publikum. Habt Ihr Robert gesehen, fragte sie und wann. Durch diese Interaktion, die natürlich nur auf solch einem Platz, der grosse Nähe zum Publikum erlaubt, gewann sie sofort meine Aufmerksamkeit. Der Plot ist schnell erzählt. Es geht ums Verlassenwerden, um grosses Leid, das bis zum Erblinden führt. Sie braucht Hilfe, ihr Tanzpartner führt sie bravourös durch die Wirrnis der Welt. Das Stück heisst: BLINDLINGS. Robert, sagt die Tänzerin zuletzt, nach dieser hervorragenden und risikoreichen Performance. Jeder falsche Schritt hätte auf diesem harten Boden Frakturen mitsichgebracht. Die laute Trommelmusik, der dräuende Himmel über dem Tanzplatz vor der schönen Kirche unserer Hauptstadt, all brachte zusätzlich eine dramatische Wucht in die grossartige Vorstellung. Für mich war es die beste Tanzperformance seit langem. Nur eine Handvoll Zuschauer hatten das Glück, diese talentierten Tänzer mitzuerleben. ELELEI. Great.
Auch die nächste Gruppe DANZA TTACK hatte Glück mit dem Wetter, das für eine düstere unheilvolle Atmosphäre sorgte. Gestalten in gummiartigen Anzügen kriechen von ausserhalb des Platzes bei lauter Wassermusik ins Zentrum des Geschehens. An diesem Abend waren wir zehn Zuschauer. Die beiden Tänzer, ein Pärchen, versuchen alles, um sich einander zu nähern. Ihr Tanz ist hart, aggressiv, aber sie erreichen die optimale Harmonie am Ende. Das war ein schweres Stück Arbeit, wie im richtigen Leben. Die Ächzlaute aus den Speakern überhöhten diese Schweissarbeit.
Ein ganz anderes Thema zeigten die beiden Ukrainerinnen am letzten Tanzabend. Sie waren von der Gemeinde eingeladen worden, wie sie mir erzählten. Wegen des Kriegs in der Ukraine leben sie in Polen, dort arbeiten sie als Tanzlehrerinnen und natürlich als Tänzerinnen. Sie treten häufig im TV auf. Hier durften sie in der Kirche tanzen. Ich fragte sie, ob sie Pussy Riots kennen würden, die seien ja auch in Moskau in der Kirche aufgetreten. Sie sagten, sie kennen die nicht oder besser gesagt, sie gaben vor, sie nicht zu kenne, – über Feinde spricht man nicht. Mir hat an ihrer Performance besonders gefallen, dass sie ein aktuelles Thema CHATJPT in ihre Choreografie einbauen.
Die beiden Frauen in feinen Bodys, schwarzen Shorts und schwarzen Seidenkniestrümpfen mit streng gescheiteltem Haar hinter dem Kopf a la Pina Bausch bewegen sich zwar wie Robots, das Weibliche beherrscht aber den Maschinenraum. Zunächst ist ihr Tanz aggressiv, sie schlagen sich, zerschlagen sich, um sich dann wieder zusammenzusetzen. Und diese Umkehrung „Roboter setzt den Menschen wieder zusammen“, ist ihnen sehr gut gelungen. Den Übergang von KI zum Gefühl zeigen sie in der Stagnation des Parallelltanzes. Am Schluss stehen sie engumschlungen und verhalten, erinnert an den gemalten Kuss von Picasso. Und dann lösen sie sich, kommen zu uns und umarmen jeden Einzelnen. Getanzt wurde auf dem Marktplatz . Die Marktfrauen kommen mit Schalen voller Früchte zu den Ukrainerinnen, der Kartoffelbauer, der die Silbiosprache beherrscht, pfeift ihnen einen Willkommensgruss. Besser geht Performance nicht. (L. N.)
„deep thrill reading“
Seit langem habe ich keine Kriminalromane mehr besprochen, mit der Ausnahme des Hammerschmökers „Der Gott des Waldes“. Wenig mehr. Nun ist es an der Zeit, auch die aus meiner Sicht anderen beeindruckenden Thriller-Leseerlebnisse der letzten, etwas längeren Zeit zu listen. Und da jeder andere Vorlieben hat, schenke ich mir hier mal meine private Hitliste – alles rückt eh eng zusammen – ich belasse es bei knackig kurzen Beschreibungen dessen, was da zu erwarten ist: „word for word minimalism“! Und die „New York Times“ zitiere ich nur einmal, und zwar jetzt: „A labyrinthine and multilayered horror mystery… The entire mystery is wonderfully complex and carefully crafted… „Seltsame Bilder“ is a story where revelations and new questions wait around every corner, and Uketsu keeps readers guessing until the very end….“
James Lee Burke: Angst um Alafair (surreal, photorealistisch, landschaftsumrauscht, wild, hardboiled) // Liz Moore: Der Gott des Waldes (transgenerational, verflochten, hochspannend, tiefgehend, wendungsreich) // Uketsu: Seltsame Bilder (innovativ, schockierend, subtil, feinheichnend, existenziell) // Neil Lancaster: Das Gebot der Rache (highlandnoir, fesselnd, flowy, schwarzhumorig, knallhart – und mit einer ursympathischen Ermittlerin, die Ornette Coleman und Tangerine Dream hört🪘- Band 3 der Max Craigie-Serie erscheint im Januar 2026, s. Foto)) // Christoffer Carlsson: Wenn die Nacht endet (preisgekrönt, comingofageig, flüssig, fundiert, brilliant) // Mathijs Deen: Der Holländer (skurril, klug, ostfriesig, exkursfreudig, puzzelig) // Ralf H. Dorweiler: Der Herzschlag der Toten (historisch, hamburgerisch, pittoresk, gruselig, fantasievoll) // Andreas Pflüger: Wie Sterben geht (historisch, mitreissend, literarisch, anspielungsreich, politisch) // (ausgewählt und vorgestellt von Michael E.) // Etwas ausführkicher nun noch S. A. Cosby: Der letzte Wolf: meine DLF-Kollegin Katrin Doerksen las den Kriminalroman wie ich mit Spannung. Die Geschichte um einen Amoklauf im ländlichen Virginia der frühen Trump-Jahre führte uns weit zurück in die Geschichte der Sklaverei und rassistischer Lynchmorde in den USA. Der Autor versteht sich darauf, die unterschiedlichen Interessengruppen schwarzer Aktivisten, konservativer Abgeordneter und fundamentalistischer Prediger auszudifferenzieren und seine Ermittlergeschichte in „alttestamentarische Dimensionen“ voranzutreiben. Southern Noir Goes Gothic!
Als Zugabe empfehle ich zwei neue Netflix-Serien: die eine, „The Survivors“ ist die gelungene Verfilmung von Jane Harpers Kriminalroman „Der Sturm“, und bei allem traditionellen „plotting“ punktet die australische Miniserie u.a. mit hervorragenden schauspielerischen Leistungen. „The Survivors is a study in how raw grief and festering resentment warp everything – and how surviving a tragedy rarely means getting away unscathed. At its centre is the particular pain of the three mothers – Finn’s, Bronte’s and Gabby’s – deprived of their children and for ever changed by it. Their suffering is almost palpable and marks The Survivors indelibly out from the murder mystery herd.“ Die andere, „Sirens“ ist eher keine Krimiminiserie, sondern, nun ja, „The White Lotus“ meets „Nine Perfect Strangers“. Dass diese Serie aus der Welt der Superreichen einen scharfen Witz hat und wirklich fesselt, ist auch eine Leistung. Lucy Mangan, die professionelle Serienguckerin des Guardian, gibt den „Survivors“ wie ich vier Sterne, und den „Sirenen“ einen mehr als ich, fünf Sterne! „Without ever losing its wit or bounce, Sirens becomes a study in family, class and all sorts of other power struggles, the endless possibilities for good and ill that wealth brings, and the legacies of childhood trauma.“Die Tücke der Tickets, der kleine Hans, der wilde Norden, und eine Kneipe am Ende der Welt (eine Humoreske)
Long live Kevin Kline in Silverado – aber das ist eine andere Story! Es geht weiter mit den Pannen. Da meine Holde nicht nach Düsseldorf kommen kann am 21. Juni, nahm ich die beiden Cat Power-Tickets an mich, und legte sie superclever in einem Buch meiner Wahl ab, mit wunderbarer, mnemotechnisch geschulter, Eselsbrücke. Da hatte ich mich selber ausgetrickst, die Tickets finde ich nicht mehr. Zu jedem dritten Buch könnte ich eine fantasievolle Brücke zu Cat Power herstellen, allein alles Wirbeln durch die Seiten nutzte nichts. Der Kundenservice von Eventim entpuppte sich zudem als Unding. Zur Zeit bin ich der Meister im Verlegen – muss ich mir Sorgen machen, nein! Seit 2005 ungefähr habe ich eine unbändiges Interesse, Cat Power zu interviewen, und zwar as deep as deep can go, und live zu erleben. Aber leider gibt sie seit langem keine Interviews auf Tourneen. Eine gute Stunde suchte ich nun nach den Düsseldorfer Tickets – over and out.
Letztlich schaltete ich einen der besten Promoter ein, die ich kenne, und der ein verdammt kluger Typ ist. Und was bedeutet das, liebe Leser? Das bedeutet: Lukas und ich verstehen uns! Wir haben einen ähnlichen Humor, auch das. Obwohl, was meinen Humor und meinen Witz angeht, gibt es geteilte Meinungen. Neulich, bei einem noch nachzureichenden Bericht über einen kleinen „Aufstand der Analytiker“, fuhr mich der Lebensabschnittsgefährte einer im Bayerische zu verortenden Tiefseelenforscherin mit dem Alias SmallHans auf einem Blog mit folgenden Worten an: „Die seltsame Art des Michael E. etwas „witzig“ zu finden und sich damit gleichermassen wunderbar zu offenbaren, auf der “ … riesigen Spielwiese der Macho-Wettpinkler … “ derjenige zu sein, der am weitesten pinkeln kann, ist auch eine Aussage!“
Das ist etwas halbrecherisch verschwurbelt, und ich hoffe, dass Klein Hans diese hochintellektuelle Gedankenkonstruktion unfallfrei überstanden hat. Ich habe diese Schwanz- Und Pinkelmetaphorik keinesfalls ins Spiel gebracht, und vermute, Frau stand gerade am Herd, beim Porridge, als Klein Hans, erbost vor die Ranch trat und vor seiner Retourkutsche mal seinen eigenen Weitpinkelstatus erhob. Sei‘s drum! Es ging da um Stellungnahmen zum alten Western von John Wayne bis Kevin Costner. Dann kam noch der eine und andere Cowboy dazu, und sie forderten mich auf, richtig zu lesen usw. Das war tatsächlich etwas Stoff zum Kopfschütteln! 😉 Um die Gemüter abzukühlen, empfahl ich den Jungs, sich mal einen meiner Lieblingswestern anzuschauen. War es „Silverado“ oder „Der Mann, der Liberty Valence erschoss“? Egal.
Ich schweife ab. Innerhalb von drei Stunden bin ich auf der Düsseldorfer Gästeliste für Cat Power gelandet. Sie gehört zu den wunderbaren SängerInnen, die die Lieder von anderen zu ihren eigenen machen können, wie Nina Simone, Johnny Cash auf seinen „American Recordings“, oder Robert Wyatt mit „Shipbuilding“. Hör dir DIESEN nicht ganz unbekannten Song an! Nach dem Flop mit den „Flammenden Lippen“ wollte ich nicht noch mal scheitern, und freue mich riesig auf „Cat Power sings Bob Dylan“. Ich bekam dann noch die Nummern meiner zwei gebuchten Sitzplätze heraus. Bedeutet: wenn ich keinen Topplatz erhalte als Gast des Hauses, husche ich zum Parkett rechts, und kann auf dem Nachbarsitz noch all meine Sachen ablegen, zum Beispiel ein Tonband alter Schule, um, wie in „Diva“, alles mitzuschneiden. I‘m only joking, dear! Und jetzt noch eine kurze Notiz von der Reiseberaterin meines Vertrauens: „Lieber Michael! Du hast mir gesagt, wie gerne du zeitnah zehn Tage in den wilden Norden von Mallorca reisen möchtest (nach deiner Lektüre der letzten SZ am Wochenende) – nun, ich habe dir, noch vor der Saison der Grossen Ferien, ein paar Orte rausgesucht. Melde dich bis morgen Mittag, solange reserviere ich dir alle Optionen.“
Und darum geht es nun, liebe Leser! Mallorca Ende Juni – und nach meinen Erfahrungen mit patriarchalisch organisierten Maulhelden aus dem Bayernland, hoffe ich, dass ich nicht von unduldsamen mallorcinis mit der Mistgabel gejagt werde, die seit Jahr und Tag Touristen auf’s Korn nehmen, und ihren Unmut mitunter drastisch zum Ausdruck bringen! Parallel zu diesem noch rein im Konjunktiv befindlichen Inselabenteuer ist das wunderbare Album „Luminal“ von Beatie Wolfe und Brian Eno auf dem Weg nach El Hierro, um dort, mit Lajlas Support, an einem warmen Sommerabend, in einer kleinen Bar, die „kleine Nachtmusik“ zu geben – wunderbar! Kann ich mir einen traumhafteren Ort für „Luminal“ vorstellen? Nein, da kommen nicht mal die „cuevas de los verdes“ auf Lanzarote mit. Vielleicht, lang nach Mitternacht, wird dort, auf der kleinsten aller Kanareninseln, die alte Jukebox angeworfen (sie haben dort, habe ich gehört, eine Wurlitzer 1015, auch „Bubbler“ genannt): HERE we go! An wievielen Orten kann ein Mensch eigenlich gleichzeitig sein?!
Instead of a long story
How I love „Cabinessence“! Or Surf’s Up, Cool Cool Water, Trader, All This Is That, The Lonely Sea, Let The Wind Blow, ’Til I Die, any number of songs… I have periodic Beach Boys obsessions, the current one has been continuing since last summer. A band I have almost infinite patience for, I even enjoy the songs I don’t like (I realise that makes no sense!) It started for me with the Smile sessions, bootleg tapes acquired in the 1980’s. Cabinessence is representative of a large body of work, the structures, edited sections, constructions. Brian Wilson’s description of ‘feels’, song ideas, unfinished sections of songs, works in progress. It’s this idea of ‘feels’ that I personally identify with. (I also love Surfin’ USA, Little Deuce Coupe etc too)
- words by Craven Standers from on Interview for Klanghorizonte and Manafonistas in 2023
Video of the day
a song with a well-known voice, a classic TH vibe, a really good video, upbeat, retro for sure, and elevating in not so great times: HERE we go, here we sing, here we dance!
Die Flaming Lips in Hamburg
Samstag Abend: Eine Band auf dem Höhepunkt ihres Tiefs. Der Gesang war fast durchweg Playback (nur bei „Race for the Prize“ nicht, dem letzten Stück). Und die „Band“ waren offenbar von Wayne Coyne zusammengecastete Statisten (Michael Ivins und Steven Drozd fehlten), die (auch wieder mithilfe von Playbacks) performte, als würde sie alles spielen. Taten sie aber nicht. Das war eine unspontane und sehr uninspirierte Vorstellung, man hatte immer das Gefühl, man steht vor eine Glasscheibe und hört einer Konserve zu. Echt krass. Da lebte nichts. Wayne nahm zudem mit seinen endlosen Ansagen der Sache die letzte Magie. Dass der optische Mummenschanz normalerweise geil ist, steht außer Frage, aber ein Live-Konzert war das sicher nicht.
Soweit der Bericht eines gewissen Gereon Klug. Ich war mit Ischisas lahmgelegt, aber offensichtlich muss ich es nicht weiter bedauern, da nicht dabei gewesen zu sein. Meine bisherigen drei Lips-Konzerte, 2003, 2005, und 2016 waren „real“! Wer in die Welt von Yoshimi eintauchen möchte, dem empfehle ich die Platte, die Cd, die Surroundausgabe mit fantastischem 5:1-Mix, und die „Yoshimi-Schatzkiste“! (s. Foto) (m.e.)
Annie and the Caldwells (Finale)
Vorspiele mit Tanzboden und Weihrauch„Wow, man, this 10-minute, tension-building gospel declaration in “Can’t Lose My Soul.” The way it’s drawn out is powerful, capturing resilience in faith and morals gorgeously. Apparently, I can listen to the refrain “can’t lose my (soul)” for 10 minutes straight and not grow tired of it.“
Als Kind war ich kurze Zeit Messdiener, hatte brav die lateinischen Texte für die Prüfung gelernt, und schwitzte ganz schön, als ich mit ungelenken Bewegungen den alten Priester Dechant mit dem Weihrauchspender auf dem Kreuzgang begleitete. Der alte Katechismus hatte Schreckensbilder verbreitet, und ich ahnte oder hoffte doch, das sei ja wohl alles ein bisschen übertrieben.
Sweet Sixteen, und andere Wallungen
Zu der Zeit, als ich zwar noch der Parapsychologie und fernöstlichen Meditationslehren vertraute (aus Büchern eines Freiburger Esoterik-Verlages, in den mittleren Teenagerjahren), aber der Kirche immer weniger, betraten die Beatles und die schönsten Girls von Dortmund meine Träume, und alles änderte sich. Ich ging nie mehr in die Kirche und wurde mit ca. 17 zum Agnostiker und Gelegenheitsmystiker (nie von Baghwan und Co. eingefangen, worauf ich stolz bin, dafür liess ich mich einmal, peinlich, vom Wanderprediger Bill Graham in der Westfalenhalle segnen. Damals kam HAIR gross raus, JESUS CHRIST SUPERSTAR, aber das fand ich doch reichlich kitschig und verschwärmt, etwa so over the top wie alttestamentarische Drohszenarien im Kindheitskatechismus.
In der Hölle brennt kein Feuer, ich war raus aus dem Club, und deshalb nie wirklich offen für die Ergriffenheitsgesänge des Gospel, was hier und da auch auf mein Erleben von Soul abfärbte.
STRANGE THINGS HAPPEN EVERY DAY
Jahrzehnte später erzählte mir Brian Eno, ein erklärter Atheist, wie sehr er Gospel liebe. Das sprach sich sowieso rum, und kurz bevor ein gewisser Paul Simon nach London fuhr, um von Brian ein Album produzieren zu lassen, mit dem ich nie richtig warm geworden bnin, schickte Paul Brian eine neu erschienen riesige Gospel-Box. Das verändert meine Gospel-Abstinenz kein bisschen, mit einer Ausnahme.
In dem tollen Film der Coen-Brüder, O Brother Where Art Thou, da hatte von Blues bis Gospel diese Musik für mich einen atemraubend gefilmten Rahmen gefunden! Da hörte ich hingebungsvoll und lustvoll zu. Normalerweise meide ich auch jedes Opernhaus der Welt – aber als ich einst die Stimme der Callas hörte in dem berühmten französischen Neo Noir Thriller mit einem „Touch of Zen“ , namens DIVA, konnte ich sogar eine Arie wertschätzen. Der Kontext, der Kontext! Das andere Mal, das mir eine Opernarie sehr, sehr gefiel, war in einem Film von Werner Schroeter, auf einer unendlich langsamen Kamerafahrt entlang einer Münchner Aller der Bordsteinschwalben – pure Magie!
Und nun also die erste Gospelplatte meines Lebens, die es annähernd schafft, „on high rotation“ zu sein! Als ich sie das erste Mal hörte, wusste ich noch nichts von der Verbindung zu David Byrne. Tatsächlich erinnerten mich da die Wechselgesänge der Band von Annie an bestimmte „cross singings“ von „Remain In Light“. Und dann eben, dass die Caldwells den dancefloor zuliessen! Und dass ich in dem Sound der Band aufging, bei voller Lautstärke – und sebst die „vocals“ auf einmal „sculpted sound“ waren! Ich schliesse mich den finalen Worten von Alex Petridis an:
„… their message is ultimately one of hope. You don’t need to share the Caldwells’ faith to find something powerful and inspiring in that, particularly given the current climate, which can easily incline you towards hopelessness; something steeped in tradition seems apropos right now. You should listen to Can’t Lose My (Soul) purely on musical terms. Moreover, it’s an album you might need.“
Nachklapp 1: „The world has changed, of course, and not everyone will seek reassurance in the Caldwells’ beliefs. But the message of suffering and survival on the road to salvation may just get you through any darkness looming on the horizon… or simply get you dancing. Strange things still happen every day; just ask Sister Rosetta.“ (David Hutcheon, Mojo)
Nachklapp 2 aus meinem Interview mit Brian Eno aus dem Jahre 2005: „Dieses Bekenntnis ist ein wenig peinlich, aber: bei einigen dieser Songs von „Another Day On Earth“ kamen mir Tränen, als ich sie sang – da gab es Bewegungen in der Stimme, die – jedenfalls für mich – übermächtig waren. Das geht auf die Erfahrung zurück, als ich zum ersten Mal eine Gospelkirche besucht habe. Das war 1978, in den USA. Eine kleine Kirche. Und es war ein Kindergottesdienst. Ungefähr vierzig Kinder waren da, und sechs oder acht Mütter passten auf sie auf; dann dieser Priester, ein sehr großer dicker Mensch, und zwei Kids an den Instrumenten: ein neunjähriger Schlagzeuger und ein zwölfjähriger Organist. Und sie begannen diesen Gospel zu singen. Und es gab einen Moment in der Melodie, die sich in einem fort um sich selbst drehte, einen Moment, der so emotional bewegend war, daß ich ihn nicht singen konnte – es war für mich zu überwältigend! Diese Erfahrung ist bei mir geblieben; und ich dachte, wenn Musik nicht so machtvoll ist, dann möchte ich sie nicht spielen – wenn Musik nicht fähig ist, einen solchen emotionalen Effekt auf mich auszuüben – und mir ist es egal, wie clever sie ist, wie hip oder modern – wenn sie mich nicht dermaßen bewegt, dann will sie nicht machen!“
Nachklapp 3: a very handsome chap is telling about travels to Bratislavs with Hejira in his 20‘s, and about the album Brian did with Paul Simon: just click HERE! Ich hatte SURPRISE ewig nicht gehört, und jetzt höre ich hier HOW CAN YOU LIVE IN THE NORTHEAST, und auch WARTIME PRAYERS, und die Songs berühren mich. Ich sollte SURPRISE eine neue Chance geben. Ich mag es, wenn die eigene Wahrnehmung „kippt“!
„Reviewing reviews“
Not one but two new Brian Eno albums to aurally digest, each made in collaboration with conceptual artist Beatie Wolfe.Lateral brings to mind Eno’s past outer space-related ambient endeavours with younger brother Roger and Daniel Lanois, but with Wolfe’s involvement the album seems to be more of a sonic comfort blanket to wrap oneself up in whilst gazing up at the stars… or wishing one was up there with them. As for Luminal,it’s very much a sister album to Lateral. Wolfe has written its lyrics, and also sings on these 11 songs, which are produced magnificently by Eno. Think luscious dreampop with shades of a country twang and you will be close to what is achieved on this album. The instrumental Lateral and vocal tracks of Luminal are each as captivating as they are deeply moving, and both albums complement each other very nicely too. (David Nobakht)
Icn sammle derzeit, im Netz, Besprechungen der beiden Alben „Luminal“ und „Lateral“ von Beatie Wolfe und Brian Eno bzw. Brian Eno und Beatie Wolfe. Ein knappes, gutes Dutzend ist derzeit verfügbar, etliche werden noch folgen. Neben wenig überraschenden „appraisals“ von den üblichen Eno-Berichterstattern Wyndham Wallace und mir, finden sich respektvolle wie bewundernde, ja, begeisterte Besprechungen vor allem des Songalbums. Eine klare Tendenz, auch wenig überraschend: der Songzyklus wird generell positiver bewertet, mitunter hymnisch gefeiert; das „Ambient-Opus“ bekommt, je nach Standpunkt, das polemische oder das leicht gelangweilte oder faszinierte „Echo“, im Grunde, wie es bei „Ambient Music“ seit „Ambient 1“ (1978) der Fall ist. Ich möchte, wenn ich genug gesammmelt habe (niemand muss mir was schicken, ausser, Jan R., wenn da was in der New York Times zu lesen ist!), die Besprechungen von „Luminal“ besprechen. Zwei Dinge noch: einmal gibt es seit gestern, das in den Klanghorizonten im DLF als „Premiere“ gespielte „Play On“ als Video – HIER – und, zum zweiten, die „lyrics“ von „Play On“, bei den „comments“… (Michael Engelbrecht / Foto: Manuela Batas)
Monthly Revelations revisited (June)
Archive: In memory of Hans Dieter Hüsch / Binge: Adolescence (Netflix) / Radio: „Those were the radio days“ – „Karsten Mützelfeldts kleine Abschiedsrede“ / Talk: Beatie Wolfe‘s „Notting Hill Solo Talk“ / Prose: Jonas Engelmann: Gesellschaftstanz (Klangverhältnisse und Aussenseiter-Sounds) / Film: Nouvelle Vague / Album: Caroline – Caroline 2