• “Folk music, surrealism, the blues, the avant-garde, deep intelligence, primitive emotion.”


    In den letzten Tagen waren meine Erinnerungen ab und an unterwegs in einem Damals, das die erste Hälfte der Siebziger Jahre darstellt, mit einem Arsenal von Zeitreisetechniken: Alltagstrancen, Rumstöbern im Netz, „Köln 75“, der Film, das Wiederhören der langen ersten Seite von „The Köln Concert“, und, nicht zuletzt, das Versinken in der „Relativty Suite“ von Don Cherry nach Ewigkeiten… die Platte gehörte im Wintersemester 74/75 im Doppelzimmer 510 des „I-Hauses“ zur Grundausstattung der Musikversorgung von David Webster und mir.

    Ein zufällig zusammengewürfeltes Schicksalsduo für zwei Semester, David lernte den Free Jazz kennen, und ich drang tiefer denn je ins „Weisse Album“ der Beatles vor. Dank der Erinnerungen von Richard Williams öffnete sich jene Tür im fünften Stock wieder, als er zu seinen Don Cherry-Inselalben kam. Das Stichwort lieferte ein Satz von Ethan Iverson: “Folk music, surrealism, the blues, the avant-garde, deep intelligence, primitive emotion.” – es wae an Ornette Colemans Album „Science Fiction“ von 1972 gerichtet.

    „That’s good“, reagierte Richard darauf, und führte aus: „And, as much as I love Cherry’ work with Coleman, Albert Ayler and Gato Barbieri, my favourite Cherry albums are probably those that best encapsulate the full range of those qualities, and of his imagination. They would be Eternal Rhythm, Relativity Suite from 1973 (with the JCOA, never reissued in any form since its its first appearance on vinyl), and the wonderful Modern Art: Stockholm 1977, a concert at the city’s Museum of Modern Art, which appeared on the Mellotronen label in 2014.“

    Das „Modern Art“ Album von 1977 kenne ich gar nicht, aber die fast vergessene „Relativity Suite“ wurde flugs auf dem raren Markt vergrabener Schätze aufgetan, und voller Begeisterung neu gehört. Fast wie beim ersten Mal. Es ist der 13. Januar 1975, nasskaltes Januarwetter. Fünfundzwanzig sorgsam für die grosse Reise in die zweite Heimat ausgewählte Langspielplatten stehen, sorgsam im Schatten platziert, an der Wand, mit dabei „Diary“, „Lord of the Rings“, „Facing You“, und „Third“. Davids Kassettenrecorder gibt „Happiness is a warm gun“ von sich, John Lennon auf der Höhe seiner Kunst, und es ist schon später Abend, fast Nacht.

    Während das Album noch läuft, ist David schon eingeschlafen, ich lese bei spärlichem Licht noch ein Kapitel in Ralf Oerters „Entwicklungspsychologie“, auch ein gutes Einschlafmittel, und draussen, nur wenige Kilometer Luftlinie entfernt, sitzt ein übermüdeter Musikproduzent am Steuer seines zitronengelben Renault und fährt einen unruhig schlafenen Keith Jarrett Richtung Köln. Sie fahren gerade an Würzburg vorbei, und der Produzent verwirft den Gedanken, hier auf einem Rastplatz ein wenig Schlaf nachzuholen. Ich bekomme von alldem natürlich nichts mit, hole am nöchsten Morgen die Post bei Herrn Kopka in der Pforte ab. Ein Päckchen von „Jazz by Post“ ist angekommen, mit Bennie Maupins „The Jewel In The Lotus“. Drei Wochen später verliebe ich mich im rumpeligen Fahrstuhl unseres Wohnheims. Das Leben nimmt einmal mehr volle Fahrt auf.



  • Ruperto

    Auf der linken Seite sitzen nur Männer und spielen Domino, vorne am grossen geöffneten Fenster spielen zwei Alte Gitarre. Jeden Abend kommen sie in die Bar und spielen ihre Lieder. Sie singen vom Heimweh nach Venezuela. Es sind Einheimische, Herreños, die wieder zurück auf ihre Geburtsinsel El Hierro gefunden haben, nachdem sie viele Jahre in Übersee waren. In der Bar herrscht eine düstere Stimmung, die Männer schweigen beim Hin und Herschieben der Steine, immer wieder fasziniert mich diese Stille beim Spiel.Es ist das Fremde, das mich beeindruckt, das Kommunizieren ohne Worte. Domingo Pio heisst der Mann an der kleinen Gitarre, der Timple. Ihm hat der beste Gitarrist der Insel, Ruperto, eine musikalische Hommage gewidmet. Mir gelang es, Ruperto zu einem kleinen Interview zu gewinnen:

    Ruperto, kommst du aus einer musikalischen Familie, sang deine Mutter, spielte dein Vater ein Instrument?

    Ja, mein Vater war Musiker, er spielte Geige, Temple, Gitarre und Banduria. Und meine Mutter sang sehr gerne.

    Wann hast du angefangen, Gitarre zu spielen?

    Mit 8 Jahren.

    Hast du dir das mehr oder weniger selber beigebracht?

    Ja habe ich- Wer hat dir deine erste Gitarre geschenkt?

    Mein Vater hatte eine zuhause.

    Hast du dann in einer Jugendband gespielt oder immer alleine?

    Mit einer Schülerband.

    Deine Frau und deine Söhne treten auch zusammen mit dir auf. Hast du deine Frau auf einem Konzert kennengelernt?

    Ja auch das ist richtig.

    Dir macht es auch viel Freude zu singen. Die Texte sind alle von dir, woher nimmst du die Inspiration für sie?

    Aus dem täglichen Geschehen, was ich so beobachte im Dorf und den Menschen hier.

    Spielst du am liebsten alleine oder in Gruppen?

    Ja vorzugsweise alleine.

    Vielen Dank Ruperto für das Interview.

    Mich interessieren in jedem Land die Interaktion zwischen Naturräumen oder auch Grossstädten und Tönen, Klängen. Wie kommt es, dass die Musik der Insel relativ gleich klingt, egal , ob es Kirchenlieder oder Folkloreanlässe oder gar Tangotakte sind. Ihre Pito, so heisst die einheimische Flöte hat, nur 8 Töne, genau wie die irische Pipe. Sie bringt aber erstaunlich vielfältigere Melodien hervor , man höre mal The Road to Kilkenny zum Vergleich. Die Einheimischen sind stille genossen. Sie führen ein hartes Leben in der kargen Wirtschaftswelt. Sie sind Fischer und Schäfer und romantisieren nicht das Meer, so wie es Rio Reiser in dem Lied „Übers Meer“ singt.Ruperto besingt in seinen Songs das stille Meer, Mar de las Calmas,die Erde, das Licht, die Frauen und die Freunde. Mehrere Texte gehen über die Bäume, die Pino Verde, den Wasserspenderbaum, über den Sabina, das Wahrzeichen von El Hierro. In seinen sehr langen Balladen ähnlichen Liedern singt er über die Verzweifelten, die Migrationsbewegungen über Familienbanden, und hebt immer wieder die Mutter hervor,“Madre del Herreño“ heisst mein Lieblingslied. Als ich ihn bat mir drei Texte von den Songs zu geben, die mir am besten gefallen, lacht er und sagt, das ist alles nur in meinem Kopf. Er kann auch keine Noten, er spielt alles aus dem Kopf. Diese einfachen Melodien haben einen gewinnenden Ausdruck von musikalischer Schönheit- Oder wie Joachim Ernst Berendt es besser sagt: Wenn Formen uns vertraut werde, brechen kulturelle Barrieren ein.

  • Hello, Macie!

    It is easy to get lost in the music of „When The Distance Is Blue“, cause, amongst other reasons, it kinds to rejects labeling, Brian Eno calls music like this „where am i“-music. Possibly you know some of the the albums  Mr. Eno had brought on the way as an executive producer and artistic director  in the mid-seventies.The series was called „Obscure Records“ and tried to make bold connections between experimental, new classical and the contemporary pop culture. Like Gavin Bryars“ The Sinking of the Titanic / Jesus Blood Never Failew Me Yet, Brian Eno‘s Discreet Music, the wonderful first album of The Penguin Cafe Orchestra… Your album – though much more great sounding than those old treasures, would have fit brilliantly into Obscure Records, because it serves, too,  as an invitation be seduced by strange atmospheres… What was the overall vision for this album (from start on or in retrospect)? Can it be perceived as an aural equivalent of Rebecca Solnit’s „A Field Guide To Getting Lost“, that book of essays (in a freewheelin‘ sense)? Best wishes, Michael!

  • „Down the mountainside / To the coastline…“


    Four Strong Winds

    After The Goldrush

    Pocahontas

    Peace Of Mind

    Southern Pacific

    Wenn dieser Film namens „Coastal“ zu sehen sein wird, bin ich dabei. Auch so einer der singer / songwriter, der mir „company for life“ bedeutet, vom ersten Augenblick an, als ich in Paignton 1971 „After The Goldrush“ entdeckte bis heute. Am wenigsten bekannt von den Alben, auf denen sich die Lieder dieser Playlist tummeln, dürfte „Reactor“ sein, das damals Prügel einstecken musste, zu Unrecht, wie ich finde. Neben dem herrlichen T-Bone-Steak-Song, der schon 1981 verriet, dass vielen Hippies der Humor ausging, wenn schräger Humor romantische Erwartungen und „strong messages“ konterkarierte, war „Southern Pacific“ stets ein Lieblingssong des Albums. Und, auf seine Weise, eben doch auch Sehnsuchtssoff und Liebeserklärung! (m.e.)

  • Most wanted

    It’s easy to imagine that there probably isn’t any music ever played by anyone, anywhere, at any time, from prehistoric hunters on the Eastern Steppe to whatever Kendrick Lamar, Billie Eilish or Nils Frahm are doing next, to which Don Cherry could not have made a worthwhile contribution. And the secret to that must have been his openness.

    (Richard Williams)

    Ihr kennt den launigen Spass mit dem Brief ans Unversum!? Manchmal kommt er wirklich an. Mein Dank an dieser Stelle auch an Michael Stelljes, Spezialist für desert island discs, dafür, mich an Paul Bleys „Ramblin‘“ erinnert zu haben. Grosse Musik findet ihre Hörer mit der Zeit!

  • „What can ordinary be“ (on a sunny afternoon)

    Ich bin viel zu sehr am reinen Hören interessiert, um je ein besonderes Faible für Songvideos entwickelt zu haben, aber dieses ist eine Ausnahme von der Regel, ganz gleich, ob man Song und Bilder werkimmanent deutet oder biographische Fakten hinzuzieht. Als es mir noch vorschwebte, Deutschlehrer zu werden, interessierten mich beispielsweise die diversen Interpretationsverfahren, Herr Gadamer und der „hermeneutische Zirkel“ so sehr wie die Freuden der Konkrete Poesie (ich belegte Proseminare zu beiden Themen, und sehe noch heute Ernst Jandls „Laut und Luise“ auf meinem Nachttisch in Münster liegen, neben einer alten Tonbandmaschine mit vielen Leonard Cohen-Liedern und einer Sendung von Winfrid Trenkler über Soft Machine).


    STRAWBERRIES

    Auf jeden Fall ist Robert Forsters „Butterflies“, geschrieben mit ohne seine Lebensgefährtin Karin Bäumler, und dargeboten „at home“ mit Karin und einer aufmerksamen Katze im Garten (oh, Fusel klopft gerade ans Fenster und will eine kurze Sommerpause einlegen), ein Meisterstück, was filmische Inszenierung, Song und Lyrics betrifft. Mir erscheint es auch alles andere als weit hergeholt, hier eine Spur Ray Davies zu wittern (so wie mir bei einem Song von Alabaster DePlumes neuem Werk Schwingungen einer Platte von Donovan in den Sinn kommen namensWear Your Love Like Heaven“).

    Einmal, als die beiden Go-Betweens mir gegenüber sassen, erzählte ich ihnen, wie ich ihr allerwrstes Album im Nördlichen Bayerischen Wald hörte, mit dem langen Song als Favoriten, und dass es nur ein Katzensprung von Grasfilzing nach Regensburg war, früh in den Achtzigern. Ich nannte „understatement and passion“ die „basics“ in ihrem Songbuch. So viele Jahre später jetzt. Hier, in diesem Song ist das wieder so eine spezielle Mischung: unendliche Nonchalance auf der einen Seite, das Dunkle, Unheimliche schimmert auf der anderen durch, genauso wie eine weiter zurückliegende magische Zeit: man kann es werkimmanent betrachten, Biografien als Folien drüberlegen. Selbst Lee und Nancy würden staunen und einen Sommerwein entkorken.

    (m.e.)

  • Am Morsumer Kliff


    Kaum gefährlich, ausser für Schwindelanfällige, der Rundweg durch eine uralte Landschaft, falsches Schuhwerk für die zwei matschigen Passagen, hinterher Zwiebelrostbraten von der Keitumer Landschlachterei, Nachbilder sich im Wind wiegender Ähren, Richtung Watt. Am frühen Nachmittag lausche ich dem neuen Album von Alabaster, und wähle hinterher aus dem Interview aus , was er über „tenderness“ sagt, über „healing“. Ohne einen einzigen falschen Ton – selbst die auf seiner Langspielplatte sind goldrichtig. Entwaffnend. Neben dem einen oder anderen Album für die Klanghorizonte ist Roger Enos „Voices“ aus dem Jahre 1985 on high rotation, hier in meiner Ferienwohnung. Eine Wiederveröffentlichung macht Sinn. Am besten zusammen mit dem anderen 1985‘er Werk aus den Grant Avenue Studios in Hamilton, Ontario, Michael Brooks „Hybrid“. Ich weiss noch, wie die zwei Langspielplatten im Sommer jenes Jahres erschienen (in meiner Erinnerung), und ich einen kleinen Text des Produzenten Brian Eno las, der von dem „impact“ von Klängen handelt, die abseits des „Angesagten“ entstehen.

  • Runde Geburtstage mit Marshall und Leonard

    „My voice has gotten very very deep over the years and seems even to be deepening. I thought it was because of 50,000 cigarettes and several swimming pools of whiskey that my voice has gotten low. But I gave up smoking a couple of years ago and it’s still getting deeper … My voice really started to change around 1982. It started to deepen and I started to cop to the fact that it was deepening.“ (L.C.)

    Die tiefer und tiefer werdende Stimme von „the man with the golden voice“ lässt sich gut hören auf „Various Positions“ von 1984. Damals hatte er sogar einen Auftritt mit „Hallelujah“ in Frank Elsners „Wetten, dass…“, was ich so surreal fand wie das das Logo von „Hörzu“ auf der deutschen Erstausgabe von „Sgt. Pepper“. Aber eines nach dem andern. Vor ziemlich genau zehn Jahren, am 14. März 2015 (so erinnere ich es jedenfalls), war ich im Kölner Stadtgarten, und feierte, ein paar Stunden ganz allein, meinen „runden“ Geburtstag. Auf der Bühne, zarte neunzig Jahre alt, Marshall Allen, und ein Konzert, das mir serienweise Gänsehaut bescherte. Drei Jahrzehnte zuvor, am 14. März 1985, feierte ich, einmal mehr für mich (oder war der Bruder meiner Ex-Verlobten dabei?), in Essen einen anderen „runden“ Geburtstag. Wie ihr merkt, ist das ein ganz persönliche Geburtstagserinnerungsstory.

    In der Grugahalle erlebte ich Leonard Cohen in hervorragender Verfassung (obwohl neben mir ein Rockfan mit Halbglatze sagte, er wolle den „alten Sack“ (der damals 50 war) noch einmal live erleben. Ich erfuhr später, wie verliebt die Sängerin an seiner Seite, Jennifer Warnes, in Cohen war, was bald zum Bruch der Freundschaft führen sollte). Es war wunderbar, und auf der Rückfahrt von Essen nach Dortmund lernte ich eine Frau aus Neuseeland kennen, und ich erzählte ihr von dem Konzert (sie liebte seine Musik), und wir sprachen über die Flüchtigkeit der Zeit. Es war ein Sechserabteil, ganz dunkel mit winzig-warmen Leselichtern, und sie gab mir ein Zeichen, zu ihr zu kommen.

    Wir umarmten uns heftig, wir küssten uns, hielten uns umschlungen – und landeten eine halbe Stunde später in einem Hotel in Bahnhofsnähe (sie unterbrach ihre Reise nach Berlin „my birthday present for you“, sagte sie). Nach dem Sex spielten wir ein Spiel und nannten uns abwechselnd Titel von Leonards Liedern. Wie Flüsterworte zum Einschlafen und Wachbleiben. „Dance Me To The End Of Love“ war natürlich dabei. Wir verstanden uns unheimlich gut und waren, glaube ich, vielleicht drei Tage und Nächte davon entfernt, uns ineinander zu verlieben.

    Nun, zehn Jahre nach dem Marshall Allen-Auftritt in Köln (wild, verwegen) , bin ich auf dem Weg nach Sylt, und höre, zwei Wochen vor meinem nächsten „runden Geburtstag“, das Solodebüt des 100-jährigen Saxophonisten Marshall Allen, der seit 1995 das Sun Ra Arkestra leitet, eine charmante, selbstbewusste Reise durch Klangstimmungen, die er im Laufe seiner Karriere erforscht hat. „Mehr als sonst lässt er nostalgische Momente zu, und wer soll es ihm verdenken?!


    Aufgenommen mit Hilfe von Arkestra-Mitgliedern (schade, dass John Gilmore nicht mehr unter uns weil), und Gästen wie Neneh Cherry, ist „New Dawn“ ein wunderbar ausgewogenes Album: „die Space Lounge-Musik von „African Sunset“, der „Crime Jazz“ von „Sonny’s Dance“, die barock angehauchten Grooves von „Boma“. Die klassische Komposition „Angels And Demons At Play“ schließt das Album ab und enthält Momente, die die Musik des Arkestra in eine weitere galaktische Richtung schicken.“

    Soweit Peter Watts in der Aprilausgabe von Uncut. Alabaster DePlume erzählte mir ja neulich, wie sehr er das alte namensgleiche Album von Sun Ra in sein Herz geschlossen hat. Seine von mir heiss und innig geliebte neue Arbeit erscheint am 14. März, es wird meine „Geburtstagsplatte“. In meinem schwarzen Wintermantel und Schal sitze ich eingemummelt auf einer Bank, und lese das erste Kapitel von Mark Doyles Buch über die Kinks zuende. Und mir geht der Song „See My Friends“ durch den Kopf, der gerade noch im Auto lief, drei- viermal hintereinander.

    Die schönste Geburtstagsparty meines Lebens war im März 62, als ich sieben wurde. Zurli war dabei, und mein Blutsbruder Matthias sowieso. Es gab Sandkuchen und Kakao, und abends den Tiefseetaucher Mike Nelson. Es sollte noch ein paar Jahre dauern, bis zu den Monkees, und bis „See My Friends“ aus einem silbernen Transistorradio tönen sollte, und es ist keine Halluzination, wenn man darin Klänge mit mehr als einem Hauch einer Sitar vernimmt. Ray Davies war in den Ferien am Ganges (so erinnere ich die Story jedenfalls), und sah den Fischern zu, wie sie ihre Netze einsammelten. Er vermochte es, Freunde und Seelenverwandte aufzuspüren, in der grösstmöglichen Ferne, in der Nachbarschaft beim „five o-clock tea“, oder als er das erste Mal eine Schallplatte von Big Bill Broonzy auflegte (m.e.)

  • Re-Discovery of Something Adventurous

    MANAFON ist ein zärtliches Ungetüm. DIED IN THE WOOL – THE MANAFON VARIATIONS spinnt die Fäden fort,  die sich da anbahnten, öffnet Räume, schliesst Fenster, lässt alte Gesänge seitwärts treiben, schiebt neue Songs hinterher.

    Wer vor MANAFON flüchtete, wird sich auch hier in Sicherheit bringen wollen. Was passiert mit dem Originalstoff: mal verschwindet die Kulisse der frei improvisierte Gespinste, und wird durch den streng modernen Duktus eines japanischen Komponisten ersetzt, mal werden die detailfreudigen Forschungen des „Originals“ subtil variiert.

    Das Amalgam funktioniert und nimmt gefangen: ob Arve Henriksens Trompete nordisch uncool die Vertonung eines Gedichts von Emily Dickinson anreichert, ob Samples aus einem Konzert von Skuli Sverisson (Kristiansand 2010) momentlang einen tonalen Untergrund bauen, wo sonst harmoniefreie Klangpartikel ins Offene entschweben, ob die Melange von Ambient Music und Song Herrn Sylvian zu einer Ballade treibt, die den Samen für ein ganzes Werk bilden könnte   (I SHOULD NOT DARE)…

    Was durchweg verblüfft, ist die Natürlichkeit, mit der hier Neue Kammermusik, Electrionica, Sampling sogenannter Pop- und Klangspuren von manch anderen Welten eins miteinander werden. Geradzu lässig, als ginge all das Unerhörte und Dunkle leicht von der Hand.

    Michael Engelbrecht am 12. Mai 2011 auf dem alten Blog, carefully remixed

  • Für Scotch und Candlelight auf El Hierro und sonstwo

    Vorspiel mit einem alten Text: Der vertraute Klang eines Cocktailshakers voller Eis und entfernter Möwen weichen einer einfachen Melodie, einem im Licht sich räkelnden Rhythmus. Wir befinden uns auf einer Zeitreise in ein Japan, das bald eine halbe Ewigkeit zurückliegt. Die Siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts, jene tollkühne Dekade. Wir träumten damals vom Fujiama, der uns auf grossen Briefmarken entgegenblickte, verspielt und majästetisch, als wir baby boomer waren. Japaner träumten anders. Und so befinden wir uns gerade mitten in einer Musik, die deren ausgesuchte Urlaubsparadiese zu damaligen Wirtschaftsblütezeiten heraufbeschwörte. Die südlichen Inseln im Pazifik.

    „Pacific“ ist der Titel dieser Langspielplatte. Das Werk entstand 1978. fast alles instrumental, bis auf die eine Zeile, die mit dem „Sommer in ihrem Haar“  alle Träumerei auf den Punkt bringt. Die drei Pazifikforscher: Shugeru Suzuki, Harry Hosono, der bald das Yellow Magic Orchestra mitgründen sollte, und der Dritte, einer der Cracks der japanischen City Pop-Szene, Tatsuro Yamashita. Wir erkennen einen alten Bekannten, der auf dem Album auch mitmischte, Ryuichi Sakamoto. So jung, man glaubt es kaum. Eine Prise früher Synth-Pop, die japanische Variante amerikanischer Exotikträume a la Les Baxter, melodische Funkrhythmen, ein schwebender Horizontöffner, eine Brise New Age, easy peasy, soft and breezy.


    Ein gutes Jahrzehnt später. “I follow the peacocks as they sing like wo la la la”. Das Album: OMNI SIGHT SEEING. Anno 1989. . In den Achtzigern war „Weltmusik“ angesagt, aber vieles von diesen globalen Sounds hielt eine geschmäcklerische Sanftheit parat, mal virtuos, mal berechnend, und oft genug war das vollmundige „CROSSOVER“ einfach langweilig wie effekthascherisch.

    Wenig kam heran an die rohe Wucht und Durchschlagskraft von „My Life In The Bush Of Ghosts“ von Eno und Byrne, an die surreale Magie von Jon Hassell und den drei Codona-Alben auf ECM. Einiges wohl, aber vieles nicht. Und da taucht nun, als Reissue bei Victory Records, diese Platte auf, die diesen Globetrotter-Modus auch noch auf das Cover setzt, als Untertitel in schwarzen Lettern: „recorded in 1988 – 1989 from Showa to Heisen, Tokyo to Paris, Sung in Japanese-English, French and Arabic“. Und was darüber steht, wirkt wie eine touristische Animation: „omni Sight Seeing / the GLOBE WATCH TOUR: conducted by Hosoni Haruomi“. So weit, so gewöhnungsbedürftig.

    (Die Fortsetzung mit „der psychoakustischen Erfahrung“ folgt in Kürze, die Platte kann man für erstaunliche 20,99 Euro bei HHV bestellen, Ingo könnte vorbeigehen in dem Berliner Laden und das Porto für die Lieferung einsparen (bei Amazon kostet das Vinyl einer anderen Ausgabe 338 Euro – und so viel vorab, ich gebe der Platte 4 von 5 Sternen und empfehle sie uneingeschränkt, Jan R. wird sie auf Tidal hören, wie er mir mailte. Das white marbled vinyl eine Augenweide.)

    Ich besorgte mir das Album, weil ich Haruomis „Pacific“ vor Jahren als Entdeckung empfand, und einmal mehr überzeugt mich auch dieses Werk von Anfang bis Ende, warum, genau, kann ich aber kaum sagen. Es geht ja auf der Rückseite des Albums, im Kleingedruckten, noch weiter, und wenn man da von „Astralreisen“ liest und „spiritueller Reise“, noch dazu in recht plakativer Sprache, fragt man sich, ob der Gute zuviel Kaffee im Nirvana getrunken hat, ein romantischer Schwärmer ist, oder reale Grenzerfahrungen in Klänge übersetzt.

    Denn dieses Album ist ein Tollhaus von kreuz und quer purzelnden Einfällen (das Cover passt da schon wunderbar!). hosono Haruomi in einem Samdkasten aus Alphaville. In eine japanische Technovariante mit Härte 8 schmuggelt er Bandoneonistas hinein, marokkanische Herzensgesänge, ein fröhlich aisflippendes Saxofon, um danach in einem wundersam floatenden Ambient Track jeder zerfliessenden Sekunde gewisse underwater vibes unzerzumischen – call it „balearic“! Schön verrückt und erfinderisch seine elektronisch unterfütterte Version von Duke Elllingtons „Caravan“! Alles kommt mit einem ausgeprägten Spieltrieb daher, und könnte leicht als nette multikulturelle Petitesse durchgehen, aber es fesselt mich, sorgt für Heiterkeit, Wundern und schöne Verblüffung. Seltsam.