Surreale Abenteuer im Strawberry Hotel

Zehn Jahre ist es her, da traf ich Brian Eno und Karl Hyde in Enos Londoner Studio in Notting Hill, unweit der stets umtriebigen Portobello Road, und oft mischte ich mich, nach dem  Besuch bei  Brian, in das bunte Treiben des Portobello Market. Ich liebe es, in solch pulsierendes Menschentreiben einzutauchen. Underworlds neues Album zu hören, ist ein vergleichbare Unternehmung: bizarr, frohlockend und psychedelisch wie das Cover, facettenreich wie zu besten Zeiten, mit gutem Gespür auch fürs Innehalten. 

Auf „Black Poppies“, dem markanten und doch ruhigen Eröffnungsstück von Underworld, sind die gesprächigen, elektronisch bearbeitete Gesänge in leise puslierende Synthies eingebettet, und wie Gospelharnonien geschichtet. Das erinnert mich an Brian Enos Stimmführungen auf  „We Let It In“ und „Garden Of Stars“, von „Foreverandevernomore“. 

Während jene Platte jedoch eine Welt am Abgrund erforschte, bietet diese Platte, soll ich es so lapidar sagen, Optimismus. „Du magst dich anfangs ein wenig seltsam fühlen, aber verändere dich weiter“, verkündet Hyde, und dieser Satz scheint den hartnäckigen Unwillen der Zwei von Underworld zusammenzufassen, sich auf Lorbeeren auszuruhen.

Seit dem allmächtigen Dubnobasswithmyheadman von 1994 haben Underworld  mit einem unverwechselbarem Stil den Soundtrack von Liebe, Hingabe und der guten alten Tante „Surrender“ geliefert und Hörer aus unterschiedlichsten Ecken jenseits der Rave-Kultur dazu gebracht, die intelektuelle Skepsis  vor dem Dancefloor zu vergessen. Die Alben sind genauso geeignet für die heimische Couch oder der Strand deines Vertrauens (s. me on komos beach, 500 meters away from hotel strawberry. In the bachground on the left, you csn see the tiny island that made it on the cover the second fripp & eno collaboration, „evening star“. i will swimm over there today.)

Den Anfang macht „King Of Haarlem“, bei dem Hyde trotz seines zunehmend verrückten Textes ungewöhnlich verletzlich wirkt:

„Harley Farley
Mister Nicky
Marley Shirly
Whirly Nick
and early Pam and Barley“.

„Gene Pool“ erinnert auf mysteriöse Weise an Paul Buchanans Schwärmereien auf The Blue Nile’s ‚The Downtown Lights‘. Schöne Selbstvergessenheit zelebriert der Knaller „And The Colour Red“  mit stampfenden Kick-Drums, während ‚Hilo Sky‘ die melodische Monotonie kompensiert, indem es auf einen feierlichen Höhepunkt zusteuert. In „Black Poppies“ bekräftigt Hyde wiederholt die unbändige Euphorie, die er und Rick Smith hervorrufen können. Auch „Techno Shinkansen“ kombiniert geleeartige Synthesizer mit Georgio Moroders blubbernden Arpeggios. 

Aber Vorsicht – alles bleibt herrlich unberechenbar – „Sweet Lands Experience“ beginnt mit Hyde, der knurrt: ‚I was more smashed than you were‘, wobei sich das Stereospektrum im Laufe des Songs verwirrend verschiebt, bevor eine defekte Spieluhr und zuckende Becken eine überraschend nüchterne Coda einleiten.

Strawberry Hotel erkundet sowohl ihre gefeierten als auch ihre weniger bekannten Neigungen, und „Black Poppies“ war nicht die einzige Vorwarnung. „Denver Luna“ erschien zunächst als verwirrend kurzes A-cappella-Stück mit dem rätselhaften Ruf ‚Strawberry jam girl!‘, aber die Band hatte schon immer eine weit geöffnete Trickkiste. Einen Monat später entpuppte es sich als krönender Abschluss eines ekstatischen Marathons, der den Vergleich mit „Born Slippy“ und „Cowgirl“ nicht scheuen musste. Beide Versionen erscheinen hier, wobei der vollständige Song der erste „Burner“, ist, und das A-cappella-Stück Teil einer Downtempo-Kurve in der raffinierteren zweiten Hälfte des Albums. 

Am unvorhersehbarsten ist die theatralische, zunehmend eindringliche Spoken-Word-Performance von Esme Bronwen-Smith – einer versierten Opernsängerin  – in „Ottavia“, ihrer Übersetzung von Monteverdis „L’incoronazione di Poppea“.  Nichtsdestotrotz erinnern uns Nina Nastasias Beiträge zur „Eno-meets-Yorke“-Dämmerung von „Iron Bones“ daran, wie Strawberry Hotel, wie so vieles aus dem Katalog von Underworld, häufig das Prosaische romantisch macht.   Wenn Strawberry Hotel fast unerwartet mit der stahlsaitigen Gitarre von „Sick Man Test“ endet, beschwört das leere amerikanische Landschaften herauf.

Trotz der oft schnellen, impressionistischen Bilder, die so hell und unberechenbar sind wie die Scheinwerfer eines Clubs, war die Musik von Underworld nie nur zum Tanzen geeignet. Allein mit ihnen in Bewegung zu sein, die Menschheit in einem Farbenrausch vorbeiziehen zu sehen, ist eines der größten Vergnügen des Lebens. Und hat etwas von der wunderbar flimmernden Welt meiner vielen Flaniermeilen auf der Portobello Road. Ich bin hier durch die Besprechung von Wyndham Walllace in der November-Ausgabe von Uncut gestromert, und habe natürlich ein paar eigene Assoziationen und Träumereien und Erinnerungen einfliessen lassen. Auf Wyndham ist sowieso Verlass.

Eine Antwort schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert