Fasten mit Anna und Chet und Co.
1 – Visualize yourself in the studio with the band. In meiner, über drei Tage andauernden, kleinen „Höhlenmeditation mit Traumtagebuch“, eine freundliche Umschreibung für eine „Kurzfastenkur“, hörte ich gestern, am ersten Tag, Chet Baker, eine tolle Aufnahme aus dem Hause „Jazz Detective“. Martin Wieland und das Tonstudio Bauer (ECM-Meriten!) hätten den Sound des Trompeters und Sängers Ende der Siebziger Jahre nicht transparenter einfangen können. Dieses Doppelalbum namens „Blue Room“ stelle ich gleich neben die damaligen traumhaften Aufnahmen von Chet Baker für das dänische Label Steeplechase. „Blue Room is one of those recordings that sounds great when you turn up the volume on your amp, close your eyes, and visualize yourself in the studio with the band.“ Sagt Mark Smotroff.
2 – Ein Paar voller Gegensätze. Vor dieser Zeit des kontrollierten Rückzugs hielt ich nach sechs Alben Ausschau, auf die ich totale Lust verspürte, zwei für jeden Tag. Und nach einer Ersatzplatte, falls ich einmal völlig falsch liegen sollte. Jedes bewusste Fasten sollte mit gezieltem Überfluss einhergehen, aus Gründen der Balance. Wunderbare Musik kreiert so einen „overflow“. Für den ersten Tag bildete „HYbr:ID III“ von Alva Noto den Abschluss, ich schrieb gestern darüber. Alle sechs Werke sollten aus recht verschiedenen Welten stammen (was ich nicht durchweg einhalten konnte), für heute ist allerdings ein ganz spezielles und kontrastreiches Paar vorgesehen – für den späten Abend (und Scotch & Candlelight) liegt „Bleed“ von den Necks parat. Endlich ist die Cd angekommen. Den Download hörte ich schon vor Wochen auf kleinen Lautsprechern, ich erinnere mich an ein Gespür für „decay & breath“, ein Spiel mit „dissolving patterns“: eine Klangstudie, die eher wie geträumt daherkommt, als mit Muskeln in Szene gesetzt.
3 – Easy listening with twists and turns. Grosse Freude bereitete mir am Vormittag ein echtes Highlight dieses Jahres aus dem Hause „International Anthem Records“, „Mighty Vertebrate“, von der Bassistin Anna Butterss (s. Cover). Eine Prise Lalo Schifrin hier, ein Hauch von Labradford da – kann das gutgehen? Meinen Toast kriegt Anna: ein Hoch auf den heiteren Tiefgang des Post-Rock-Jazz aus Chicago und Umgebung! Das Album brachte mich wahlweise zum Schmunzeln und Schweben – der Groove steht im Mittelpunkt dieser durchweg heiter-tiefsinnigen Musik, und die Methoden, dorthin zu gelangen, sind alles andere als didaktisch. Dermassen entspannt-fesselnd, dass ich das ganze Teil zweimal hintereinander hörte und immer noch nicht genug bekam von diesem „easy deep listening with twists“!
4 – Die Ersatzplatte. Und für das Finale morgen habe ich aus meinem Archiv zwei Alben hervorgekramt, an denen die Zeit nicht spurlos vorüber gegangen ist: „Distant Hills“ von Oregon (Rosato und Brian sind nicht die einzigen aus unseren Kreisen, die diese Scheibe lieben!) – und „Under The Sun“ vom Human Arts Ensemble. Mit Lester Bowie und einem besonderen, west-östlichen Klangrausch. Bei diesen zwei „Klassikern“ werde ich nicht falsch liegen, und darum wird die „Ersatzplatte“ nicht zum Einsatz kommen, die ich ein Vierteljahrhundert nicht mehr gehört habe: „Lift“ von Volker Kriegel. Aus dem Hause MPS. Ich glaube, jeder , der bis hierhin gelesen hat, wird unter diesen sechs / sieben Alben die eine oder andere neue / alte Lieblingsplatte ausfindig machen.
Ein Kommentar
Michael Engelbrecht
Dusty Groove HQ
Chicago had the Art Ensemble of Chicago at the end of the 60s — and St Louis had the fantastic Human Arts Ensemble at the start of the 70s — a wonderfully creative jazz group who shared a lot of the same ideas of improvisation and artistic freedom as the AACM up in the Windy City!
This album’s maybe that group’s lasting legacy — a fantastic record that’s sometimes as funky as it is spiritual, as outside as it is tied to older jazz traditions — performed by a core lineup that includes Oliver Lake on alto and tenor, Lester Bowie on trumpet, Marty Erlich on alto and flute, James Marshall and JD Parran on additional reeds, Charles Bobo Shaw on drums, and Carol Marshall on vocals and small instruments!
The group have a very special vibe — one that comes through especially strong on the side-long „Lover’s Desire“ — a nice slightly-funky number that has a groove that’s sort of modal. Side two of the album features „Hazrat The Sufi“, a long creative avant piece, with insane ensemble playing that’s very much in the AACM mode — but with some touches that also point the way towards the later loft jazz scene in New York — especially the world in which Lake would become such a key participant.