Der Klang von Tintagel (John Surman zum 80. Geburtstag, mit etwas Verspätung)

My Room Is Full Of Boxes Of Loose Threads

(Ingo‘s interview video)

Polperro / Tintagel / Trethevy Quoit / Rame Head / Mevagissey / Lostwithiel / Perranporth / Bodmin Moor / Kelly Bray / Piperspool / Marazion ./ Bedruthan Steps. Etliche dieser Orte wirst du heutzutage leicht ansteuern können. Damals, auf einer Reise nach Cornwall, noch im letzten Jahrhundert, in der Woche, als Bob Dylans „Time Out Of Mind“ erschien, 1998 oder 1997, brauchten wir noch Landkarten.

Ich hatte, in einer Besprechung von „Road To St. Ives“ (Jazzthetik), dem Fremdenverkehrsverein von Cornwall empfohlen, mit diesem Soloalbum von John Surman Werbung zu betreiben. Tatsächlich machen die Namen neugierig, Orte, die in historischen Roman auftauchen, Geschichten von Liebe, Tod, Wahnsinn, Hexerei sowie Legenden, die in unseren Hinterköpfen rumschwirren, von König Artus bis zu den Nebeln von Avalon. Es war später Sommer, als John Surmans Platte (und Dylans melancholisches Album) zum Soundtrack unserer Reise wurden.

Wir schliefen in dem Haus, und dem Himmelbett, in dem Daphne de Mauriers Schreibzimmer unversehrt erhalten war: hier hatte sie den berühmten Piratenroman geschrieben, den Hitchcock später verfilmte, oder war es nur „Rebecca“? Wir gingen durch den kleinen Ort mit dem wundervollen Namen Tintagel, ich erinnere mich an das Backsteinpflaster, die Ruhe am Meer, einen Fish’n’Chips-Laden, aus dem tatsächlich Scarborough Fair in der Version von Simon & Garfunkel ertönte.

Wir wanderten lange Tage auf dem Coastal Path, von Klippe zu Klippe. Wir brachen auf zu Trethevy Quoit. Die Sonne stach vom Himmel, schließlich kamen wir dort an. Ein oller Steinhaufen, dem man nur mit viel Phantasie etwas Pittoreskes abgewinnen konnte. Ein Hund schlug an der Kette, neben dem keltischen Ort der Kraft hingen weisse Bettlaken im müden Wind. Der Ort hatte allen Zauber eingebüßt. Eine Ruine ohne Strahlkraft.

Das entsprechende Stück von John Surman ist sehr kurz, ein Furor mehrerer übereinander geschichteter Saxofone. Ich spielte es öfter in den Klanghorizonten, als akustischen Koffein-Booster, und habe John Surman später einmal gefragt, wie er auf die Namen dieser Kompositionen gekommen sei. Ich glaube, er hatte einfach Namen genommen, die er mit Reisen in seiner Kindheit verband, oder solche, deren Klang ihm gefiel. Anouar Brahem liebte das Album. John Surman ist in diesem Jahr 80 geworden, wie ich gerade bei Ingo gelesen habe. Ich sah ihn nur einmal live, in Münster 1974, mit S.O.S., viele Jahre späte sprachen wir über „Thimar“ sprachen, das Trio mit Anouar Brahem und Dave Holland.

Über die Jahrzehnte landeten all seine Soloalben bei mir, auch seine Duos mit Jack DeJohnette. Jedes Werk garantierte mindestens einen Ohrwurm (wie etwa „Nestor’s Saga“), und ich bekomme gerade beim Schreiben Lust auf das zweite Album jenes Paul Bley Quartetts, bei dem neben John Surman auch Bill Frisell und, ich glaube, Paul Motian dabei waren. Es hiess schlicht und ergreifend „The Paul Bley Quartet“.

6 Kommentare

  • Ingo J. Biermann

    Ah, vergessen zu erwähnen: John tritt in einer Woche, am kommenden Sonntag im hier schon des öfteren erwähnten Berliner „Pierre Boulez Saal“ auf, und zwar „feat. Kit Downes, Petter Eldh, Rob Luft, Rob Waring, Thomas Strønen, Judith Hamann“

    Es gibt noch Karten:

    https://www.boulezsaal.de/de/event/john-surman-400124

    Falls jemand der hier Mitlesenden kommt: Ich werde auch da sein und vorher und hinterher sicher im einladenen „Foyer/Barbereich“ anzutreffen sein.

  • Michael Engelbrecht

    It is a fabulous portrait / interview. To watch John Surman talking, is a perfect match with my impressions of him, my stories of listening to his music. Mindwise smart, he’s definitely a Romantic, and over the years he bers often knew how to incorporate sharpness, how to undermine simple beauty.

    Listen to Saltash Bells (a favourite album of David Mitchell, too) or that album called The Second Paul Bley Quartet. Four flowworkers in the zone🌴

    Ach, „Saltash Bells“… John Fordhamm schreubt, der Titel erinnere an die Geräusche, die Surman auf der anderen Seite der Saltash Church hörte, als er als Kind mit dem Schlauchboot seines Vaters unterwegs war, und sie finden sich in den computergenerierten Glockentönen und kreisenden Loops wieder.

    Das lange Finale, Sailing Westwards, habe die jazzigsten Passagen, deutet aber auch eine jubelnde, rhumba-artige Partystimmung an. Es sei weniger introspektiv als Surmans frühere Solowerke manchmal waren, und es sei voll von beschwingter, einnehmender Lyrik.

  • Michael Engelbrecht

    Ich persönlich würde 2025 folgnde Schallplatten bei Luminessence sehen wollen:

    Steve Tibbetts: Life Of
    Steve Kuhn Ecstasy
    Jan Garbarek Sart
    Jon Balke Warp
    Bennie Maupin The Jewel In The Lotus
    Peter Rühmkorff Kein Apolloprogramk für Lyrik
    The Call: The Call
    Edvard Vesala: Nan Madol
    Jon Hassell: Last Night….. (damit ihr das schätzchen auch habt:))
    Codona 1 2 3 die dreifach box 🥁🌴
    John Surman Salatash Bells

  • Olaf Westfeld

    Excellent selection!
    Vielleicht noch „Power Spot“ dazu – aber die kann dann auch 2026 kommen…

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