The Straight Horn of Rudi Mahall

Bei Two Nineteen Records gibt es immer wieder packende Alben mit Größen der Berliner Jazzszene, aber das kleine, leidenschaftlich geführte Label ist bislang weitestgehend unter dem Radar geblieben, trotz Namen wie Alexander von Schlippenbach, Henrik Walsdorff  und Sven-Åke Johansson. (Vor nicht allzu langer Zeit habe ich eine der Aufnahmen mit der Kamera im Studio begleitet, für Christian von der Glotz’ Sextettplatte Limbo.) Einige der Namen tauchen immer wieder auf, gerade auch, wenn man eine Weile hier in der Stadt lebt, etwa Rudi Mahall. Gestern gab’s hier im Viertel die „Record Release Party“ zur LP The Straight Horn of Rudi Mahall (gepresst in goldenem Vinyl); es wurde das komplette Album gespielt, mit größerer Begeisterung noch als auf dem kurzweiligen Album. 

Das ganze ist natürlich eine heitere Hommage an den Klassiker The Straight Horn Of Steve Lacy, auf dem der Sopransaxophonist 1960 im Quartett mit Charles Davis, John Ore und Roy Haynes Stücke von von Monk, Taylor und Parker spielte. Mahall spielt allerdings die B-Klarinette (sonst derzeit häufig die Bassklarinette), die übrigen drei bilden sonst das Trio Oùat – der schwedische Berliner Joel Grip am Kontrabass, der Franzose Simon Sieger, der hier nicht nur in die Tasten haut, sondern auch zur Posaune greift, und der seit Ewigkeiten in Berlin lebende Schlagzeuger Michael Griener. Letzterer schrieb auch die Liner Notes auf der LP und zitiert eingangs Rudi Mahall: „Jeder hasst die Klarinette. Sie war damals und ist auch heute noch ein ziemlich unbeliebtes Instrument in der Jazzmusik. Mit Klarinette kannst du nichts erreichen.“ Einige inspirierende Zeilen über die Platte schrieben letzte Woche schon Eyal Hareuveni und Peter Margasak; ich nahm die Gelegenheit wahr und wollte von Rudi nach dem Konzert ein paar Worte hören.

ijb: Unser gemeinsamer Freund Robert [der bei der Platte nominell als Produzent fungiert und sie auf seinem Label Two Nineteen Records herausbringt] wird auch nach Jahren nicht müde, als großer Fan von dir zu aufzutreten. Wann immer er über dich redet, ist er immer total begeistert. Glaubst du, dass diese Platte jetzt das rüberbringt, was Robert an dir so toll findet?

Rudi: [Diese Platte] war erst gar so geplant. Wir haben das eigentlich ins Blaue aufgenommen. Und dann habe ich mir das angehört, und fand das gut – sehr gut sogar, eigentlich so veröffentlichungswert, wie es war. Und dann hatte Michael Griener diese witzige Coveridee. Ich habe mir das als CD vorgestellt, und dann haben wir Robert gefragt. Der hat sich das angehört, war total begeistert und stand riesig drauf. Ja, das ist, glaube ich, sein Ding … 

ijb: … ja, er liebt ja auch diese Art Standards aus dieser Zeit …

Rudi: Ja, solche Stücke mag er – und wenn man so ein bisschen was damit macht. Da steht er drauf. Und dann hat er gleich gesagt: „Nee, das muss jetzt eine Schallplatte werden, damit es was Besonderes wird.“

ijb: Hast du das Projekt angefangen – oder eher Michael?

Rudi: Nein, Michael. Der hatte die Idee, und wir haben es dann gemeinsam durchgezogen.

ijb: Aber es steht ja dein Name vorne drauf. Man denkt, das ist deine Platte.

Rudi: Na ja, gut, weil ich das straight horn spiele … Ja, es ist ja immer so, dass der Bläser vorne ist, und der bestimmt, wo es langgeht. Daher denkt immer so schön, da gäbe es jetzt einen Bandleader … gerade auch, wenn ein Name so groß drüber steht. Aber nein, das ist in dem Fall nicht so.

ijb: Diese Stücke sind ja eigentlich alles Standards. Da habt ihr Jimmy Giuffre, Gillespie, Bechet, Dolphy, Ellington, aber dann auch mal Verschiedenes in einem Stück zusammengemischt. Wie seid ihr die Auswahl angegangen?

Rudi: Michael hat zwei Stücke rausgesucht und ein bisschen arrangiert. Und den Rest habe ich rausgesucht, im Wesentlichen alles Stücke, die ich sonst auch gerne spiele. Das war ja ne ganz lockere Sache: Wir haben uns hier getroffen, eine Stunde geprobt, und dann haben wir aufgenommen. Ich habe mir ein paar Sachen ausgedacht, was man damit machen kann, so head arrangements; bei In-stable mates zum Beispiel: Der Bass und die Klarinette spielen das Thema, und dann werden die von den anderen beiden immer wieder unterbrochen. Die lassen uns nicht ausreden, wir lassen sie nicht ausreden. So ganz einfache Ideen.

ijb: Total super, diese Auswahl der Stücke – eigenwillige Zusammenstellung mit total unterschiedlichen Namen. Du bist ja in sehr, sehr vielen Projekten aktiv. Ich sehe deinen Namen dauernd auf irgendeinem Veranstaltungshinweis.

Rudi: Ist ja ein Beruf. Wenn man das so als Beruf hat, dann spielt man möglichst viel, damit das Geld reinkommt. Wenn die Band eine gute ist, kann die auch mal ein paar Jahre nicht spielen. Ich habe da einige Beispiele, wo es schon seit 30 Jahren so geht, wo immer mal wieder was passiert, und dann wieder ne Weile lang gar nichts. Mit der Enttäuschung– bzw. jetzt mit „Monk’s Casino“ („Die Enttäuschung“ plus Alexander von Schlippenbach) – läuft es eben genauso: Da bemüht sich jeder. Jeder schreibt Stücke, und die spielt man zusammen, und dadurch hat es immer was Frisches, was Abwechslungsreiches, weil das ja oft alles überhaupt nicht zusammen passt.

ijb: Ich habe dich ja letzthin mit Schlippenbach, Barry Altschul und Joe Fonda gesehen. Wie kam das zustande?

Rudi: Schlippenbach und Altschul haben mal miteinander gespielt, und ich glaube, die haben auch mal zu dritt mit Joe Fonda gespielt. Der Schlippenbach wollte eine Band mit den beiden und Evan Parker machen, aber der hatte keine Lust zu verreisen. Schlippenbach hat dann halt mich gefragt.

ijb: Aber die Band gibt es nicht weiter? Das war nur das eine Mal?

Rudi: Doch wir spielen sogar in Amerika nächstes Jahr. Joe Fonda hat das irgendwie geplant. 

ijb: Okay, wenn ihr das macht, dann komme ich mit. Ich nehm die Kamera und mache einen Tourfilm mit euch.

2 Kommentare

  • flowworker

    Was für eine spannende „Sache“, die du hier mit allen „Hypertexten“ ausbreitest, Ingo! Selbst manches Am-Rand-Erwähnte rief Erinnerungen wach: Barry Altshul war allein durch drei Alben zu meinen Zauberen am Schlagzeug geworden, die ich once upon a time erwarb:

    Dave Holland: Conference of the Birds (ECM) (in Dortmund gekauft, in dem kleinen Plattenladen, der alles hatte, von der Incredible String Band bis Sun Ra)
    Paul Bley / Gary Peacock / Barry Altshul: Virtuosi (IAI) (kam über jazz by post)
    Anthony Braxton: New York, Fall 1976 (diese Platte kaufte ich damals in Paris)

    Wie gesagt, nur eine Tangente… ich schicke das mal unserem Jazzredakteur…

    The Straight Horn wird besorgt… hätte ja auch in die JazzFacts gepasst…

  • Ingo J. Biermann

    Die Besprechung von Eyal beim FreeJazzBlog ist sehr gut:

    […] Side A of The Straight Horn of Rudi Mahall begins with one of the first iconic bebop pieces, Dizzy Gillespie’s “Bebop” from 1944, interpreted in a similar powerful, fast and almost chaotic manner like its original version. Tadd Dameron’s playful and driving “Good Bait” highlights Mahall’s beautiful solos that according to Griener, keep “the tactic of compressing and stretching the time against the rhythm section, resulting in rhythmic overlaps that could possibly be explained by Einstein’s theory of relativity”. The following “Sechseinhalb Brüder” melts Giuffre’s 1947 “Four Brothers”, a tribute to the saxophone section of Woody Herman’s second big band based on the chords of the Harry Warren composition “Jeepers Creepers”, Mahall’s “Vier Halbe” (four halves in German, from Die Enttäuschung album by the same name, Intakt, 2012) and Gerry Mulligan’s 1949 “Five Brothers”, and turns this imaginary sum of six and a half brothers = “Sechseinhalb Brüder” into a wild ride. The interpretation of Ellington’s “The Mystery Song” from 1961 nods to Lacy’s version of the song (from Evidence, with Don Cherry, New Jazz, 1962), with more room for improvisation over the 16-bar form. This side ends with a composition of another pioneer of the straight horn (clarinet and soprano sax) Bechet’s iconic “Petit Fleur” from 1952, after moving to France, and having a French pianist in the quartet seemed perfect. Mahall explores the full expressive potential of the clarinet, from the most traditional jazz to the free jazz. […]

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