Mallorca
In ein paar Stunden werde ich dort sein, und ganz allein einige abseitige Zonen der Insel erkunden. Ich weiss, wo der Covermagier einst lebte, der unter anderem Santanas „Abraxas“ veredelte. Ich weiss, wo Jon Hassell sich gerne aufhielt, und auf meiner letzten Reise dorthin erlebte ich eine meiner denkwürdigsten Wanderungen. In meinem kleinen gemieteten Haus im Nordwesten, mit Swimmingpool, und Bar in einer halben Meile Entfernung, werde ich die Zeit deutlich verlangsamen. Mein Wohnraum hat einen CD Player und Vorhänge, die an die dekorative Kunst Kandinskys erinnern. Wer mich sucht, würde mich kaum finden, und auch der Hinweis, dass mein Blick auf eine wunderbare geschlungene Hügelkette geht (laut Broschüre), würde mich nicht auffindbarer machen. Das kleine Gehöft teile ich mir mit einer kanadischen Kleinfamilie, und einer Handvoll ausgewählter CDs, von den üblichen Verdächtigen. Veedon Fleece ist dabei, The Survivors‘ Suite, Lives Outgrown (wie ich dieses Album liebe, zu dem jetzt auch Richard Williams ein paar Zeilen hinterlegt hat: Two literary voices from the last century came into my head as I listened to these songs and tried to understand their mixture of deceptive fragility and guarded optimism. The first, that of Samuel Beckett, in the oft-repeated advice from Worstward Ho: “Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better.” The second, that of Philip Larkin, the last line of An Arundel Tomb: “What will survive of us is love.” Maybe those are her perspectives, too.) Auch dabei sein werden, auf meiner fünften Mallorcareise, Jon Hopkins „Music For Psychedelic Therapy“, und Brian Enos Schatzkiste „Music For Installations“. Bis auf ein, zwei kleine Reisen auf die Insel vor ca. 20, 25 Jahren, habe ich nur Jugenderinnerungen. Ich glaube, ein kleiner Sprung jetzt, ohne Absatz, aber mit Punkt und Komma. Er war einer der besten Freunde, die ich je hatte, auch, wenn wir nur gute zwei Wochen zusammen waren, in einem luxuriösen Hotel, abgelegen, auf Mallorca – der damalige Minister Schiller drehte seine Schwimmrunden mit seiner Affäre, ohne von Paparazzis behelligt zu werden, und Mario Adorf tauchte mit Lex Barker auf. Ich schoss ein Foto, wie Herr Adorf sich ein grünes Salatblatt in den Mund schob. Ich las voller Ergriffenheit Albert Camus‘ „Die Pest“, liebte die schaumige Milchsahne auf dem Kakao, überstand den Überfall zweier Einbrecher, und zu den vielen Parallelwelten, zwischen denen sich Teenager leichtfüssig bewegen können, zählte die Freude, Morgen für Morgen Peter zu treffen, und stundenlang mit ihm das Tischtennisbrett zu besetzen, oder am Swimmingpool zu liegen. Er gehörte zur österreichischen Judonationalmannschaft, was ich weniger aufregend fand, als die Tiefe meiner freundschaftlichen Gefühle. Er war ungefähr sieben Jahre älter als ich, 21, und erinnerte mich vielleicht, aber nur sehr entfernt, an eine alpenländische Version meines Traumgefährten „Okko“, mit dem ich nächtens die aufregendsten Abenteuer in über Jahre wiederkehrenden Serienträumen erlebte – er kam stets in höchster Not, und bereitete jeder Traumsequenz zwischen Karl May-Gefilden und „Am Fuss der Blauen Berge“ ein Happy End. Aber was war das nun mit Peter: sah ich in ihm den idealen älteren Bruder? Ich glaube, das war es. Unsere Gespräche waren, so weit ich mich erinnere, auch ganz normale Jungsgespräche, ich mochte ihn wohl einfach von Herzen gern, Erotik spielte da nicht hinein. Vielleicht haben wir über die Beatles gesprochen, aber eher nicht über Camus. Ich hatte dort, in diesem behüteten Urlaub, keinerlei Musik dabei, dafür sah ich in kurzer Zeit ein paar Menschen, die ich aus dem Fernsehen kannte, auch diesen alten englischen Schauspieler, dessen Name mir entfallen ist, und der sich Jahre später wegen Depressionen das Leben nahm. Meine Mutter erzählte es mir, und ich sah wieder seinen leicht gebeugten Gang vor mir, und etwas Verlorenes in seinem Blick. Wo war Emma Peel – das wärs gewesen, vielleicht hätte Peter ihr ein paar Griffe gezeigt, und sie mir! Die Musik in diesem Paradies war die Musik einer älteren Generation. Neben dem Süssholzraspler am Klavier, der abends den Cognac und die Longdrinks der Barhocker untermalte, kamen aus den Lautsprechern ausschliesslich Evergreens, die schon immer Evergreens waren, von Neil Diamond oder Frank Sinatra. Ich denke, auch von Paul Anka und Neil Sedaka. Und ganz vorneweg James Last, die deutsche Ausgabe der Ray Coniff Singers. James Last, der alles weich verpackte, von den Chansons bis zum Jazz, von Hippie-Musicals bis zu dem Fab Four. James Last hätte auch aus „Paint It Black“ eine Schmonzette für angetrunkene Mann-im-Mond-Sucher aus dem Ärmeln seines Orchesters schütteln können. Soziokulturell hatte dieser früh erblondete Arrangeur fleissig an Traumkulissen im Wirtschaftswunderland gezimmert. Ich war aber nur in meinen Hintergedanken ein resistenter Hörer. Von den altmodischen Hits (einer liegt mir auf der Zunge, „Spanish Eyes“, oder heisst er „Spanish Harlem“) liess ich mich gerne einwickeln. Auch die jungen Bee Gees wären nicht weiter aufgefallen. Es ist immer seltsam, alten Orten neu zu begegnen. Mein Leihwagen ist ein Mini Cooper, was ich lustig finde. Nun war diese avisierte Reise bloss ein Traum in den Morgenstunden, aber so realistisch, dass ich eigentlich nur einen Koffer packen müsste und Last Minute Angebote sondieren. Ich würde stets einen Kompass bei mir haben, ein Schweizer Messer, und genügend Futter.
Ein Kommentar
Jan Reetze
Na, dann grüß‘ mal die Geister von Daevid Allen und Gilli Smyth, die in Deya gelebt haben. Dort sind auch die beiden wunderbaren LPs „Now is the Happiest Time of Your Life“ und „Good Morning“ entstanden, unvergessen.
„Spanish Eyes“ is übrigens von Bert Kaempfert, aber Mr. Last hat’s bestimmt auch gespielt …