Hubert, das I Ging, und „objets trouvés“

Manchmal begegnet man bei Konzerten oder hier bei den „Flussarbeiten“, Menschen, die einen selbst lange kennen (medial), ohne dass man oder ich in diesem Falle je zuvor von ihnen gehört habe. Einiges brachte mich in der folgenden Mail zum Schmunzeln. Hubert managte mal einen Musikclub im Hinterland, in der Zeit zwischen der zweiten Hälfte meines Studiums in Würzburg, und meiner Zeit als Gruppentherapeut in Furth i.W. – da bin ich aber gespannt, wo dieser Club lag. Meine Lieblingshinterlandclub war das To Act in der Fränkischen Schweiz (Weißenohe), wo ich 1980, unvergessen, Robert Fripp and The Leagug of Gentlemen erlebte.

Und als ich dann endgültig selber zwei Jahre im deutschen Niemandsland wohnte, in Arnschwang und Bergeinöden, da waren meine treuen Gefährten, neben der Musik als Seelennahrung, und einer Handvoll guter Freunde, die Schafgabenstengel, mit denen ich öfter ein meditatives Ritual durchführte, um Antworten auf ein paar drängenden Fragen zu erhalten. Abseite aller Mystifizierung tat es mir sehr gut denn die Aussagen des alten chinesischen Weisheitsbuches hielten inspirierende Dinge bei, um Blokaden meines Unbewussten auszuhebeln.

Durchaus ein wenig vergleichbar mit Brian Enos „Oblique Strategies“, ein Kartenspiel, das stets griffbereit lag. Einmal, unendlich verliebt, griff ich in den Stapel und zog die Karte „Into The Impossible“. Wie wahr. Es waren damals die Pionierjahre der Kognitiven Verhaltenstherapie bei der Behandlung von Alkoholkranken und Medikamentenabhängigen. Am Ende meiner Zwit dort war ich einem Liebeskummer verfallen, der dem des jungen Werthers nahekam. Jedes Aufwachen über Wochen eine qualvolle Begegnung mit dem Verlust der Angehimmelten. Der Stoff für eine zweihundertseitige Erzählung (ich suche dafür noch ein sponsoring in Höhe von 30000 Euro, kein Witz.) in dem kleinen Roman würden sie alle Protagonisten vorkommen, und meine damals besten Freunde, Hansjörg, Gudrun, Uwe. Und Ralf im Hintergrund war auch ein Netter (mein ECM-Experte im Nördlichen Ausläufer des Bayerischen Waldes). Hier ein Foto des Hauses, links, mir frischem Weissanstrich, in dem damals die Schafgarben flogen und „Remain In Light“ (nomen est omen) von den Talking Heads zu einem survival kit zählte.

Hallo Michael,

ich heiße Hubert Mania, bin Autor und Übersetzer, 71 Jahre alt. Ich kenne deine Sendungen von Anfang an, habe die Manafonistas ein paar Jahre verfolgt und lasse mich nun auch von euch Flussarbeitern zu musikalischen Entdeckungen anregen. Zwischen 1977 und 1982 war ich Mitinhaber eines Jazz- und Rockclubs auf dem Land: ne Dorfkneipe mit Disco und Konzertsaal.

Neulich erwähntest du in einem Beitrag en passant deine Beschäftigung mit Schafgarbenstengeln, und ich glaube, ich habe da vielleicht eine Anregung für dich. Meine Erlebnisse mit dem I Ging habe ich 1984 aufgeschrieben und dabei den mit objets trouvés funktionierenden Zugang zum Buch der Wandlungen beschrieben. Hier kommt jetzt gleich ein kleiner teaser aus dem sachte redigierten 18seitigen Text, den ich per PDF mitschicke. Kein Stress: Ich werde keinesfalls nachfragen, weil ich mir vorstellen kann, dass du gar keine Zeit für so was hast.

Herzliche Grüße,

Hubert

P.S. Es gibt auch eine poetische Hochrechnung des I Ging zur Bundestagswahl 1980. Franz Josef Strauß war gegen den Eisernen Kanzler angetreten. Als einzige Kneipe im Ort durften wir unsere Landfreak-Disco als Wahllokal zur Verfügung stellen. Während in der ARD der angenehme Bariton von Rudolf Rohlinger die ersten Hochrechnungen bekanntgab, brachte ich den Wahlhelfern gerade eine neue Runde Bier und Kurze. Sie hatten die Stimmen schnell ausgezählt und die Lokalhonoratioren gaben auf den überwältigenden Sieg der CDU im Dorf einen aus.

Beim Abräumen der nassen Bierdeckel fiel mir als Erster einer in die Hände, auf dem die Zahlenkombination 32/34 stand, vermutlich die inoffizielle Notierung der Erst- und Zweitstimmen für die SPD im Dorf. Ich brauchte nicht im I Ging nachzuschlagen, denn diese Bilder kannte ich: 32 ist die Fortdauer und 34 die Macht des Großen Mannes. Und das gaben auch zwei Stunden später die vorläufig endgültigen Hochrechnungen des Herrn Rohlinger bekannt: Die Fortdauer der Macht des Großen Mannes. Helmut Schmidt blieb Bundeskanzler.

(Hubert Mania hat mir einen überarbeiteten Text zu „I Ging und objets trouvés“ zur Verfügung gestellt, den ich gerne auf Anfragen zusende. Ausserdem scheint Hubert guten Humor zu besitzen, ein feines Gespür für das Fantastische Im Alltag, und sowieso gut schreiben zu können… bahnt sich hier, neben Bernard aus Limburg, die Ankunft eines weiteren neuer „Flusswerkers“ an. Ich sollte mal wieder die Schafgabenstengel rausholen!)

7 Kommentare

  • Michael Engelbrecht

    Materialien zum TO ACT

    Ein legendärer Club in Weißenohe (Landkreis Forchheim, Bayern). Von 1969 bis zur Schließung 1981 spielten hier Bands wie Manfred Mann’s Earthband, Status Quo, Iggy Pop, Siouxsie & The Banshees, Nina Hagen, The Cure usw. Das To Act wurde Ende der 70er Jahre zu dem Konzertsaal für die aufkeimende Punk- und New Wave-Szene. Der Betreiber des To Act, Robert Hänfling, starb Ende 2005 im Alter von 54 Jahren an Leberzirrhose.
    Laut Diedrich Diedrichsen, der den Club im Mai 1980 für eines von zwei Slits-Konzerten in Deutschland besuchte, „ein legendärer Club mitten auf dem Land, fast der einzige in Süddeutschland, in dem man neue Musik hören kann und damit auch ein wichtiger Treffpunkt für alle Punks, Avantgardisten, Künstler und Selbstdarsteller aus Orten wie Nürnberg, Hof, Regensburg, Stuttgart, München, Bayreuth, etc […] jeder scheint hier in einer Band zu sein oder ein Fanzine zu machen. Was noch auffällt ist, daß es hier noch nicht wie in den Großstädten die Konflikte zwischen Avantgardisten und Punks zu geben scheint.“
    „Im Sommer 1980 schrieb Diedrich Diederichsen für Sounds euphorisch über Weißenohe, ein Dorf im großzügig verteilten Niemandsland zwischen Nürnberg und Bayreuth. Er hatte im dortigen To Act einen von zwei Deutschland-Auftritten der Slits gesehen: »Mitten in einem Dorf ein unscheinbares Gebäude, an dem Graffitis wie ›Tom Verlaine Superstar‹ prangen. Eine kleine Schiefertafel, die wohl normalerweise benutzt wird, um Tagesgerichte anzukündigen, ist vollgeschrieben mit Namen wie Iggy Pop, Robert Fripp – die nächsten Konzerte im ›To Act‹.« Dieses Dorf stellte ein Zentrum dar, jedenfalls wimmelte es nur so vor Aktivität: »Jeder scheint hier in einer Band zu sein oder ein Fanzine zu machen.«. Am darauf folgenden Tag besucht Diederichsen Nürnberg, »eine schöne Stadt. […] Wo sind hier die Jugendlichen? Ein paar Altlinke in einer Studentenkneipe, ein paar tumbe Discos. Schließlich landen wir in einem Vorort Nürnbergs in einer ›Alternativ‹-Kneipe. Auch hier keine Zeichen von neuen Lebensformen, sondern genau ›unsere Diaspora‹, das kulturelle Hinterland […], dessen ›Seelen‹ wir für neue Gedanken gewinnen sollen. Scorpions-Graffiti an den Wänden, undefinierbarer Gitarren-Prediger-Rock aus den Lautsprechern. ›Eine regelrechte Brutstätte des Heavy-Rock ist das hier‹«. Nürnberg, ein Ort, von dem es intern damals hieß (und immer noch heißt), er sei eine »Bluesstadt«, wo das traditionelle »Bardentreffen« nach wie vor ein lokales Ereignis darstellt, hatte ein besonders provinzielles Gepräge. NDW-Platten entstanden dort nur vereinzelt und mit einer Zeitverzögerung von mehreren Jahren. […] Am Tag vor seinem Nürnbergbesuch hatte Diederichsen damals bereits einen Abstecher nach Bayreuth unternommen, der kulturell wichtigsten Stadt Oberfrankens. Bayreuth ist schön, so das Fazit, aber: »Subkultur? Klubs? Plattenläden?«“

    Quelle: Frank A. Schneider

  • Hubert Mania

    Unser Club hieß „Schlucklum“ in Lucklum am Elm. Der Elm ist der größte Buchenwald Norddeutschlands. Lucklum hat 260 Einwohner und liegt strategisch günstig zwischen Braunschweig, Wolfsburg und Wolfenbüttel. Schwerpunkt unserer Konzerte lag auf deutschem und europäischem Jazz, aber auch Jazzrock, Bluesrock, alle möglichen Rockvarianten und Anarchotheatertruppen kamen zum Zug. Mit diesem breitgefächerten Ansatz haben wir unser Publikum enorm vergrößert, was sich dann auch in der Vielfalt der DJs und deren Repertoire niederschlug. Wir haben also so ziemlich alles an tanzbarer Musik angeboten. Allerdings dauerte es rund fünf Jahre, bis sich DJs fanden, die auch Diedrich Diederichsen gern gehört hätte.

    Wir hielten Schafe und Ziegen und haben uns damit die Herzen der Dorfbewohner erobert. Ein entscheidender Move, denn die Lärmentfaltung mit Disco und Konzerten drei bis vier mal die Woche war schon erheblich. Diedrich Diederichsen wäre wohl schreiend weggelaufen, wenn er unsere Disco besucht hätte: Reggae rauf und runter, Soul und Funk, Rock & Pop, eine bunte Mischung, aber deutlich abseits der Hitparaden. Wenn ich aufgelegt habe, gabs auch jazzige Einlagen, tanzbare Varianten wie z.B. Brian Auger’s Oblivion Express, Stanley Clarke, Chick Corea, und – für die Schnelltänzer, die den Ehrgeiz hatten, jede Note in Bewegung umzusetzen: John McLaughlin – und immer mal wieder ne kleine Prise King Crimson.

    Unser Publikum: tatsächlich die Dortbewohner, auch aus umliegenden Dörfern, Landfreaks, die von Hippietrade lebten, oder gemeinsam eine Tischlerei betrieben, urbane Ökofreaks, linke Aktivisten, Kunsthochschulstudentinnen, Mitarbeiter linker Kinderläden, Pflegepersonal, die ganze subversive Szene Braunschweigs, die Jazzbegeisterten aus dem Einzugsgebiet, und natürlich die Spontis aus Nah und Fern, zu denen ich mich selbst zählte.

    Aber es gab auch die ganz normalen Dorfkneipenabende, wo sich erstaunlicherweise Feuerwehrleute mit Atomkraftgegnern vor gut hörbarer Musik von Frank Zappa unterhielten oder der Lucklumer Schäfer einem Kunststudenten den Trick beim Fellabziehen verriet. Wo nach dem Konzert der Tenorsaxofonist aus Chicago mit griechischer Kultur = Ouzo & Metaxa bekanntgemacht wurde.

    Als Live Acts hatten wir u.a. Joachim Kühn, Heinz Sauer, Uli Beckerhoff, Manfred Schoof, Albert Mangelsdorff, Eberhard Weber, Toto Blanke, Philippe Catherine, Jasper van‘ t Hof, Art Lande, Paul McCandless, Alphonze Mouzon, Dom Um Romao, Stu Goldberg, Trilok Gurtu, Kenny Wheeler, Eddie Gomez und Terje Rypdal.

  • Michael Engelbrecht

    Erweiterte Heimatkunde, wunderbar zu lesen. Erst erzählt Bernard Olaf und mir von einem anderen Hinterland, den Bizarre Festival 1992, in Giessen, mit all den Verrücktheiten vor Ort, und nun dies!

    Die Namm zergehen auf der Zunhe, time traveling pur:

    „Joachim Kühn, Heinz Sauer, Uli Beckerhoff, Manfred Schoof, Albert Mangelsdorff, Eberhard Weber, Toto Blanke, Philippe Catherine, Jasper van‘ t Hof, Art Lande, Paul McCandless, Alphonze Mouzon, Dom Um Romao, Stu Goldberg, Trilok Gurtu, Kenny Wheeler, Eddie Gomez und Terje Rypdal.“

    Wish I were there 🌠

  • Hubert Mania

    Philip Catherine war zwei Mal da: mit van’t Hof & Charlie Mariano, gebucht über Vera Brandes, und dann mit John Lee, Bass & Gerry Brown, Schlagzeug. Gerry fragte mich vor dem Gig, während er großzügig Thai Sticks verteilte, ob sie ein jazziges oder lieber ein rockbetontes Programm spielen sollten. Ich sagte so was Ähnliches wie: Lasst die Bude krachen und es wurde eines der spektakulärsten Konzerte, die das Schlucklum je gesehen hatte.

  • Michael Engelbrecht

    philippe, charlie und jasper: ihre Platten wurden in unserer WG sehr gemocht. Robert Wyatt spielte apöter eine betörende Version eines Catherine Stückes: Maryam, oder so ähnlich. Evergreen in den Klanghorizonten: frag den Besitzer der Jukeboxen in Leinfelden-Echterdingen! 😉

    Ja, Vera: ich war mal mit ihr auf einem Konzert von Kip Hanrahan, wir standen nebeneinander und kamen ins Erzählen. Das läuft unter: bleibt privat. Aber es war schön, ihre Zeit bis zu Jarretts Köln Concert im Kino mitzuerleben. Ein bisschen Fiktion war dabei, aber nur ein bisschen, und demnächst kommt eine Doku des gleichen Regisseurs über The Köln Concert. In den Film KÖLN 75 taucht übrigens HOTEL ENGELBRECHT auf, das es nie gegeben hat:)

    John Lee und Gerry Brown spielen auf meiner Lieblingsplatte von Chris Hinze Combination: MISSION SUITE. Auf MPS. Ein ganz tolles Rhythmusgespann….

    Those were the days, würde Henning sagen.

    Unser gabz privates Leben hatte damals schon einen tollen Soundtrack.

  • Hubert Mania

    Natürlich hat es das Hotel Engelbrecht gegeben. Du bist nur dran vorbeigegangen, weil du so in Musik versunken warst. Im Hotel waren alle Musiker versammelt, die du je auf Konzerten bis 1975 gesehen hast. Sie haben auf dich gewartet, um mit dir zu feiern und warten immer noch …

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