Kurzausflug nach San Francisco und Los Angeles

Ich wollte eigentlich den Dokumentarfilm über John und Yoko sehen; erwarte mir da vielleicht nichts Besonderes, trotz recht positiver Besprechungen in Filmmagazinen und im Deutschlandfunk, zumal Kevin MacDonald eher kein household name ist, aber seine Filme, auch die dokumentarischen, waren bisher immer zumindest sehenswert, also bin ich doch ein wenig neugierig.

Dann stellte ich allerdings fest, dass der Film in unserer Gegend heute nur am Nachmittag und frühen Abend gelaufen war, und nach Neukölln radeln lohnte sich daüf nicht, entdeckte aber stattdessen Point Blank heute ausnahmsweise in dem Programm stehen. Da das Gewitter früher als erwartet hereingebrochen war, und die werte Gemahlin für amerikanische Thriller immer zu gewinnen ist (eher als für Dokumentarfilme über Musiker), konnten wir kurzerhand durch den Park radeln und fanden uns kurz darauf in der kalifornischen Sonne des Jahres 1967 wieder.

Und mir fiel auf, dass ich den Film offenbar noch nie gesehen hatte. Oder womöglich vergessen. John Boorman hat gleichwohl ein paar ganz hervorragende Filme in die Kinogeschichte eingeschrieben (etwa The General, den ich sehr liebe), aber gewinnt auch ein so uralter Schinken (oder Streifen?) trotz nach heutigen Maßstäben technischen Unzulänglichkeiten und überaus altmodischen Männer- und Frauenrollen noch sein Publikum. Der Saal war jedenfalls voll besucht.

Wie ich herausfand, zeigen die da gerade eine kleine Reihe mit Filmen des „New Hollywood“, Point Blank ein Musterbeispiel — mit zahlreichen Originaldrehorten in der Großstadt, Unorten, wackeligen Actionszenen, grobkörnigen Nachtaufnahmen, Antihelden, rauen Schnitten und Übergängen. Aber eben auch fantasievoller Bild- und Tongestaltung, innovativer Dramaturgie und Gesellschaftskommentar zwischen den Zeilen. Manche ein Scorsese, Michael Mann und vor allem Tarantino hat den Film offenkundig nicht nur einmal gesehen. Vor dem Film zeigten sie alte Werbeclips aus den späten Sechzigerjahren sowie die Trailer zu den demnächst noch gezeigten New-Hollywood-Filmen, darunter Bullitt, der ebenfalls in San Francisco spielt, mit etlichen Autojagden die Seven Hills rauf und runter, die auch ich erst im April rauf und runter gelaufen bin. Ach ja, und Alcatraz spielt eine zentrale Rolle in Point Blank.

4 von 5 Sternen

2 Kommentare

  • flowworker

    Um 4 Uhr in der Früh bin ich wach geworden, und statt auf Borkum einen Blick ans Meer durchs Panoramafenster meiners tollen Apartments zu sehen, nahm ich eine Paracetamol gegem meine Viruagrippe hier in meiner zweiten Heimat. Ich bin flachgelegt. Nach drei Tagen ist das Fieber erstmal runter, nicht aber die schmerzhafzen Missempfidungen im Rückenbereich.

    Ich las Ingos Text und fragte mich anfangs, nach dem Angucken der Fotos, ob er wieder in USA sei. Ich dachte an Filme, die ich mit diesen abschüssigen Strassenlandschaften verbinde, An Vertigo und dann natürllich auch an Bullitt (wobei ich hier Orientierungsfehler gar nicht ausschliesse.

    Ich kenne Point Blank von früher, und das von Martina ins „Aspahaltrennen“ gebrachte Spiel mit New Hollywood-Filmen. Die kurzen Anmerkungen von Ingo zu Point Blank liessen meine Erinnerungen lebendig werden. Harter Streifen, out of memory four stars.

    Natürlich dachte ich auch an Bullitt mit Steve McQueen, einen Film, den ich damals schon sehr gerne sah und vor wenigen Jahren besorgte ich mir den fabelhaften Soundtrack von Lalo Schifrin zu Bullitt, soielte mindestens ein Stück daraus, als die Klanghorizonte noch live war, und die ganze Nacht lief.

    Mehr zu Bulliitt in Kürze, hier… und dann hatte ich, nachdem ich ca, um 4.20 Uhr wieder Ins Bett ging einen Traum, den ich leider nur noch stückweise in Erinnerung habe.

    Trotzdem werde ich einzelne dieser Bruchstücke hier kundtun – darin tauchen zwei Boxer auf, die beiden Hunde von Ingo und seiner „werten Genahlin“. Ich vermute stark, dass sie keine Hunde haben! (m.e.)

    😉

  • Michael Engelbrecht

    Im Lauf der Jahre geisterten durch meine Nachtsendungen ein paar, gern variierte Sätze, u.a. „Die Häuser der Kindheit müssen ihre Dämmerung behalten“, von Gaston Bachelard, und wenn ich von „Regressionen im Dienste des Ichs“ sprach, zitierte ich den Psychoanalytiker Georg Groddeck. Beides kommt bei mir in letzter Zeit zusammen, wenn ich mir so angucke, was ich mitunter für Platten auflege. Oder welche Lust ich manchmal auf alte Filme verspüre, jetzt ist gerade „Bullitt“ dran, genau, der Film mit Steve McQueen.

    Es ist auch nicht typisch für mich, dass ich seit einiger Zeit ganz gerne bestimmte Platten auflege, die lange vor meiner Jazz-Entdeckungs-Zeit aufgenommen wurden. Vorzugsweise „Way Out West“, von Sonny Rollins, und „Midnight Blue“ von Kenny Burrell. Ich sehe keine Bilder beim Hören von Klängen, aber es fällt mir leicht, innere Filmsequenzen abzuspielen, wenn ich es will. Und genau das will ich zuweilen, wenn mir bewusst wird, dass diese Aufnahmen Zeit still stehen lassen, Zeit ablichten.

    Ich schaue mir das Aufnahmedatum der beiden Platten an, und katalputiere mich in das jeweilige Studio. Von beiden Studios habe ich etliche Fotos, so dass ein beträchtlicher Realismus garantiert ist. Ich sehe die Musiker vor mir, sie trinken Bier, reden miteinander (ich schnappe einzelne Sätze auf), in der Regel gehe ich vor die Tür, und wenn ich weiss, wann die Session beginnt, suche ich mir eine Bar in der Nähe. In einem Fall ist es 1957, überlegen Sie mal! Wir sind zehn Jahre vom „summer of love“ entfernt, die Bars und Skylines erinnern mich an all die Filme, die ich aus jener Zeit kenne, „black and white and beautiful“. Einmal hätte ich fast Ray Barrettos ersten Auftritt an den Congas verpasst, als ich in der „Upper River Bar“ einen Whisky zuviel trinke, und eine Lady mir etwas von ihrer Kindheit in Georgia erzählt.

    Meine Lieblingsplatte von Joe Henderson kam erst sehr viel später raus, die mit den „Elements“, sowie Alice Coltrane und Charlie Haden. Aber den Saxofonisten bei Burrells Sessions hautnah zu erleben (nicht auf youtube-Filmchen), und seine stoische Präsenz auf mich wirken zu lassen, ich sass neben dem Mischpult und war natürlich für alle Anwesenden unsichtbar, dies ist ja keine Hokuspokus-Geschichte – my gosh, unbelievable! (Sie ahnen schon, welche Optionen man hier in einem luziden Traum hat?!)

    Die abgekürzte Form dieser Zeitreise geht so, dass ich, während die jeweilige Schallplatte läuft, ins Studio springe, einmal tief durchatme und dann auf einem Holzhocker lausche, lausche, lausche. Ich habe enorme Freude daran, dem Mienenspiel der Beteiligten zu folgen, und jeder, der diese, auch hervorragend aufgenommene, Musik hört, wird bestätigen, was ich sehe: „all cats are in the mode and mood of deep relaxation – and time is on their side“. Natürlich ist für mich als Zeitenspringer selbige auch auf meiner Seite, obwohl das ein zweischneidiges Schwert ist, Teil purer Illusionskunst: eine klassische Regression im Dienste des Ichs. Und, keine Frage, die Räume der Studios müssen ihre Dämmerung behalten.

    Und jetzt also „Bullitt“, die alten Autos, eine frühe Version von Coolness auf der grossen Leinwand, und der Soundtrack von „Bullitt“, hernach auf dem Plattenteller. Das remasterte Vinyl als Zeitmaschine. Eine Aufnahme aus dem Jahre 1968. „This new reissue by Speakers Corner received a first-class remastering from Kevin Gray, and it has earned a permanent slot in my slim soundtrack collection. Steve McQueen’s „missing“ Mustang, not seen in decades, was recently unveiled at the Detroit Auto Show and put up for auction. Few of us can spare the millions needed to buy such a treasure, but for chump change you can get a lot of the Bullitt mileage each time you replay this splendid reissue.“ (Dennis Davis, The AudioBeat)

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